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Interviews

Festival-Absagen bei Böhsen Onkelz und Co. – Die Diskussion um Grauzonen-Deutschrock 2017

Ignite wollen nicht mit den Böhsen Onkelz spielen und die Abstürzenden Brieftauben nicht mit Grauzonen-Bands. Wer bestimmt eigentlich, wann eine Band in der Grauzone landet—und wann sie wieder da raus darf?

Foto im Header: Imago

Als die kalifornische Hardcore-Band Ignite via Facebook verkündete, dass sie nicht auf dem Matapaloz Festival der Böhsen Onkelz spielen werden, waren die Reaktionen ihrer Fans heftig. Einerseits lobten viele Ignites klare Abgrenzung zu den umstrittenen Deutschrockern, andererseits wurden sie dafür scharf kritisiert. Bei einer Band wie den Onkelz, die für die einen das Symbol des rechtsoffenen Deutschrocks und für andere eine geläuterte Kultband sind, war das geteilte Echo zu erwarten. Als ein paar Tage später die Punkband Abstürzende Brieftauben aufgrund von neu hinzugebuchten "Grauzonenbands" nicht mehr beim Spirit Festival spielen wollten, reagierten ihre Fans ähnlich. Entweder wurden sie für ihre Positionierung gefeiert oder für ihre Überempfindlichkeit verurteilt. Die Punkband Terrorgruppe, die auch auf dem Spirit Festival spielen soll, wurde ebenso von Fans gefragt, ob sie wirklich mit der Band Unantastbar auftreten will, was sie kategorisch ablehnten.

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Auffällig ist, dass die Brieftauben nicht die Namen der Bands nannten, die sie zur Absage bewogen. In den Kommentaren wurde jedoch spekuliert, dass die Deutschrock-Bands Kärbholz und eben Unantastbar der Auslöser für den Rückzieher gewesen wären. Kärbholz etwa wird vorgeworfen, in ihren Texten völkische Inhalte zu verbreiten. Die Band bestreitet dagegen, in irgendeiner Form patriotisch oder politisch extrem, sondern vielmehr anti-rassistisch zu sein. Der Sänger von Unantastbar wiederum war damals Schlagzeuger einer gewissen Rechtsrockband namens Kaiserjäger. Genau die Kaiserjäger, in der auch Philipp Burger vor Frei.Wild am Mikro stand.

All diese kritisierten Bands eint, dass ihnen mindestens vorgeworfen wird, durch eine zur Schau gestellte unpolitische Außenseiter-Haltung billigend ein rechtes Publikum in Kauf zu nehmen, was sie in den schwer definierbaren Raum der Grauzone wirft. Doch wo beginnt diese Zone eigentlich? Sind die Brasilianer von Sepultura auch grau, nur weil sie ebenso auf dem von Frei.Wild initiierten AlpenFlair-Festival spielen? Ist nicht Ignites Zoli Téglás sowieso umstritten, weil er bei einer ungarischen Band Gast-gesungen hat, die für ihre extrem nationalistische und antisemitische Gesinnung bekannt ist? Und wann darf man diese Zone wieder verlassen? Wenn man die rechte Vergangenheit als Jugendsünde abschüttelt, sich von der rechten Szene distanziert und für soziale Projekte gegen Gewalt engagiert wie die Böhsen Onkelz?

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Anders als bei Schwarz und Weiß gibt es nunmal verdammt viele Schattierungen von Grau. Also haben wir mit jemandem gesprochen, der Licht ins Grau bringen kann: Dietmar Post. Für seinen letzten Film Deutsche Pop Zustände, der chronologisch die Geschichte rechten Gedankenguts in deutscher Popmusik erzählt, konnte er auch Philipp Burger zu einem Statement überreden. Post hat uns erzählt, wie er zu Konzertabsagen von Bands steht, die nicht mit der Grauzone in Verbindung kommen wollen, was Bands wie Frei.Wild mit populistischen Parteien gemein haben, und was Geld mit alldem zu tun hat. Und irgendwann sind wir bei Heino gelandet …

Noisey: Kannst du nachvollziehen, warum die Böhsen Onkelz immer noch in die rechte Ecke geschoben werden?
Dietmar Post: Das ist ein schwieriges Thema. Ich habe die Platten der Böhsen Onkelz die letzten Jahre zu wenig verfolgt. So viel ich weiß – von den Sachen, die ich gehört habe – finde ich an den neuen Texten nichts, was wirklich auf rechtsextremes, völkisches Gedankengut verweisen würde. Ich kann aber Bands verstehen, die nicht mit ihnen zusammen auftreten wollen – weil sich die Böhsen Onkelz nie wirklich von ihrem alten Material distanziert haben.

Selbst wenn sie das tun – so eine Band wird ja nie ihre rechte Vergangenheit los, oder?
Man muss Leuten zugestehen, dass sie in jungen Jahren auch mal einen Fehler machen. Frei.Wild hingegen kann man durchaus mit populistischen Parteien vergleichen. Nehmen wir den möglichen AfD-Parteiausschluss von Bernd Höcke. Solche Parteien haben immer auch ein sehr rechtsradikales Millieu angezogen. Damit haben die ganz bewusst jongliert, weil sie die Wähler haben wollten. Aber Teile der bürgerlichen Kreise, aus der der Hauptteil der Partei besteht, hat gemerkt, dass man sich von denen distanzieren musste. Diese Distanzierungen waren für mich nie wirklich ehrlich. Den "radikalsten" Schritt hat Marine Le Pen mit ihrem eigenen Vater vollzogen. Sie hat gesagt, dass Holocaustleugner in ihrer modernen Front National nichts zu suchen haben und ihn aus der Partei ausgeschlossen. Das sind gewisse Strategien, um an mehr Wähler zu kommen, aber grundsätzlich wird das Weltbild nicht wirklich geändert.

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Ist es denn wichtig, dass sich Bands wie im Falle von Ignite abgrenzen und sowas absagen?
Ich kenne den konkreten Fall nicht im Detail, finde es aber erstmal gut, wenn die sagen, dass die mit denen nicht spielen wollen. Was soll daran falsch sein? Das ermöglicht ja erst einen Skandal und eine Diskussion. Das ist immer gut. Nur so kann drüber geredet werden. Innerhalb einer Gesellschaft ist das Gefährlichste, dass sich keiner mehr über etwas aufregt. Das ist vielleicht ganz gut an dieser neuen, starken Rechten: dass sich endlich mal alle anderen Leute äußern müssen. Was sind denn unsere Werte, wofür stehen wir denn?

Ich lese gerade das Buch Walls Come Tumbing Down von Daniel Rachel. Dort geht es um die Bewegung Rock Against Racism. Daraus erwuchs später ein Label wie 2-Tone auf dem die ganzen Ska-Bands drauf waren, die sehr viele Skinheads als Fans hatten, sich aber bewusst als antirassistische und zum Teil pro-sozialistische Gruppen bezeichneten. Ich habe das Gefühl, dass sich das alles wiederholt. Selbst so eine Gruppe wie The Clash haben gesagt, dass das nicht angehen kann, dass plötzlich Rechte ihre Konzerte stürmen … Oder eine Gruppe wie Sham 69, die als Oi-Band auch rechte Leute angezogen haben. Irgendwann musste sich deren Sänger Jimmy Pursey auf der Bühne davon öffentlich distanzieren. Oder Madness, eine Ska-Band, die nur aus Weißen bestand und eine große Fangemeinde innerhalb der Neonazis hatte. Auch die wurden irgendwann dazu gezwungen, sich zu distanzieren. Und vielleicht ist das gut. Man kann nicht einfach glauben, auf eine Bühne treten zu dürfen, ohne dass das irgendeine Antwort innerhalb des Publikums hervorruft – vor allem in politischen Zeiten. Soll nicht heißen, dass jeder Musiker politisch daherkommen muss, das ist auch gefährlich. Aber gleichzeitig ist jedes Heraustreten vom Privaten ins Öffentliche ein Statement. Man präsentiert sich vor einem Publikum und das Publikum darf eine Meinung haben.

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Sind denn die Böhsen Onkelz noch eine Grauzonenband?
Nicht wirklich. Ich finde jetzt nichts an den Texten, was darauf hindeutet, bin da aber auch wie gesagt kein Experte.

Frei.Wild sind da aber schon ein anderes Thema?
Bei Frei.Wild gibt es immer wieder Texte … "Wahre Werte" beispielsweise ist ein völkischer Text. Da können die sich um Kopf und Kragen reden, da kommen sie nicht raus. Wenn Frauke Petry den Begriff "völkisch" wieder hoffähig machen will, dann haben wir ein Problem. Wo das völkische Gedankengut hingeführt hat, da braucht man wirklich nur Mein Kampf zu lesen.

Wann rutschen denn Bands eigentlich in die Grauzone? Es scheint fast schon zu reichen, dass man mit umstrittenen Bands wie eben Frei.Wild zusammenspielt. Das kommt mir schon willkürlich vor.
Das ist es glaube ich auch. Man muss ja von Fall zu Fall gucken, da kann man nicht pauschalisieren. Nur weil man irgendwann mal mit Frei.Wild aufgetreten ist … Gott bewahre. Man muss immer darauf achten, was die sagen und vertreten. Frei.Wild reagieren auf Kritik, die meist aus dem linken Lager kommt, immer sehr scharf. Die reiben sich auf ihrer Facebookseite fast die Hände, wenn sie wieder Aufmerksamkeit bekommen haben. Genau wie vor 30, 40 Jahren irgendwelche provozierenden Punkbands, machen die das auch. Das haben sie sich gut abgeguckt.

Die Band Kärbholz stand auf die Bühne des Böhse Onkelz-Tribut-Festivals G.O.N.D. und hat vor ihrem Anti-Nazi-Song eine Ansage gegen Nazis gemacht. Sollten Neonazis im Publikum gewesen sein, hätten sie denken können, dass das vielleicht nur gemacht wird, um den Schein zu wahren?
Ja klar. Popmusik ist da ja nicht anders als andere Kunstformen: Es geht um Geld. Man will so viel Leute wie möglich erreichen, damit man Geld verdient. Dann verkauft man sich auch an ein rechtes Publikum. Gerade bei diesen großen Bands, die auch mit diesen rechten Versatzstücken arbeiten und bewusst einsetzen – die homophobes, sexistisches, teils auch völkisches oder mindestens nationalistisches Gedankengut in ihren Texten verbreiten – , würde mich interessieren, inwiefern das kalkuliert ist und das große Geld dahintersteckt. Das ist vielleicht viel wichtiger als die Frage, ob man eine Band boykottieren sollte, die vielleicht in der Grauzone ist. Vielleicht will ja das große Geld, dass wir alle wieder Nationalisten werden.

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Im Schlager gab es seit dem zweiten Weltkrieg immer Tendenzen des Heimattümelnden, des Nationalistischen, aber dann auch wieder das Gegenmodell. Und trotzdem tritt Heino beispielsweise auf dem Festival von Frei.Wild auf. Was passiert da, dass sich Rock und Schlager verbinden? Wo sich doch Heino immer als verkappter Menschenfreund gibt. Wieso wird überhaupt bei ihm nie nachgefragt, dass der in Namibia aufgetreten ist und dort seine alten Soldatenlieder, die alle aus der SS-Fibel stammen, gespielt haben soll? Damit konfrontiert man ihn nicht mehr. Das ist vielleicht wie die Jugendsünde der Onkelz oder Frei.Wild, aber bei Heino ist es ganz besonders dramatisch, weil er sich nie distanzieren musste.

Ich bin da auch manchmal ratlos, weil man, um sich eine eigene Meinung bilden zu können, sehr tief in die Biografie eines Menschen tauchen muss. Wobei die mehr ablenkt. Es ist wichtiger, den künstlerischen Output zu bewerten. Was ist auf den Platten, in den Videos, was sagen die in Interviews? Da spielt das private Leben erstmal keine Rolle. Wie bei Frei.Wild, die immer darauf herumreiten, dass sie aus Südtirol kommen und man ihre Texte nur verstehen kann, wenn man aus Südtirol kommt. Finde ich nicht. Es reicht nicht, sich immer nur darauf zurückzuziehen. Der völkische Text "Wahre Werte" bleibt völkisch. Dafür muss ich nichts von Südtirol wissen.

Könnte man da nicht entgegnen, dass das alles nur künstlerische Inszenierung ist?
Klar, aber das ist ja das Interessante an Frei.Wild, die sich genau wie die Toten Hosen als Kumpels von nebenan inszenieren. Die geben sich als die Authentischen. Was auch absurd ist, weil auch das eine Inszenierung ist. Rockmusik ist deshalb ja auch oft konservativ und langweilig, weil es um die Vereinigung von Band und Publikum geht. Eine Art unkritischer Gospel. Die Band diktiert und das Publikum gehorcht und ist der gleichen Meinung.

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