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Alles Liebe ‚Transilvanian Hunger‘! Zum 20. Geburtstag von Darkthrones kontroversen Black Metal Meisterwerk

Eine analytische Betrachtung der komplizierten Geschichte des Albums.

Während der gemeine Metalhead seine Mähne zu Panteras drittem Majorlabel-Album, Far Beyond Driven, rotieren ließ, schlugen die kreativen Auswüchse in der norwegischen Black-Metal-Szene höhere Flammen als die brennenden Stabkirchen. 1994 war das Jahr, in dem die wichtigsten und einflussreichsten Alben der zweiten Black-Metal-Welle auf die Menschheit losgelassen wurden. Mayhem veröffentlichten endlich das langersehnte De Mysteriis Dom Sathanas (noch vor dem offiziellen Release wurde der Gitarrist und Songwriter der Band, Oystein Aarseth, von Burzums Varg Vikernes ermordet, um nur eines der vielen tragischen Ereignisse in der Bandgeschichte aufzuzählen), Burzum brachte wiederum Hvis Lyset Tar Oss raus, Emperor sorgten mit ihrem Album In The Nightside Eclipse für reihenweise heruntergeklappte Kinnladen und Darkthrone veröffentlichten ihr vielgepriesenes Album Transilvanian Hunger.

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Letzteres, das ziemlich genau vor 20 Jahren in die Welt gesetzt wurde, gilt noch immer als ein Paradebeispiel für den Songaufbau und den typischen Lo-Fi Sound von primitivem Black Metal. Es ist nicht nur eine klangliche Reise in die Vergangenheit, sondern es repräsentiert auch weiterhin die furchterregendsten, kältesten und abgründigsten Elemente norwegischen Black Metals.

Im Gegensatz zu ihren alten Veröffentlichungen, die zum Teil noch eindeutig in der Kategorie Death Metal einzuordnen sind, die ziemlich holprig waren oder einfach so blechern klangen, dass sie sich eher wie Bootlegs anhörten, war Darkthrones Transilvanian Hunger ein ehrlicher, ungeschliffener und minimalistischer Ausdruck von Hass und Raserei—von dem sich immer wiederholenden Tremoloriff des Titeltracks bis hin zu den letzten 15 Sekunden von „En ås i Dype Skogen“, wenn der Blastbeat aufhört und die Gitarren in einer zischenden Wolke aus Senfgas verschwinden. Das ganze Album hindurch, mit Ausnahme der ersten vier Sekunden von „Skald Av Satans Sol“, spielen die Drums ausschließlich Blastbeats, die in ihrer Monotonie unerlässlich wie ein Presslufthammer auf deinen Schädel einprügeln. Wenn die Band einmal mit einem Riff begonnen hat, gibt es nur sehr wenig Rhythmuswechsel oder Abweichungen in der Melodie. Was sich hier langweilig anhört, entfaltet beim Hören eine hypnotisierende Wirkung. Wenn Darkthrone dann doch einmal in ein neues Riff wechseln oder eine Passage mit minimalem Aufwand leicht verändern, seien es Fetzen von Keyboardsounds oder ein kurzer Schlagzeugbreak, eröffnen Sie neue Pfade, die nur tiefer in die dunklen Abgründe des Albums führen.

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Mehr als alles andere ist aber Transilvanian Hunger eine Demonstration der Stärke von Reduktion. Sogar das Cover des Albums ist sehr minimalistisch gehalten. Es zeigt ein kontrastreiches schwarz-weiß Foto des mit Corpsepaint bemalten Frontmannes Gylve „Fenriz“ Nagell. Sein Mund ist zu einem Schrei geöffnet und in seiner Hand hält er einen brennenden Kerzenleuchter. Man erkennt zwar einige Tattoos und die zwei umgedrehten Kreuze, die er um den Hals trägt, aber der Großteil seiner Erscheinung wird von der Dunkelheit verschluckt.

Es macht durchaus Sinn, dass Fenriz auf dem Cover abgebildet ist, da er das Album fast im Alleingang geschrieben und eingespielt hat. Er spielte nicht nur Gitarre, Bass und Schlagzeug, sondern produzierte und mischte das ganze Album innerhalb von zwei Wochen, bevor Nocturno Culto den Gesang beisteuerte. Die Texte sind, bis auf den Titeltrack und „As Flittermice as Satans Spys“, allesamt in Norwegisch verfasst. Nicht, dass das viel ausmachen würde: Viel wichtiger als die Bedeutung der Lyrics ist die grauenvolle Atmosphäre, die der Gesang verbreitet. Sie haben viel mehr gemein mit den nachhallenden Schreien gequälter Seelen als mit irgendeiner Art von politischer Tirade—was auch gut so ist, da (und hier kommt der Punkt, an dem Darkthrone anfangen, Menschen zu verschrecken, die etwas auf politische Korrektheit geben) dem Album ein nationalistischer Grundton zugrunde liegt, der den Black-Metal-üblichen Hass auf jegliche Form von Religion überschreitet.

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Nicht nur wurden die Texte für vier Songs von Varg Vikernes verfasst—dem hetzenden, antisemitischen Brandstifter, der Euronymous von Mayhem ermordete und Black Metal in einen Medienzirkus verwandelte—, sondern auch auf dem Backcover prangte der Schriftzug „Norsk Arisk Black Metal“—zu Deutsch „Norwegischer arischer Black Metal“.

In dem Pressetext zu der Veröffentlichung des Albums schrieben Darkthrone außerdem: „We would like to state that Transilvanian Hunger stands beyond any criticism. If any man should attempt to criticize this LP, he should be thoroughly patronized for his obviously Jewish behavior.” (zu Deutsch: „Wir möchten klarstellen, dass sich Transilvanian Hunger jeder Kritik entzieht. Sollte es irgendjemand wagen, diese LP dennoch zu kritisieren, sollte er wegen seines offensichtlich jüdischen Verhaltens herablassend behandelt werden.“)

Obwohl nicht lange diskutiert werden muss, dass derartige Aussagen komplett abzulehnen sind, ist es nicht ganz unmöglich nachzuvollziehen, auf welchem Mist so etwas gedeihen konnte—vor allem wenn man das junge Alter der Darkthrone-Mitglieder zu der Zeit und die Beschaffenheit der damaligen Black-Metal-Szene miteinbezieht. Zuerst einmal war Vikernes eine der Schlüsselfiguren der Black-Metal-Szene und genoss neben Euronymous das meiste Ansehen im sogenannten Svarte Sirkel (schwarzer Kreis). Dieser bestand vor allem darin, dass sich Szenemitglieder in Euronymous’ Plattenladen Helvete trafen, sich betranken und über Philosophie, Politik und Musik palaverten. Man half sich auch mal gegenseitig bei den unterschiedlichen Projekten aus. Letztendlich führten die Treffen des Svarte Sirkel dazu, dass sich einige Mitglieder dazu entschieden, Kirchen anzuzünden. Dieses war auf der einen Seite Ausdruck ihrer Verachtung für das Christentum, auf der anderen Seite stellte es einen Protest gegen die Verdrängung der heidnisch-nordischen Kultur dar. Die ganze Bewegung fruchtete vor allem auf Hass gegen die etablierten Religionen, also ist es nur logisch, dass die Black-Metal-Pioniere Juden gleichermaßen wie Christen hassten.

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Antisemitismus scheint darüber hinaus ein langlebiges und weitverbreitetes Phänomen in Norwegen zu sein. Das politische Magazin Standpoint berichtete, dass der Judenhass in dieser Region schon vor dem zweiten Weltkrieg grassierte und inzwischen tief in der Kultur verwurzelt ist. Während des Holocaust wurden 750 der 2.100 Juden des Landes in Konzentrationslager gesperrt und Historiker haben belegt, dass viele Norweger während der fünfjährigen deutschen Besatzung mit den Nazis kollaborierten.

Diese judenfeindliche Einstellung färbte auch auf den Nachwuchs in den 40ern ab, und noch in den 1950er und ’60er Jahren hielten viele Juden ihre Religionszugehörigkeit vor ihren Klassenkameraden und Arbeitskollegen geheim. Aus Angst davor, dass die Diskriminierungen in Gewalt umschlagen könnten, wanderten, wie Standpoint berichtete, einige Familien nach Israel aus. Wenn man sich ansieht, wie in der norwegischen Kultur und sogar der Unterhaltungsindustrie auch heute noch die Ressentiments weiter angefeuert werden, ist leicht nachzuvollziehen warum. Erst 2008 sagte der beliebte Comedian Otto Jespersen in einer landesweit ausgestrahlten Fernsehsendung: „Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, all den Milliarden Flöhen und Läusen zu gedenken, die ihr Leben in den deutschen Gaskammern verloren haben. Sie hatten nichts Falsches getan, außer sich auf Menschen mit jüdischem Hintergrund niederzulassen.“

Man kann darüber streiten, ob Darkthrone die Ansichten von Vikernes oder Jespersen teilten, die Band versuchte sich jedenfalls umgehend an Schadensbegrenzung, nachdem sie von allen Seiten mit Kritik für ihre antisemitischen Äußerungen bombardiert worden waren. Im Zuge dessen schnitten sie sich jedoch nur weiter ins eigene Fleisch.

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„Darkthrone können sich für ihre Wortwahl nur entschuldigen,“ schrieben Fenriz und Nocturno Culto in einem Entschuldigungsbrief, der unfreiwillig aufzeigte, wie weit anscheinend Antisemitismus in der norwegischen Gesellschaft verbreitet ist. „In Norwegen wird das Wort ‚Jude’ häufig für etwas verwendet, das nicht funktioniert oder nicht stimmig ist. Wenn irgendetwas kaputtgeht, wenn etwas bescheuert ist, usw. … Wir hätten an der Stelle des Ausdrucks ‚jüdisches Verhalten’ in unserem letzten Pressestatement auch einfach nach den Regeln der norwegischen Sprache die Formulierung ‚bescheuertes Verhalten’ wählen können.“

Die Band führte weiter aus, dass sie nicht politisch sei und keine ihrer anderen Veröffentlichungen „rassistische/faschistische Äußerungen in irgendeiner Art enthielten.“ Als ähnliche Kontroversen dann auch in anderen Kreisen auftauchten, fügten Darkthrone die folgende Message ihrem 1995er Album Panzerfaust bei: „Darkthrone is certainly not a Nazi band nor a political band. Those of you who still might think so, you can lick Mother Mary's asshole in eternity.”

In den 20 Jahren, die seit der Veröffentlichung von Transilvanian Hunger vergangen sind, haben Darkthrone nur noch unpolitischen Krach unterschiedlichster Fasson (Metal-Punk, Black’n’Roll, NWOBHM) abgeliefert. Deswegen kann man vielleicht auch sagen, dass die beschissene Wortwahl, für die sich die Band 1994 entschieden hatte, um ihr Album zu bewerben und dann zu verteidigen, im Endeffekt die naive Wiederspiegelung einer hasserfüllten kulturellen Semantik war und weniger die persönliche Überzeugung der einzelnen Mitglieder. Heutzutage müsste vielleicht sogar Henryk M. Broder zustimmen, dass Transilvanian Hunger ein Meilenstein ist, dem unzählige Bands von Carpathian Forest bis hin zu Wolves In The Throne Room sein Gewicht in Blut schuldig sind. So einfach wie sein Aufbau auch ist und so primitiv es auch klingt, Transilvanian Hunger bleibt eins der perfektesten Beispiele für ehrlichen Black Metal ohne jeglichen Schnickschnack.

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John Wiederhorn ist auch so ein ehrlicher Typ ohne Schnickschnack. Folgt ihm bei Twitter: @LouderThanHell

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