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„Tough, sexy, mitsummen“—Martyns neues Album ‚The Air Between Words‘ im Stream, Interview

„Die Musik ist ziemlich simpel“—Martyn im Interview zu Brostep und Amerika, Kollaborationen und das Schweben zwischen den Genres.

Das bemerkenswerteste an Gesprächen mit Martyn ist seine Ernsthaftigkeit. So offen er auch spricht, so sehr nimmt er sich Zeit für seine Antworten—um sicher zu gehen, dass er auch wirklich meint, was er sagt. Rückbetrachtet ist das eine Eigenschaft, die ihm über die Jahre gut gedient haben muss: Musik zu schreiben und aufzulegen mit derselben Ernsthaftigkeit, die den Niederländer Martijn Deykers alias Martyn zu einem der meist respektiertesten Künstler elektronischer Musik hat werden lassen. Hat er sich Anfangs vor allem in Europa einen Namen als DJ gemacht, so hat er mit seinem eigenen Label 3024 und dem dort erschienenen Album Great Lengths (2009) sowie seinem zweiten Album Ghost People (Brainfeeder, 2011) auch den großen Rest überzeugen können. Nun folgt auf Ninja Tune sein neues, an House, Jazz und Breaks geschultes Album The Air Between Words, das wir hier als Stream in Gänze präsentieren.

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Mit The Air Between Words gelingt Martin noch präziser als je zuvor die Zusammenführung all jener Musikwelten, die für den heute in den USA lebenden Produzenten schon immer prägend waren: Techno und House, Dubstep, Ghettotech, Electronica, Ambient. The Air Between Words kannst du im Folgenden komplett streamen. Lauren Martin sprach mit Martyn über Brostep und sein Leben in Amerika, das Risiko von Kollaborationen (von denen es in Form von Inga Copeland und Four Tet auf dem Album zwei gibt) und das Schweben zwischen den Genres.

THUMP: Ich finde, dass The Air Between Words ein sehr interessantes Album ist; dein erstes, bei dem ich wirklich gefühlt habe, dass es—vielleicht auch nur aufgrund der Chronologie—deine Vergangenheit in der niederländischen und europäischen House- und Technoszene mit deinem jetzigen Leben in den USA verbindet. Du hast so viele Jahre in Europa gespielt und dann beobachtet, wie elektronische Tanzmusik in den USA explodiert ist. Welche Veränderungen hast du in den letzten Jahren gesehen?
Martyn: Was das Spielen in den USA angeht gab es wirklich viele Veränderungen. Ich lebe hier jetzt seit fünf oder sechs Jahren. Am Anfang habe ich auf diesen ganzen Dubstep-Veranstaltungen gespielt, weil mich die Leute dem Dubstep zugeordnet haben. Es ist immer schwerer geworden, hier gute Shows zu spielen, weil es diese Veränderung gab: vom alten Dubstep zu dem, was jetzt als Dubstep oder auch EDM oder was auch immer bekannt ist.

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Nicht selten fand ich mich in Line-Ups wieder, bei denen die Leute vor und nach mir dieses lächerliche Brostep-Zeug gespielt haben. Das wurde irgendwann echt deprimierend. Wenn du all dieses großartige, deepe Zeug spielst und die erste Platte, die der Typ nach dir spielt, eine riesige Explosion ist, dann macht das alles, was du die zwei Stunden zuvor gemacht hast, zunichte.

Was hast du zu der Zeit gemacht? Du spielst jetzt wesentlich öfter, was hat sich verändert?
Na ja, der EDM-Sound ist aus den Clubs verschwunden und findet jetzt bei den Festivals und auf den Open-Air-Raves statt. Die Skrillexe dieser Welt? Niemand von denen spielt noch in Clubs. Das ist ziemlich gut für die Clubszene. Viele der Clubs—besonders in den großen Städten—gingen dazu über, wieder gute Leute zu buchen. Sie wenden sich wieder einem anderen Sound zu. Jetzt, da ich wieder mehr in den USA spiele, fällt mir auf, dass die Qualität der Veranstaltungen wieder zugenommen hat. Mittlerweile macht es wirklich Spaß, in den USA zu spielen.

Abgesehen von den Clubveranstaltungen, warum bleibst du in den USA und gehst nicht in die üblichen verdächtigen Hotspots, wie Berlin?
Ich wollte mir hier mein Privatleben aufbauen. Darum wollte ich nicht nach Berlin. Ich habe immer noch hier und da gespielt—zum Beispiel beim Decibel-Festival oder bei irgendwelchen Sachen für Red Bull—aber erst in den letzten sechs bis acht Monaten mache ich wieder wirklich mehr Sachen in den USA. Mittlerweile hat sich das ganz gut entwickelt. Ich habe auch angefangen, immer mehr Vinyl zu spielen. Das kommt hier ziemlich gut an, weil dir das als DJ eine positivere Attitüde verleiht. Das zeigt, dass du Zeit darein steckst, all das Zeug in den Club zu schleppen und damit den Eintritt rechtfertigst.

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Man sagt, man braucht 10.000 Stunden Übung, um irgendetwas richtig zu beherrschen.
Einmal das, und außerdem solltest du ein Vorbild sein. Ich verstehe total, warum viele Teenager heutzutage DJs werden wollen. Wenn du einfach mit deinem USB-Stick ankommst und die Hände in die Höhe wirfst, dann sieht das nach einer einfachen Angelegenheit aus, für die du überhaupt keine Übung brauchst. Wenn du aber mit 70 Platten im Gepäck ankommst und sorgsam die Nadeln wechselst, die Platten auflegst und sicherstellst, dass alles richtig gemixt ist, dann zeigst du Hingabe und die Leute denken: „Wow, das ist ein Handwerk. Das ist etwas, das die Leute über Jahre perfektionieren, bevor sie das hier in der Öffentlichkeit für uns machen."

Wenn ich so etwas sehen würde, würde ich gerne 15 oder 20 Dollar Eintritt bezahlen, aber wenn ich jemanden sehe, der das total lieblos macht? Dann will ich kein Geld dafür ausgeben. Das kann ich selbst. Das ist nicht nur eine andere Erfahrung, sondern auch eine andere Wahrnehmung. Was zeigst du als DJ und Musikliebhaber? Ich bin dazu da, um die Leute zu fesseln. Wenn du das schaffen willst, dann zeig zumindest, dass du die Arbeit selbst reingesteckt hast. Besonders wenn du kleinere Konzerte spielst oder an Orten abseits der großen Städte. Die Leute wissen das wirklich zu schätzen. Du kommst mit deiner Tasche rein und sie denken sich: „Wow, du spielst heute Nacht Vinyl-Platten!?" Alle sind glücklich, bevor ich überhaupt nur einen Track gespielt habe. Sie lieben das und das ist verständlich.

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Ich hatte vor kurzem eine wirklich interessante Unterhaltung mit Jeff Mills und er hat gesagt, dass er das Gefühl hat, dass Techno immer weniger zu einer Cluberfahrung und immer mehr zu einer „Hör"-erfahrung wird. Ich habe das Gefühl, dass das—wenn auch eher schwach—damit zusammenhängt, dass viele Produzenten und DJs sich Gedanken über die „Verwendbarkeit" von Techno machen; „Das ist ein Track, den ich im Club spielen kann und den ich zu Hause genießen kann." Ich habe mich gefragt: Warum muss es beides sein? Was ist denn der Nutzen daran?
Als Jeff angefangen hat, waren Platten, die neu rauskamen, einfach Musik. Manche von ihnen wurden vor Publikum gespielt und andere zu Hause gehört, aber es gab nicht wirklich eine Unterscheidung—besonders wenn du dir frühe Sachen von Underground Resistance anhörst. Manches davon ist brutal, aber es gibt genug Tiefe und der Sound ist interessant genug, um es sich zu Hause anzuhören. Ich mache da aber keine Unterscheidung. Ich mache nie Musik für den Dancefloor oder für Zuhause. Beim Auflegen ist es das Gleiche. Du kannst aus jedem Track einen Dance-Track machen, wenn du dich gut anstellst. Ich spiele David Bowie und Pet Shop Boys, Sachen ohne Beat—du kannst das alles machen, wenn du es nur zu richtigen Zeit spielst, sodass die Leute bereit dafür sind.

Zurück zu deinem Sound. The Air Between Words ist bereits dein drittes Album. Was denkst du mittlerweile über das Verhältnis von deinen Produktionen zu deiner Einstellung zum Auflegen? Ich weiß, dass sich das etwas diffus anhört, aber ich glaube du bist einer der wenigen, die für ihre Produktions- als auch DJ-Fähigkeiten gleichermaßen beliebt sind.
Die Leute sehen mich eher als Produzenten, denn als DJ. Aber eigentlich ist es genau umgekehrt, da ich schon lange bevor ich überhaupt daran gedacht habe, selbst Musik zu machen, aufgelegt habe. Ich habe bereits ungefähr neun Jahre bevor ich meinen ersten Track gemacht habe aufgelegt. Erst als ich das Gefühl hatte, dass es an Musik, die ich auflegen will, fehlt, habe ich mich entschlossen, es zu versuchen.

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Was hast du genau vermisst?
Als ich in den frühen 2000ern angefangen habe, hat sich Drum 'n' Bass im Prinzip in zwei Richtungen aufgespalten. Eine war wirklich düsterer, harter, technoähnlicher Sound, mit Leuten wie Optical und Bad Company. Die andere war ein melodischer, jazziger Sound wie der von Hospital Records. Für mich gab es nicht wirklich etwas dazwischen, das die beiden Sachen kombiniert hat; das ein bisschen hart, aber auch gefühlvoll war, was viele großartige Technosachen ausmacht.

So etwas wollte ich wirklich haben, es gab einfach nicht genug für die Übergänge in meinen Sets. Ich dachte einfach, dass ich so was selbst machen müsste. Also habe ich das getan und habe versucht, mir Sachen auszudenken, die sowohl tough als auch sexy sind und die noch dazu starke Melodien haben, die du mitsummen kannst. So habe ich mit dem Musikmachen angefangen. Mit dem Versuch, eine Brücke zwischen diesen beiden Sounds zu schlagen.

Später habe ich, ohne es zu wissen, angefangen, diese Idee auch auf andere Genres zu übertragen—sogar das was die Leute als meine Dubstep-Sachen bezeichnen. Das war eine Brücke zwischen Techno und eher puristischem, Reggae-beeinflusstem Dubstep. Auch die Musik, die ich jetzt mache, bewegt sich zwischen den verschiedenen Genres. Es ist nicht wirklich Techno, es nicht wirklich House und es ist nicht wirklich Electronica—wenn du es so nennen willst. Es irgendwas, was dazwischen schwebt.

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„Schweben" ist definitiv das richtige Wort für deinen Sound. Ich habe das besonders bei deinen Kollaborationen der letzten Jahre gedacht: Dbridge, Modeselektor, Mike Slott, Spaceape—du hast ein kleines, aber starkes und vielfältiges Arsenal angesammelt, ohne dir untreu zu werden.
Ha, ja, und das macht auch noch Spaß! Das ist das Gleiche wie wenn du für ein Label aufnimmst. Ich denke immer, dass es eine Leistung ist, wenn du in der Lage bist, Platten für verschiedene Labels zu machen, die sich stark unterscheiden. Es ist tatsächlich etwas, das ich anstrebe—statt nur einem Sound verbunden zu sein oder einer Szene. Ich meine, natürlich braucht es auch solche Leute, denn sonst gäbe es keine Szene, aber ich bin nicht der Typ dafür. Das ist etwas für die Hatchas oder die Malas beim Dubstep oder die Underground Resistances oder Jeff Mills beim Techno. Ich sehe mich nicht als einer dieser Leute. Ich mag es, zwischen den Dingen zu schweben.

Wo wir bei Kollaborationen sind: Du hast auf The Air Between Words mit Four Tet und Inga Copeland gearbeitet. Beide sind sehr unterschiedlich—und den Track mit Copeland hätte ich wirklich nicht erwartet. Wie sind die beiden Sachen zustande gekommen?
Bei Four Tet war es interessant, da er einen total anderen Background als ich hat, aber über die Jahre haben wir immer mehr zueinander gefunden. Er hat als ‚Folktronica'-Künstler angefangen oder als schräger Sample-Typ, ist dann immer housiger geworden und immer UK-beeinflusster. Ich kam aus einer ganz anderen Welt, habe hauptsächlich Drum 'n' Bass und ein bisschen Dubstep gemacht, und von dort bin ich zu dem gelangt, was ich heute mache. Es ist toll zu sehen, wie wir uns irgendwo in der Mitte getroffen haben. Ich habe ihm einen Entwurf von mir geschickt, der eine gute Melodie hatte, aber nichts wirklich anderes. Er hat mir ein bisschen Input gegeben und so hat sich der Track entwickelt. Um ehrlich zu sein, war ich ursprünglich nie besonders interessiert an Kollaborationen.

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Warum das?
Ich war bezüglich meiner Musik ein bisschen unsicher. Ich dachte immer, wenn ich kollaboriere, zeige ich nur anderen Leuten meine Tricks, was ich nicht wirklich will. Außerdem hatte ich Angst, dass die Kollaborationen, wie so oft, nicht gut werden. Sie sind selten die Summe ihrer Teile.

Das habe ich in letzter Zeit auch oft gedacht. Ich habe das Gefühl, es gibt fast nur noch Kollaborationen und so wenige haben mich inspiriert oder überrascht. Ich mag die Idee von diesen sehr schnellen bzw. beliebigen Kollaborationen auch nicht besonders, wie Songs aus dem Nichts Musik zu machen. Ist Geschwindigkeit etwas Erstrebenswertes? Es muss doch nicht alles, was eigentlich nicht zusammen passt, gemacht werden …
Das hat nichts mit Musik zu tun. Erstens bin ich ziemlich langsam, also könnte ich diese Zehn-Minuten-Sachen nie machen. Und zweitens ist das total uninteressant. Wenn du dir eine Platte kaufst, dann soll das einfach eine großartige Platte sein und dir ist egal, ob sie in zehn Minuten, einer halben Stunde oder sieben Tagen entstanden ist.

Aber um auf meine Kollaborationen zurückzukommen; was ich versucht habe, war, meine Schutzzone zu verlassen und mich von anderen Leuten beeinflussen zu lassen. Manche Leute haben einfach bessere Ideen als ich, haha, auch wenn es scheiße ist. Das ist schwer zuzugeben. Denn wenn du Musik machst, dann solltest du bezüglich deiner eigenen Fähigkeiten selbstbewusst sein. Aber mittlerweile sehe ich es eher so, dass du in Wahrheit selbstbewusster bist, wenn du andere Leute an deiner Musik teilhaben lässt.

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Das lässt sich damit vergleichen, wenn du Journalist bist und einen Redakteur hast, richtig?
Ja, du könntest versuchen, deinen Text durchzubringen und sagen „Ich bin der Künstler, also weiß ich, was am besten ist." Aber wenn du schlau bist, dann hörst du auf den Redakteur, akzeptierst seinen Input und machst etwas, das das Endprodukt besser macht. Das ist etwas, das ich gelernt habe, andere Leute miteinzubeziehen.

Wie sah das bei der Zusammenarbeit mit Inga Copeland aus? Habt ihr zusammen im Studio gearbeitet? Die meisten von uns wissen über Copeland nur, dass sie nichts über sie wissen. Ich bin fasziniert von ihr.
Na ja, sie hat wirklich andere Fähigkeiten als ich und darum klappt es so gut. Sie ist eine gute Songschreiberin und hat eine großartige, sehr interessante Stimme, die niemand sonst hat. Sie nimmt viele Demos auf, die sie mir geschickt hat, und ich habe ihr Musik dazu geschickt. Es macht deshalb auch Spaß, Live mit ihr zu spielen. Für ein paar der Tracks, die wir zusammen gemacht haben, habe ich ihr musikalische Ideen geschickt und sie hat sich dann Texte und Melodien ausgedacht. Andere Sachen basieren im Prinzip auf ihren Demos. Das ist von Track zu Track unterschiedlich.

Zu guter Letzt: wie würdest du The Air Between Words beschreiben?
Ich denke für mich fühlt es sich an wie eine reduzierte Version von allem, was ich zuvor gemacht habe. Die Musik ist meiner Meinung nach ziemlich simpel. Sie hat ziemlich starke Melodien und Basslinien, aber es gibt nichts Überschüssiges. Es ist ein sehr schlankes Album. Ich denke das macht es auch zu einem sehr natürlichen Album, ohne viel moderne Sounds oder Spuren, die du nicht brauchst oder die nur dazu da sind, um es interessanter klingen zu lassen. Ich bin glücklich mit dem, was ich gemacht habe, da es eine Weile gedauert hat, dahin zu kommen. Das Einzige, worüber ich mir jetzt Sorgen mache, ist das nächste Album.

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Martyn, The Air Between Words, Ninja Tune, 13. Juni 2014, Vinyl / CD / Digital

Folgt Lauren Martin auf Twitter: @codeinedrums

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