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Restaurantkritik

Nur die halbe Wahrheit: Warum man TripAdvisor nicht alles glauben sollte

„Unsere Beziehung zum Essen, zum Geschmack und zu Restaurantbesuchen wird einfach in ein paar Sterne und Punkte umgerechnet, die nie vermitteln können, was dahinter steckt: Geschichte, Kultur, Leidenschaft, Geschmack und natürlich Arbeit.“
Bild via Imago

Freundliches Personal, gute Location und tolles Essen—mehr möchte ich eigentlich nicht in einer Rezension auf TripAdvisor lesen. Und doch haben diese Online-Empfehlungen einen großen Einfluss auf die Gastronomie: Nicht nur sind die Gäste „besser" informiert, auch hängt die Zukunft eines Restaurants von irgendjemandes Urteil ab.

Mir scheint es, als fühlt sich heutzutage jeder als Restaurantkritiker berufen und führt sich auch so auf: Nach dem Essen schreibt man eine Rezension, die—meistens—eine lange persönliche Geschichte ist, in der oft komische Einzelheiten aufgebauscht werden: die Toilettenbürste von IKEA auf der Toilette zum Beispiel. Das sind alles Informationen, aber kein wirklicher Einblick.

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Filip Søndergaard in einem der wenigen Momente, in denen er sich mal nicht ärgern muss. Foto von Elif Küçük

Ich selbst nutze TripAdvisor auch, gerade wenn ich verreise und nicht weiß, wo ich essen könnte. Und wie jeder andere auch will ich dort essen, wo die Einheimischen hingehen, dazu nutze ich teilweise Online-Rezensionen. Andererseits verlasse ich mich auch auf Empfehlungen von Einheimischen selbst. Es ist doch viel erfüllender, sich mit Menschen zu unterhalten und sie nach Tipps zu fragen, als stundenlang zu scrollen, nur um „das beste Restaurant, in dem ich jemals war" zu finden (was allein ja schon sehr subjektiv ist). Auf die Empfehlungen des Hotels kann man auch nicht vertrauen: Sie schicken einen nur in die nächstgelegene Touristenfalle mit viersprachiger Karte, nur weil sie wahrscheinlich Provision bekommen, wenn sie genug Gäste dorthin schicken.

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Letzte Woche war ich in Florenz und habe in einem kleinen Restaurant in der Nähe eines der berühmtesten Plätze der Stadt Mittag gegessen. Neben mir saßen ein paar Einheimische und wir kamen nach den Antipasti ins Gespräch. Sie haben mir meinen zweiten Gang empfohlen. Hätte ich mich nicht mit ihnen unterhalten, hätte ich wohl ein weniger bekanntes Gericht probiert und wäre nie in den Genuss der Spezialität des Restaurants gekommen.

Was ich sagen will, ist, dass soziale Medien—und dazu gehört auch TripAdvisor—sicherlich nützlich und effizient sind, wenn es darum geht, Informationen,Geschmack, Wissen und Erfahrungen auszutauschen. Allerdings ist es dann auch so, dass wir unsere Entscheidungen von der Meinung eines Wildfremden abhängig machen. Das Paar in Florenz kannte ich vor meinem Besuch im Restaurant auch nicht, aber wir haben uns einige Minuten unterhalten und sie empfahlen mir persönlich ein Gericht und erzählten mir sogar eine Geschichte dazu—das ist wesentlich befriedigender und angenehmer als eine Rezension eines Unbekannten auf TripAdvisor. Wenn man nur auf die Storys auf TripAdvisor vertraut,geht einem der soziale Aspekt unseres täglichen Lebens verloren. Unsere Beziehung zum Essen, zum Geschmack und zu Restaurantbesuchen wird einfach in ein paar Sterne und Punkte umgerechnet, die nie vermitteln können, was dahinter steckt: Geschichte, Kultur, Leidenschaft, Geschmack und natürlich Arbeit. Dadurch verlieren wir den Bezug zu unserer Umgebung und vergessen, dass auch eine Unterhaltung, ein Austausch über Geschmack mit unseren Tischnachbarn erfüllend und wertvoll sein kann.

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Man kann nicht über das Schicksal eines Restaurants nach einem Besuch entscheiden, nur weil man sich irgendwie Gehör verschaffen will.

Mir ist bewusst, dass diese Rezensionen mittlerweile zur Realität gehören und ich möchte ihnen auch nicht ihren Wert absprechen, aber wenn Leute denken, sie würden für den Kulinarik-Teil der Lokalzeitung schreiben, werde ich ein bisschen sauer und denke, dass einige Menschen einfach zu viel Zeit haben. Genauso gibt es welche, die keinen Apfel essen können, ohne ihn bei Instagram zu posten und den Geschmack und das Aussehen dort bewerten.

Ich denke, man sollte drei bis fünf Mal in einem Restaurant essen gewesen sein, bevor man seine Rezension online stellt. Man kann nicht über das Schicksal eines Restaurants nach einem Besuch entscheiden, nur weil man sich irgendwie Gehör verschaffen will. Ich persönlich würde auch eine Plattform mit mehr Lokalbezug einrichten, sodass nur Einheimische aus dem Viertel ein Restaurant bewerten könnten.

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Bei mir auf Arbeit mag ich es, wenn die Leute direkt auf mich zukommen und mir sagen, ob ihnen etwas gefallen oder nicht gefallen hat. Dann kann ich es für den nächsten Gast besser machen. Mir ist konstruktive Kritikaus erster Hand lieber als erst danach darüber lesen zu müssen. Ich schätze die Meinung anderer und daher ist es mir sehr wichtig, was sie denken.

Filip ist Teil der Munchies Regulars und ein sehr ausgeglichener Zeitgenosse. Normalerweise. Ihr werdet von ihm noch häufiger hören.