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„Im Sitzen kann man nicht auflegen“—Eine Fahrt auf dem ‚Momento Drive’ mit Rebolledo

Rebolledo hat als Teil der Pachanga Boys Plattensammler in den Wahnsinn getrieben, gerade erschien auf Kompakt sein neues Mix-Album.

Mauricio Rebolledo ist der ungestüme mexikanische Disco-Visionär, der 2009 half, mit einem Kumpel das Cómeme-Label ins Leben zu rufen, bevor er sich dann aufmachte und als eine Hälfte der gefeierten Pachanga Boys in ferne Welten vordrang—der ungewöhnlichen aber unglaublich fruchtbaren Zusammenarbeit mit Aksel Schaufler alias Superpitcher. Ursprünglich aus Xalapa stammend ließ Rebolledos überaus erfolgreiche Karriere als Producer treibender, psychedelischer Tracks kaum eine andere Wahl, als nach Köln zu ziehen, der Heimat von Kompakt. Dort lieferte er 2012 sein beeindruckendes Debütalbum Super Vato ab—eine Sammlung finsterer Dancetracks, die klingen wie eine drogeninduzierte Neu-Interpretation von Giorgio Moroders „The Chase".

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Inzwischen lebt er mit seiner Freundin in Paris und hat gerade eine Mix-CD mit dem Titel Momento Drive auf Kompakt rausgebracht. Darauf zeigt er, warum er zu den abenteuerlustigeren Produzenten dieser Tage zählt—sei es mit eigenen Tracks (dem ungeschliffenen „Windsurf, Sunburn And Dollar"), Remixen (seiner radikalen Reduktion von Red Axes „Camino di Dreyfus") oder einigen persönlichen Lieblingsstücken (Barnts beklopptes „Is This What They Where Born For?"). Der Schlüssel zu Momento Drive ist Rebolledos unwiderstehlicher Flow—sein Stil den er selber „the tunnel" nennt. Wenn er dich einmal in seinem Groove gefangen hat, weißt du vielleicht nicht sofort, wohin die Reise gehen wird—aber du kannst dir sicher sein, dass du einiges erleben wirst.

Piers Martin traf Rebolledo in London, um über seinen neuen Mix, Porsches, das Hippie Dance-Label und Gesang unter Dusche zu sprechen.

THUMP: Bevor wir uns über deine Musik unterhalten, lass uns über das Cover von Momento Drive sprechen.
Rebolledo: Ja, es war wirklich witzig, das Foto zu machen. Vor zwei Jahren war ich für ein Festival in Tokio und ging in diesen Plattenladen in Shibuya. Ich ging die Psychedelic Rock-Abteilung durch und stieß auf dieses wirklich coole Album Wally On The Road von einem philippinischen Künstler Namens Wally Gonzales. Das Cover hat mich wirklich umgehauen. Es hat lauter Elemente, die ich Liebe: die Ästhetik von 70er Jahre, die Motocross Maschine …

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Ist das dein Motorrad in dem Bild?
Nein, das habe ich mir geliehen. Mein Bruder half mir dabei, es zu finden. Er ist früher selber Motocross gefahren. Er ist lange Zeit Rennen gefahren und ich habe ihn jedes Wochenende dahin begleitet, so wie ein Caddy. In der ersten Hälfte der 90er war ich dabei total involviert. Ich unterstützte ihn, wie ich nur konnte, und fuhr mit ihm quer durch Mexiko zu den Rennen. Ich selber war allerdings nie ein Rennfahrer. Was ich an dem Wally Gonzales-Album auch noch super finde, ist der Porsche, der daneben steht. Ich mag Porsches einfach wirklich gerne. Den Titel für die Mix-CD hatte ich schon lange im Kopf und dann entschied ich mich dafür, das Wally Conzales-Cover mit meinem eigenen Auto und einem geliehenen Bike nachzubilden.

Das ist also dein Porsche auf dem Bild?
Ja, das ist ein 911er von 1974.

Das Auto, von dem jeder kleine Junge träumt …
Genau.

Hast du ihn dir von den Pachanga Boys-Gagen gekauft?
Haha, ich habe ihn mir gekauft, bevor das mit Pachanga Boys abging. Das war 2012, kurz bevor Super Vato erschien. Ich war damals ziemlich komisch drauf, aber ich dachte mir „Komm schon, ich sollte fröhlicher sein—mein erstes Album kommt gerade raus. Ich werde mir selbst ein schönes Geschenk machen." Ich wollte schon immer einen alten Sportwagen haben, also habe ich mich dafür entschieden. Momentan kümmert sich mein Bruder in Xalapa um ihn.

Eine Mix-CD ist in diesen Tagen eigentlich nicht so angesagt …
Auf eine Weise hast du Recht, aber ich finde, dass es eigentlich ein wirklich schönes Format ist, das in dem ganzen Informationsstrudel untergegangen ist. Ich bin der festen Überzeugung, dass es etwas wirklich Besonderes sein kann, wenn du es richtig angehst. Natürlich gefiel Kompakt die Idee und sie vertrauten mir dabei voll und ganz. Der Mix ist etwas düster geworden—es hat etwas davon, in einen Tunnel zu fahren: dieses hypnotische, treibende Gefühl. Das war auch mein Ansatz dahinter. Michael Mayer, einer der Kompakt-Chefs, sagte mir, nachdem ich ihm den Final Mix geschickt hatte: „Obwohl es ein Mix ist, hört und fühlt es sich an wie ein Album. Es hat die ganze Story in sich." Es ist ein riesiges Kompliment, so etwas von ihm zu hören.

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Die Idee hinter diesem Mix war, das zu spielen, was ich auch in meinen Sets spiele. Ich kümmerte mich nicht darum, ob es die neusten Tracks sind oder ob ich auch den ‚Sound von heute' einfing. Ich spiele einfach persönliche Klassiker, die ich schon seit zehn Jahren höre—so wie „Pork Chop Express" von Love Supreme und „Homogen" von Justus Köhncke. Der erste und letzte Track sind von Wally Conzales. Das ist auch cool, weil die Platte aus dem gleichen Jahr stammt, in dem ich geboren wurde, 1978. Mir gefällt der Gedanke, dass die Musik in dem Mix so alt ist wie ich.

Warum hast du es Momento Drive genannt?
Es ist eine Art Wortspiel. „Momento" bedeutet auf Spanisch einmal Zeitpunkt, aber gleichzeitig auch den Impuls in der Physik und beim Fahren. Mir ging es um das Gefühl der Bewegung, des Kreierens. Das war immer schon mein Ansatz beim DJing. Es geht nicht wirklich darum, gute oder coole Musik zu spielen. Es geht darum, Momente zu schaffen. Das ist auch der Grund, warum ich angefangen habe, Musik zu produzieren. Eigentlich war ich daran nie wirklich interessiert. Ich war ganz zufrieden, DJ zu sein. Aber ich wollte immer bestimmte Momente auf dem Dancefloor erzeugen. Irgendwann kam ich an den Punkt, an dem ich das Gefühl hatte, dass mir einfach die Musik ausgegangen ist, die ich brauche, um diese Momente zu erschaffen.

Pachanga Boys ist eine Zusammenarbeit von zwei Menschen, die nicht unterschiedlicher sein könnten—einem versteiften Deutschen und einem wilden Mexikaner—die sich aber wunderbar gegenseitig ergänzen. Was passiert, wenn ihr beide aufeinander trefft?
Das sagen wir selber immer. Wir sind wirklich sehr unterschiedlich, aber in manchen Punkten passen wir wirklich super zusammen.

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Ihr habt beide diesen trippigen „Tunnel"-Stil in euren Produktionen.
Und trotzdem ist Superpitcher ganz anders als Rebolledo, und beide sind noch mal anders als Pachanga Boys.

Wie habt ihr euch kennengelernt?
Ich habe Aksel vor sieben Jahren in Mexiko kennengelernt, als ich Resident in diesem Club Santanera in Playa del Carmen war. Zu der Zeit kamen viele Leute rüber, um bei uns zu spielen, auch die Kompakt-Crew. Und an einem Silvester kam Aksel zusammen mit Michael Mayer, um auf einer anderen Party zu spielen. Ich traf sie dort, Aksel und ich verstanden uns sofort super und wir wurden Freunde und blieben in Kontakt. Er kam oft rüber und wohnte dann bei mir. Dann fing ich an, Köln zu besuchen. Die Freundschaft hatten wir schon lange, bevor wir überhaupt darüber sprachen, etwas zusammen zu machen.

Und dann eines Tages—und diese Geschichte ist wahr—sang ich unter der Dusche, als ich bei ihm in Köln zu Besuch war. Als ich raus kam, lachte er und sagte „Wow, ich bin beeindruckt." Er war gerade dabei, sein Album Kilimanjaro fertigzustellen, das war ungefähr 2010; und er fragte mich, ob ich nicht auf einem seiner Tracks singen möchte. Ich sagte, „Ja, klar." Als wir dann so rumtüftelten, fing er an, ein Instrument auszuprobieren, und ich begann, zu singen—und er nahm das auf. So ist der erste Pachanga Boys-Track entstanden, „Fiesta Forever".

Ihr habt dann euer Label Hippie Dance gegründet, das die Stimmung von Pachanga Boys eigensinniger und fremdartiger Welt wunderbar einfängt.
Zwei Jahre nach dem ersten Track entschieden wir uns dazu, Hippie Dance zu machen, um eine eigene Bildsprache und unsere eigene Pachanga-Welt zu erschaffen. Es hat wirklich Spaß gemacht. Und obwohl es nur ein paar Releases gab, ist es ein kleines Kultlabel geworden.

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Eure Platten sind auf 300 Exemplare limitiert und extrem gefragt—was auch erklärt, warum es bei Discogs eine Kopie von eurem 2011er Werk Girlcatcher für 499 Euro zu kaufen gibt. Werdet ihr die Platte irgendwann mal nachpressen?
Natürlich nicht! Es war ein riesiger Zufall, dass die Scheibe so groß geworden ist. Es ist ein richtiges Sammlerstück. Wir haben unglaublich viel Sorgfalt in das Design und die kleinen Geschenke gesteckt, die jedem Release beiliegen, deswegen wäre es wirklich nicht cool, einen Repress zu machen. Vor allem für die Leute, die es schon gekauft haben.

Pachanga Boys „Time" ist ein sechzehnminütiger, Gänsehaut erzeugender Serotoninflash. Der Track ist wohl zu einem der beliebtesten Set-Closer der jüngeren Vergangenheit geworden. Wie ist „Time" entstanden?
Aksel hatte ein paar Melodien gesammelt und überlegte, was man damit anfangen könnte. Dann fuhr ich nach Mexiko, machte ein paar Aufnahmen und hatte die Lyrics. Wir waren uns nicht sicher, ob der Track den Leuten wirklich gefallen würde, aber wir waren sehr zufrieden damit.

Was hat der Track nicht schon alles erlebt?!
Eine ganze Menge. Menschen aus der ganzen Welt schreiben uns kleine Nachrichten in der Art von, „Oh, dieser Track ist so besonders für mich wegen diesem und jenem", „Ich habe geweint, als er lief" oder „Ich habe meiner Freundin einen Antrag gemacht, als der Track gespielt wurde." Alle haben diesem Song so viele verschiedene Bedeutungen gegeben, das ist wirklich schön und überwältigend.

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Natürlich ist der Track auch für uns etwas Besonderes. Aber wir glauben auch, dass jeder besondere Track nur zu besonderen Momenten gespielt werden sollte. Es gibt unglaublich viele Male, an denen wir ihn nicht spielen, weil wir einfach finden, dass es nicht der richtige Moment dafür ist. Das kann auch zum Problem werden: Viele Menschen mögen ihn und sind dann angepisst, wenn wir ihn am Ende der Show nicht spielen.

Die Pachanga Boys sind bekannt für epische Sets. Letzten August habt ihr für 25 Stunden am Stück auf einer Party in Mexiko mit dem Namen Lost Track of Time gespielt, die auch im Internet gestreamt wurde. Wie konntet ihr so lange wach bleiben?
Das war wirklich hart, aber insgeheim wussten wir, dass wir das machen können. Man kann immer noch einen Track mehr spielen, wenn alles passt. Wenn noch Leute da sind. Wir kamen dort mit vier riesigen Boxen voll mit 400 Platten an, dazu hatten wir noch digitale Tracks und 7"es—wir hatten wirklich eine riesige Auswahl. Interessanterweise gab es eine Menge Tracks, die wir eigentlich spielen wollten, für die wir aber nicht genug Zeit hatten!

Wir hatten uns diese ganzen Songs für einen besonderen Moment gegen Ende des Sets aufgespart, aber dieser Moment trat nie ein. Ab der zweiten Hälfte des Sets spielten unsere Köpfe verrückt—Tagträume und so weiter. Ab einem gewissen Punkt schmerzten unsere Beine und unsere Rücken so sehr, dass wir nicht mehr stehen konnten. Diese Schmerzen waren wirklich furchtbar. Sie hatten uns Stühle angeboten, aber man kann im Sitzen einfach nicht auflegen. Die letzten fünf Stunden waren wirklich extrem. Es hat sich aber gelohnt. Das tut es immer.

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Rebolledo, Momento Drive, Kompakt, Vinyl / CD / Digital

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