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Cocaine Cowboys—Freddie Gibbs und Madlib reiten auf dem weißen Pferd dem Sonnenuntergang entgegen

Wir waren mit Freddie im Stripclub und haben mit Madlib Eier gegessen.

Fotos von Justin Staple

Der süßklebrige Geruch von Pink Sugar Parfüm liegt schwer in der Luft. Eine Latina mit wasserstoffblond gefärbten Haaren räkelt sich auf allen Vieren, schaut über ihre Schulter zu uns und formt mit ihren pinken Lippen einen Kussmund. Sie streckt ihren Hintern nach oben und schließt die Augen zu kleinen Schlitzen. Freddie Gibbs reicht zu ihr rüber, um ihre Pobacken zu kneten. Aus seiner Hand flattern zehn oder fünfzehn druckfrische Dollarnoten. Kurz darauf tippt ihm die Kellnerin auf die Schulter und serviert ihm seinen Tequila und ein Stück Ananas. Als er sich wieder umdreht, ist die Stripperin aufgestanden und beginnt, sich mit Gibbs zu unterhalten, als ob die beiden sich gerade im Supermarkt über den Weg gelaufen wären. Ein Typ unterbricht sie, um Gibbs zu sagen, was für ein großer Fan er ist. Jeremih, der R'n'B Sänger aus Chicago gibt ihm einen Fistbump. Ein Song von Piñata, seiner Kollaboration mit dem Beatzauberer Madlib, erklingt über die Lautsprecher—ursprünglich sollte das Projekt Cocaine Piñata heißen.

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„Die spielen hier immer meine Sachen,“ sagt er mir. „Ich bin ein entspannter Typ. Ich komme hier immer nur mit ein oder zwei Homies vorbei. Ich mag einfach Stripperinnen.“

Es ist in den frühen Morgenstunden des Martin Luther King Days und wir sitzen in einer Bikini Bar mit dem Namen Sam’s Hofbrau Haus, die sich in einem heruntergekommenen Teil von Downtown L.A. befindet—letztes Jahr mussten hier zwei Männern die Beine amputiert werden, nachdem ein Typ sie angefahren und zwischen seinem und einem parkenden Auto eingequetscht hatte. Der Laden ist kurz davor, zu schließen, und Gibbs denkt laut darüber nach, noch in einen anderen Stripclub zu gehen, ins Secret Sundayz. Einem Laden, der noch bis halb vier geöffnet hat, aber keinen Alkohol verkauft. Am Ende entscheidet er sich aber dagegen, um stattdessen mit mir in seinem Auto abzuhängen und einen Blunt nach dem anderen zu rauchen, während er mir sein neues Album Eastside Slim vorspielt. Es ist sehr classy—weniger Straßengangster, mehr Mafia Boss—und das passt gerade wirklich gut zu ihm. Kurz bevor wir uns auf den Weg machten, hatte Gibbs die Gangsta-Version der Clark-Kent-zu-Superman-Verwandlung abgezogen. Gekleidet in silbernen Sportshorts und einem T-Shirt verschwand er in seinem Zimmer, nur um kurz darauf wieder in einem eng geschnittenen grauen Anzug, einem himmelblau gestreiften Hemd und einer violetten Krawatte aufzutauchen. Ihn umgab eine leichte Parfümnote und an seinem Handgelenk funkelte eine goldene mit Diamanten besetzte Rolex und große Diamanten glitzerten an seinen Ohren.

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Es sieht so aus, als ob Freddie Gibbs, der ehemalige-Gangster-jetzt-Rapper, der mehr oder weniger alleine dafür verantwortlich ist, dass Gangsta Rap heutzutage überhaupt noch jemanden interessiert, langsam erwachsen wird. Seit fast einer Dekade mischt der 31-jährige inzwischen im Rapbusiness mit—seit Interscope ihn 2005 unter Vertrag genommen hatte. Sein Output bewegt sich durchgängig auf höchstem Niveau (Hört euch einfach The Miseducation of Freddie Gibbs oder Baby Face Killa oder ESGN an!) und er hat schon mit den unterschiedlichsten Leuten zusammengearbeitet: von alten Helden wie Bun B und Scarface bis zu Newcomern wie Earl Sweatshirt und Problem.

Er hat inzwischen genug Scheiße in der Musikindustrie mitgemacht, um ihn als alten Hasen bezeichnen zu können. Trotzdem ist Gangsta Gibbs immer noch ein Name, der vor allem Liebhabern wortgewandter Straßenrhetorik ein Begriff ist, wie sie nur von einem OG abgeliefert werden kann. Anstatt sich von dieser Zielgruppe zu distanzieren, hofiert er ihr mit dem souldurchtränkten Piñata buchstäblich. Das Album wurde von Madlib produziert, einer Undergroundlegende, die sich so sehr bedeckt hält, dass jedes Interview mit ihm das Attribut „rare“ aufgedrückt bekommt. Die beiden geben auf den ersten Blick eine komische Mischung ab, aber sie haben eine große Gemeinsamkeit: keiner von ihnen interessiert sich einen Dreck dafür, was andere über sie sagen.

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Anderthalb Monate später, es ist Montagmittag und Gibbs bekämpft einen leichten Kater mit Steak und Eiern. Wir sitzen in einem schicken Café in L.A., das gerne von Hollywood-Berühmtheiten besucht wird. Dies ist auch der Ort, an dem sich Madlib und Gibbs 2011 zum ersten Mal getroffen haben, um das Konzept von Piñata zu besprechen. Einer von Gibbs Managern, Ben „Lambo“ Lambert, scrollt durch sein Handy, um mir zum Beweis ein Foto mit den beiden zu zeigen.

Wir warten noch auf Madlib. Wegen der anderen Interviews, die ich über den zurückgezogenen Producer gelesen habe, mache ich mir etwas Sorgen, dass er gar nicht erst auftauchen wird. Ich bekomme aber kurz darauf eine SMS von seinem Manager, dass sie wegen ihm spät dran sind, nicht wegen Madlib.

„Er ist ein komischer Vogel,“ sagt Gibbs über Madlib. „Aber ich liebe ihn wie einen Bruder. Er ist ein Genie.“

Das alte Klischee, „Gegensätze ziehen sich an“, scheint hier zuzutreffen. Vor einiger Zeit—Piñata ist über die letzten vier Jahre entstanden—erzählte mir Gibbs noch, dass er gerade zusammen mit einem Typen, von dem in seinem Heimatort noch niemand etwas gehört hat, an diesem Projekt arbeitet, das alle total umhauen wird. Madlib ist ein ruhiger, liebenswerter und wirklich umtriebiger Producer. Geboren als Otis Jackson Jr. wuchs der 40-jährige aus Oxnard, Kalifornien, damit auf, seinen Vater, einem Session-Musiker, ins Studio zu begleiten. „Ich schaute mir seine Platten an, achtete genau darauf, wer die Produzenten waren und wer die Instrumente eingespielt hatte. Ich war als Kind ein ziemlicher Nerd. Ein stiller Junge mit einer wirklich abgefahrenen Fantasie. Und ich bin Skorpion. [Wir sind] Vordenkertypen.“ Wer hätte das gedacht? Als „Jaylib“ arbeitete er mit J Dilla zusammen und als „Madvillian“ mit MF Doom. Er warf sich ein paar Pilze ein und lieferte mit seinem verdrogten Alter Ego, dem piepsstimmigen Quasimoto, Alben wie The Unseen ab, die von der Kritik gefeiert wurden und die es ohne Weiteres schaffen, dich auf einen abgefahrenen Trip zu schicken, auch wenn du stocknüchtern bist.

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Gibbs, auf der anderen Seite, nimmt kein Blatt vor den Mund, er macht kein Geheimnis aus seiner (jüngeren) Vergangenheit als Crackdealer, feuert bei seinen Shows regelmäßig das Publikum zu „Fuck Police“-Rufen an und disst ausgiebig den Atlanta-Rapper Young Jeezy. Bei dessen Label CTE war Gibbs für anderthalb Jahre unter Vertrag, bevor die beiden in einem wohldokumentierten und bitteren Streit getrennte Wege gingen. Während Jeezy bislang nicht viel zu der Angelegenheit gesagt hat, lässt Gibbs keine Gelegenheit aus, seinen Frust darüber abzulassen, dass Jeezy ihn während ihres Geschäftsverhältnisses nicht genug unterstützt und wertgeschätzt hatte. (Ohne Zweifel ist Gibbs die Angelegenheit ernst, aber von der Presse wurde sein Ton auch ziemlich überspitzt dargestellt. „Den Typen werde ich in meinem Sonntagsanzug vermöbeln,“ sagt mir Gibbs, aber auch halb aus Spaß. „Wenn er sich mal entschuldigen würde, wäre die Geschichte sofort gegessen. Es ist jetzt auch keine so große Sache.“)

„Das ist einer der wenigen Fehler, die ich in meiner Karriere gemacht habe,“ sagt er über seine Zeit bei CTE. „Ich war früher ein riesen Fan von Jeezy. Ich dachte an die ganzen musikalischen Möglichkeiten—wenn wir zusammenarbeiten würden, verdammt, wir würden so gute Musik machen. Aber am Ende war nur einer von uns wirklich bei der Sache. Weißt du, was mich bei CTE auch noch geärgert hat? Mir kam es vor, als ob Rap dort immer mehr zu so einem Cliquending verkommt. Wenn du nicht drin warst, konntest du nur von draußen zugucken und warst auf dich allein gestellt. Inzwischen weiß ich, wie ich auf meinen eigenen Beinen stehen kann. Als ich Interscope verließ, war ich aber noch nicht so weit. Als ich Jeezy verließ, da schon.“

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Madlib kommt an, ist gut gelaunt und bestellt einen Grapefruitsaft und Eggs Benedict. Man könnte meinen, die beiden wären Cousins. Sie kommen gerade gut genug miteinander aus, um sich nicht gegenseitig auf den Keks zu gehen. Madlib lacht über fast alles, was Gibbs sagt; was Gibbs wiederum anzuspornen scheint. Ich frage beide, was ihnen am besten an der Zusammenarbeit gefallen hat. „Die Zeit, als wir nicht gearbeitet haben,“ antwortet Madlib und beide fangen an zu lachen. „Die Leute denken immer, dass ich ein ernster Typ bin, aber ich kann auch viel Scheiße labern. Ich arbeite nicht mit vielen Leuten zusammen, [aber] ihm vertraue ich,“ sagt Madlib.

Zu Beginn war Gibbs noch etwas besorgt, dass Madlib wegen der ganzen Jeezy-Geschichte nicht mit ihm zusammenarbeiten wollen würde, aber Madlib gefiel Gibbs Style. „Ich habe mich schon mit ihm beschäftigt, bevor ich ihn überhaupt kannte, einfach weil ich seine Musik hörte. Er ist ein cooler Typ und hat einen guten Flow. Das reicht mir völlig aus,“ sagt Madlib. „Er ist gut genug, um mit dem Kram, den ich mache, was anfangen zu können. Für einen Gangsta Rapper ist es hart, auf meine Beats zu rappen, der Scheiß ändert sich ja jede Minute, aber er bekommt das alles ohne Probleme hin.“ Außerdem ergänzt Madlib: „Mir ist es scheißegal, was die Leute sagen. Ich mache halt, worauf ich Bock habe.“

Die meiste Zeit arbeiteten sie getrennt an Piñata. Madlib schickte Gibbs einen Haufen smoother Beats und ließ ihm frei, welche er verwenden wollte. „Ich habe eigentlich gar nicht viel gemacht,“ sagt er und darin liegt auch keine falsche Bescheidenheit. „Ich arbeite nicht mit jedem zusammen. Deswegen vertraue ich darauf, was er macht und ich sitze dann nicht neben ihm und sage ihm die ganze Zeit, was er zu tun hat. Ich bin doch kein Babysitter.“

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Beide sind einander die perfekten Antipoden und keiner hat die Unterstützung des anderen nötig. Madlib sagt über sich selber, dass er eher der Typ im Hintergrund ist, während Gibbs gerne im Rampenlicht steht—sowohl bei Konzerten als auch hier im Café. Und im Gegensatz zu der letzten „Kollaboration“ mit Young Jeezy fußt diese Zusammenarbeit auf gegenseitigem Respekt für die Arbeit des anderen und dem unbedingten Willen, etwas zusammen auf die Beine zu stellen.

„Inzwischen kursieren hier im Business so viele Gerüchte über mich. Ein Typ hat erzählt, dass ich mal einem A&R gedroht hätte, ihn aus dem Fenster zu schmeißen, und ein anderer behauptet, ich hätte irgendeine Karre zusammengeschossen,“ erzählt Gibbs.

Es ist wieder Januar, ein paar Stunden vor unserem Ausflug in den Stripclub, und wir sind in seinem Zuhause im Valley, einem kleinen Haus in einer unauffälligen Nachbarschaft ungefähr eine halbe Stunde von L.A. entfernt („Es wussten einfach zu viele Leute, wo ich in L.A. wohne.“). Gibbs ist gerade dabei, etwas auszunüchtern, nachdem er sich den Tag über betrunken hatte, während er die NFL-Playoffs im Fernsehen verfolgt hatte. Leere Limonadenflaschen und eine Dose mit Weed der Sorte Girl Scout Cookie stehen auf dem Fernsehtisch in der Mitte des Wohnzimmers. Zwischendurch hört man von draußen seine beiden Pit Bulls rumtoben. Ansonsten sieht es hier sehr ruhig und gediegen aus. „Die Leute denken immer so komische Sachen über mich. Haben Angst vor mir. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, warum. Ich kümmere mich um meinen Kram, aber ich verletze niemanden körperlich. Die Leute verklagen dich doch sofort!“ Wenn du aber an die ganzen Geschichten denkst, die er in seinen Songs und den Interviews erzählt, ist diese ganze Sache mit dem „Angst haben“ nicht so abwegig.

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Er wuchs in Gary auf, einem Brennpunkt im Bundesstaat Indiana, ungefähr 40 Kilometer von Chicago entfernt, der mit dem Verschwinden der Stahlindustrie immer mehr verfiel. Die Stadt hat keinen guten Ruf—das durchschnittliche Jahreseinkommen einer Familie beträgt 32.000 Dollar, was ungefähr die Hälfte des landesweiten Durschnitts ist, und letztes Jahr wählte Forbes die Stadt auf Platz 19 von America’s Most Miserable Cities—in den 90ern hatte die Stadt die höchste Mordrate im ganzen Land. Seine Mutter arbeitete bei der Post und sein Vater war Polizist. Er wurde damals schon früh als der „komisch aussehende kleine Junge“ gehänselt und die Tatsache, in einer Stadt, die bekannt für eine hohe Rate an Gewaltverbrechen ist, einen Polizisten als Vater zu haben, machte das Ganze nicht wirklich besser.

„[Die] nannten mich immer „Snitch“ und „Bitch“. Das brachte mich dazu, richtig tough zu werden. Wenn es darauf ankam zu kämpfen, zu schießen oder so was, bin ich immer ein Stück weitergegangen als die anderen, um mich zu beweisen.“ Er trat einer Gang bei und fing an, Crack zu verkaufen. Es gab für ihn einige Möglichkeiten, den Absprung aus Gary zu schaffen, aber er versemmelte sein Footballstipendium und wurde unehrenhaft aus einem Bootcamp entlassen. „Mein kleiner Bruder ist gerade kurz davor, Doktor zu werden. Ein richtiger Doktor! Ich selber könnte jetzt bei Sportscenter sein. Ich hätte nicht den Weg einschlagen müssen, den ich gegangen bin. Ich habe es gemacht, weil ich cool sein wollte, weil ich down sein wollte.“

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Zum Fotoshooting für diese Story taucht Madlib als erstes auf. Wenn die Einwilligung des zurückhaltenden Producers zu dem Interview nicht schon Beweis genug dafür ist, dass diese Zusammenarbeit nicht nur ein weiteres seelenloses Konstrukt der Musikindustrie ist, haben wir spätestens mit seinem Auftauchen hier die Bestätigung. „Ich bin eigentlich nie pünktlich,“ sagt er—selber nicht weniger verwundert darüber als alle anderen.

Gibbs trudelt etwa 15 Minuten später mit ein par Entschuldigungen ein und reißt einen Witz nach dem anderen. Als Gibbs sich daran macht, den zweiten Blunt zu drehen, ist Madlib verschwunden und durchstöbert die Plattensammlung im Haus.

Letzten Monat wurde Piñata veröffentlicht und es gibt schon eine Handvoll Reviews. Dass das Debüt von YG auf Def Jam am gleichen Tag veröffentlicht wurde und nun beide Alben um die Aufmerksamkeit buhlen müssen, beunruhigt weder Gibbs noch Madlib. „In dem Rennen sind wir die Schildkröte,“ sagt Archibald „Archie“ Bonkers, neben Lambert der andere Manager von Gibbs.

Ich erinnere mich an etwas, das Gibbs gesagt hat, als wir auf dem Weg in den Stripclub waren.

„Ich habe vor kurzem angefangen, diese Anzüge zu tragen. Ich benutze den Einparkservice und lasse mir mein Auto vorfahren, wenn ich wieder gehe. Ich lasse mich am Tisch bedienen. Die denken nicht, dass ich so ein Straßentyp bin. Die glauben, dass ich irgendwo arbeite und dass ich keiner Fliege etwas zu Leide tun könnte.“

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Rebecca Haithcoat ist Autorin und lebt in Los Angeles. Folge ihr bei Twitter—@rhaitchcoat

Justin Staple ist Fotograf und lebt in Los Angeles. Folge ihm bei Twitter—@justinstaple

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