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Interviews

„Alles Normale ist langweilig“—Lindemann im Interview

Wir haben mit dem Rammstein-Frontmann und der schwedischen Metal-Legende Peter Tägtgren über Party-Musik, obszöne Texte und merkwürdige Formen der Liebe gesprochen.

Lindemann—ein Name, der einem erstmal Respekt einflößt. Selbst dann, wenn man nicht wüsste, dass so der Mann heißt, der einige der bekanntesten, einige der schockierendsten und einige der besten Songtexte auf Deutsch geschrieben hat. Lindemann, das klingt irgendwie mächtig, nicht nur wegen des Baumes, der in dem Namen steckt. Und tatsächlich ist Till Lindemann nun mal einer der mächtigsten deutschen Texter. Was er schreibt, wird gehört, gelesen, rezipiert, diskutiert.

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Sich mit so einem zu treffen, das bringt einem Ehrfurcht bei, egal wie viele Menschen man schon zum professionellen Smalltalk-Geplänkel getroffen hat und dazu muss man nicht einmal Rammstein-Fan sein.

Im Angesicht meiner Ehrfurcht ist es sicher nicht das Schlechteste, dass Till Lindemann noch nicht da ist, als ich Peter Tägtgren, mit dem Lindemann als Lindemann überraschend ein (ziemlich unterhaltsames) Album aufgenommen hat, vor einem Touristen-Café treffe. Tägtgren ist Schwede, war Sänger von Hypocrisy und Pain, hat für Dimmu Borgir und Cradle of Filth produziert; kurz: Er ist eine Metal-Koryphäe.

Wir bestellen beide Kaffee mit Milch. Als zwei Tassen vor unseren Nasen kleine Dampfwölkchen in die frische Vormittagsluft abgeben, fange ich an, Peter meine Fragen zu stellen. Der Till sei aber auch gleich da, versichert man mir.

Foto: Matthias Matthies

Noisey: Bevor ich heute Morgen hierher gefahren bin, habe ich zum ersten Mal euer Album in den Händen gehalten. Die komplette Verpackung, inklusive des Booklets, wirkt sehr aufwendig gestaltet. Wie stark waren Till und du in die gestalterischen Prozesse rund um das Album herum eingebunden?
Peter: Das lief im Endeffekt alles über uns, vor allem aber über Till. Er ist mehr der visuelle Typ, wohingegen ich mich vor allem um die Produktion gekümmert habe. Für die erste Foto-Session zum Album hatten wir vier verschiedene Fotografen an einem Wochenende da, um herauszufinden wer von denen am besten zu dem Projekt passt. Manche von denen hatten sehr digital gearbeitet, die anderen wiederum wollten ein analoges Gefühl produzieren. Am Ende arbeiteten wir schließlich mit einem Freund von mir, mit dem ich bereits für eines der Pain-Alben gearbeitet hatte. Nachdem das erste Foto produziert war—das mit dem Fisch und der Meerjungfrau—kam Till dann mit der Idee an, für jeden Song ein Foto zu schießen. Der Aufwand dafür war verrückt, aber dadurch sieht das Gesamtpaket nun auch so gut aus. Musik, Fotos, Videos, das spezielle Format der Verpackung, das irgendwo zwischen CD, Buch und BluRay liegt—alles passt sehr gut zusammen.

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Glaubst du, dass dieses ganze Drumherum euer Album wertvoller macht? Erweitert es das Album als künstlerisches Werk um eine zusätzliche Komponente?
Peter: Ja, wir nennen es eine 360-Grad-Angelegenheit. Du setzt dir die Kopfhörer auf, machst das Album an, siehst dabei die Fotos und kannst die Texte lesen. Das erweitert auf jeden Fall die Erfahrung. Die meisten machen heute nur so dünne Booklets und geben sich kaum Mühe bei der Verpackung, weil sie nicht wissen, ob die Leute sowas überhaupt noch wollen, oder eh nur downloaden. Dabei liegt das vor allem auch daran, dass die meisten Künstler ihren Hörern kein Gesamtpaket angeben, was sie wirklich besitzen wollen.

Die Fotos im Booklet wirken auf mich sehr humorvoll..
Und so soll es auch sein. Man sollte dieses Album nicht zu ernst nehmen. Skills In Pills ist eigentlich ein Party-Album, ungefähr so als ob Billy Idol 2015 noch mal eine Platte veröffentlicht. Das Ende der Welt und die Hölle interessieren uns nicht.

Die Themen der Songs sind aber meistens ziemlich düster. Zum Beispiel „Ladyboy“, der scheinbar von She-Male-Prostituierten in Bangkok handelt. Das ist doch alles andere als ein lustiges Party-Thema, oder?
Das stimmt. Aber gleichzeitig ist es eine witzige Situtation, wenn du dir vorstellst, du hast gerade eine Frau mit aufs Hotelzimmer genommen und plötzlich ist diese Frau aber etwas Anderes. Der Twist bringt den Humor und der Erzähler des Songs wagt sich ja trotzdem an den „Ladyboy“ heran. Er ist ein mutiger Mann. Till ist jemand, der häufig ins Internet geht und dort seine Themen findet. Er liest einfach einen Zeitungsartikel und der bringt ihn wiederum dazu, einen Song darüber zu schreiben. Ah, hey you Freak!

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(Till Lindemann kommt mit dem Fahrrad an, er ist komplett in Schwarz gekleidet, trägt einen Anzug.)

Till: Es war ein verdammter Alptraum. Ich habe zwei Stunden gebraucht, um zu meiner Wohnung zu kommen. Bitte entschuldigt die Verspätung. (An die Bedienung des Cafés gewandt) Könnte ich bitte einen Kaffee mit Milch haben?

Du bist erst mit dem Auto in die Stadt gefahren und im Anschluss von deiner Wohnung mit dem Fahrrad weiter?​
Ja, ich komme gerade vom Land, also musste ich mich vor allem auch vor diesen Interviews umziehen. Sonst hätte ich nicht so ausgesehen, wie jetzt, sondern eher so, wie Peter immer aussieht (Gelächter).
Peter: Wir haben in der Zwischenzeit schonmal über unser Artwork geredet.

Genau. Gerade sprachen wir kurz darüber, dass Peter diese Platte als eine sehr spaßige empfindet. Würdest du zustimmen, Till?
Till: Als wir vor ein paar Wochen die erste Listening Session mit ausgewählten Journalisten hatten, da haben wir die Leute beobachtet. Die meisten von ihnen haben viel gelächelt und ab und zu gelacht. Ich für meinen Teil hatte nicht den Plan, ein witziges Album aufzunehmen. Scheinbar ist am Ende trotzdem eins bei rausgekommen. Wenn man die Leute zum Lachen bringt, hat man ja aber zum Glück seinen Job scheinbar gut gemacht.
Peter: Kennst du die Hangover-Filme? Ein bisschen so wie die ist auch das Album. Manchmal witzig, manchmal tragisch.
Till: Ich finde, dass die Platte vor allem oft ziemlich obszön ist.

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Macht es dir Spaß, obszöne Texte zu schreiben?
Till: Nein, das kann ich nicht sagen, ich würde eher sagen: Ich war konzentriert. Eigentlich mag ich es nicht wirklich Songtexte zu schreiben. Am Ende bin ich dann meistens doch zufrieden, aber während des Prozesses fühle ich mich meistens unsicher. Solange die Texte nur auf dem Papier existieren, sind sie ohnehin für mich nichts als Buchstaben. Der Moment, in dem du deine Texte zum ersten Mal aufnimmst und im Anschluss im Studio hörst, ist meistens ein sehr merkwürdiger.

Du hast für Skills In Pills das erste Mal in Englisch getextet…
Till: Eigentlich fing ich damit vor allem an, damit Peter auch versteht, wovon ich erzähle und außerdem sollte allen Hörern deutlich sein, dass diese Platte nichts mit Rammstein zu tun hat. Als ich dann ein paar Texte geschrieben hatte, fing ich irgendwann an, auch auf Englisch zu träumen und erst ab diesem Moment war ich richtig drin.

Till, wie findest du eigentlich deine Themen? Ich habe mit Peter bereits kurz über „Ladyboy“ und die She-Males von Bangkok gesprochen. Wie kommt es dazu, dass du über ein Thema wie dieses einen Song schreibst?
Till: Vieles kommt vom Reisen, aber selbst wenn ich einfach nur fernsehe, entdecke ich häufig Dinge, die mich neugierig machen und dann mache ich mir Notizen. Meistens reicht das nicht für einen Song, aber wenn es dann doch dazu kommt, dass mich ein Thema länger bewegt, dann fange ich an, zu schreiben. Dabei denke ich aber auch immer darüber nach, ob der Song vielleicht jemanden beleidigen könnte. Ich möchte nicht, dass zum Beispiel Transsexuelle das Gefühl bekommen, ich würde mich über sie lustig machen.

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​Du willst vermeiden die falschen Leute zu beleidigen?
Till: Beleidigen möchte ich überhaupt niemanden. Provokation ist auf der anderen Seite immer etwas Gutes. Es bringt Menschen dazu, dass sie einem zuhören. Menschen zu beleidigen ist allerdings nicht meine Tasse Tee. Der Song „Fat“ könnte vielleicht für manche bösartig wirken, aber das ist er nicht. Ich habe einfach eine Dokumenation über Männer gesehen, die ihre Freundinnen so lange füttern, bis die sich nicht mehr bewegen können. In dem Film geben beide Seiten an, dass sie toll finden, was da passiert. Die Typen sind klein und dürr, aber ihre Freundinnen können sich nicht mal mehr alleine im Bett umdrehen. Die Männer behandeln die Frauen dabei aber immer durchaus liebevoll: Sie waschen sie, sie füttern sie—auf jeden Fall eine merkwürdige Form der Liebe.
Peter: „Fat“ ist eigentlich einfach ein Liebeslied.

Ich lese aus Texten wie diesem heraus, dass euch kaum etwas ferner läge, als Menschen für ihre Neigungen und Vorlieben, so merkwürdig die auch sein mögen, zu verurteilen. Ist da was dran?
Till: Darum geht es mir tatsächlich überhaupt nicht. Ich finde es spannend, merkwürdige Formen der Liebe zu erforschen. Nimm zum Beispiel „Golden Shower“: Solche Dinge gibt es nun mal und ich finde das spannend. Alles Normale ist doch langweilig und ich mag es nicht, gelangweilt zu werden. Ich finde aufregende Dinge viel interessanter. Sie machen das Leben besser und eben aufregender. „Beer and Wine? Feeling fine..“
Beide gemeinsam: „Wine and Beer? Feeling fine..(Gelächter)“

Foto: Stefan Heilemann

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