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Interviews

Christian Rich wollen in Chicago für Veränderung sorgen

Im ersten Teil unserer Interview-Serie mit Christian Rich sprechen wir mit den Jungs über die Pläne für ihre Heimat Chicago und ihr Problem mit dem Begriff „Chiraq".

Dass ein Produzent sich mit einem einzigen Track gleich Respekt von den Größten im Geschäft verschafft mag passieren, in den meisten Fällen ist das aber unwahrscheinlich. Wer zum Profi werden will, muss üben. Das Produzenten-Duo Christian Rich übt schon seit über zehn Jahren. Die Jungs sind Veteranen im Geschäft, haben bereits für J Cole, Earl Sweatshirt und The Clipse produziert. Trotzdem gucken viele aus der Wäsche, wenn der Name Christian Rich fällt. Viele kennen die Beats, wenige die Jungs, die dahinter stecken. Dabei verdienen Christian Rich weltweiten Respekt für die Arbeit, die sie im letzten Jahrzehnt geleistet haben. Deshalb wollen wir uns mit ihnen unterhalten. Schließlich ist ein Jahrzehnt eine lange Zeit und in all den Jahren haben Christian Rich viel erlebt. Sehr viel.

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Manchmal ist der Beginn eines Interviews eigenartig. Entweder man braucht eine Weile, um mit seinem Interview-Partner das Eis zu brechen, oder irgendetwas Ungewöhnliches passiert. Mir passierte etwas Ungewöhnliches, als ich in der Hotellobby des Motel One in Kreuzberg stand. Erst erklärte mir der Rezeptionist, auf den Zimmern gäbe es keine Telefone, dann musste ich in den dritten Stock latschen, um bei Kehinde und Taiwo Hassan a.k.a. Christian Rich an der Tür zu klopfen. Nach ein paar Mal klopfen öffnete ein schlaftrunkener, sehr freundlicher Kerl die Tür, fragte, ob ich wegen eines Interviews da sei und bat mich dann um fünf Minuten. Sein Bruder und er hätten verschlafen, sie seien gestern noch in London gewesen, um für einen neun Song über Skype einen Kinderchor in Atlanta aufzunehmen. Klingt alles sehr kompliziert, aber klar, die Jungs sollen ihre fünf Minuten bekommen.

Und genau fünf Minuten später sitzen die Brüder Taiwo und Kehinde in der Hotel-Lobby vor mir, bestellen Kaffee, und ich merke, dass die beiden sich zum verwechseln ähnlich sehen. „Ihr seid Zwillinge, oder? Stell ich mir schwierig vor, mit meinem Zwillingsbruder zu produzieren. Entweder man macht immer das Gleiche oder man wird sich nie einig, oder?“ Taiwo schaut kurz seinen Bruder an, bevor er mir erklärt, es würde die Dinge einfacher und schwerer zugleich machen. Es passiere mal, dass die beiden sich nicht einig seien, was bestimmte Sounds angehe, das sei aber überhaupt nicht schlimm, denn durch solche Uneinigkeiten entstünden schließlich die besten Songs. „Normalerweise arbeite ich an einem Track, reiche ihn an meinen Bruder, damit er sein Ding damit macht, oder umgekehrt. Wir haben einen Weg gefunden, gemeinsam an der Arbeit Spaß zu haben“, erzählt Kehinde.

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Die Jungs haben nicht nur karrieretechnisch, sondern auch privat einiges erlebt. 1986 schickten ihre Eltern sie nach Nigeria, wo die beiden vier Jahre lebten, bevor sie wieder zurück nach Chicago reisten, um dort zur Schule zu gehen. Zehn Jahre verbrachten Taiwo und Kehinde in Chi-Town, bevor sie entschlossen, nach New York zu ziehen, um dort gemeinsam eine Producer-Karriere zu starten. Innerhalb von drei Jahren landeten ihre Production-Skills auf Songs von Lil’ Kim, The Clipse und Raekwon, bis sie 2010 die Entscheidung trafen, eine neue Richtung einzuschlagen. „Vor vier Jahren wollten wir uns neu erfinden“, erklärt Taiwo. „Wir wollten mehr Pop machen. Nicht unbedingt den Pop, den Black Eyed Peas macht, sondern Musik, die Mainstream-Appeal hat. Wir hatten damals keinen Bock mehr auf HipHop. Als Schwarzer wirst du immer in die HipHop-Schublade gesteckt. Wir sind keine HipHopper, wir sind Musiker“, sagt Kehinde.

Doch mittlerweile sind die Jungs viel mehr als nur Musiker. Bei Red Bull haben sie eine Position als künstlerische Leiter ergattert und geben nun unbekannten Künstlern die Chance, mit etablierten Musikern einen Song aufzunehmen. „Earl Sweatshirt hat uns erzählt, wie gerne er mit Lil’ Herb, einem Rapper aus Chicago, einen Track aufnehmen würde. Also haben wir das klargemacht. Der Song, den die beiden aufgenommen haben, ist einfach nur abgefahren“. Lil’ Herb gehört zu den Jungs, die momentan dabei sind, Chicagos Drill-Szene neu zu erfinden. Er ist ein Teil „Chiraqs“, ein Begriff, den seine Kollegen und er nutzen, um die Gewalt auf den Straßen Chicagos zu beschreiben. Ein Begriff, mit dem Taiwo und Kehinde alles andere als einverstanden sind. Genauso wenig wie mit der Chiraq-Serie, die Noisey über Chicago produziert hat. „Die Videoreihe von Noisey hat sich wirklich nur auf die negativen Aspekte der Stadt konzentriert. Ich schaue mir die Videos an und erkenne Viertel, in denen nicht nur mein kleiner Cousin, sondern viele meiner Freunde ermordet wurden. Es bringt Erinnerungen zurück, an die ich nicht denken möchte“, erklärt Kehinde.

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Viel lieber hätten sein Bruder und er eine Serie über die Entwicklung der „anderen“ Chicago-Rap-Szene gesehen. Eine Doku über Musiker wie Chance The Rapper, Vic Mensa oder Rockie Fresh, und nicht über Jungs, die konstant ihre Knarren vor die Kamera halten. Denn für Leute, die mit dieser Art von Gewalt aufgewachsen sind, sind Chief Keefs Bewegung und die Noisey-Dokus laut Kehinde nichts Positives. „Das einzig Coole an diesem ganzen Chief Keef-Ding ist, dass sie etwas Negatives genommen, und daraus etwas Positives gemacht haben. Sie sind auf der Straße aufgewachsen, jetzt reisen sie durch die Welt und machen Geld. Außerdem hat Drill der Stadt einen Sound und eine Identität gegeben“, erklärt Taiwo. Die Jungs hoffen auf positive Veränderungen in ihrer Heimatstadt. Neben ihrer Arbeit als Producer und Creative Director wollen sie bald Seminare an verschiedenen Universitäten Chicagos organisieren, um den Kids einen Einblick ins Musikgeschäft zu geben. „Wir hoffen, den Kids das weiterzugeben, was wir in den zehn Jahren gelernt haben. Wir wollen dafür sorgen, dass es in unserer Stadt nicht nur mehr Festivals und Vorträge, sondern bald auch ein Label gibt, damit junge Musiker nicht immer bis nach New York oder L.A. reisen müssen, um eine Chance auf den Durchbruch zu bekommen.“

Ganz schön viel Verantwortung für zwei Producer, die alle Hände voll zu tun haben, in einem Mega-Business relevant zu bleiben. Aber bei den Kontakten, die Christian Rich über die Jahre geknüpft hat ist es höchst unwahrscheinlich, dass sie plötzlich wieder von der Bildfläche verschwinden. Die Jungs haben gerade erst angefangen der Welt zu beweisen, wie talentiert sie sind.

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Nächste Woche lest ihr hier den zweiten Teil der Christian Rich-Interview-Serie, in dem Christian Rich verraten, wie sie die Neptunes nach zehn Jahren für einen Track auf Earl Sweatshirts Album wiedervereint haben.

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