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Das Gauck-Photobomb-GIF ist ein Schrei nach Hilfe

Noch nie haben wir einen solchen Einblick in die Einsamkeit im Herzen der Macht bekommen.

Alle Screenshots aus dem Video von WDRforyou

Unser Bundespräsident hatte es bis jetzt nicht immer leicht in der öffentlichen Wahrnehmung. Von allen Seiten musste Joachim Gauck immer wieder Kritik einstecken: Die einen beschimpfen ihn als „enthemmten Heul- und Zürnpastor", die anderen als Kriegstreiber und „Russenfeind" (das Gegenteil vom Putinversteher), und Jürgen Todenhöfer bezeichnete ihn sogar als „Irrer" und „Jihadist"—und wenn Jürgen Todenhöfer sich mit einem auskennt, dann sind das Irre.

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Jetzt könnte sich das Blatt für das deutsche Staatsoberhaupt aber wenden: Mit einem einzigartigen Photo-Bombing (eigentlich Video-Bombing, aber wer will schon so sein) hat Gauck es womöglich geschafft, die Sympathiepunkte zurückzuholen:

Entstanden ist das Video nach einer Flüchtlingsdiskussionsrunde, zu der Gauck ins Schloss Bellevue eingeladen hatte. In dessen Folge führte die Redakteurin Isabel Schayani für das WDR-Format „WDRforyou", das sich an Flüchtlinge richtet, ein spontanes Live-Interview mit dem syrischen Schauspieler Sami Alkomi. In das platzte dann Gauck, mit der vollen Wucht seines Gesichts.

Aber das ist alles nur Kontext. Viel wichtiger ist nämlich, was das Video über unseren Bundespräsidenten zeigt: Wie verletzlich, isoliert und einsam der erste Vertreter des deutschen Staates wirklich ist—und wie sehr er sich nach Anschluss an seine Mitmenschen sehnt.

Denn um die ganze Tragweite dieses Einblicks in das Leben von Joachim Gauck zu verstehen, müssen wir der Umstände gewahr werden: Wir befinden uns auf einem Empfang im Schloss Bellevue, der formelle Teil des Abends ist beendet, Leute stehen in kleinen Grüppchen zusammen und networken mit einem Sekt vor sich hin, Isabel Schayani möchte noch schnell ein Live-Video für ihre Zuschauer drehen, alle haben gute Laune. Nur einer weiß nicht so recht, wohin mit sich: Der Hausherr selbst.

Vielleicht war er zum falschen Zeitpunkt auf dem Klo, so dass sich die Grüppchen alle schon gebildet hatten, als er wieder in den Saal kam; vielleicht haben die Leute zu viel Respekt, um den Bundespräsidenten einfach so anzuquatschen; vielleicht hat auch einfach niemand so richtig Lust gehabt, mit Joachim Gauck Smalltalk zu machen—wir wissen es nicht. Wir wissen nur, dass Gauck auf seinem eigenen Empfang offensichtlich nichts zu tun hatte und deshalb unbeaufsichtigt durch den Raum wanderte, bis er Shayani und ihre Kamera entdeckte. Sofort steuert der steuerlose Bundespräsident mit weit aufgerissenen Augen auf die Kamera zu—vielleicht findet er hier Anschluss? Menschliche Nähe? Jemanden, den er mit einer Anekdote über seinen letzten Fahrradausflug erheitern kann? Nur: Er wird herbe enttäuscht werden.

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Wenn man sich das Video zum GIF anschaut, sieht man auch noch, wie die Journalistin den Bundespräsidenten dann fragt, ob er wisse, was sie da macht. „Ne", antwortet Gauck, selig grinsend, und auch auf die aufgeregten Erklärungen der Journalistin antwortet er eigentlich nur noch mit einer Reihe wohlwollender „Ah"s, oder „Das ist ja toll". Aber man merkt, dass Gauck ein bisschen abschaltet: Flüchtlinge, arabische Moderatoren—das ist ihm alles wieder ein bisschen zu viel. Die beiden WDR-Journalisten sind viel zu aufgeregt, viel zu geehrt, versuchen sofort, ein Social-Media-Event aus seinem Auftauchen zu machen—und bauen so wieder eine Mauer zwischen dem Menschen Joachim Gauck und seiner Umgebung. Auch hier kann er nicht einfach sein.

Also lächelt er tapfer, sagt noch ein paarmal „Fabelhaft" und schlendert dann schnell weiter. Vielleicht sieht er ja nochmal nach den Blumen auf der Terrasse, bis die ganzen Leute weg sind.

Für Gauck also nur ein weiterer Abend im goldenen Käfig—wir konnten durch diesen kurzen Clip aber einmalig einen Blick durch die Gitterstäbe werfen. Wir sollten nicht vergessen, was wir gesehen haben.