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„Digger, du bist für meine Sozialisierungsprognose verantwortlich!“—Ein Tag mit der 187 Straßenbande

Bei der 187 Strassenbande​ ist Gangsta-Rap kein Fastfood-Entertainment für die Mittelschicht.

Er ist sauer und schreit: „Is’ bei dir noch alles richtig? Meine Frau..“. Der Rest geht im Straßenlärm am Hamburger Hauptbahnhof unter. Unser Nissan steht auf der rechten Spur, der rote Kombi des aufgebrachten Mannes blockiert den Weg. Eine Minute zuvor schnitt er uns und brachte uns so zum Stillstand. Ich habe keine Ahnung, was ihn so auf die Palme bringt, schätze aber, dass es irgendwas mit dem Böller zu tun hat, der Sekunden zuvor neben seinem Auto explodiert war. Weil wir mit dem aber nichts zu tun hatten, watschelt der junge Mann wenig später beflissen ab. Wir fahren weiter und stoppen an der nächsten Ampel neben einem silbernen Mercedes CL 500, Autokennzeichen: HH-XL 187.

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Bonez MC kurbelt das Fenster herunter und grinst ein Junger-Tunichtgut-Grinsen. „Seid ihr das mit dem Böller gewesen?“, fragt Patrick, Label-A&R der 187ers. Bonez grinst, dann qualmen die Reifen. Die nächste Ampel nimmt der im Sonnenlicht glänzende Benzer, in dem außerdem der 187-Rapper Sa4 und Gang-Kumpel Hamudi sitzen, nonchalant bei Rot. Der Nissan brettert hinterher. Es ist 13 Uhr am 09. Juni 2015, dem Tag der ersten gemeinsamen Show der 187 Straßenbande mit dem Wu-Tang Clan.

Wu-Tang und 187? Das wirkt nur auf den ersten Blick merkwürdig. In Wahrheit hat die Bande mehr mit der wichtigsten Wahlfamilie der HipHop-Geschichte gemein, als man denkt. Als der Clan einst Eastcoast-Gangsta-Rap aufmischte, lag das schließlich nicht nur an Crew-Alben wie Enter the Wu-Tang: 36 Chambers. Eine so überlebensgroße Marke wurde das Wu auch deshalb, weil gleich mehrere seine Mitglieder damals hervorragende Soloplatten veröffentlichten: RZA, ODB, Ghostface, Raekwon und Method Man waren allesamt auch ohne die Familie aufregende Künstler mit Talent und Klasse.

Hamudi

Ganz Ähnliches hat offensichtlich auch 187-Chef Bonez vor. Als sein Kollabo-Album mit Gzuz (High & Hungrig) im Frühjahr 2014 aus dem Nichts in die Top 10 der Charts ging, wäre der logische nächste Schritt wohl eine Bonez-Soloplatte gewesen, die ziemlich sicher mindestens in den Top 3 gechartet wäre. Bonez entschied sich dagegen, nahm sich selbst zurück und drückte dafür seine Jungs in den Vordergrund. In den Folgemonaten drehte er, der die meisten 187-Musikvideos (und -Blogs) tatsächlich selber macht, unter anderem Clips für Maxwell („Freitag“) und den bisher größten Straßenbande-Hit „Schnapp“ von Gzuz und LX. Letzterer legte dann im vergangenen Dezember mit „Compton“ nach:

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„Abpacken, Schnapp machen, rausgehen, Kroko tragen, 187 Promophase—Nie mehr auf dem Boden schlafen!“—LX

120 Euro? Viel zu wenig!

Diese ersten Song-Zeilen fassen den 187-Kosmos perfekt zusammen. Die Texte der Straßenbande erzählen vor allem vom Rand der Gesellschaft, von Tickereien und von Schlägereien. Der Glamour, mit denen Rapper von Kollegah bis Xatar üblicherweise das Kriminellen-Leben beschreiben, geht ihnen dabei allerdings völlig ab. Die impressionistischen Straßenerzählungen der 187er klingen im Gegenteil vor allem bitter und wenig spaßig. Das Wappentier der Straßenbande ist das Lacoste-Krokodil. Es steht für den gemeinsamen Lifestyle genau so wie für das erklärte Ziel der Straßenbande: Raus aus der Armut, weg vom Bodensatz der Gesellschaft!

Der Plan scheint aufzugehen: Nach High & Hungrig stürmte die Crew-Platte Der Sampler 3 Anfang 2015 bis auf Platz Zwei. LX und Maxwell stehen derweil bei der immer größer werdenden Fangemeinde der Straßenbande genauso hoch im Kurs wie Bonez und Gzuz.

„25 Jahre in der Scheiße gewühlt, mein Empathie-Gefühl leicht unterkühlt“—Gzuz

LX

Nach einer knappen Dreiviertelstunde halten wir in der Hamburger Peripherie. Bonez und Hamudi sind auf dem Weg ausgestiegen, irgendwas besorgen. Hier, direkt hinter einem Einkaufszentrum in einer mittelmäßig in Schuss gehaltenen Platte, wohnt LX. Ganz in der Nähe, in Osdorfer Born, einer von Hamburgs größten Satellitenstädten, wuchs er in den Neunzigern auf. In seinen Texten ist die Siedlung, hinter dessen Ende direkt die Pampa beginnt, vor allem Umschlagplatz für illegale Substanzen. Heute lebt LX, der mehrere Jahre lang keinen festen Wohnsitz hatte, diverse Ausbildungen abbrach und sein Leben bereits als unwiderruflich gescheitert ansah, als Bonez ihn zu 187 holte, immer noch ganz in der Nähe.

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Im Vergleich zum bis dato eher wortkargen Bonez wirkt LX beinahe hyperaktiv. Sein Gesicht verrät, dass er bereits genug Schlechtes erlebt hat. Sein Outfit hingegen zeigt, dass es ihm heute besser geht: Wie in jedem seiner Musikvideos, trägt er einen Trainingsanzug von Lacoste (er liebt die Marke so sehr, dass Bonez und seine Ex-Freundin ihm mal zum Geburtstag eine Krokodil-Torte geschenkt haben), dazu eine silberne Panzerkette, einen Bauchbeutel und auf dem Rücken einen Luis Vuitton-braunen Allover-Logo-Rucksack der Luxusmarke MCM. An den Füßen hat er blütenweiße Haifisch Nikez, jene brutal modern aussehenden Laufschuhe, denen die Straßenbande bereits eine Hymne gewidmet hat.

In den wenigen Momenten, die wir vor seiner Platte verweilen, erzählt LX viel: „Ihr kommt aus Berlin? Früher wollten wir da ja hinfahren und den (Royal) Bunker stürmen, damit die uns ‘nen Vertrag geben, weil es in Hamburg nur Samy Deluxe gab und der hat sich nicht für uns interessiert“, sagt er und wedelt danach mit einer Grasknolle: „Digger, ich muss heute erst mal drei Dinger rauchen, bis ich klar komme. Gestern konnte ich gar nicht schlafen, wegen so richtig dreckigem Haze“, erzählt er weiter. Außerdem hat LX 120 Euro in der Tasche; zu wenig, findet er. An Sa4 gewandt fragt LX: „Wie viel hast du dabei? Du hast doch bestimmt wieder 8 Scheine dabei!“. Der Angesprochene verzieht keine Miene und zuckt mit den Achseln—wir steigen wieder in unsere Autos. Nächster Stopp: McDonalds.

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Wir kaufen MC Chicken und Cola, anschließend verquatschen wir uns auf dem Parkplatz. „Du bist für meine positive Sozialisierungsprognose verantwortlich“, sagt LX zu Labelmanger Patrick. Anschließend erzählt er, wie er einmal aufhören wollte zu kiffen: „Ganz schlimm, Digger. Ich vergess’ alles, wenn ich nicht rauche. Wetten, ich kiffe mehr als Method Man“, sagt LX und fügt an: „Ein kluger Kopf bin ich ja trotzdem. Digger, ich rapp’ dir Zitate von Dendemann von vor 20 Jahren besser vor, als der selber es könnte.“

Zurück im Auto, fahren wir weiter ins Zentrum Hamburgs. In unmittelbarer Umgebung einer der wohlhabendsten Gegenden der Stadt haben sich ein paar braune Klinker-Sozialbauten gehalten. Dort halten wir, um nun auch noch Gzuz einzusammeln. Ein junger Mann kommt vorbei, sieht LX, klatscht mit ihm ab und fragt nach Obst. Die beiden gehen für einen Moment ums Eck, währenddessen klingeln wir Gzuz nach unten. Der begrüßt mich freundlich: „Du hast doch letztens erst das Interview mit mir und Bonez gemacht!“ und lobt, als er von meinem neuen Arbeitgeber erfährt, die Noisey Atlanta-Doku. Wie der symphytische 27-Jährige für mehrere Jahre im Gefängnis landen konnte: unerklärlich. Nur die Texte von Gzuz verweisen auf die Kehrseite seiner Medaille:

„Extrem, so gewaltbereit, zu jeder Tageszeit hab‘ ich ein Eisen bei!“—Gzuz

Gzuz

Gzuz trägt seine Strophen noch ignoranter, aggressiver und hungriger als seine Kollegen vor; mutmaßlich im Herbst soll endlich sein Soloalbum erscheinen. Wenn seine Strophen auf 187-Videosingles wie „Haifisch Nikez“ und „Kein Problem“ den Weg dafür vorgeben, dürfte die Straßenbande mit dieser Platte endgültig den Rap-Mainstream erobern. Kein anderer Deutschrapper wirkt momentan so hungrig wie er, der in seiner Zeit im Bau der Liebling der 187-Fans wurde, weil Bonez zu jeder Gelegenheit „Free Gzuz“ rief. Das Kiffen hat er als einziger in der Bande aufgegeben, im Studio sei Gzuz momentan der Fokussierteste, wie die anderen erzählen.

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„Maxwell 187, 93er-Jahrgang, früh aufgewachsen mit 'ner teuflischen Ader!“—Maxwell

Maxwell

Aus dem fünfköpfigen Kern der 187ers fehlt nun nur noch Maxwell, den wir erst hinter der Open Air-Bühne am Stadtpark Hamburg treffen. In den Youtube-Clips der Straßenbande blieb er in den letzten Wochen verschollen. Unter anderem das obligatorische Unboxing-Video für die Obstand-Fanbox in Form einer Obstkiste bestritt LX alleine. Gerüchte machten die Runde, Maxwell befinde sich im Gefängnis. In Wahrheit, wie ich von ihm selbst erfahre, war der 21-Jährige in den letzten Wochen mit einem Kumpel in Spanien. Als die Securitys ihn in den Backstage lassen, ist sein rechter Arm eingegipst. Ein im Suff gebrochener Finger, nichts weiter.

Weitere Freunde der 187er treffen ebenfalls ein: Die Freundin von Bonez, ein Rapper namens Capuz, der dank Dreads, Grills und schwarzen Pupillen ziemlich einschüchternd wirkt, ein zugehackter Riese mit Einprozenter-Schriftzug auf dem Sweater und Frost, ein namhafter Hamburger Writer, der bereits Teil von 187 war, als die Bande auf den Straßen Hamburgs vor allem als gefährliche Graffiti-Crew bekannt war. Das Management hat derweil eine Handvoll Flaschen Jägermeister, Wodka und Cola besorgt. Drinks werden konsumiert und Joints gerollt. Der Soundcheck kommt und geht ohne nennenswerte Ereignisse, der Wu-Tang Clan lässt auf sich warten. Ein Catering fehlt ebenfalls, deshalb bestellt die ganze Mannschaft von der schmalen Support Act-Gage Ente-Erdnuss und Frühlingsrollen.

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Vor den Stadtpark-Besuchern, die gerade so langsam vor der Bühne eintrudeln, haben die 187er trotz Heimvorteils einen schweren Stand. Offensichtlich haben die Liebhaber der alten Schule, die für ihre Tickets heute Abend über fünfzig Euros berappen mussten, den Schuss nicht gehört. Gut möglich, dass der eine oder andere sich sogar ein wenig einkackt, schließlich wirkt ein Gangsta-Rapper direkt bedrohlicher, wenn er offensichtlich aus der eigenen Nachbarschaft stammt. Gzuz und Bonez nehmen’s gelassen, LX hingegen wirkt etwas gepisst und Maxwell schlurft ebenfalls eher demotiviert über die Bühne. Nur als Hamudi neben der Bühne ein Bengalo zündet, tauen beide einen Moment lang auf und rappen ihre erste Albumsingle „Außer Kontrolle“:

„Diese beiden sind wieder mal außer Kontrolle, saufen die Chivas und rauchen die Knollen. Egal welcher Tag, denn das spielt keine Rolle, wir kommen, das Ziel ist die Sonne.“—LX & Maxwell

LX

Womit auch der Inhalt von Obststand, dem heute erschienenen Kollabo-Album von LX und Maxwell, auf den Punkt gebracht wäre. Neue inhaltliche oder musikalische Ebenen fügen LX und Maxwell dem Genre Gangsta-Rap nicht hinzu. Viel mehr ist ihr Album eine Rückbesinnung auf bewährte Genre-Tugenden: LX und Maxwell sind „fixiert auf die lilane Rolle“, „rollen auf Zwannies“ und merken „dank der Sitzheizung von der Kälte nichts“. Auf den zweiten Blick hintergründige Zeilen wie die letzte sind es, die der Platte über die ballernden Beats von 187-Hausproduzent Jambeatz und die plakativen Ansagen der Interpreten hinaus Tiefe geben.

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So tragen LX und Maxwell ihre kleinkriminelle Vergangenheit zwar mit stolzgeschwellter Brust vor sich her, allerdings ohne sie zu verherrlichen. „Damit das klar ist: dieses Leben ist nicht geil“, erzählt LX im Interview. Was er damit meint, zeigt wiederum Maxwell in seinem Solo-Stück „N.I.G.G.A.“: „Mit einem Bein im Knast, ist mir egal, ich hab wieder bis zur Frist nicht bezahlt“. In der Realität hat das Leben der meisten jungen Männer aus Deutschlands Sozialbauvierteln offenbar wenig mit mafiösen, gut verdienenden Großfamilien zu tun—anstattdessen ist es vor allem für’n Arsch: Du hast kein Cash und keine Perspektive, also kiffst du. Dafür brauchst du Geld, also tickst du. Das Ticker-Leben besteht vor allem aus Hektik, also kiffst du noch mehr—und tickst noch mehr auf Hektik. Diesen verflixten Teufelskreis beschreibt kaum jemand so eindringlich wie die 187 Straßenbande.

Das nächste Russisch Roulette ist Obststand dennoch nicht. Es klingt zwar roher und damit eindringlicher, gleichzeitig fehlt der Platte so etwas wie eine durchgehende Narrative und etwas mehr inhaltliche Abwechslung. Ergo: Obststand ist ein aufregendes Debütalbum mit Ecken und Kanten, aber trotzdem vielen herausragenden Songs. Neben den beiden großartigen Solo-Stücken von LX und Maxwell sind es vor allem Crew-Tracks wie „Haifisch Nikez“, die im Hörgang kleben bleiben. Überhaupt bleibt die größte Stärke der 187er der familiäre Zusammenhalt, der fast schon kommunistische Züge aufweist.

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„Wir sind eine Familie, Digger. Verstehst du?“—Gzuz

Bonez MC

Bonez MC ist und bleibt zwar intern Chef und Mastermind der 187 Straßenbande, aber versteht seine Rolle nicht als Ego-Projekt, sondern offenbar auch als quasi-karikative Arbeit. LX beispielsweise erzählt mir im Interview, dass Bonez ihn aus einem tiefen, psychischen Loch rettete, indem er ihn als 187-Rapper aktivierte. Aus dieser Haltung heraus ist bei der Straßenbande ein familiäre Gefüge entstanden, das jedem der Mitglieder Halt gibt, das autarke Phänomen 187 gegenüber der von Neid dominierten HipHop-Szene abschirmt, Egomanie verhindert und die Falltüren der Musikindustrie auf Distanz hält.

Der Wu-Tang Clan müsste über diese Probleme ganze Alben schreiben können. Als er kurz vor Stagetime endlich im Backstage eintrudelt, fehlen RZA, Method Man und Raekwon. Der Rest schlurft gelangweilt durch die Gegend und ignoriert die Straßenbande. Einzig U-God sagt kurz Hallo, schnorrt sich Feuer und setzt sich dann mit dem Blunt in der einen und einer Flasche Armand de Brignac-Champagner (Marktwert: 380 EUR) in der anderen, alleine an einen Tisch. Auf wie neben der Bühne wirkt der Clan an diesem Abend desolat, eine Versammlung von vom Showgeschäft gebrochenen Männern in ihren Vierzigern, die sich und der Welt nichts Neues mehr zu erzählen wissen.

Stillleben: Glückskeks & Sportzigarette

Ob die 187 Straßenbande irgendwann ähnlich kaputt gehen könnte? An diesem Abend ist das kaum vorstellbar. Zumindest LX ist es eh egal. Gerade noch war er für einen Moment in den Backstage-Raum des Wu-Tang Clan verschwunden. Jetzt steht er vor uns und wedelt mit zwei Zwannis. Er grinst und die anderen lachen. Am Ende des Abends hat LX 180 Euro in der Tasche.

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