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B-Kenntnisse mit Bela B: Nightliner, explodierende Frisuren und schmuddelige Hippie-Höfe

Früher spielten Die Ärzte betrunken für Steinpizza und Benzingeld, heute herrscht etwas mehr Luxus auf Tournee, wie Bela B erzählt.

Bela im Nightliner

Einmal monatlich füllt Bela B seine Noisey-Kolumne B-Kenntnisse. Nachdem wir in den ersten beiden Ausgaben schon über die Themen Internet und Charts sprachen, sollte es dieses Mal um Tourneen und das Leben auf der Straße gehen—schließlich befindet sich Bela schon den ganzen Mai auf Tour. Genau das ist allerdings auch ein Problem, denn wenn man jeden Tag spielt, nebenbei auch noch Interviews gibt und bei Fernsehsendern und Radios in den Studios vorbeischaut, bleibt verdammt wenig Zeit für Kolumnen. Aber wir haben es noch geschafft, hier also Ausgabe drei: B-Kenntnisse mit Bela B.

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Noisey: Du bist gerade auf Solo-Tour, wie ist das im Vergleich mit Ärzte-Tourneen? Kleinere Hallen, billigere Hotels, andere Menschen..?
Bela B: Der krasseste Kontrast zwischen meiner Band Die Ärzte und meinem Soloprojekt mit Peta Devlin und Smokestack Lightnin war eigentlich die kleine Start-Up-Tour letztes Jahr, die vier Wochen nach den ÄRZTIVALS stattfand. In Bremen spielten wir mit Die Ärzte vor 27.000 Leuten, die erste Reihe war circa 20 Meter entfernt und nun stand sie vor mir in einem Club, der insgesamt keine 20 Meter lang war.

So viel zur Quantität.

Ich genieße es ausgiebig den Leuten viel näher zu sein und habe das Gefühl, das Publikum teilt es mit mir. Außerdem lebe ich zum Teil mein Ego aus, weil ich solo der Mittelpunkt bin und erlebe gleichzeitig als Fan meine Mitmusiker, die alle eigenständig großartige Musiker sind und von mir viel Raum bekommen.

Bei den DÄ-Tourneen läuft es inzwischen wie ein Uhrwerk. Ich habe vor ein paar Jahren aufgegeben, mir jeden Namen der Roadies merken zu wollen, weil es immer mehr wurden, während wir hier eine Familie sind, wie ich das früher schon immer genossen habe.

Die Clubs, die wir grad spielen, waren in den Neunzigern oft auch schon die Läden, in denen wir mit DÄ gespielt haben. Das ist für mich noch so gegenwärtig, dass ich den Luxus der letzten Arena-Jahre nicht wirklich vermisse.

Was war die hässlichste Absteige in der du mal auf Tour übernachten musstest? Habt ihr früher viel bei den Bookern im Wohnzimmer geschlafen?
Im Moment schlafen wir meist im Nightliner und fahren nachts immer in die nächste Stadt. Ich liebe es, mit den Leuten im Bus noch privat zu sein und unsere Euphorie nach den Shows zu teilen, statt wie früher auf der Suche nach Amüsement durch Kleinstädte zu hasten.

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In den frühen Jahren der Die Ärzte haben wir schon schlimm übernachten müssen, aber erstens war ich meistens betrunken genug, um das auszuhalten oder aber wir haben Mädchen getroffen, die uns mit zu sich nahmen. Am schlimmsten und unvergesslich war eine Nacht auf einem Hippie-Bauernhof namens LILA EULE wo wir für 50 Mark Benzingeld und selbstgemachte Steinpizza gespielt haben (Stein, weil sie so hart war, wohlgemerkt). Wir bekamen als Band eine Matratze, die so dreckig war, das wir Siff-Punker nicht unsere Klamotten ausziehen wollten, um uns keine Krankheiten einzufangen. Warmes Wasser zum Duschen oder eine Heizung, es war Anfang März, gab es nicht, respektive sollten wir dafür nachts noch Holz hacken.

Peta Devlin hat mir von einer Tour mit Die Braut Haut Ins Auge erzählt, wo sie nach den Shows immer gezeltet haben. Das ist dann noch ne Spur härter. Von sowas hab ich vorher noch nie gehört.

Hast du sowas wie eine Lieblingslocation? Wo würdest du gern mal spielen?
Wir haben jetzt wieder in einem Theater gespielt. Ich finde es total schön, wenn das Publikum nicht vor mir, meist noch unter mir steht, sondern ich mit dem Blick schweifen kann. Theater haben auch immer eine tolle Atmosphäre. Für die Musik die ich grad mache, perfekt. Für DÄ, mit all der Wall Of Death´s und Crowdsurfing-Action wäre das nichts.

Im Prinzip finde ich aber jeden Club spannend. Ich lese oft auch Graffitis oder die Programmhefte der Läden durch. Überall wo Musiker spielen, es eine Fluktuation von Künstlern gibt, kann man einen Vibe spüren. Der Biergeruch vom Vortag hat für mich etwas morbid Romantisches.

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Was war das beste Konzert, an das du dich je erinnern kannst? Was war das Schlimmste?
Das beste Konzert ist für mich hoffentlich immer das gerade gespielte, mindestens aber eins der gerade laufenden Tour. Legendäre Konzerte gibt es zwar, aber in solchen Erinnerungen zu schwelgen ist mir zu vergänglich, weil ich mich vorwärts bewege. Ich will immer noch bessere Konzerte spielen. Wäre schlimm, wenn nicht. Und wirklich üble Konzerte versuche ich dann auch irgendwann zu vergessen. Sich an sowas zu erinnern hält nur auf.

Ich weiß, die Leute fragen sowas immer wieder, aber gab es mal etwas wirklich Abgefahrenes, was bei einem Konzert passiert ist?
Ich werde nie die circa achtzigjährige Frau vergessen, die mit ihrem vielleicht zehn Jahre jüngeren Freund und Hausmeister in die erste Reihe eines Die Ärzte-Konzertes kam, weil sie wissen wollte, was ihre Enkelin so an uns findet. Sie bekam dafür Applaus vom versammelten Publikum. In den Achtzigern sind hin und wieder Frisuren im Publikum explodiert, wenn sich jemand hinter einer kunstvoll toupierten Haarpracht eine Zigarette angezündet hat.

Ich hatte mal einen Drogenflashback während eines Konzertes, weil Rod und ich an einem Off-Tag XTC genommen haben. Wir konnten dann während des Konzertes nicht mehr aufhören zu lachen. Das war in Zürich und selbst Farin hatte Spaß, wenn er auch nicht verstand, was da abging.

Ein unglaubliches Erlebnis waren die vier Gigs auf der MS Hedi, einem Partyschiff im Hamburger Hafen. Wir legten ab und spielten für die 80 Anwesenden eine Stunde Musik, dann legten wir an, tauschten das Publikum und spielten wieder eine Stunde.

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Dreimal für zahlendes Publikum, einmal für unsere Gästeliste. Die ersten drei Shows wurden immer hysterischer. Ich habe beim Spielen einem Jungen über den Kopf gestreichelt, aus Gläsern der ersten Reihe getrunken und eine Freundin mit Kuss begrüßt, ohne den Song zu unterbrechen. Peta hat irgendwann kaum noch gesungen, weil das Publikum so laut war. Ich kann mit Fug & Recht behaupten, dass ich meinem Publikum noch nie so nah war, selbst auf den diversen Akustik-Gigs nicht, die Peta und ich gespielt haben.

Wie viele Paar Socken hast du auf der aktuellen Tour schon geschenkt bekommen? Kannst du die mal für uns alle auf einen Berg werfen und fotografieren?

Madonna lässt sich auf Tournee lastwagenweise Möbel von zuhause bringen, Mariah Carey lässt ihren Backstage-Bereich mit auf eine ganz bestimmte Länge zugeschnittenen weißen Rosen schmücken. Wo bist du eine Diva, wenn es um Tourneen und Tour-Rider geht?
Ob bei DÄ oder solo gilt immer, wir kommen und gehen mit einem Lächeln. Die örtlichen Mitarbeiter tun ihr Bestes und das sollen sie gern machen. Mich darf jeder ansprechen und eine Musikanlage habe ich selbst dabei. Schlimme Allzweck-Hallen dekoriere ich manchmal mit irgendwelchen Postern um.

Bei DÄ habe ich irgendwann nach einer eigenen Künstlertoilette verlangt, weil ein Klo nachdem circa 50 Leute in Eile darauf waren, einfach nur noch ekelig ist. Ich brauche nicht viel.

In den letzten Jahren haben wir für jeden ein Garderoben-Case und irgendwann auch ein paar Möbel dabei gehabt, damit die Backstage-Räume wohnlicher aussehen. Gefragt habe ich aber nie danach.

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Ich habe auf DÄ-Tour mal eine Powerplate gebraucht gekauft, die dann aber jeder benutzen durfte. Rod hat ein Aushängegerät für seinen Rücken dabei und solche Sachen. Wir hatten mal 'ne Tischtennisplatte dabei, aber als die so gut wie nie benutzt wurde, wurde sie ausgemustert.

Seit einiger Zeit wünschen wir uns, dass keine Nestlé-Produkte mehr Backstage angeboten werden sollen… Es ist zwar ein Tropfen auf dem heißen Stein und die noch schlimmeren Verbrecher von Monsanto haben ihre Gierfinger auch in fast jedem Nahrungsmittel, trotzdem unterstützen wir dann mit dem Backstage-Konsum so weit es geht korrekte Firmen wie Viva Con Agua (Wasser), Fritz Kola (Limonade) und die örtlichen Bioläden und Reformhäuser.

Wenn es geht, bekomme ich eine kleine Privatgarderobe, um mich mal aus dem Fokus ziehen zu können.

Es ist ehrlich gesagt ist es viel schöner und spannender, wenn dir hin und wieder jemand vor Ort eine Freude machen will!

Gestern zum Beispiel bekam ich vom örtlichen Koch eine extra für mich gebratene vegane Currywurst, weil er von meinem Faible für Junkfood gehört hatte. Seit 5 Jahren habe ich wegen der Nahrungsumstellung Probleme diesem Faible zu frönen, umso mehr hat es mich gefreut und ich hatte noch ein nettes Gespräch mit dem Mann obendrauf.

Backstage-Gezicke gibt es in meiner Welt ehrlich gesagt nicht… ich hoffe jetzt mal, dass niemand widerspricht…äh…Bernie? Peta?

Bela Bs neues Album Bye gibt es bei Amazon oder iTunes.

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