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Teenage Fanclubbing

Dank des Internets hasse ich jetzt alle meine Lieblingskünstler

Vielen Dank Facebook. Wegen dir traue ich mich nicht mehr, die Musiker zu lieben, die ich gern lieben würde.
Ryan Bassil
London, GB

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Drake mit seinem Vater

Ja, die sozialen Netzwerke machen es einem unglaublich leicht, alles und jeden zu hassen. Auf Facebook fängst du schon an, Menschen zu hassen, nur weil sie vermeintlich erfolgreich sind, während du seit drei Tagen in der gleichen stinkenden Jogginghose vor dem Rechner sitzt. Es kann schwierig werden, einen weiteren selbstbeweihräuchernden Tweet einer Kollegin zu verdauen, wenn du gerade selber alle Mühen hast, mit einem ganzen Haufen Stress fertigzuwerden. Scheiß doch auf sie und alles, was sie pinteressiert.

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Das ist vollkommen OK. Etwas Misanthropie ist gesund. Würden wir nicht wenigstens ab und zu einen Anflug von Abneigung gegenüber unseren Freunden verspüren, wäre die Welt ein furchtbarer Ort. Alle würden mit der aufgesetzten Freundlichkeit von Versicherungsvertretern durch die Gegend laufen und das kann wirklich niemand wollen. Während es aber vollkommen OK ist, Menschen hassen zu lernen, die man früher einmal sehr gemocht hat (ein Gruß an alle, die schon mal in einer Beziehung waren), kommt immer mehr zu Tage, wie sehr Social Media uns die Musik versauen kann, die wir hören.

Punkt eins: Früher—damals als mit einer „Wall“ noch eine Konstruktion aus tatsächlichen Ziegeln gemeint war und nicht etwas, das regelmäßig mit den Urlaubsbildern deines Exfreundes vollgespamt wird—war es so, dass du dir von Künstlern, die dir gefallen haben, Konzertkarten und einen kleinen Stapel CDs zugelegt hast, mit denen du dann jeder arme Seele imponieren konntest, die das Unglück hatte, sich in dein Schlafzimmer zu verirren. Heutzutage kannst du aber natürlich die Musik, mit der du assoziiert werden willst, jedem ohne jegliche Umstände unter die Nase reiben—dazu musst du auch niemanden mehr für eine Nacht voller Enttäuschungen in deine Wohnung locken. Einerseits ist das großartig—ein Tastemaker, dem du vertraust, gibt dir so viel Sicherheit wie ein Partner, der dich stets umsorgt—andererseits kann es einen auch extrem wählerisch darin machen, was man letztendlich mit anderen teilt.

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Ein Beispiel: Letztens habe ich mal wieder mein iTunes aufgemacht und bin über eine Menge Musik gestolpert, die ich schon seit Jahren nicht mehr gehört habe. Sachen wie Modest Mouse, Alben wie Transatlanticism und Illinois, Platten von den Bright Eyes, von Wilco und den Moldy Peaches. Mir fiel auf, dass ich diese Sachen zwar in erster Linie nicht mehr gehört hatte, weil ich das einfach so wollte, aber bis zu einem gewissen Grad auch, weil ich mich dazu konditioniert fühlte, diese Musik nicht länger gut zu finden. Anstatt diese Alben einfach als Alben zu sehen, die vor zehn Jahren erschienen sind, wurden sie zu einer Art nostalgischem Artefakt, das ich mir nur noch mit einem unsicheren Grinsen anhören kann. Ist das mein Fehler? Bin ich so sentimental geworden, dass alles, sogar die Musik, zu wenig mehr als einer traurigen Erinnerung verkommt? Nein, die Schuld liegt beim Internet. Summer Roberts fasst bei O.C., California Internetreaktionen auf solche Musik, wie ich sie damals gerne gehört habe, ziemlich treffend zusammen: „Death Cab, ist das nicht einfach nur eine Gitarre und ganz viel Rumgeheule?“

Ich fing an, mir ein paar Gedanken darüber zu machen, warum ich bestimmte Songs seit so langer Zeit nicht mehr gehört habe—und natürlich hat das auch etwas mit dem Älterwerden und sich verändernden Geschmäckern zu tun—aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es auch etwas damit zu tun hat, wie Musik im Internet existiert.

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Irgendwann kam der Zeitpunkt, an dem mein News-Feed anfing, sich mit Bands zu füllen, die ich nicht kannte, mit Genres, von denen ich noch nie gehört hatte, und in den Jahres-End-Listen fanden sich Alben, an die ich mich nicht erinnern konnte. Das alles half mir dabei, mich als Musikfan weiterzuentwickeln und letztendlich auch einen Job zu bekommen, bei dem ich über Musik schreiben kann. Dinge ändern sich, neue Sounds tauchen auf und du lernst ständig dazu. Die allgegenwärtige Suche nach dem Neuartigen kann aber auch schnell dazu führen, dass man sich zurückgelassen fühlt. Du vergisst schnell, dass andere Musikfans, Journalisten und Freunde ihren eigenen, persönlichen Back-Katalog haben: Die ganzen Bands, deren CDs in irgendeiner Ikea-Plastikbox Staub ansammeln. Das einzige, was du von deinen Mitmenschen mitbekommst, ist die Musik, die sie mit anderen im Internet teilen. Ich fing an, meinen eigenen Geschmack in Frage zu stellen, und irgendwann begann ich unterbewusst, die ganzen Singer-Songwriter-Acts nicht mehr zu mögen, mit denen ich aufgewachsen war. Neben der ganzen neuen Musik kamen sie mir einfach langweilig vor und so hörte ich sie mir nicht mehr an.

Der Einfluss anderer auf unsere eigene Wahrnehmung von Musik und Künstlern kann gar nicht überschätzt werden. Die unzähligen Musikdiskussionen auf diversen sozialen Plattformen können es einem eben auch merklich einfacher machen, bestimmte Künstler nicht mehr zu mögen. Und damit wären wir auch bei Punkt zwei: Du brauchst nur einen Blick auf Taylor Swifts Video, auf „Anaconda“ oder auf das zu werfen, was zur Hölle auch immer Iggy und J-Lo in „Booty“ versucht haben. Vor zehn Jahren hättest du über Musik wahrscheinlich einfach auf dem Schulhof oder in der Kaffeeküche gequatscht. Man hätte sich darüber gestritten, ob dies oder das absoluter Scheiß oder die totale Offenbarung ist und wäre dann einfach weiter seinen Weg gegangen. Heutzutage kannst du die Thinkpieces schon erahnen, bevor du dir das Video überhaupt komplett angeschaut hast. Du fängst an, Iggy Azalea scheiße zu finden, bevor du einen einzigen ihrer Songs gehört hast. Deine Meinung bildet sich durch die Leute auf deiner Timeline, die die Karriere eines Künstlers in den Dreck ziehen, bevor du überhaupt erste Anstalten gemacht hast, dein Bett zu verlassen.

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Allein die unglaubliche Menge an Informationen, mit der wir täglich bombardiert werden, macht es ungemein schwer, anderer Leute Gedanken davon abzuhalten, im eigenen Unterbewusstsein aufzutauchen. Ganz unterschwellig fühlen wir uns zu einigen Künstlern hingezogen—und gleichermaßen von anderen abgestoßen. Wir sind eben von dem Gemecker der anderen und den unzähligen Think-Pieces beeinflusst, die den Kontext unseres Blickes auf die Musik vollkommen ändern können.

Ein Beispiel: Du liest einen Artikel, in dem sich an einer tiefergehenden Beschäftigung mit einem Song versucht wird—oder Sachen wie, warum es lächerlich ist, dass Iggy Azalea einen amerikanischen Akzent verwendet oder warum die meiste Rapmusik frauenfeindlich ist—und du beginnst, dir deine eigene Meinung zusammenzureimen. Natürlich soll Musik penibel kritisiert werden können und Künstler sollten nicht mit Inauthentizität oder Sexismus durchkommen dürfen, nur weil es einigen nicht auffällt. Die Kehrseite der ganzen Sache ist allerdings, dass etwas, das auf den ersten Blick als nett oder unterhaltsam wahrgenommen wird, im Handumdrehen etwas komplett anderes werden kann—manchmal auch etwas sehr Negatives. Es hat dazu geführt, dass ich jeden Rapsong, der mir jemals gefallen hat, in Frage gestellt habe, und es hat auch dazu geführt, dass Pharell für seine Zusammenarbeit mit Robin Thicke einiges an Abneigung von mir geerntet hat. Das führt dann am Ende dazu, dass du eben nicht mehr 15 Mal am Stück den gleichen Song hören willst, weil es neue Erkenntnisse darüber gibt, dass er nur aus aufgewärmten alten Sachen besteht; dass jemand das Gleiche schon mal in Besser gemacht hat; dass du ein Vollidiot bist, weil du die politischen Implikationen nicht verstehst.

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Es ist wichtig, über Musik nachzudenken und über Musik zu schreiben. Etwas wirklich zu verstehen, ist oft einer der dankbarsten Aspekte des Musikfandaseins. Wenn aber so viele Meinungen aus jeder erdenklichen Ecke auf dich einprasseln, kann es schwierig werden, sich seine eigene Meinung zusammenzuspinnen. Du behältst gegenüber jedem Künstler eine ambivalente Haltung, da das viel einfacher ist, als zuzugeben, dass dir wirklich etwas gefällt, und dafür dann virtuelle Prügel zu beziehen. Du verneinst dich einfach weiter selbst und fristest ein Dasein wie seelenloser Gegenstand ohne jegliche Intelligenz.

Snoop Dogg äußert in einem mittlerweile gelöschtem Instagram-Post seine dämliche Meinung

Und dann haben wir noch Punkt drei: Für all die großartigen Dinge, die uns Social Media beschert hat (Marketingdesaster, #CoffeDad, Chers Twitteraccount), liefern uns die sozialen Netzwerker gleichzeitig umso mehr gute Gründe, unsere Lieblingskünstler scheiße zu finden. Die unglaubliche Menge an Retweets (jede Timeline eines Rappers), die rückständigen Einstellungen, die sie haben (siehe dazu auch obiges Bild von Snoop Dogg), die Tatsache, dass sie sich nicht intelligenter ausdrücken können, als ihre jüngeren Fans im Grundschulalter, die gerade zum ersten Mal über ihr schönstes Sommerferienerlebnis geschrieben haben (für zusammengeklaute Selbsthilferatschläge wirfst du am besten einen Blick auf Pharrells Twitteraccount). Für die einen ist Social Media ein Segen, andere beraubt sie jeglicher Grundlage, warum Teenager sich überhaupt in Musiker verlieben. Künstler sind keine Halbgötter. Künstler sind 23-Jährige mit einem Handyvertrag, die es nicht lassen können, jedes einzelne Kompliment zu retweeten.

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Nichts davon ist jetzt für sich genommen furchtbar. Ich selber lese gerne Trash-Nachrichten (hast du mitbekommen, dass der Typ von Kasabian seinen eigenen Vater angefahren hat?, finde es, wie oben schon gesagt, immer interessant, Musik zu besprechen, und—verdammt—die unglaubliche Menge an Musik, die man durch Gleichgesinnte im Internet entdeckt, ist einfach mit nichts gleichzusetzten—also auch danke dafür. Die Art und Weise, wie diese Inhalte jedoch im Internet existieren und geteilt werden, kann in etwa erklären, warum unser Musikgeschmack so anachronistisch geworden ist. Wir springen von Taylor Swift, zu The Square, zu SOPHIE.

Unsere Musiklandschaften haben sich unglaublich vergrößert. Wir leben jetzt in einer Welt, in der Musikseiten im Internet alles von Rich Gang, über Sun Kil Moon, Deafheaven bis hin zu Thundercat besprechen—und das ist an sich eine fantastische und äußerst begrüßenswerte Sache. Es gibt eigentlich kaum noch was, was nicht irgendwo besprochen wird. Gleichzeitig hat es das aber auch einfacher gemacht, die eigene musikalische Vergangenheit zu vergessen und derartig mit allem überfordert zu sein, dass es einem umso leichter fällt, bestimmte Künstler einfach abzuhaken oder sie komplett auf die gefällt-mir-nicht-Liste zu packen.

Es sind diese drei Dinge—Egos, die keine Grenzen kennen, die Auswirkungen des öffentlichen Diskurses und individuelle Unsicherheiten, die von der Schnelllebigkeit des Internets gefördert werden—die mich anders über Künstler denken lassen, die ich früher einmal geliebt habe. Dadurch wird alles nicht gerade einfacher und, diesen Artikel hier zu schreiben, macht mich selber zu einem Idioten. Ich schlurfe doch jeden Tag zur Arbeit und werde dort selber zum Teil des Problems. Ich selber lasse Künstler wie Arschlöcher aussehen, verbreite bestimmte Ideen und Einstellungen undtheoretisiere Erzählstrukturen von Songs. Außerdem tweete ich ununterbrochen über Musik, die mir gefällt. Als Musikfan—und nicht als Schreiberling—ist das Internet jedoch etwas, das Einfluss auf meine Hörgewohnheiten hat. Entschuldigt mich bitte, ich nehme mir jetzt eine Auszeit und höre mir „Caring is Creepy“ an. Ich werde den Song einfach genießen und alles andere vergessen, was gerade sonst noch passiert und ich werde auch vergessen, über was ich nachdenken sollte, was passieren könnte.

Ryan bei Twitter—@ryanbassil

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