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Interviews

Auf den Spuren von „L.A.s tödlichster Punkrock-Gang“

Messerstechereien in Pits und Leichen, die nach Konzerten auf der Straße gefunden wurden: Das ist eine Facette der Geschichte von Punk, die nicht so oft beleuchtet wurde.

Punk sollte sich für immer verändern, als er L.A. erreichte. Das Tempo wurde schneller, die Bands wurden fieser, die Gewalt geriet außer Kontrolle. Durch die rosarote Brille der Geschichte sehen wir den revolutionären Effekt der Punk-Kultur—den DIY-Ethos, den Widerstand gegen Polizei-Schikanen, die einflussreiche Musik—aber was größtenteils vergessen wird, sind die Opfer, die sie gefordert hat. Konzerte wurden in L.A. von rivalisierenden Gangs missbraucht, die aus verschiedenen Ecken der Stadt stammten. Die Burbank Punks Organisation, Vicious Circle aus Long Beach, die East Side Punx und andere Crews, die sich selbst mit der aufkeimenden Musikszene assoziierten, kämpften mit abscheulichen Gewalttaten um Gebiete und Street Credibility.

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Die gefährlichsten von ihnen waren die La Mirada Punks, eine Gang, die in den 80ern schnell zu einem berüchtigten Ruf kam. Sie stammte aus einem Vorort von L.A., der schon lange bevor Punk aufkam voller Gangs war. Angeführt wurde dieser Zusammenschluss aus Kids von der schiefen Bahn von einem Veteranen einer Cholo-Gang und fand durch das konfrontative Image und die Anti-Establishment-Haltung zusammen. Mitglieder der LMP strömten in Scharen zu den Shows, oft schienen sie dort jedoch nur aufgrund der Lust an der Gewalt anstatt irgendeiner Form von musikalischem Interesse aufzukreuzen. Ob es nun das Niederstechen eines unschuldigen Zuschauers oder das Niedermachen eines Sängers einer Band war, indem dieser stundenlang in einem Mülleimer gefangen gehalten wurde, Geschichten der Gewalt durch die LMP verbreiteten sich in der Punkszene der 80er wie ein Lauffeuer.

In dem Buch Disco's Out… Murder's In!, das bei bei Feral House Publishing erschienen ist, wird die Geschichte von „L.A.s tödlichster Punkrock-Gang" aus der Perspektive des passend benannten Frank the Shank erzählt, dem berüchtigten Anführer der LMP-Gang, der schließlich wegen Mordes inhaftiert wurde. Messerstechereien in Slam-Pits, Leichen, die nach Konzerten auf der Straße gefunden wurden, und die Erforschung einer Szene, die von lose organisierter Kriminalität befallen war: Das ist eine Facette der Geschichte von Punk, die du in der durchschnittlichen Bandbiographie nicht findest.

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Nachdem sie beinahe sechs Jahre damit zugebracht haben, Frank the Shank nach all den grausamen Details seiner Regentschaft in der LMP-Gang zu befragen, haben die Autoren Heath Mattioli und David Spacone seine Geschichten in einem 230-seitigen Bericht veröffentlicht, der aus Franks eigener Perspektive geschrieben ist und Artwork vom legendären Szene-Künstler Raymond Pettibon enthält. Das Ergebnis ist eine fesselnde Erzählung aus erster Hand, die mit Franks erster Punk-Show beginnt (X im Whisky a Go-Go), sich aber schnell mehr um Schlägereien und Morde dreht als um die Liebe zu Punk-Musik. Einflussreiche Bands wie The Germs, The Adolescents und T.S.O.L. kommen zwar darin vor, jedoch nur um den Soundtrack für die brutalen Ausschreitungen der La Mirada Punks zu liefern oder—noch schlimmer—um von der Gang terrorisiert zu werden. In gewisser Weise fühlt sich das Buch an wie ein verlorenes Kapitel in der bereits erzählten Geschichte über Gangs aus L.A. Wir haben per Telefon mit Mattioli und Spacone über den hässlichen, aber weitestgehend vergessenen Fleck gesprochen, den diese Gangs in der Geschichte des L.A.-Punk hinterlassen haben.

Noisey: Abgesehen von der anfänglichen Panikmache in den Nachrichten wurde nicht viel über die Gewalt berichtet, die in L.A.s früher Punkszene vonstatten ging. Die meisten Geschichten stammen aus dem Blickwinkel von Bands, die diese Dinge zwar beiläufig erwähnen, meistens jedoch nur, um zu zeigen, dass sie selbst nicht darin verwickelt waren und nichts davon guthießen. Macht ihr die Musiker mitverantwortlich?
Mattioli: Absolut. Sie wussten, was sie taten. Ich glaube nicht an dieses: „Oh, wir waren Backstage, sind auf die Bühne, dann in unseren Van und abgehauen [bevor etwas Gewalttätiges passiert ist]. Wir haben diese Sachen nicht wahrgenommen." Viele Musiker haben das gesagt und ich denke, es ist absoluter Mist. Sie mussten es einfach wissen.
Spacone: Sie wollten sich anscheinend alle wie Pontius Pilatus verhalten und ihre Hände in Unschuld waschen, aber es ist sehr eindeutig, dass sie das nicht können. Jeder hat über Dinge gesprochen, die während und nach den Shows passiert sind. Nun also zu sagen: „Oh, ich wusste davon nichts", ist eindeutig irreführend.

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Welche Musiker habt ihr wegen der Gewalt in L.A. befragt?
Mattioli: Ich will keine Namen nennen, aber wir wollten ein paar Aussagen für den Klappentext von einigen dieser Legenden und sie haben ihre Hände gehoben und gesagt: „Hey Mann, ich wünschte wirklich, ich könnte etwas zu diesem Buch sagen. Es ist gut geschrieben und so, aber ich wusste nicht einmal, dass dieses Zeug existierte." Und dann gibt es andere Leute wie Jack Grisham [den Sänger von T.S.O.L.], der kein Problem damit hat, zu sagen, dass er Teil des Problems war und das respektiere ich.

Ich verstehe wirklich nicht, warum sie nicht darüber sprechen wollen. Ich weiß, dass [Henry] Rollins darüber gesprochen hat, dass er damals von irgendwelchen Gangstern mit vorgehaltener Waffe bedroht wurde, und er verabscheut Gewalt. Ich verstehe und respektiere das auch. Aber die anderen Typen, die gesagt haben: „Das ist nicht das, worüber wir gesungen haben"? Diese Kids hatten nicht die Tiefe, um zu verstehen, über was sie wirklich singen. Ich halte das für einen Vorwand. Vielleicht ist das eine Begleiterscheinung von musikalischem Narzissmus.

Als ihr euch mit diesem größtenteils unerforschten Gebiet beschäftigt habt, war es da eine Herausforderung, weder mit dem erhobenen Zeigefinger zu kommen, noch die Dinge zu glorifizieren?
Mattioli: Ja, das war es. Und ganz gleich was passiert, mit diesem Material wird es in jedem Fall so rüberkommen. Jeder, der in dieser Zeit tatsächlich auf Shows war, der wirklich in dieser Punkrock-Welt gelebt hat, hat eine andere Geschichte. Und gleichzeitig haben alle die gleiche Geschichte.
Spacone: Die Ereignisse und die Wahrheit dieser Angelegenheiten sind definitiv reißerisch, sicher. Aber du musst es einfach erzählen, wie es ist, und du als Leser wirst es dann so interpretieren, wie du es interpretieren willst.

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Black Flag, Olympic Auditorium, Los Angeles (1983). Foto von Edward Colver. Bild mit Genehmigung von Feral House

Ich fand es interessant, dass sich das Buch dem Vorurteil widersetzt, dass die meiste Gewalt im Punk rassistisch motiviert ist und war.
Mattioli: Ja, es gab diese rechtsextremen Gangs, aber sie haben sich nicht [in L.A.] blicken lassen. Aus ihnen wäre die Scheiße rausgeprügelt worden. Die Gangs in Kalifornien konnten dem nichts abgewinnen, sie haben bei so einer Scheiße nicht mitgemacht. Es gab Bücher und Artikel in Magazinen, in denen es darum ging, dass [rechtsextreme Punks aus Huntington Beach] die Dinge kontrollierten und die ganzen Verbrechen begingen, aber ich denke, die Punkrocker aus der Stadt haben diesen Zustrom von Leuten aus Huntington Beach gesehen und den Irrtum entwickelt, dass all diese Gewalt auch aus Huntington Beach kam.

Die La Mirada Punks waren eine vielfältige Crew, aber was hat sie miteinander verbunden?
Mattioli: Das kann ich beantworten: Hass. Sie haben sich selbst gehasst, also wollten sie, dass du ein wenig davon spürst. Sie wussten nicht, dass es das war, aber es ging wirklich um das psychologische Profil dahinter.
Spacone: Der Hass machte Spaß. Dinge zu zerstören machte Spaß. Du hattest die Hippie-Bewegung, junge Leute, die zusammenkamen und versuchten, die Gesellschaft zu bekämpfen, aber es machte einfach viel mehr Spaß, sich gegenseitig zu bekämpfen. Es gibt nicht viel Selbstreflexion und Artikulation unter dysfunktionalen Jugendlichen, es ist alles nur Reaktion.

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VICE: Dieser ehemalige Gangster und Junkie hat furchterregende Geschichten auf Lager

Es gibt einen Absatz im Buch, der damit beginnt: „1978 ist endlich zu Ende." Das beschreibt perfekt das trostlose Klima, das in der Zeit im Land herrschte. Selbst wenn die Kids es nicht so wahrgenommen haben, hat es sicherlich die Stimmung für den Hass erschaffen.
Mattioli: Definitiv. Die Stimmung im Land war sehr wichtig. Die Reagan-Ära, der Nihilismus in der Luft, die Bedrohung eines Atomkriegs—das alles spielt da rein.
Spacone: Die Welt war ein interessanter Ort.
Mattioli: Sie war sicherlich kein glücklicher Ort.

Ich frage mich, wie stark die LMP-Gang mit der Musik sympathisierte, denn letztendlich sagt Frank the Shank: „Die Gangs haben Punkrock zerstört."
Mattioli: Ich sehe zwar nicht, wie Punkrock sich selbst am Leben hätte halten können, aber die Gewalt war von '83 bis '86 zügellos. Es war unausweichlich, dass Punk implodierte, aber die Gewalt war ein großer Anstoß dafür, dass Leute die Szene verließen. Auch die Musik veränderte sich. Die Künstler konnten nicht stagnieren, also ging es darum, sich weiterzuentwickeln, den Sound voranzubringen, sich mit der Zeit zu verändern. Und viele dieser Kids waren zufrieden damit, wo sie waren, besonders diese Punkrock-Gangster. Sie waren also eine treibende Kraft für die Art, mit der Punkrock zu Ende ging. Frank kennt viele Leute, die zu ihm kamen und sagten: „Mann, ich habe wegen LMP mit Punkrock aufgehört."
Spacone: Lasst uns nicht vergessen, nach Jahren der Gewalt verlierst du einfach Mitwirkende—ob es nun die Leute sind, die zusammengeschlagen oder getötet wurden oder die, die sich einfach zurückgezogen haben, weil sie es nicht mehr ertragen konnten. Also ja, die Punkrock-Gangs haben es ruiniert. Sie haben für das Verschwinden gesorgt.
Mattioli: Und das ist die Frage: Haben diese Musiker sich schon vorher anderen Sachen zugewandt oder haben sie nur gesagt: „Scheiße, ich will mich von diesen verdammten glatzköpfigen Idioten distanzieren"?

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Ja, Black Flag wurden sludgiger und abgefahrener, die meisten anderen Bands haben sich von dem ursprünglichen Hardcore-Muster entfernt. Denkt ihr, das ist in gewisser Weise eine Begleiterscheinung der Gewalt?
Mattioli: Ich denke schon. Das ergibt Sinn. Die beste Art, dich von etwas zu distanzieren? Ändere deinen Look, ändere deine Musik, trenn dich von deiner Fanbase und versuch, eine andere aufzubauen.
Spacone: Außerdem war die Musik von Beginn an schnell, dann wurde sie schneller und dann sogar noch schneller. Und wie viel Gewalt kannst du [in der Musik] ertragen? Es geht irgendwann weg.

Pissed Chris und seine Kriegskameraden (1984). Foto mit Genehmigung von Feral House

Was war das Besondere an L.A., das all diese Gewalt, diesen Hass und diese Geschwindigkeit zusammen mit der Musik hervorgebracht hat? Auch Leute aus der D.C.-Szene wurden viel verprügelt, aber als sie dann nach L.A. kamen, haben sie eine noch aggressivere Szene gesehen.
Mattioli: Die Tatsache, dass es in jeder Gegend Gangs gab, ist das, was letztendlich dazu beigetragen hat. Das hätte an keinem anderen Ort passieren können. Es war eine sehr, sehr gewalttätige Stadt.
Spacone: Sehen wir uns die Geschichte von Los Angeles an: Es ist eine Cowboy-Stadt. Dadurch ist sie entstanden. Und diese Energie fließt noch heute durch die Stadt. Wenn du dir also die Straßen von Los Angeles anschaust, dann wurden die Dinge immer auf diese Weise geregelt, das wirkt sich also zwangsläufig auf Punkrock aus.

i-D: Die Punk-Newcomer aus L.A.

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In gewisser Weise fühlt es sich an wie ein verlorenes Kapitel in der bereits erzählten Geschichte von L.A.-Gangs, von der Zeit der Prohibition bis zu den Bloods und Crips.
Mattioli: Definitiv und diese Kids [von den La Mirada Punks] hatten sogar einen alten Veterano aus dem Osten L.A.s, der sie anführte, und das war der Grund, warum sie mit so viel davongekommen sind.
Spacone: Außerdem konnte das LAPD [die Gangs] nicht effektiv angreifen. Sie haben Punkrock bei den Shows angegriffen. Sie haben die Gewalt nur verstanden, wenn sie zu Aufständen führte, also dachten sie, dass die Leichen nur eine seltsame Begleiterscheinung waren. Sie wussten nicht wirklich, dass diese Gangs existierten.

Das LAPD hat alles in ihrer Macht stehende versucht, eigentliche Punk-Shows zu kontrollieren, bis zu dem Punkt, an dem die Venues sogar bestimmte Punkbands ausgeschlossen haben, was wahrscheinlich den DIY-Ethos des Punk gefördert hat. Wenn die Polizei nicht so reagiert hätte, würdet ihr den unabhängigen Weg für Bands dann als weniger zwingend ansehen?
Spacone: Es hat Punkrock als Szene einfach so viel hartnäckiger gemacht. [Der Versuch, Punkrock zu bekämpfen oder zu kontrollieren] hatte also den gegenteiligen Effekt und half nur noch. Ihr werdet uns auf keinen Fall davon abhalten, Platten zu machen, Shows zu spielen, eine Szene zu haben, so auszusehen. Ihr könnt uns zusammenschlagen, verfolgen, knüppeln so viel ihr wollt. Es war egal, es passierte trotzdem. Sie haben also eigentlich Öl ins Feuer gegossen.
Mattioli: [Der Chef des LAPD Daryl] Gates brauchte eine Art Trophäe, um auf all die Nachrichtenberichte zu antworten. Jedes Mal, wenn er einen Flyer in die Hand bekam und eine Show auflösen konnte, hat er es also in die Nachrichten gebracht und gesagt: „Ja, seht, was wir getan haben."

Spacone: Sie haben uns gezeigt: „Hey, wir haben die Kontrolle darüber, über diese verrückten Punker." Sie wussten so wenig.

Das Buch ‚Disco's Out… Murder's In!: The True Story of Frank the Shank and LA's Deadliest Punk Rock Gang' kannst du bei Feral House Publishing bestellen.

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