FYI.

This story is over 5 years old.

Features

Es war keine gute Entscheidung, gestern die Bambi-Verleihung anzuschauen

Mein Hass wurde von Minute zu Minute größer.

Eigentlich wollte ich sofort schlafen gehen. Wirklich. Ich kam gerade von einem amüsanten Hans Eisler-Abend (war also vollkommen zufrieden und im Einklang mit mir und meiner links-versifften Gutmensch-Mentalität ob soviel kommunistischen Revolutions-Kitschs) und es gab überhaupt keinen Grund, sich die Nacht noch zu versauen. Ich hätte den Abend mit dem Wissen um die deutsche Hochkultur und dem Nachhall des milden Applauses der Bildungsbürger im Theater beschließen können. Leider habe ich dann doch noch den Fernseher angemacht. Vielleicht aus diesem inneren Bewusstsein heraus, dass gerade etwas ganz Schlimmes passiert oder aus dem Selbstzerstörungsdrang, der uns alle manchmal befällt und siehe da: It's Bambi Time. Ich wusste genau, dass ich mich jetzt aufregen würde, aber auch das macht ja manchmal Spaß. Wer also keine Lust auf eine besserwisserische, subjektive und abstossend sarkastische Glosse eines irgendwo im Nirgendwo ausgegrabenen Lügenpresse-Praktikanten hat, sollte jetzt besser abschalten. Also umblättern. Ich meine wegklicken.

Anzeige

Nun gut, denkt man sich, vielleicht ist Til Schweiger ja mal wieder betrunken und erklärt uns, dass man einfach nur sein „Leben leben muss, weil das Leben einfach so unglaublich lebenswert ist" oder man findet mal wieder einen bösen Buben aus dem Migranten-Milieu, der sich reumütig zu den deutschen Werten bekennt, bzw. verspricht, in Zukunft einfach, statt von Kokain zu rappen, heimlich aufm Klo zu koksen, so wie es die anderen Frackträger auch tun. Eventuell schüttet sich Wolfgang Schäuble aus Versehen Rotwein über das weiße Hemd. Quasi sein Jennifer-Lawrence-Oscar-Moment. Ich stelle es mir atemberaubend vor, wenn Wolfgang sein Gesicht zu einer merkwürdigen Grimasse verzieht, bei dem Versuch, die Situation durch ein sympathisches Lächeln zu retten. Aber genug auf dem alten Stimmungsverderber herumgehackt, es wird Zeit für neue Stimmungsverderber. Also mich. Fangen wir chronologisch an, es bleibt uns ja nichts anderes übrig.

Die immer gleiche Bühne, rote Sessel, Männer mit Smokings, Frauen im Abendkleid, ein Orchester aus dem Off. So weit, so klar. Andreas Bourani taucht auf und darf—Hey Überraschung!—die ersten Zeilen seines WM-Hits trällern. Mesut Özil und Mandy Capristo werden eingeblendet (das gibt Extrapunkte für den Bildregisseur), offensichtlich gab es doch kein Liebescomeback mit Kay One. Schade, Assi wem Assi gebührt. Als man sich gerade in diese wunderbaren Momente auf der Fanmeile geträumt hat und sich in einer Welt aus Bierbäuchen und dem dazugehörigen Getränk wähnt, kommt Yvonne Catterfeld um die Ecke und stimmt in den fröhlichen Reigen mit ein. Die GZSZ-Realität zieht einen knallhart auf den Boden der Tatsachen. Und dann bricht sie über einen herein, die Sänger-Flut. Christina Stürmer, Sebastian Krumbiegel (sämtliche Haare an seinem Körper in alle Himmelsrichtungen gekämmt) und der andere von den Prinzen, der immer noch singt wie ein Uhu. Wie will man das noch toppen? Na klar, Hartmut Engler und dieser eine Zottel-Rocker, der aussieht, als wenn er hauptberuflich mit anderen cool Tätowierten im St.Pauli-Pulli Astra trinkt (aber heimlich Internet-StartUps finanziert) kommen herein und trällern ebenfalls ein paar schiefe Töne. Und dann natürlich Xavier Naidoo. Engelsgleich schwebt er die Treppen hinab, und versprüht die Aura eines… Halt, stopp!

Anzeige

Wo ist denn Xavier? Habe ich ihn nicht gerade noch gesehen? Oder war das eine Fata Morgana, pardon, ich meine natürlich eine Erscheinung? Es handelt sich ja hier offensichtlich um den Cast von „Sing meinen Song", diese wunderbare VOX-Show, bei der Retorte zum Konzept gehört und auch noch abgefeiert wird. Und die sollen nun diesen herrlichen Preis bekommen. Da fehlt doch der Heiland. Aber Xavier ist nicht da, lässt sich einfach entschuldigen. Man weiß nicht genau, ob die Bambi-Verleiher sich einfach absichern wollten, falls Xavier dann demnächst doch mal bei PEGIDA spricht oder sich gar eine arabische Großfamilie zulegt, und man ihm deswegen nahe legte, sich den Bühnenauftritt zu sparen. Vielleicht war er auch damit beschäftigt, irgendwelche Thesen an Kirchentüren zu nageln. Aber egal, Xavier hat schließlich genug damit zu tun, die Welt und Mannheim zu retten. Nachdem alle einmal „Ein Hoch auf Uns" trällern durften, gibt es dann endlich die Trophäe.

Der wilde „Rocker", er heißt offenbar Daniel Wirtz, darf die Dankesrede halten und auch er enttäuscht uns nicht. Es folgt ein unnachahmbares Metapher-Gewurstel. Als er, den Bambi betrachtend, davon schwafelt, dass er bei dem kleinen süßen Näschen des Rehs ab jetzt immer an Xavier denken muss und bei den Rehaugen an Andreas Bourani, glaubt man, dass er eventuell noch irgendwie die Kurve bekommen kann, aber nichts da. Sebastian Krumbiegel ist „der haarige Rücken", die Catterfeld und Christina Stürmer sind natürlich die „vier schönen Beine" und der Schwanz… Tja, der Schwanz ist Hartmut Engler. Kann man sich nicht ausdenken, diesen Schwachsinn. Dass er selber bei der Aufzählung ganz vergessen wurde, ist natürlich sehr löblich, ihn kennt schließlich eh keiner.

Anzeige

Dann wird, die zugegebenermaßen wirklich großartige, Hillary Swank geehrt. Laut Laudatio ist sie natürlich „die Audrey Hepburn unserer Zeit". Denn der Deutsche braucht Vergleiche. Und die Hälfte der TV-Zuschauer, also die Halbtoten aus der Schwarzwaldklinik, weiß natürlich trotzdem nicht, wer Hillary Swank ist, da hilft so ein Vergleich auch immer weiter. Hillary Swank tut, was man von ihr erwartet, sie spricht ein paar Worte in gebrochenem Deutsch und die Menge jubelt. Kennt man. Dann glücklicherweise eine Ankündigung. „Jetzt kommt eine Rockband, die zu den größten des Landes zählt, mit einem fantastischen Medley aus ihrem MTV-Unplugged". OK, ein MTV-Unplugged ist normalerweise ein Qualitätsmerkmal, wer kommt denn da jetzt? Haben die Scorpions etwa ein MTV-Unplugged? Aber nein, es kommt noch dramatischer: Revolverheld sitzen auf der Bühne und säuseln ihren Landkarten-Song. Na toll, der Moderator hat also bereits bei „Rockband" gelogen. Was für ein Windbeutel.

Der Rest spult sich wie im Zeitraffer ab. Ein Typ namens Frodo (heißt der wirklich so? Ah, Jan Frodeno) bekommt einen Bambi für „Sport". Otto (I'm not kidding, kids!) wird ausgezeichnet und darf ein paar seiner Kracher zum Besten geben („Hänsel und Gretel laufen durch den Wald, da fässt die Gretel dem Hänsel an den Hänsel"). Dann Lebenswerk-Dingens, jetzt sind alle nah am Wasser gebaut. Kommt Bushido heute noch? Sieht nicht so aus. Tobias Moretti kommt ohne Schäferhund, bekommt dafür aber ein Reh in die Hand. Oh, Integrations-Bambi. Jetzt vielleicht Bushido? Nein, dieses Jahr geht der Preis für die beste Integrationsarbeit an einen gemeinnützigen Verein. Puuuh, ein Glück, so ein Verein motzt später wenigstens nicht rum, wenn man ihn als Tanzbären durch die Manege führen will. Heidi Klum bekommt den „Fashion"-Bambi, Til Schweiger erhält einen extra zusammengezimmerten Preis für Honig im Topf und fällt nur durch die offensichtlich angespannte Stimmung zu seinem Hauptdarsteller Dieter „Israel wird man ja wohl noch kritisieren dürfen, palim palim" Hallervorden auf. Til bedankt sich bei der Crew und seiner Tochter, Hallervorden ist unsympathisch wie eh und je, verkneift sich aber wenigstens die „Heim ins Reich"-Sprüche. Das ist in etwa so überraschend wie ein Gewinnersong von DSDS und so skandalträchtig wie das Privatleben von Winnie Pooh. Rock on, Bambi.

Anzeige

Natürlich dürfen auch die Flüchtlinge nicht fehlen. Also kommen Peter Maffay, Patricia Riekel und Kai Pflaume auf die Bühne und halten eine Laudatio. Offiziell auf all die ehrenamtlichen Helfer, die in großen Teilen Deutschlands die Einzigen sind, die sich unbürokratisch um Menschen kümmern, die Hilfe benötigen. Schön, oder? Denkste. Patricia erzählt in einem Unterlass von Deutschlands Bild im Ausland, von der Bewunderung, mit der andere Nationen auf „unser Land" schauen, vom guten Ansehen und der Menschlichkeit die „Wir" ausstrahlen. Deutschland, der gute Kern einer verdorbenen Frucht. Währendessen werden Mesut Özil, Nazan Eckes und Collien Fernandes eingeblendet und dem Bildregisseur wird hinter den Kulissen erneut ein Fleißbienchen eingetragen. Schön gemacht. Auf die Idee, einfach mal Flüchtlinge oder wenigstens die Helfer zu Wort kommen zu lassen, kommt niemand. Als ekelhaft triefende Kirsche auf dieser modrig stinkenden Torte stellt sich dann Sigmar „Ich habe gerade das Asylrecht verschärft" Gabriel hin und bescheinigt noch mal allen Deutschen, dass sie gute Menschen sind, ehe Kai Pflaume eine glänzende Überleitung (samt mehrmaliger Erwähnung des Albumtitels) zu Peter Maffays neuem Song aufs Parkett legt. Im Klartext: „Du, lieber Peter, möchtest ja mit deinen Songs auch Menschen helfen. Deswegen hören wir jetzt dein neues Lied." Chapeau, Kai.

Als man gerade wegdämmert und von Hanns Eislers Arbeiterliedern und dem baldigen Untergangs der Nation träumt, wird man von Rita Oras extatisch glitzerndem Kleid geweckt. Wie immer läuft das folgendermaßen: Wer sich dazu bereiterklärt, drei Stunden diese Show zu ertragen, bekommt den Preis. Insofern fordere auch ich ein goldenes Reh mein Eigen nennen zu dürfen. Von mir aus auch ein goldenes Kalb. Spätestens nächstes Jahr. Aber gut, Rita Ora. Immerhin bin ich wieder wach. Leider sorgt das dafür, dass ich mitansehen muss, wie Wolfgang Schäuble einen „Milleniums"-Bambi bekommt. Was das ist und ob das etwas mit dem Milleniums-Falken aus Star Wars zu tun hat, weiß niemand.

Die einzige Möglichkeit, eine gute Entscheidung zu treffen, lässt die Jury übrigens auch aus. Dafür sorgt sie mit ihrer Wahl für die erste Überraschung des Abends. Statt dem eindeutig besten Film Victoria von Sebastian Schipper oder wenigstens dem Rostock-Lichtenhagen-Drama Wir sind jung. Wir sind stark. als politisches Zeichen das dümmliche Reh hinterherzuwerfen, bekommt der Hacker-Streifen Who am I den Preis für den besten nationalen Film. Senta Berger entfährt ein „Wirklich?" und Freddie Lau grinst so übertrieben entspannt, dass man ihn einfach nur in den Arm nehmen und trösten möchte. Jetzt reicht's.

Oder um es mit Xaviers Kumpel Kool Savas' Worten zu sagen: „Und das ist alles wahr, ihr könnt mich auch gern vereidigen / Dieser Part hier sind die Fakten, aber der nächste wird sehr beleidigend". In diesem Sinne: Geh nach Hause, Bambi, du bist lahm und peinlich.

**

Folgt Noisey bei Facebook und Twitter.