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Wie ‚Cherry Bomb‘ in unsere Verschwörungstheorie über die ‚Wolf‘-Trilogie passt

Am Ende der WOLF-Trilogie hatte Tylers all seine Alter Egos zerstört. Jetzt kann er ungestört freidrehen.
Ryan Bassil
London, GB

Vor zwei Jahren hat Tyler, the Creator Wolf veröffentlicht und eine Hydra an Erzählungen losgelassen. Nachdem ich mir das Album angehört habe, habe ich einen Artikel geschrieben, der nonchalant als „Ein Verschwörungstheoretiker erklärt Tyler, The Creators ,WOLF’-Trilogie" betitelt war und chronologisch erklärt hat, wie Tyler ein Meisterwerk des Geschichtenerzählens inszeniert hat. Wenn man Wolf in Verbindung mit den vorherigen Veröffentlichungen Bastard und Goblin betrachtet hat, dann schien es, als hätte Tyler verschiedene Charaktere benutzt—Wolf, Sam, Ace the Creator, Tron Cat und weitere—um eine halbfiktionale Welt zu erschaffen, die an einem Ort namens Camp Flog Gnaw spielt und durch dessen Erzählung anhand von Therapiesitzungen geführt wird. Ich habe es als beste und facettenreichste Geschichte bezeichnet, seit Slim Shady mir gesagt hat, dass ich mir Nägel durch meine Augenlider stechen soll.

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Danach sind ein paar Monate ohne offiziellen Kommentar von Tyler, the Creator vergangen—der Artikel hat Aufmerksamkeit erregt und das Internet hat sich ins Höschen gemacht; er wurde als offizielle Referenz auf der Rap Genius-Seite des Albums gepostet und wird (bis heute) in die Timeline von Odd Future-Fans gespuckt—aber trotz eines merkwürdig blasierten Tweets hat Tyler die Storyline nie bestätigt. Im September 2013 hat er dann allerdings den Trailer für einen Film namens WOLF veröffentlicht. Im Trailer sah man eines von Tylers Pseudonymen, Sam, das zuvor schon in den Videos zu „Jamba“, „Bimmer“, Earl Sweatshirts „Woah“ und für einen Auftritt von „Rusty“ bei Letterman aufgetaucht ist und eine grüne Mütze getragen hat. Im Trailer zu Wolf sah man Sam, der Wolf verhaut, als dieser mit einem Fahrrad durch die Berge fährt. Es war die ultimative Bestätigung und meine Verschwörungstheorie stellte sich als Realität heraus. Aber der Film hat nie einen offiziellen Veröffentlichungstermin bekommen, stattdessen hieß es „coming 201_“.

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Jetzt schreiben wir das Jahr 2015. Diese Woche hat Tyler Cherry Bomb veröffentlicht, seine vierte Platte und die Leute fragen sich bereits, wie diese in die Erzählung passt. Statt dem Setting der vorherigen Trilogie, mit ihren Therapiesitzungen, zu folgen, fokussiert sich Cherry Bomb auf die Veröffentlichung eines dreiteiligen Films. „Blow my Load“ schließt mit den Worten eines Radiomoderators ab, der sagt: „Das war neue Musik vom Soundtrack für den bald erscheinenden Film… Drei Filme in Folge in den Moon Theatres heute Abend“. „2Seater“ erzählt davon, wie Tyler und ein Mädchen in einem Kino ankommen, um das, was Jasper als „[Tylers] Film“ bezeichnet, zu schauen. „Okaga, CA“ bietet Referenzen an einen „Lieblingsregisseur“ und Tyler sagt einem Mädchen, sie solle sich „dies anschauen“. Es gibt auch eine visuelle Begleitung dazu: das Video zu „Fucking Young“ zeigt Tyler in einem Kino, während er einen Film sieht, in dem er selbst mitspielt. Nur durch diese Referenzen erscheint es so, als würde die Erzählung von Cherry Bomb sich lose auf Tyler konzentrieren, der einen dreiteiligen Film schaut, in anderen Worten also die WOLF-Trilogie, die er über seine Alter Egos geschrieben hat. Aber es geht auch um Tylers derzeitige Existenz, nachdem er all die anderen Charaktere vernichtet hat. Falls das widersprüchlich erscheint, dann, weil es das ist. Aber wenn du dich von etwas befreit hast, dann ist es manchmal gut, zu reflektieren, woher du gekommen bist. Lasst uns damit im Hinterkopf an die Sache herangehen.

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Die Wolf-Trilogie ist mit „Sam is Dead“ zu Ende gegangen—und im Video zu dem Track wird gezeigt, wie Tyler, the Creators Alter Egos ihrem Untergang begegnen. Das Video schließt damit, dass Tyler trotzig über ihnen steht. Der erste Track auf Cherry Bomb heißt „Deathcamp“—was andeutet, dass die Erzählung direkt nach „Sam is Dead“ beginnt und Tyler, the Creator—also sein wahres Ich anstelle eines Alter Egos—der einzige Charakter ist, der noch am Leben ist. Die Wiederholung von „Welcome to Deathcamp“ verdeutlicht das neue Szenario. Es ist ein direkter Gegensatz zum farbenfrohen Camp Flog Gnaw; der fiktionalen Welt, die Tyler für seine Alter Egos erschaffen hat.

Der Text zum Titeltrack des Albums, „Cherry Bomb“, scheint zu bestätigen, dass die Platte an Tylers blutbefleckte Alter Egos anschließt. Hier der Text der Bridge:

“Tie the knot
Kick the chair
Strangled in the air
It's cherry bomb”

Das sollte eigentlich der vollständige Text von „Cherry Bomb" sein—der Text wurde außerdem von Tyler getwittert, was die Wichtigkeit unterstreicht—letztendlich hat er aber eine komplette Strophe hinzugefügt, die sich die Fans laut eigener Aussage „leise anhören“ sollen. Der Track beginnt damit, dass er „I really made this song just so I could formally… I don't even know how to…“ flüstert, bevor eine Strophe beginnt, in der er rappt: „I’mma goddamn pilot and I decide when we take off”, was den zweiten Teil der Erzählung auf der Platte einführt. Jetzt, da Tyler all seine Alter Egos getötet hat, wird er „seine Flügel finden“ („find his wings”)—und die Person werden, die er sein will; die sich nicht länger hinter fiktionalen Charakteren versteckt und mit ihren eigenen Fähigkeiten zufrieden ist.

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Bastard, Goblin und Wolf sind allesamt notwendige Vorläufer zu Cherry Bomb, da Tyler in jungen Jahren und für eine bestimmte verwirrende Ästhetik des Geschichtenerzählens gefeiert wurde. Er hat lange Zeit durch diese Charaktere gelebt, anstatt durch sich selbst. Er war nicht selbstsicher genug, um sich selbst zu lieben und, wie er im Intro zu Goblin sagt, er hatte „Angst davor, [seinen] Freunden zu sagen, wie [er] sich wirklich fühlt“ („scared to tell [his] friends how [he] really feels”). Die Vorstellung, dass er noch nicht bereit war, er selbst zu sein, ist im Song „Fucking Young“ am Dominantesten. Die offensichtlichste Interpretation ist, dass der Song von einem Mädchen handelt—jemandem, der „perfekt“ und trotzdem „zu verdammt jung“ („too fucking young”) ist—aber ich werde eine andere Theorie anwenden. Der Song wurde aus der Perspektive des heutigen Tyler geschrieben, der seine Flügel gefunden hat, und richtet sich an sein jüngeres Ich, das zu jung ist, um zu verstehen, dass er „perfekt“ ist, indem er er selbst ist und der durch das Gefühl bestimmt wird, auf gewisse Weise handeln zu müssen.

Tylers erstes Album, Bastard, erschien 2009, also ist es logisch, dass die ersten Songs, die er für die Figuren seiner ersten drei Alben geschrieben hat, vor sechs Jahren entstanden sind. „Fucking Young“ beginnt damit, dass Tyler angibt, er sei „im Nirvana“ gewesen („was in nirvana“), aber „vortäuschen musste, dass er das nicht war“ („had to pretend that [he] wasn’t“) und das ist „wo die Geschichte und die Verwirrung begann“ („where the story and confusion began“). Vielleicht bezieht er sich auf die Tatsache, dass er im echten Leben begeistert und glücklich war, als er Bastard veröffentlicht hat, aber auf der Platte Alter Egos angenommen und vorgetäuscht hat, etwas anderes zu fühlen, wodurch die Dinge verwirrend wurden. Jetzt, in der Rückschau, ist er voller Wertschätzung für sich selbst und ihm wird klar, dass er sich selbst liebt, aber damals war er nicht alt genug, um die Gefühle zuzulassen und „seine Flügel zu finden“ („find his wings“). Es ist, als würde Tyler den Track nutzen, um zu seinem sechs Jahre jüngeren Ich zu sprechen.

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„Fucking Young“ ist der wichtigste Song auf der Platte, weil er eines der wenigen Male darstellt, bei dem Tyler sich auf vorherige Charaktere bezieht—das andere Mal ist bei „Keep Da O’s“, wo er sich auf „Mr Treat Your Nose“ von Wolfs „48“ bezieht—und dem Thema von Tylers vorherigen Album folgt, bei denen der zehnte Track immer ein Doppel-Track ist („VCR/Wheels“, „Fish/Boppin’ Bitch“, „Campfire/PartyIsntOver/Bimmer“).

Aufgrund anderer Textzeilen in „Fucking Young“ habe ich das Gefühl, dass das Mädchen, über das er spricht, ein Gemisch aus Tylers fiktionalen Figuren ist. Der Abstand von sechs Jahren ist der offensichtlichste Anhaltspunkt. Aber er sagt auch, dass er—auch wenn das frühere Alter Ego „sich einnisten“ und Teil seiner zukünftigen Karriere sein will—keine „weitere Statistik“ sein und sich nicht aus dem Rap-Game verabschieden will. Er denkt, dass die Figuren ihn „mit einem Gürtel von einem Baum“ („with a tree and a belt”) hängen lassen und zum Karriere-Selbstmord führen werden, weil er zu lange an ihnen festgehalten hat. Weil der Abstand von sechs Jahren zwischen den Figuren, die er auf Bastard ins Leben gerufen hat und dem heutigen Tyler in seiner Karriere eine „zehnjährige Strafe“ sein könnten, lässt er sie ruhen. Er sagt, dass „[er seine] Flügel gefunden“ hat und sagt den Alter Egos, dass „[er] im Reinen ist […] „wenn ihr das hört“ (“by the time you hear this […] [he’ll] be in the clear”), weil er endlich frei ist.

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Tylers vorherige Platten haben sich alle mit bestimmten Thematiken auseinandergesetzt—seinen Kampf mit seinem abwesenden Vater, Miley Cyrus lecken zu wollen, sich selbst zu hassen—und mit einigen der Elemente dieser Erzählungen der Alter Egos war er sich selbst als Person gegenüber ehrlich. Sein Vater war nicht da; wahrscheinlich wollte er Miley Cyrus lecken; und irgendwann hat er sich vielleicht selbst gehasst. Auf „Cherry Bomb“ hingegen hat er der Schock- und Panikmache abgeschworen, um bestimmte Themen der Jetztzeit anzugehen. Als Bestätigung dafür hat er sogar folgendes getwittert:

I MAKE SONG EXACTLY ABOUT MY LIFE NOW UNFORTUNATLY….AND IM NOT DEPRESSED SO YOU WONT BE HEARING NO SAD SHIT FROM ME AT ALL. SMILE BABY

— Tyler, The Creator (@fucktyler) April 10, 2015

Mit „Buffalo“ macht er seinen Frieden mit der Vergangenheit. Er spricht über die Kontroverse bezüglich seiner Mountain Dew-Werbung und seine Festnahme in Austin, aber versteht, dass die Leute ihn beobachten. In der Bridge sagt Shane Power zu Tyler, er solle es „nicht zu vermasseln“ und „diese Flügel zum Schlagen bringen“ („get those wings flapping motherfucker!”). Er wird zu einem Anführer. Im weiteren Verlauf der Platte gibt er Statements aus einem Monolog wieder, den er letzten Dezember bei Facebook gepostet hat; er macht die Leute zunichte, die Lean trinken („Buffalo“), die Gangbangs veranstalten („Run“) und die Scheinheiligkeit von Leuten, die behaupten, deine Freunde zu sein (am Ende von „2Seater“). Er ärgert sich über die Restriktionen, die Leute davon abhalten, ihre Flügel zu finden und ihr wahres Potential zu erkennen. Das alles ersetzt die Teenage Angst seiner vorherigen Veröffentlichungen.

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Jede Platte von Tyler hat in einem alternativen Universum existiert, das sich um Dr TCs Therapiezimmer und Camp Flog Gnaw gedreht hat. Aber auf Cherry Bomb ist Tyler in einer Post-„Sam is Dead“-Welt, da er all die alten Figuren umgebracht hat. Es ist ein ziemliches Real-Life-Szenario. Auf den vorherigen Platten hat er den letzten Track jeweils mit dem Albumtitel verbunden–Inglourious Bastard, Golden Goblin und Lone Wolf. Cherry Bomb endet jedoch mit dem Song „Okaga, CA“. Ich habe mich gefragt, was das bedeutet, also habe ich ein wenig Zeit bei Google Earth verbracht und mir den Ort angesehen. Bei meiner Suche habe ich herausgefunden, dass es einen Ort namens Lake Okaga gibt, der der fiktionalen Welt von Camp Flog Gnaw, die für das Artwork von Wolf illustriert wurde, ähnlich sieht. Sieh es dir an:

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Sie sehen sich ähnlich, richtig? Ich meine, auf beiden gibt es Wasser, eine üppige Landschaft und viel Grün. Es gibt allerdings keinen Ort namens Lake Okaga in Kalifornien. Er ist in Michigan. Die einzige Referenz, die ich zu Okaga, CA finden konnte, ist ein Steakhouse, das bei TripAdvisor mit einem Stern bewertet wurde. Wenn Camp Flog Gnaw ein fiktionaler Ort ist, der lose auf der Ästhetik von Lake Okaga basiert, dann bedeutet der Zusatz „Okaga, CA“ auf Cherry Bomb vielleicht, dass Tyler zugibt, jetzt in seinem Traumzustand in seiner Heimat Kalifornien zu leben, anstatt an einem fiktionalen Ort, der nicht existiert. Er ist mit sich selbst im Reinen. Tyler hat seine Dämonen ausgetrieben und seine Flügel gefunden.

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Der Song scheint auf jeden Fall anzudeuten, dass er sich geändert hat. „Lasst uns nach Kalifornien ziehen“ („Let's move to California”), sagt er. Der Song endet damit, dass Tyler darüber spricht, die „Erde zu verlassen“ („leaving earth”) und „zum Mond zu fliegen“ („flying to the moon”), da in seinem jetzigen Zustand die Möglichkeiten endlos erscheinen. Dann flüstert jemand „der Film fängt gleich an“ („the film’s about to start”)—die ganz wichtige Referenz an den Trailer zum WOLF-Film.

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Cherry Bomb ist Tyler auf einem Höhenflug, der die Negativität ablegt und macht, was er will—und jeden von Dam Funk über Roy Ayers bis zu Lil Wayne dazu gebracht hat, bei der Platte mitzumachen. Das alleine könnte das Konzept des Albums sein. Aber für die, die auf der Suche danach sind, es in die WOLF-Trilogie einzuordnen: Es geht ebenso um das, was passiert, nachdem Sam und alle anderen getötet wurden, sowie um Tylers Wandlung zu einem Dasein als er selbst, anstatt einem, bei dem er durch fiktionale Charaktere lebt.

Wenn man Tyler kennt, dann könnten diese Theorien auch ein Haufen Mist sein. Ich meine, das Video zu „Fucking Young“ endet damit, dass er den WOLF-Film schaut, in dem ein Alter Ego das Haus eines anderen Alter Egos in Brand steckt, was dazu führt, dass Ermittler im Stil von Clockwork Orange ins Kino kommen, Tyler ins Gesicht leuchten und ihn ausknocken, als wäre er verrückt. Also vielleicht ist das alles Teil eines weiteren grandiosen, facettenreichen Plans, bei dem ein weiterer Charakter hinzugefügt wird. Wer weiß? Es stärkt Tyler, the Creator als Künstler, dass er uns rätseln lässt. Er hat seine eigene Welt erschaffen, in der er seine eigenen Platten veröffentlichen, eine eigene Modelinie, eigene Fernsehserien und Internet-Apps herausbringen sowie Musikfestivals hosten kann und jetzt, durch Cherry Bomb, lebt er endlich in ihr, anstatt nur Teile seiner Persönlichkeit ins Rampenlicht zu stellen. Das nächste Album wird durch die Decke gehen. Ich kann es kaum erwarten bis er den Super Saiyajin macht und ein fünfzehnminütiges Jazz- und Funk-Epos veröffentlicht.

Ryan Bassil ist bei Twitter: @RyanBassil

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