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Deutsche Nutten wollen nicht zwangsgerettet werden

Ich war wirklich skeptisch, was den Beruf der Prostitution angeht. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Frauen freiwillig ihren Körper für Sex hergeben und bemitleidete sie. Doch dann war ich mit Domenica, Susanne, Liad, Undine und ein paar anderen...

Ein bisschen verstört es mich schon, als Domenica, die Escort-Dame mit dem Antlitz einer römischen Jungfrau, mit den Lippen gekonnt ein Kondom über ihre Erdbeer-Eistüte stülpt, während sie mir eloquent erklärt, warum Prostitution gelebter Feminismus ist. Aber eben nur ein bisschen. Dann schlucke ich heimlich meinen Respekt runter, nehme tapfer meine moralische Überlegenheit zusammen und spendierte der offenbar verblendeten Sex-Sklavin eine Runde Mitleid.

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Zusammen mit einem guten Dutzend Kolleginnen hat Domenica sich vor dem Bundestag versammelt. Hier soll an diesem Nachmittag eine Gesetzesvorlage zur „Bekämpfung des Menschenhandels und einer besseren Kontrolle von Prostitutionsstätten" diskutiert werden.

Ich muss zugeben, dass es auch mir schwer fällt zu glauben, dass Frauen freiwillig die Beine für jeden X-beliebigen spreizen und ihnen der Job auch noch Spaß macht. Klar, sie verdienen ordentlich Kohle, aber dahinter steckt doch sicher irgendein Zwang, Trauma oder sonst eine unerklärliche Not, die sie in so einen Beruf zwängt, denke ich.

Dass sich die Regierung mit neuen Gesetzen um das Thema kümmern will, das verstehen die Prostituierten irgendwie anders. Sie regen sich stattdessen darüber auf, dass Menschenhandel mit Prostitution in einen Topf geworfen wird.

Jetzt verteilen sie draußen Kondome, Eiscreme und Flyer, auf denen sie die Begriffe abgrenzen. „Das eine ist ein Verbrechen, das andere ist Arbeit", sagt eine Kollegin von Domenica, die derzeit einen Verein für die Stärkung der Rechte von Sexarbeitern gründet. Sie tragen rote Schirme auf denen Botschaften stehen wie: „Proud Hooker" oder „we dont need to be saved." Klingt eigentlich fast so, als wollten sie einfach nur in Ruhe gelassen werden.

Aber die Regierung hat Sachverständige eingeladen, Sozialarbeiter, Rechtsanwälte und Kriminalbeamte, um gemeinsam im Bundestag über das Wohl der im Sex-Gewerbe tätigen Menschen zu entscheiden.

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Die, über die drinnen geredet wird, stehen draußen und haben ein Plakat gebastelt, auf dem „Wir sind alle Prostitutas" steht und das mich irgendwie kurz an das berühmte Emma-Titelbild „Wir haben abgetrieben" erinnert. Aber wen die wohl mit „Wir alle" meinen?

Es gibt tatsächlich fünf verschiedene Arten von Razzien, denen Sexarbeiter ausgesetzt sind, erklärt mir Alexa Müller von Hydra, der Berliner Hurenorganisation: Vom LKA, dem Arbeitsamt, der Steuerfahndung, der Polizei und der Kommune.

Alexa

Sie sieht ihre Rechte durch noch mehr staatliche Rettungsversuche gefährdet. Sie will mehr Rechte statt Verbote, damit sie sich als selbstständige Unternehmerin gegen die Willkür der Institutionen wehren kann. Wie viele hier hatte auch sie vorher einen ganz normalen Bürojob. Aber das hat ihr keinen Spaß mehr gemacht und so verkauft sie lieber ihren Körper. „Immer noch lieber als meine Seele."

Sie genießt ihre Freiheit und die kurzen intensiven Begegnungen mit Menschen und regt sich auf über diejenigen, die versuchen, sie zu stigmatisieren: „Wenn mir eine sogenannte Feministin sagt, dass sie besser weiß, was ich mit meinem Körper mache, dann kann ich ihr nur den Stinkefinger zeigen und fragen, was ist denn mit DIR und DEINER Moral, beschäftige dich doch mit dir selber, zeig nicht mit dem Finger auf mich!"

Domenica fachsimpelt derweil bei einem Erdbeer-Eis gutgelaunt mit ihrer Kollegin über die verschiedenen Geschmäcker der verteilten Kondomsorten. Sie wirkt entspannt und irgendwie ganz glücklich. Ich komme nicht drum herum, weiterhin skeptisch zu sein. Die Arme, denke ich, die weiß ja gar nicht, wie fürchterlich schlecht es ihr geht. Dabei ist sie doch so hübsch! Sie hätte es doch in Heidis Casting-Show versuchen können, eine Karriere als Model einschlagen, statt für Geld ihren Körper zu verkaufen.

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Aber  stattdessen erklärt sie mir, dass ja alle Menschen, die für Geld arbeiten müssen, sich prostituieren. Dann wettert sie gegen das Barbie-Dreamhouse und spricht was von sex-positivem Feminismus. Wie jetzt – ich dachte, echte Feministinnen ziehen sich vor Kameras aus und schreiben sich Botschaften gegen Prostitution auf ihre nackten Brüste.

Ich versuche, den wahren Grund für ihre Jobwahl zu funden: Sie studiert Psychologie und finanziert so ihr Studium. Na bitte, da haben wirs! Es sind die finanziellen Verhältnisse, die sie dazu zwingen! Zugeben will sie das freilich nicht, sagt: "Ich könnte ja auch einen ganz normalen Minijob machen, aber ich mag Sex und ziehe es eben vor, 400 Euro in einer Nacht statt in einem Monat beim Kellnern zu verdienen."

Hier komme ich irgendwie nicht weiter, mal umhören was die anderen so sagen.

Undine

Auch Undine gibt an, dass sie den Beruf freiwillig macht. Ich frage sie geduldig nach ihren „Gründen" für diesen Protest: „Ich bin heute hier, weil hier einige Politiker als Hilfe gegen Menschenhandel verkleidet versuchen, die eigenen moralischen Ansichten durchzudrücken. Nicht jede Prostituiere wird ausgebeutet, auch wenn es die Vorstellungskraft einiger Menschen übersteigt, dass jemand freiwillig Sexarbeit leistet. Ich kämpfe daher für mein Recht auf sexuelle Selbstbestimmung."

Ob sie sich denn nicht zum Objekt degradiert fühle, frage ich.

Sie lacht mir herzlich ins Gesicht und sagt: „Ich kann nicht nachvollziehen, inwiefern ich mich durch eine sexuelle Dienstleistung mehr zum Objekt mache als durch irgendeine andere Dienstleistung. Das liegt in der Natur des Dienstes."

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Die Kraft ihrer Argumente und ihr selbsbewusstes Auftreten blenden mich kaum und als sie mir von ihrem Physik-Studium und dem Diplom-Abschluss in ihrer Nachttischschublade erzählt, denke ich tapfer weiter, dass es eigentlich nicht ihre Traumjob sein kann. Stattdessen suche ich hinter den Büschen der Umgebung nach dem bösen Zuhälter, der sie in Wirklichkeit zwingt, hier anzutanzen.

Ich finde aber nur ein paar Touristen, die verschämt ein paar Bilder von dem bunten Hurenhaufen machen, und ein einsames Polizistenpärchen, dass nur gut auf die lieben Mädchen aufpasst.

Liad

Ich spreche die Mädchen auf die vielbeachtete Doku mit dem Titel „Sex – made in Deutschland" an, die einer  Empörungswelle neuen Schwung gab, auf der auch der aktuelle Gesetzesentwurf der CDU-FDP-Regierung surft. Ich frage sie, woran es liegen könnte, dass alle in Prostituierte entweder Täter oder Opfer sehen.

Domenica erklärt sich das so: "Die Gesellschaft braucht eben jemanden, den sie stigmatisieren kann, ob das Schwule sind oder Juden, Ausländer oder eben Prostituierte….

Also frage ich die anwesende queere israelische Prostituierte Liad. Und sie beginnt vielversprechend: „Ich habe das gemacht, weil ich das Geld brauchte." Na also, da kommen wir doch auf den Punkt. „Aber selbst wenn ich mein Land verlasse, weil es dort keine Arbeit gibt und selbst wenn ich hierher komme, weil Prostitution für mich gerade die beste finanzielle Option ist, heißt das noch lange nicht, dass ich ein Opfer von Menschenhandel bin."

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Susanne

Liad ist auch seit Jahren politisch aktiv und verarbeitet ihre Erfahrungen auch als Künstlerin. Über das angebliche Anliegen der Regierung, sie durch die vielen Sondergesetze nur schützen zu wollen, kann sie nur müde lächeln. Die Polizei ist für Liad alles andere als Freund und Helfer. „Ich glaube wirklich nicht, dass irgendeine Sexarbeiterin, die eine Razzia erlebt, die Polizei als ihre Beschützer wahrnimmt. Im Gegenteil: Polizei bedeutet Unterdrückung, Verfolgung, Angst. Prostitution ist auf dem Papier legal, aber der Staat tut alles, um den Frauen das Gefühl zu geben, vor ihm davonlaufen zu müssen."

Ihre Kollegin Susanne glaubt, die Prostituierten seien eben die Sündenböcke für alles, was in der Arbeitsmigration allgemein so schief läuft. Sie regt sich richtig auf, wenn sie auf Feministinnen zu sprechen kommt, „die haben von der Realität keine Ahnung, wenn sie sagen alle, Osteuropäerinnen seien Zwangsarbeiterinnen, so eine abgefuckte Diskussion, damit ficken die angeblichen Frauenrechtlerinnen doch den Frauen selber in den Arsch!"

Liliane

Auch wenn sie alle verschiedene Geschichten, Gründe und Erklärungen für ihre Berufswahl haben. Eines haben alle Protestierenden an diesem Tag gemeinsam: Es klingt so gar nicht nach Opfer, wenn sie erklären, was sie am meisten an ihrem Job schätzen: Ihre Freiheit.