FYI.

This story is over 5 years old.

Features

Dass Sam Smith erst jetzt auf Rassismus aufmerksam wird, zeigt, dass er Teil des Problems ist

Es ist besorgniserregend, dass jemand, der sich für seine Musik der schwarzen Kultur bedient, nicht erkennt, wie privilegiert er als weißer Mann ist.

Wann ist dir zum ersten Mal klar geworden, dass die Welt nicht nur eitel Sonnenschein ist? Vielleicht war es die erste Erfahrung mit körperlichem Schmerz, ein kleiner Sturz, der zu dem Wissen geführt hat, dass man sich an allem verletzen und dadurch bluten kann. Vielleicht war es, als dir zum ersten Mal etwas verwehrt wurde, von einer relativ standfesten Mutter, die sich weigert, deiner Forderung nach einem Happy Meal nachzugeben, während du auf dem Rücksitz jammerst. Falls du ein wirklich aufgewecktes Kind warst, hast du vielleicht auch die Nachrichten gesehen und langsam verstanden, dass es irgendwo da draußen, weit weg von diesem bequemen Dasein, Menschen gibt, die tagtäglich auf unvorstellbare Weise leiden müssen.

Anzeige

Für Sam Smith—der erste letzte Woche erfahren hat, wer Thom Yorke ist—scheint, einer Reihe an schockierten Tweets zu urteilen, dieses böse Erwachen erst relativ spät im Leben gekommen zu sein. Darin beschreibt er rassistische Beleidigungen gegenüber seinem Freund, die dieser in London erleben musste. Sein Kummer ist offensichtlich und sehr leicht nachzuvollziehen und ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es wirklich schrecklich ist, so etwas zu erleben. Aber der Tonfall und die Art seiner Reaktion sind so bizarr, dass ich es ansprechen muss.

„Ich hätte nie im Leben gedacht, dass dies hier passieren würde. Ich bin total sprachlos und verletzt", schreibt er, als wäre rassistische Diskriminierung nicht nur etwas, das sehr neu für ihn ist, sondern auch etwas, das nicht tagtäglich in der englischen Hauptstadt passiert, den Weg in Pläne der Regierung findet, in denen Minderheiten pauschal als terroristische Bedrohung gesehen werden, sich in der Clubkultur festsetzt und durch die mangelnde Repräsentation auf unseren Fernsehschirmen sichtbar ist sowie bei den Musik-Awardshows des Landes vorherrscht. Wo denkst du, gibt es den ganzen Rassismus, Sam? Nur bei den Oscars?

Er scheint nicht nur nichts von Rassismus in Großbritannien zu wissen, auch die oft gleichgültige Reaktion der Behörden scheint er noch nicht bemerkt zu haben. „Die Polizei hat in der Situation so wenig geholfen und das hat mich tief schockiert", twitterte er, obwohl jeder, der in den letzten zwölf Monaten die Nachrichten gesehen hat, wissen sollte, dass institutioneller Rassismus bei der Polizei so weit verbreitet ist, dass der Londoner Polizeichef sogar offen zugibt, dass junge schwarze Männer viel eher angehalten und durchsucht werden als weiße Männer.

Anzeige

Aber die Krönung, und das, was viele Leute bei Twitter wütend gemacht hat, ist, dass Sam daraus schließt, er müsse „darauf aufmerksam machen"; ein Tonfall, der zeigt, wie unwissend er bezüglich des andauernden Kampfs gegen Rassismus in Großbritannien, all der Arbeit, dem Aktivismus und den Artikeln, die sich damit auseinandersetzen, ist. Dachte er wirklich, dass sich das alles auf einen kleinen Teil dieser verregneten Insel beschränkt und so behandelt wird, wie ein nukleares Leck? „Geh nicht dort hin, da ist dieser ganze Rassismus." Wie auch immer, es ist alles gut, Nina Simone läuft ja im Radio.

Ich will damit auch nicht sagen, dass Smith es unbedingt verdient hat, für diese selige Unwissenheit fertig gemacht zu werden. Letztendlich hat er öffentlich ein Problem erkannt, das er vorher offensichtlich nicht gesehen hat. Manchmal braucht es Erfahrungen aus erster Hand mit einem Problem, um zu verstehen, wie tiefgreifend es wirklich ist. Außerdem wissen wir alle, dass die Blase der Prominenz viele unserer größten Stars immer noch in einem Zustand überlegener Selbstvergessenheit einschließt, selbst in dieser extrem vernetzten Welt (z.B. wenn Nicki Minaj 2015 Taylor Swift über systematischen Rassismus belehren muss). Aber man fragt sich trotzdem, wie Smith es so weit geschafft hat, ohne jemals auf solche Vorurteile aufmerksam zu werden.

Smith ist in die Fußstapfen von Amy Winehouse, Duffy und Joss Stone getreten und hat es zu weltweitem Erfolg gebracht und Millionen verdient, indem er ein Genre britischer Soulmusik genutzt und kommerzialisiert hat, das eine unbestritten schwarze Herkunft hat. Durch diesen Erfolg hat er unzählige Preise bei den MOBO Awards 2014 abgeräumt; Ehrungen, die vielleicht sonst schwarze britische Künstler bekommen hätten. Kann jemand wirklich so viel Erfolg mit diesem Musikgenre haben und trotzdem so wenig grundlegendes Wissen über die echten Probleme haben, denen die Leute begegnen, dessen Kultur er sich so massiv aneignet?

Anzeige

Hinter seinem Versprechen, auf das Problem „aufmerksam zu machen", standen sicherlich gute Absichten. Aber wir haben 2016. Idris Elba richtet sich an das Parlament, weil es in Großbritannien zu wenig Möglichkeiten für schwarze Schauspieler gibt, Spike Lee und Jada Pinkett Smith boykottieren Award-Verleihungen, die schwarze Darsteller nicht genug würdigen, und Rihanna nutzt große Interviews, um über Racial Profiling zu sprechen.

Die Popkultur ist zu einem Prisma geworden, durch das der Diskurs über die wichtigen Themen von heute beschleunigt wird. Künstler wie Benga, Professor Green und Alanna McArdle (Ex-Joanna Gruesome) reden öffentlich über ihre eigenen, ungemein persönlichen Geschichten, um das Stigma bezüglich psychischer Gesundheit aufzubrechen; Shamir, Jaden Smith und Angel Haze bringen die Sprache auf Themen bezüglich Geschlechteridentitäten; unzählige Popstars haben sich gegen Sexismus in der Musikindustrie ausgesprochen und viele andere wie Lauren von Chvrches oder Sky Ferreira haben diese Diskussion bereichert und auf die massiven Online-Beschimpfungen aufmerksam zu machen, denen sie begegnen.

An Sam Smiths Offenbarung ist sicherlich nichts Böswilliges und die Tatsache, dass er überhaupt darüber getwittert hat, ist besser als ein merkwürdig passiver Star, der diese Themen komplett umschifft, aber es ist schwer, sich nicht zu sorgen, wenn jemand von seiner Größe jetzt erst auf etwas so weit verbreitetes wie Rassismus im Jahr 2016 aufmerksam wird. Heutzutage vertrauen wir unseren Mega-Musikern, dass sie sich ihres gewaltigen Einflusses bewusst sind und sich gebildet und differenziert mit Dingen auseinandersetzen. Und auch wenn Sam vielleicht gerade „erwacht" ist, hat er noch einen langen Weg vor sich, bevor er irgendwas anderes als ein Teil des Problems ist—gefeiert für seine Musik, die auf der schwarzen Kultur basiert, trotzdem nicht in der Lage, das Privileg des Schutzes vor Diskriminierung, das sein Status als weißer Mann ihm ermöglicht, zu erkennen.

**

Folgt Noisey bei Facebook und Twitter.