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Casting-Shows sind tot. Doch was ist aus ihren „Stars“ geworden?

Seit 14 Jahren gibt es in Deutschland nun schon Casting Shows. In dieser Zeit entstand neben Hits mit den No Angels oder Alexander Klaws haufenweise Müll.
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„Castings-Shows sind gar nicht tot. DSDS läuft doch noch," werdet ihr jetzt sagen. Dann sagt uns bitte mal aus dem Kopf, wer in der letzten Staffel gewonnen hat. Na? Eben.

Vor 14 Jahren wurde uns ein Versprechen gemacht: Stars aus dem Volk sollte es regnen. RTL2 setzte sich die Mammutaufgabe, die ewig eingekrusteten Strukturen der Musikindustrie aufzubrechen und mit Popstars eine Sendung zu schaffen, die unentdeckte musikalische Talente zu Stars macht. Die Casting-Shows waren geboren. In den folgenden Jahren überschwemmte das Format die Privatsender bis irgendwann der Casting-Overkill in Form von gescripteten Heulattacken und Kay One einsetzte.

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Aber was haben sie uns für ein Erbe hinterlassen? Haben sie ihr Versprechen gehalten, sind sie Superstars geworden? Nein, aber das durften wir wohl auch nicht allen Ernstes erwarten. Es ist noch kein Falco aus diesen Formaten erwachsen. Auch wenn manche von Knebelverträgen sprechen mögen, so liegt es am Ende an den herausgewachsenen „Superstars" selbst, was sie aus ihrer Karriere machen. Waren sie talentiert genug? Vereinzelt. Wurden sie ausreichend auf die Musikindustrie vorbereitet? Vermutlich nicht.

Doch was 14 Jahre nach der ersten Castingshow ist aus den Gewinnern geworden? Wir haben uns die Sieger von DSDS, Popstars, Star Search, The Voice Of Germany und allen anderen Castingshows, die die letzten Jahre das Abendprogramm durchfluteten analysiert. Wir konnten drei Kategorien ausmachen: Die Superstars auf Zeit, die Elektronikfachgeschäft-Hustler und die Anti-Stars.

Die Superstars auf Zeit

No Angels

Den Startschuss für den Casting-Wahn markierten die No Angels. Detlef D! Soost trat an, um fünf schüchterne Mädchen in die deutsche Version der Spice Girls zu verwandeln (push, push, Push, PUSH, PUSH!!!!!). Hat am Ende auch geklappt. Auf allen Schulhöfen der Nation formierten sich Fünfergruppen aus kleinen Sandys, Vanessas, Nadjas, Lucys oder Jessicas um „Daylight in Your Eyes" zu performen. Die No Angels hatten einen kurzen aber sehr erfolgreichen Lauf. Nach einer dreijährigen Pause zwischen 2004 und 2006, in denen die Mitglieder (erfolglos) ihre Soloprojekte verfolgten, versuchten es die Rest-Engel ohne Vanessa nochmal (erfolglos) an alte Erfolge anzuknüpfen. 2009 erschütterte der HIV-Skandal von Nadja den Bandfrieden.


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Was machen sie heute?

Wenn sie sich nicht gerade auf Aids-Galas oder in anderen Castingshow-Jurys tummeln, dann sind sie irgendwo im schmuddeligeren Teil des Privatfernsehens zu sehen.

BroSis

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Foto: Imago

Natürlich wäre es einfach gewesen, den Erfolg der No Angels mit einer weiteren Girlband oder Boyband zu kopieren. Doch der D! ist ein Mann mit Weitblick, der jeden morgen seine Ohren auf den Asphalt der Republik hält. Und der Beton flüsterte ihm: HipHop… D! hörte und wollte eine Popband, die rough klingen sollte: BroSis war geboren. Auch die vier Bros und zwei Sis's waren anfänglich sehr erfolgreich, wahrscheinlich, weil sie doch nicht so rough waren, wie D! es ihnen auf die Fahne schrieb. Vor dem zweiten Album Days of Our Lives gab es interne Querelen, ausgelöst durch eine der beiden Schwestern, Indira: „Ich sah Bro'Sis mehr in der Ecke von I Believe, ein klassisches Poplied, der ja auch unser größter Hit war. Die anderen wollten mehr in die HipHop- und R&B-Ecke", sagte sie und verließ schließlich die Band. Auch die restlichen Mitglieder verfielen im Streit, so dass es 2006 zur endgültigen Auflösung kam.

Was machen Sie heute?

Ross macht auf Entertainer, sagt sein meterlanger Wikipedia-Eintrag. Giovanni ist von Berufswegen Ehemann und italienischer Fußballfan. Hila ist wohl noch Songwriterin, Shaham singt wohl in einer Soulband, Faiz bezeichnet sich laut Facebook-Info „als Musiksöldner, nur mit mehr Liebe und mehr Spaß", und der letzte Stand bei Indira war, dass sie Bollywood-Schauspielerin werden wollte. BroSis war offensichtlich die beste Vorbereitung dafür.

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Alexander Klaws

Als der größte Privatsender Europas das erfolgreichste Castingformat der Welt adaptierte, konnte daraus nur ein Riesen-Hit werden. 2002/03 strahlte RTL die erste Staffel von Deutschland sucht den Superstar aus und es wurde gleich zum Monster-Hit. Ein Meilenstein des Musikfernsehens. Und wer gewann? Nicht etwa der verwirrte Paradiesvogel Daniel Küblböck, sondern ein ärmelloses Pickelgesicht aus Sendenhorst. Was Deutschland geritten hat, in Alexander Klaws den Superstar zu finden, kann sich wohl nicht mal mehr Dieter Bohlen erklären. Vielleicht weil er so singt und aussieht wie ein Alexander Klaws, und es hierzulande verdammt viele Typen wie Alexander Klaws gibt? Jedenfalls kauften ganz viele kleine Klaws seine Singles „Take Me Tonight" und „Free Like the Wind". Sein kurzer Run war so intensiv, dass er 2003 seine Autobiographie „Ich bin's—Alexander" herausbringen konnte. Irgendwann dämmerte es allen, dass der Klaws nicht mehr als eine ungefährliche Schablone für jeden Nicht-Musikfan war. Das Glück, ein Gesicht wie eine Vorlage zu besitzen nutzte er, um sich in den folgenden Jahren als Musicaldarsteller einen Namen zu machen. Unter anderem spielte er den Tarzan in der Neuen Flora in Hamburg.

Was macht er heute?

Was man als Deutschlands erster Superstar so macht. Ein Techno-Schlager-Album aufnehmen und im Musical Jesus Christus Superstar die Hauptrolle zu spielen. Ohne Scheiß: Jesus wird gespielt von Alexander Klaws. Jesus…

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Weitere Nominierte:

Lena
Mark Medlock
Monrose
Martin Kesici

Die Elektronikfachgeschäft-Hustler

Overground

2003, nach zwei Jahren Pause, zog Popstars zu ProSieben um und stand nach dem riesigen Erfolg von DSDS mächtig unter Zugzwang. Da der D! neben Weitblick auch Größenwahn besitzt, dachte er sich: Lass uns einfach zwei Bands machen. Eine Girlgroup und eine Boygroup. Die Preluders (zu deutsch: Vor-Luder) kennt heute niemand mehr, aber an Overground können wir uns noch ganz gut erinnern. Akay und die anderen drei hatten einen großen Hit „Schick mir 'nen Engel (ICH KANN NICHT MEHR)", und noch eine Handvoll weiterer Singles in den Charts. Ihr zweites Album 2.OG, was wohl für „Zweites Obergeschoss" stehen könnte, ging leider nur auf Platz 41 der Charts, anschließend wurde es ziemlich ruhig um OG. 2006 pausierte die Band, damit sich die Mitglieder auf ihre Solokarrieren fokussieren konnten. Welche Solokarrieren werdet ihr fragen? Genau.

Was machen sie heute?

Akay schmeißt laut Promiflash erfolgreich Black-Partys, was auch immer das heißen soll. Ken hat es vor paar Jahren nochmal bei Voice of Germany versucht und ist unter die Top 64 gekommen. Meiko hat die Blonde von den Preluders geheiratet und ist Senior Produktmanager bei ProSiebenSat.1 (hört hört). Der kleine Marq macht wohl wieder Musik und feilt noch an seinem englischen Wikipedia-Eintrag. Hört sich jedenfalls schon mal gut an: „After their last single ‚Hass Mich' Overground decided to take a break and Marq is now flying solo as he records his own songs and prepares himself to take a step further."

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Pietro Lombardi

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Foto: Imago

Wer sagt, dass das Musikbusiness heute keine Cinderella-Stories mehr schreibt, der sollte sich die Geschichte von Pietro Lombardi vor Augen führen. Ohne Abschluss hat der die Hauptschule verlassen und musste sich mit einem Minijob als Swarovski-Steinleger in der Werkstatt eines Schmuckgeschäfts über Wasser halten. Doch Pietro wusste, dass in ihm ein Superstar steckt. Folglich versuchte er es bei DSDS und bezauberte die Republik mit seiner Engelsgleichen Stimme. Apropos Engels—am 1. März 2013 heiratete er die Zweitplatzierte Sarah Engels, obwohl ihr Mutter damals lästerte: „Der kann nix!". Von wegen. Liebe kann alles schaffen!

… Oder auch nicht. Inzwischen sind die Beiden schwer damit beschäftigt, sich möglichst hässlich scheiden zu lassen. Und wir alle gucken zu. Aber hauptsache, Ales… Ach, lassen wir das.

Was macht er heute?

Durch Elektronikfachgeschäfte touren und an der Icebucket-Challenge teilnehmen.

Weitere Nominierte:

Jeder DSDS-Sieger seit 2007

Die Antistars

Elli Erl

Nach dem riesigen Erfolg der ersten Staffel DSDS, sollte der nächste Superstar den Erfolg noch mal toppen. Doch wer gewann? Eine aufmüpfige Rothaarige mit Hornbrille: Elli Erl. Für Dieter Bohlen war das eine Katastrophe, weil Erl von Anfang an nicht mit Bohlen zusammenarbeiten wollte. Ob es an dem Spruch lag, den er brachte, als er sie zum ersten Mal sah? „Das gefällt mir nicht so. Klingt so nach Hinter Gittern, Frauenknast." Schlimm genug, dass wir uns im Laufe der Jahre mit Bohlens sexistischen Aussagen arrangiert haben, doch seine Abscheu für Erl hatte schon was fast Manisches. Trotzdem produzierte er ihre erste Single „This Is My Life", aber nur weil Erl sie modifizieren durfte. Kurze Zeit später beendete sie ihre Zusammenarbeit mit Bohlen und veröffentlichte zwischen 2007 und 2009 drei Alben, alle drei kommerziell erfolglos. Das blüht einem wohl, wenn man sich aus den Fängen des Bohlenschen Imperiums befreien will.

Was macht sie heute?

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Erl unterrichtet Musik, Englisch und Sport an einer Düsseldorfer Realschule. Also was Richtiges. Offensichtlich sind Castingshows nicht für Menschen gemacht, die auch Dinge hinterfragen. Deswegen ist es gerade so ironisch, dass sie bis 2013 die einzige weibliche Gewinnerin von DSDS war.

Nu Pagadi

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Foto: Imago

Zum Schluss möchten wir den Opfern gedenken, die in einer kalten Dezembernacht 2004 49 Cent ihres wohlverdienten Geldes nahmen, um für Nu Pagadi anzurufen. Sie konnten ja nicht ahnen, was sie damit angerichtet hatten: Den größten Brainfart in der Geschichte der deutschen Musikindustrie. Nu Pagadi sollte in den Köpfen der Popstars-Bosse so etwas wie eine Kreuzung aus Oomph! und Ruslana sein, was ja an sich schon Wahnsinn ist. Doch noch nicht mal das wurde geschafft. Stefan Raab nannte Nu Pagadi, was auf russisch so viel heißt wie „Na warte!", eine „Mischung aus Dschingis Khan und Rammstein"—auf Krokodil möchten wir hinzufügen. Gott sei Dank war dieser musikalische Albtraum nach nur neun Monaten vorbei, weil, und da sind Nu Pagadi eben genauso wie die meisten anderen Casting-Bands, man die musikalischen Visionen seiner Bandmitglieder nicht zusammencasten kann.

Was machen sie jetzt?

Eigentlich interessiert es nur, was Doreen macht, denn sie war dafür berühmt, dass sie jahrelang die Frau an Sidos Seite war. Sie ist immer noch dabei, die Beziehung (medienwirksam) zu verarbeiten und bringt Songs wie „10.000 kleine Pflaster" raus. Spannender ist allerdings, was Frontmann Markus Grimm nach Nu Pagadi gemacht hat. 2009 brachte er zusammen mit Star Search-Sieger Martin Kesici das Buch „Sex, Drugs und Castingshows" raus, das einen Einblick hinter die Kulissen der Casting-Shows gibt. Möge dieses Buch nächsten Generationen als Mahnmal dienen.

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