Zu Besuch in einer georgischen Kraftkammer
Alle Fotos: Jermain Raffington

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blut in den augen

Zu Besuch in einer georgischen Kraftkammer

Stolz und Ehrgeiz lassen bei georgischen Kraftsportlern die Adern in den Augen platzen. Wir trafen Athleten, die trotz widriger Umstände über sich hinauswachsen.

Während meiner aktiven Basketball-Zeit in den USA hatte ich einen Mitspieler aus Georgien. Sein Name war George und immer wenn er sich vorstellte wunderten sich die Leute, überwiegend Amerikaner, wieso sein Englisch so schlecht war. Sie verbanden Georgia nicht mit der alten Sowjetrepublik, sondern mit dem amerikanischen Bundesstaat. Ein Hoch auf das amerikanische Schulsystem!

George erzählte häufig von seiner Heimat. Von der Landschaft, wie viel Wein jeder Georgier doch trinken konnte und dass ich diesem Land unbedingt einen Besuch abstatten sollte. „Du wirst es nicht bereuen!"

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Lange nach diesen Gesprächen sollte ich diesen Trip wirklich starten und ich befand mich im Flieger nach Georgien. Ich sollte zwei Wochen in diesem, von ihm so hochgepriesenen Land verbringen und war gespannt, ob es wirklich so war, wie er es beschrieb oder ob seine Erzählungen nur eine Anflug von überschwänglicher Vaterlandsliebe war. Bis auf seine Erzählungen war dieses Land, dass immer wieder von Erdbeben heimgesucht wird und ein massives Problem mit Separatisten im Norden hat, für mich nicht viel mehr als die Meldungen in den Nachrichten.

Um so mehr wollte ich dieses Land erkunden. Einer meiner Stopps auf meiner Reise war die Region Kakheti im Südosten des Landes. Sie ist nicht nur seit Jahrhunderten das Zentrum des georgischen Weinanbaus, sondern hat auch ein sehr angenehmes Klima und die wohl weiteste Landschaft, die ich bis jetzt gesehen hatte. Ich quartierte mich in der Stadt Telavi ein, eine Gegend, die immer wieder georgische Spitzen-Ringer und Kraftsportler hervorbringt.

Ich wollte Georgien kennenlernen, warum also nicht mit den zwei großen Traditionen des Landes beginnen? Wein und Sport.

Obwohl ich mir meine Interaktion mit den Einheimischen Anfangs schwierig vorgestellt hatte, sollte ich in den nächsten zwei Tagen einen Weltmeister im Gewichtheben vorgestellt bekommen, ihn mit seinen Kollegen beim Training beobachten können und während einer Trainingseinheit in Sambo und kakhetisches Ringen eingeführt werden.

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Um mehr über die Sporttradition in dieser Region zu erfahren, brauchte ich einen Übersetzter, da sich meine Georgisch-Kenntnisse auf „Danke" und „Hallo" beschränkten und ich noch nicht einmal mein eigenes Essen bestellen konnte. Auch mein Russisch war nicht viel besser. Zwar war ich mit einem Arsenal an Schimpfwörtern ausgestattet, die ich hier und da mal aufgeschnappt hatte, doch hätten mir diese wohl mehr Ärger eingebracht, als dass sie mir weiter geholfen hätten und so ließ ich es lieber gleich bleiben und versuchte mich mit Englisch durchzukämpfen.

Glücklicherweise war mit meinem Fahrer David jedoch schnell jemand gefunden, der englisch sprach. Dazu kam er aus der Region und hatte einen Sporthintergrund. Er erzählte mir, dass er, bis er zwanzig war, Rugby spielte, auch eine Sportart, die in Georgien von vielen Leuten gespielt wird. Eine Knieverletzung zwang ihn jedoch zum Aufhören. Heute, 25 Jahre später zeugen seine Schultern immer noch von den harten Trainingseinheiten, Scrums und Tackeln, die er während dieser Zeit erlebte. „Ich mochte schon immer physische Sportarten", erzählt er, als wir uns auf dem Weg zu seinem Auto machten. David schien ein wirklicher Glücksgriff zu sein, denn er kannte wirklich jeden in der Stadt. „Du willst Kämpfer sehen? Klar, ich kann dich zu ihnen bringen."

David liebte nicht nur Wein, sondern auch seinen Brandy

In seiner alten Mercedes-E-Klasse ging es also los. Durch den hektischen Stadtverkehr, in dem aus einer zweispurigen Straße oft einfach mal eine vier-spurige gemacht wurde und man sich häufig fast mit dem eigenen Gesicht durch die Frontscheibe des Autos fliegen sah, weil David wegen eines Schlaglochs auf der Straße eine Vollbremsung einlegte. Es ging vorbei an völlig überladenen Autos und Mashrutkas—kleine Minibussen, die neben dem Auto das Transportmittel Nummer Eins der Einheimischen sind. Unser Ziel: eine kleine Nachbarschaft am Stadtrand von Telavi. Im Schritttempo bogen wir in eine Seitenstraße ein. „This is it", sagte David, zog die Handbremse und zeigte auf das graue Gebäude vor uns.

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Auf unserem Weg entlang des langen dunklen Ganges, der in die Kraftkammer führte, schallte das Geräusch von Metalplatten, die auf den Boden geworfen wurden. Immer wieder war das Stöhnen der Trainierenden zu hören, die die Langhantel nach dem letzten Satz absetzten. Es roch nach Schweiß und unter dem Flackern des grellen Neondeckenlichts konnte man den grünen Farbton der Wände erahnen. Wahrlich nicht die optimalsten Trainingsbedingungen.

Auf einmal war ich mittendrin. David stellte mich einem Typen vor, dessen Augen blutunterlaufen waren. „Er hier hat einen Weltmeistertitel im Deadliften. 310 Kilo hat er gehoben", sagt David und klopfte ihm auf die Schulter. Die übrigen Jungs starrten mich an. Wahrscheinlich wunderten sie sich, was zur Hölle ich hier machen würde. Doch nach kurzer Erklärung von David trainierten sie weiter.

Es war ein Mix aus jung und alt. Sportler, die sich auf Wettkämpfe vorbereiteten oder einfach nur ihre Freizeit dort verbrachten um fit zu werden. Doch alle respektierten sich und halfen einander aus, wenn es darum ging, die Langhantel zu beladen oder sie vor dem Absturz zu bewahren.

„Die Leute trainieren hier kostenlos. Hier in Telavi gibt es nicht viel für die Jugend und da ist dieser Ort ein guter Platz, um die Jungs von dummen Gedanken fern zu halten", erzählte David. Georgien ist ein sehr gläubiges Land, das hatte ich mitbekommen. Natürlich war es dann auch nicht allzu ungewöhnlich, dass der Patriarch von Georgien, Gebetsketten und diverse gerahmte Bilder der heiligen Maria auf einem kleinen Altar direkt neben den 25 Kilo Platten aufgebaut waren.

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Auch der Nationalstolz ist in Georgien sehr stark ausgeprägt, das wusste ich schon von George. Deswegen war ich auch nicht allzu überrascht gegenüber des Altars eine große georgische Flagge zu sehen, die neben den gewonnenen Pokalen mit großer Sorgfalt angebracht war. Eins wurde mir bei meinem Besuch schnell klar: Stolz und Ehrgeiz waren definitiv etwas, dass vorhanden war in dieser kleinen Kraftkammer. Das hat mich gegen Ende meines Besuchs sehr beeindruckt und sogar ein bisschen nachdenklich gemacht. Ich begann Vergleiche mit der deutschen Jugend zu ziehen. Teenager, die in Fußballvereinen spielten, ausgestattet mit den neusten Schuhen. Jugendliche, die mehr Wert darauf legten, dass ihr Fitnessstudio eine Sauna hatte und einen ausgedehnten Wellnessbereich als vernünftige Geräte.

Hier konnte man froh sein, wenn man warmes Wasser hatte, doch die Athleten in dieser Kraftkammer störte das wenig. Vielmehr schien es sie anzuspornen. Manchmal sogar so sehr, dass sie mehr drückten, als ihr Körper aushalten konnte und dabei die Adern innerhalb des Auges platzten.

So verließ ich das kleine Gym und dachte mir, dass es für manche Kids vielleicht mal nicht schlecht wäre, zu sehen, wie Leute in anderen Ländern trainieren, um zu verstehen, wie gut es ihnen eigentlich geht. Vor allem, wenn man, wie hier oft üblich, von seinem Jugendtrainer alles nachgetragen bekommt.


In Teil zwei zeigt mir David die Sambo-Akademie von Telavi und ich bekomme Einblick in eine ihrer Trainingseinheiten. Ich treffe junge Kämpfer, die alle das Ziel verfolgen zu einem der besten Kämpfer des Landes zu werden.

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