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MontanaBlack: Dieses YouTuber-Buch ist spannend, weil es nicht um YouTube geht

Und die Biografie liest sich überraschend gut. Zu einem guten Vorbild macht das MontanaBlack aber nicht.
MontanaBlack
Foto: Screenshot via YouTube aus dem Video "Viewers ring the doorbell 3 times LIVE! | MontanaBlack Stream Highlights" von Richtiger Kevin

Man kann MontanaBlack hassen, und man kann ihn feiern. Viele kennen den YouTuber und Twitch-Streamer aus seiner legendären Video-Reihe "Vom Junkie zum YouTuber". Niemand in der deutschen Influencer-Szene erzählt ehrlicher, wie Drogen sein Leben ruiniert haben. MontanaBlack berichtet, wie er Oma und Opa beklaut hat, um high zu sein. Aber auch, wie er mit YouTube sein Leben wieder in den Griff bekommen hat. Eines muss man diesem ehrlichen Kerl aus Norddeutschland lassen: Er ist mutig und kann verdammt gut erzählen.

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Aber dann gibt es da noch diesen anderen MontanaBlack, der sich mit respektlosen Äußerungen bewusst oder unbewusst ein Arschloch-Image erarbeitet hat. Etwa, wenn er auf Twitch Wortspiele mit dem N-Wort macht oder auf Twitter Feminismus als Männerhass bezeichnet. Motto: "Eier sind dazu da, sie auch zu zeigen."

Und jetzt ist da die MontanaBlack-Biographie, rund 260 Seiten, aufgeschrieben vom Welt-Autoren Dennis Sand, der auch aus dem Leben des Rappers Sun Diego ein Buch gemacht hat. Wer glaubt, das MontanaBlack-Buch wird so peinlich wie Der Lukas Rieger Code oder es wird eine Mogelpackung wie Mein Leben als YouTuber, hat sich getäuscht.


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Dieses YouTuber-Buch ist spannend, weil es nicht um YouTube geht

Selbst wer sich nicht für YouTuber, Twitch und Influencer interessiert, dürfte von der straighten Geschichte des kleinen Marcel Eris aus Buxtehude gefesselt sein, der mit neun Jahren sein Faible für Diebstahl entdeckt. Zuerst klaut er Kondome, um Wasserbomben zu bauen, später Schokolade und Tabak. Und ständig wird er dabei erwischt.

Das Buch erzählt die Geschichte eines Kleinstadt-Lümmels, der eine ganze Pubertät lang nicht das Geringste aus seinen Fehlern lernt. Selbst bei der Musterung für den Wehrdienst beklaut er eine Ärztin der Bundeswehr. Und als er dringend Geld für Koks braucht, schleicht er sich bei der Mutter seiner Freundin ins Schlafzimmer und greift sich ein paar Goldketten. Wie bescheuert kann man sein? Es fällt einem schwer, MontanaBlacks Biografie nicht in einem Zug durchzulesen.

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"Gegen das schlechte Gewissen habe ich einfach noch mehr gekokst", sagt er in dem Buch. Und die ganze Biographie wäre schwer zu ertragen, wenn MontanaBlack dabei prahlen oder um Mitleid betteln würde. Tut er aber nicht. Egal ob man den heutigen MontanaBlack feiert oder für einen Idioten hält, das Buch lässt es den Lesenden völlig offen, wie sie die Hauptfigur als Mensch bewerten. Und gerade das macht es so spannend.

Medienethik bleibt für MontanaBlack ein Problem

Verantwortung ist ein wichtiges Wort in der Karriere von MontanaBlack. "Ich mache dieses Video, weil ich mir der Verantwortung bewusst bin, dass ich viele junge Zuschauer habe", sagt er im ersten Video seiner Reihe "Vom Junkie zum YouTuber" im Jahr 2014. Dann erzählt MontanaBlack, dass kontrollierter Drogenkonsum leider nicht bei jedem Menschen funktioniert, vor allem nicht bei ihm selbst. "Ich bin leider ein Kollege, der für solche Suchtmittel ziemlich anfällig ist", sagt er in einem anderen Video.

Wenn es um seine Junkie-Zeit geht, zeigt MontanaBlack Verantwortung. Aber in seiner Karriere als Deutschlands größter Twitch-Streamer und als YouTube-Star mit rund 1,8 Millionen Abonnenten kann und will MontanaBlack das offenbar nicht. "Ich bin nicht das klassische Vorbild und das möchte ich auch nicht sein", sagt er im Herbst 2018 in einem Talk auf dem YouTube-Kanal WorldWideWohnzimmer.

Wenig später wird er auf Twitch gesperrt, weil er im Livestream vor Zehntausenden jungen Zuschauenden etwas von "Schlitzaugen" erzählt hat. Auch das Wortspiel mit dem N-Wort hat er in diesem Stream rausgehauen.

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"Das ist Rassismus, und das dulden wir nicht", soll eine Twitch-Mitarbeiterin am Telefon gesagt haben, nachdem MontanaBlacks Kanal zur Strafe temporär gesperrt wurde. In seiner Biographie reagiert der YouTuber darauf so: "Ich verstand zunächst gar nicht, worum es ging." MontanaBlack sei fassungslos durch seine Wohnung gelaufen und habe gegrübelt. Schließlich sei er zu diesem Schluss gekommen: "Ich hatte eine Grenze überschritten." Hatte Deutschlands größter Twitch-Streamer an diesem Tag tatsächlich begriffen, wie Diskriminierung funktioniert?

Ja, nein, nicht so ganz. Trotz der selbstkritischen Passage kann MontanaBack sein Image durch das Buch nicht wirklich zurechtrücken. Neben Rassismus gibt es ja noch andere Formen der Diskriminierung, und da gibt es bei dem Influencer eindeutig noch Luft nach oben. In dem Buch wird zum Beispiel beschrieben, wie MontanaBlack vor seiner Musterung zum Wehrdienst Angst schiebt, vor allem wegen der bevorstehenden "ultraschwulen" Untersuchungen. Ultraschwul?! Come on. Die Bemerkung ist klar homofeindlich, und sie ist nicht etwa während eines Livestreams gefallen, sondern steht in einem lektorierten und gedruckten Buch. Wie war das noch mal mit der Verantwortung?

"Es hatte mich so wahnsinnig viel Kraft gekostet, die Verantwortung für mich zu übernehmen", heißt es in der Biographie. "Und jetzt sollte ich noch die Verantwortung für alle meine Zuschauer auf mich nehmen?" – Ähm, ja, eigentlich schon. Das Buch zeigt einen nachdenklichen MontanaBlack, dem langsam dämmert, dass ein Influencer mit Hunderttausenden minderjährigen Fans de facto eine Vorbildfunktion ausübt, ob er will oder nicht. Aber es dämmert wie gesagt offenbar nur langsam.

MontanaBlack verkörpert ein Social-Media-Ideal

Egal wie sehr man sich über MontanaBlacks Äußerungen aufregt, er verkörpert jenes Social-Media-Ideal, das YouTube lange als Slogan nutzte: "Broadcast Yourself". In der analogen Medienwelt mit TV-Formaten und Programmdirektionen wäre Marcel Eris aus Buxtehude höchstens in einer RTL-Talkshow bloßgestellt worden und hätte es mit viel Glück zu Big Brother geschafft, um mit Ende 20 beim Perfekten Dinner aufzutischen. Aber soziale Medien und vor allem YouTube geben Menschen die Möglichkeit, ihr Leben auf eine Weise zu erzählen, die sie selbst bestimmen.

Dank YouTube kann ein MontanaBlack ehrlich und ungefiltert von seiner vermurksten Jugend erzählen und Jahre später einen Verlag finden, der daraus ein Buch machen will. Klar, wer MontanaBlack vorher für einen Vollhorst gehalten hat, wird das auch nach der Lektüre tun. Die Geschichte vom Jungen aus Buxtehude, der nach jahrelangem Kiffen, Koksen und Klauen zu Deutschlands größtem Twitch-Streamer wurde, ist aber einfach lesenswert, nicht obwohl, sondern weil die Hauptfigur dahinter immer noch ständig Fehler macht.

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