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Zürich

Zürcher Randständige erzählen von ihren Erfahrungen mit der SIP

Am 12. Februar stimmt Zürich über die Zukunft der städtischen Initiative Sicherheit Intervention Prävention (SIP) ab.

Alle Fotos von der Autorin Das Stadtbild Zürichs in den 1990er-Jahren war weit von dem entfernt, wie wir es heute kennen. Viele Parks und öffentliche Anlagen waren damals in der Hand von Drogensüchtigen oder wurden von Prostituierten zur Arbeit genutzt. Andere Gruppen der Gesellschaft hielten sich an diesen Orten kaum auf. Um den öffentlichen Raum allen Menschen zugänglich zu machen und um Menschen aus sozialen Randgruppen zu helfen, entstand damals in der Stadtverwaltung die Idee einer mobilen Einheit unter dem Namen SIP (Sicherheit, Intervention und Prävention).

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Diese Einheit kombiniert seit einem Gemeindebeschluss aus dem Jahre 2001 soziale Arbeit mit Ordnungsdienst. Sie hat einerseits die Aufgabe, Menschen in Notsituationen zu helfen, zum Beispiel indem sie Informationen zu Übernachtungsmöglichkeiten für Obdachlose oder Sozialhilfebezug liefert und für Streitschlichtungen da ist. Andererseits muss sie aber auch eingreifen, wenn es zu Verstössen gegen die öffentliche Ordnung kommt, etwa bei Ruhestörungen. Die Vermischung von sozialen und ordnungsrechtlichen Aufgaben wird oft kritisch gesehen. Wie soll die SIP ihrer ordnungsdienstlichen Verantwortung nachkommen, wenn sie keine polizeiliche Befugnis hat? Wie sollen Betroffene der SIP vertrauen, wenn sie regelmässig Zurechtweisungen durch die Einheit erfahren?

Am 12. Februar können die Stadtzürcher entscheiden, ob sie einer Abstimmungsvorlage zustimmen, welche die Arbeit der SIP weiterhin ermöglicht und sie auf Basis einer neuen Rechtsgrundlage legitimiert. Die Vorlage sieht unter anderem die regelmässige Anwesenheit der SIP an Kontakt- und Anlaufstellen des Sozialdepartements und am Strichplatz in Altstetten vor. Die Arbeit der SIP betrifft dort vor allem Randständige. Wird die Abstimmungsvorlage von den Zürchern angenommen, werden demnach auch in Zukunft besonders Menschen aus sozialen Randgruppen regelmässig mit der SIP zu tun haben. VICE hat sich deshalb umgehört, was sie über die SIP denken und welche Erfahrungen sie mit der Einheit gemacht haben.

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Marco, 38

VICE: Hattest du schon einmal mit der SIP zu tun und wenn ja, wie findest du ihre Arbeit?
Marco: Weisst du, was SIP heisst? Spazieren im Park! (Marco zwinkert) Also ich war Gruppenführer im Park (sorgt bei Konflikten für Schlichtung innerhalb der Gruppe)  und hatte viel mit der SIP zu tun. Inzwischen bin ich nicht mehr so oft hier und sehe sie etwas weniger. Ich finde nicht alles sinnvoll, was die SIP macht, aber grösstenteils leisten sie einen guten Dienst.

Was stört dich am Dienst der SIP?
Es wäre besser, wenn die SIP die Polizei weniger miteinbeziehen würde. Wenn die SIP etwas sieht, das verboten ist, ruft sie sofort die Polizei. Zum Beispiel auch schon, sobald jemand kifft.

Hat dir die SIP schon mal konkret helfen können?
Jetzt brauche ich sie nicht mehr so viel. Als es mir schlecht ging und ich einen Schlafplatz brauchte, haben sie mir geholfen, einen zu suchen. Sie haben mir auch angeboten, eine Wohnung zu suchen.

Was ist daraus geworden?
Ich habe sie länger nicht mehr getroffen. Vielleicht frage ich mal nach.

Martin, 56, und Rasmus, 34

VICE: Was erwartet ihr euch von der SIP?
Rasmus: Die SIP soll mehr für die wirklich Obdachlosen da sein und nicht nur für die Sozialhilfeempfänger. Die sind zwar auch benachteiligt, aber wir haben es besonders schwer. Vor zwei Jahren gab es überall in den Trams Plakate als Werbung, auf denen ein Obdachloser mit einem Hund zu sehen war, in einem Heim. Seit ich meine Bude verloren habe, bekomme ich kein Zimmer in den Obdachlosenheimen wegen meines Hundes, der ist dort nicht erlaubt.
Martin: Wenn jemand alleine nicht zurechtkommt, dann sollte die SIP Unterstützung anbieten.

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Kann euch die SIP mit ihrer Kältepatrouille helfen?
Rasmus: Sie kommen schon vorbei. Aber vielleicht so zwei Mal im Monat, obwohl wir jeden Tag hier sind. Es wäre gut, wenn sie öfters kommen würden.
Martin: Es ist noch gar nicht so kalt. Weisst du, das Leben als Obdachloser ist gar nicht so anders. Du hast vielleicht eine Wohnung und so, aber du musst dich trotzdem organisieren. Das machen wir auch. Wir organisieren uns selbst, dann geht das auch mit der Kälte.

Die SIP soll in Zukunft auch in anderen Städten im Kanton eingesetzt werden. Wird das anderen Obdachlosen helfen?
Martin: Ich selbst brauche sie nicht. Aber es ist gut, wenn sie sich um Obdachlose kümmern.
Rasmus: Ich finde, das ist gut. Aber sie sollen dann auch wirklich Obdachlosen und auch ihren Hunden helfen.

Boba, 50

VICE: Wie findest du die SIP?
Boba: Sie sorgen für Ordnung, das ist OK. Ich habe aber nicht so gute Erfahrungen mit der SIP gemacht.

Was ist passiert?
Ich habe Personen auf der Strasse um Geld gefragt, damit ich mir etwas zum Essen kaufen kann. Die SIP ist gekommen und hat gesagt, das ist verboten. Dann hat jemand die Polizei gerufen. Sie sind gekommen und ich habe eine Busse von 470 Franken bekommen. Das ist viel Geld für mich. Ich habe nur 300 Franken im Monat zur Verfügung. Deshalb gehe ich ins Gefängnis, ich kann die Busse nicht bezahlen.

Glaubst du, die SIP hat die Polizei gerufen?
Ich habe nicht gesehen, wer die Polizei gerufen hat, vermute es aber.

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Hast du Angst davor ins Gefängnis zu müssen?
Schon etwas. Ich war bereits einmal zwei Monate im Gefängnis, weil ich eine Busse nicht bezahlen konnte. Es war schlimm, die Zellennachbarin war schlimm. Aber was soll ich tun? Ich muss um Geld fragen, um mir Essen und Trinken kaufen zu können.

Ewald, 50

VICE: Welche Erlebnisse verbindest du mit der SIP?
Ewald: Die SIP hat mir das Leben gerettet. Ich war im Winter im Sihlhölzli Park auf einer Bank mit einem Freund. Er ist gegangen und ich bin eingeschlafen. Ich weiss nicht, wie lange ich da gelegen habe. Die SIP hat mich gefunden und mich ins Spital gebracht. Die Ärzte meinten, dass meine Organe kurz vor dem Versagen waren. Ich habe sehr oft mit der SIP zu tun gehabt, mit der Zeit habe ich viele SIPler gut kennengelernt. Das Verhältnis zu ihnen ist freundschaftlich. Sie freuen sich mit einem, wenn man Fortschritte im Leben macht.

Was denkst du über die Zukunft der SIP?
Zu ihrer Anfangszeit war die SIP besonders für Randständige da. Heute ist sie bei Bedarf auch am Hauptbahnhof unterwegs. Dort muss sie sich um Jugendliche, Asylbewerber, gestrandete Arbeitssuchende und viele andere soziale Gruppen kümmern. Wenn jemand Müll auf der Strasse hinterlässt, ist sie auch dafür zuständig. Dieses breite Aufgabenspektrum finde ich wird zu viel. Die SIP sollte genauere Aufgaben für die Sicherheit im öffentlichen Raum bekommen.

Du hast Jugendliche angesprochen. Die SIP möchte sich neben Randständigen vermehrt um Jugendliche kümmern. Wie findest du das?
Dadurch, dass die Aufgaben der SIP so breit gestreut sind, verstehen viele Jugendliche nicht, dass die SIP neutral ist und Konflikte einfacher lösen kann als die Polizei. Das negative Bild, das viele von der SIP haben, sieht man zum Beispiel an den Brandanschlägen auf Autos der SIP. Generell kann die SIP meiner Meinung nach aber für alle Bewohner der Stadt den öffentlichen Raum angenehmer gestalten.

Ellie, 20

VICE: Was hast du für Erfahrungen mit der SIP gemacht?
Ellie: Die von der SIP sind meist hilfsbereite Menschen. Sie kommen manchmal vorbei und machen uns aufmerksam, wenn wir etwas tun, das nicht erlaubt ist. Sie erklären ausserdem, wo man Hilfe finden kann. Sie verteilen auch Büchlein mit Infos zu Sozialstellen, das ist nützlich.

Findest du alles, was die SIP macht, gut so, wie es ist – oder hast du Verbesserungsvorschläge?
Manche Beamten von der SIP sind unfreundlich und reagieren auch so, wenn man etwas macht, das man nicht sollte. Zum Beispiel wenn die Hunde nicht an der Leine sind. Die meisten von der SIP sind aber freundlich. Glaubst du, es ist gut, dass die Stadtverwaltung den Auftrag der SIP verlängern möchte
Ja, auf jeden Fall. VICE auf Facebook.