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Mordversuche, Holzdildos und Dieter Bohlen: Die Geschichte des Müllgotts von Osthessen

Hinter einer skurrilen Lokalmeldung verbirgt sich eine düstere Geschichte.
Foto: Ben Kilb

Ein paar der Fachwerkhäuser neigen sich aus Altersschwäche leicht zur Seite, ab und an fährt ein getunter Scirocco zu schnell durch den Ort. Ansonsten hat in Obergeis alles seine Ordnung. Die Leute in dem 950-Seelen-Nest in Osthessen sind besonders stolz auf den Sieg im Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden" vor 43 Jahren. Jetzt ist Obergeis aber ausgerechnet wegen eines illegalen Müllbergs in die Schlagzeilen geraten.

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Zusammengetragen hat den Abfall Matthias Möller (53), in der Region kennt man ihn besser als den „Müllgott". Möller hatte auf seinem Grundstück—etwas abseits vom Dorfkern auf Hof Erzebach gelegen—gut 120 Kubikmeter seiner Schöpfungsmaterialien gelagert: Sperrmüll, alte Haushaltsgegenstände, PET-Flaschen— eigentlich alles, was Möller am Straßenrand abgreifen konnte. Weil seine Nachbarn auf Hof Erzebach die Vermüllung nicht mehr ertrugen, rückten die Behörden an. Auch Möllers einwöchiger Hungerstreik konnte die Räumung nicht abwenden. Der „Müllgott" wurde festgenommen und landete einen Nachmittag lang in der Geschlossenen. Selbst das Fernsehen war bei der Räumung zugegen, um die skurrile Geschichte vom Dorf mitzunehmen.

Hinter der schrulligen Meldung vom Messie-Müllgott verbirgt sich allerdings eine dunklere Vergangenheit. Die Räumung stellt nur den letzten Höhepunkt einer seit Jahren andauernden, erbitterten Feindschaft zwischen Matthias Möller und seinen Nachbarn, wenn nicht dem ganzen Dorf, dar.

„Seit Jahrzehnten wird im Dorf gegen mich und meine Familie gehetzt", behauptet der „Müllgott". „Die Leute hier möchten mich loswerden." So wirft er seinen Nachbarn zum Beispiel vor, sie hätten seine Mutter in den Wahnsinn getrieben—und würden ihm nach dem Leben trachten.

Die Nachbarn wiederum erzählen eine ganz andere Geschichte: Möller soll schuld sein am Selbstmord eines Nachbarn, den übrigen Bewohnern von Hof Erzebach immer wieder mit dem Tod drohen und diese fast täglich wüst beleidigen. „Matthias ist eine gespaltene Persönlichkeit, für eine Zwangseinweisung reicht es aber leider nicht", sagt der Obergeiser Ortsgerichtsdiener Wilfried Galler, den Möller als seinen Erzfeind im Ort betrachtet. Aber wer hat Recht?

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Foto, wenn nicht anders angegeben, vom Autor

Matthias Möller ist auf jeden Fall nicht der wortkarge und scheue Eremit, den man erwartet. Er trägt einen weißen Trilby, darunter ein Angry-Birds-Bandana. Aus seinem fusseligen Bart klingen eine lebenslustige Stimme und sorgfältig gewählte Worte. Möller lacht viel—vor allem über seine schrägen Ideen. Er redet offen über seinen Lebensweg, seine Kunst, seine finanzielle Not. Gelegentlich blickt er ins Leere, wenn er von den dunklen Seiten seines Lebens erzählt. Einige seiner Kunstwerke habe er vor der Räumung rechtzeitig verstecken können, freut er sich und zaubert ein Wirrwarr aus Kabeln, Schlüsselanhängern und einem alten Billig-Kronleuchter hervor, das ihm bei Auftritten als Hut dient. Wenige Schritte weiter wirft Möller eine Plane zur Seite und präsentiert einen Bollerwagen, dessen Aufbaute sich mit drei Handgriffen von einem Picknick-Tisch in eine Toilette verwandeln lässt. Möller erzählt, dass er damit bereits bei Deutschland sucht den Superstar aufgetreten sei: „Es kam aber nicht sonderlich gut an."

Entmutigen lassen hat sich der „Müllgott" davon nicht. Der umtriebige Mann hat in den letzten Jahren auch einiges erlebt: Möller hat nach seinem Auftritt bei DSDS Dieter Bohlen gedisst, ihm eine Ahle Wurst und einen selbstgebauten Tischtennisschläger mit Pimmelgriff geschenkt, um Bohlen an dessen Schwanzbruch zu erinnern. Irgendwann stand Möller sogar mit MC Fitti auf der Bühne—mit dem er immer mal wieder verwechselt wird.

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Seitdem hat der „Müllgott" das Rappen für sich entdeckt. Ein Beispiel: „Die Wertstoffe sind weg. Aus was für'm Zweck? Ich werd' sie psychisch jagen, das versprech' ich euch. Ich räpp' euch kaputt", macht er seinen Widersachern klar. Auch über eine Nachbarin, die keinen abkriegt, reimt Möller, über Ortsgerichtsdiener Galler, zur Entspannung auch mal über seinen Ossi-Kumpel Dieter. „Anders kann ich mich gegen die Hetze nicht wehren", rechtfertigt er sich.

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Gemobbt fühlt er sich auf Hof Erzebach und in Obergeis bereits seit frühester Kindheit. Möller war vier Jahre alt, als sich seine Eltern scheiden ließen. Seine Familie sei seitdem geächtet in der Gemeinde, ihm selbst sei von einigen gar die Schuld an der Scheidung gegeben worden. „Mein Vater zog nach Bebra, meine Mutter verkroch sich wegen der Anfeindungen in ihrem Zimmer, kam in die Psychiatrie und verstarb im Jahr 2000. Die Leute in Obergeis haben sie auf dem Gewissen", ist er sich gewiss. Inzwischen steht für den „Müllgott" auch fest, dass die Obergeiser auch ihn entsorgen wollen: „Neulich habe ich in meinen Reifen vier Nägel gefunden. Das war ganz klar ein Mordversuch."

Laut Ortsgerichtsdiener Wilfried Galler ist Möller in Obergeis erst seit seinem Knast-Aufenthalt in Ungnade gefallen. Da er im Jahr 2006 seinen abgemeldeten Ford Fiesta nicht rechtzeitig vom Grundstück entfernt hatte, verdonnerte ihn der Ortsgerichtsdiener zu einem Bußgeld von 600 Euro. Möller konnte und wollte nicht zahlen: „Ich bin stattdessen lieber vier Wochen in die JVA Preungesheim." Da Möller aber nun mal aus allem einen Nutzen zieht, und ist er noch so krude, entschloss er sich dazu, eine „Agentur für Knast-Urlaub" zu gründen, deren Kunden auf seinem Grundstück in einer Art Boot Camp realitätsnahe Gefängnisbedingungen vorfinden sollten. Das Gewerbeamt lehnte ab.

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„Zuvor war er noch halbwegs erträglich. Kurz danach hat er auch mit der Vermüllung sowie den Drohungen und den üblen Beschimpfungen gegen alle angefangen, die sich seinem Müll näherten", erzählt Galler. Beides betrieb Möller laut dem Ortsgerichtsdiener so extrem, dass er damit im letzten Jahr einen Nachbarn um den Verstand gebracht habe: „Er kam zu mir und klagte, dass er Möllers Drohungen nicht mehr aushalte, dass er sein Haus nicht verlasse könne, ohne dass Möller ihm auflauere. Möller hat ihm sogar damit gedroht, seine geliebten Hunde zu töten. Er sei kurz davor, sich das Leben zu nehmen, sagte er zu mir und heulte Rotz und Wasser. Einen Tag später tötete er erst seine Hunde, suchte sich dann ein entlegenes Waldstück und schoss sich selbst in den Kopf." Möller habe sich anschließend auf Hof Erzebach aufgebaut und gebrüllt: „Einen von euch habe ich geschafft!"

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Möller streitet das ab. Aus seiner Sicht sind jene Vorwürfe Teil eine Verschwörung der übrigen Dörfler, um ihn aus Obergeis zu vertreiben. Ein Zeckenbiss hätte seinen Nachbarn in den Wahn und anschließend zum Selbstmord getrieben, behauptet der „Müllgott". Gepöbelt habe er zwar des Öfteren gegen alle auf Hof Erzebach, das gibt er zu. Handgreiflich sei er aber nie geworden. Seinen Frust verarbeite er hingegen in Müllkunst und Raps. Dass er durchgeknallt sei, wisse er selbst, sagt er: „Ein Psychopath bin ich aber nicht. Ich bin anders, und das ertragen die Leute im Dorf nicht." Manchmal wünsche er sich daher in eine Großstadt: „Dort würde man mich besser behandeln."

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Auch Nachbarin Karin Tükenmetz (63) hofft, dass Möller andernorts Karriere macht. Allerdings nicht aus nachbarschaftlicher Zuneigung, sondern zum Wohle ihrer eigenen Gesundheit: „Möller hat mich psychisch krank gemacht. Seit Kurzem habe ich Zucker, meine Ärztin meint, es kommt wohl vom Stress mit Möller. Ich kann nachts nicht schlafen, traue mich nicht auf den Hof aus Angst vor ihm." Tükenmetz berichtet, dass der „Müllgott" Morddrohungen gegen so gut wie jeden Bewohner von Hof Erzebach ausspreche, wenn auch nur ein schiefer Blick in Richtung seiner Müllsammlung gerichtet werde. Sie hege auch keine Zweifel, dass Möller Schuld trägt am Selbstmord seines Nachbarn. „Wenn wir hier nur zur Miete leben würden, hätten wir Hof Erzebach wohl schon verlassen", sagt Tükenmetz.

Auch Matthias Möller hat Zeit seines Lebens immer wieder darüber nachgedacht, Obergeis zu verlassen. „Ich war für alle hier schon immer ein Exot", sagt er, weiß aber nicht warum. Als Jugendlicher sei er im Ort perfekt integriert gewesen. Möller kickte beim TSV, spielte Tischtennis, war im Ski-Klub. „Ich war zeitweise in elf Vereinen angemeldet", erzählt er. Nach Schmiede-Lehre und Wehrdienst habe er sich in Obergeis jedoch zunehmend unerwünscht gefühlt. „Nach dem Bund heuerte ich wieder in meinem Lehrbetrieb an, wurde dort aber rausgemobbt, weil ich zugenommen hatte." Möller ging daraufhin mit seiner damaligen Freundin eine Zeit lang nach Hamburg, verdingte sich mit Nebenjobs, widmete sich der Selbstfindung. Ende der 90er machte er sich als Klempner selbstständig. „Das Wissen hatte ich mir selbst angeeignet", sagt Möller. Fast zehn Jahre lang habe er in Obergeis und Umgebung gute Arbeit geleistet. Dann seien ihm wegen der Sache mit der „Knast-Agentur" die Aufträge weggebrochen.

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Ortsgerichtsdiener Wilfried Galler und Nachbarin Tükenmez kennen Matthis Möller seit Jahrzehnten. Beide sagen, dass sie eigentlich immer gut mit ihm auskamen —wie die meisten Leute in Obergeis. „Möller kommt aber immer wieder mit der Behauptung, die Leute im Ort hätten seine Mutter auf dem Gewissen", stöhnt Galler. Tükenmez erzählt, dass die Geisteskrankheit von Möllers Mutter bereits Grund für deren Scheidung gewesen sei: „Sie zog daraufhin mit Matthias nicht weit weg, brachte ihn jedoch immer wieder auf den Hof. Er sollte nur im Wasser des Erzebachs baden."

Dass Matthias Möller Hof Erzebach noch einmal für längere Zeit verlässt, ist mehr als unwahrscheinlich. Er sagt, dass er sich eher das Leben nehmen würde, als seiner Heimat den Rücken zu kehren. An Selbstmord habe er sogar schon ein paar Mal gedacht. „Aber das sind die Leute hier nicht wert", macht Möller klar.

Auch aus Sicht der Bad Hersfelder Polizei besteht bei Möller nicht die Gefahr, dass er sich selbst tötet. Ebensowenig glaubt der Polizeisprecher, dass er eine Gefahr für andere darstellt. Die Beamten werden zwar des Öfteren auf Hof Erzebach verlangt, allerdings nur, um lautstarke Auseinandersetzungen zu schlichten. Möller alleine aufgrund seiner Hasstiraden und seines eigenwilligen Charakters wegzusperren, sei nicht möglich, sagt der Polizeisprecher: „Dann müssten wir ja den halben Landkreis einsperren."

Gegen Möller liegen zudem auch keine Anzeigen vor, als dass sich die Behörden weiter mit ihm beschäftigen könnten. „Vielleicht sollten seine Nachbarn öfter mal zu jenem Mittel greifen, wenn er sie zu heftig angeht", rät Michaela Kilian-Bock, Richtern am Bad Hersfelder Amtsgericht—das der „Müllgott" während des Räumungs-Trubels einmal nur mit gelben Sack bekleidet aufgesucht hat. Vielleicht entscheidet Matthias Möller aber auch bald selbst, was in Obergeis Müll ist und was nicht, was Kunst ist und was nicht. Denn Ende September möchte er in der Gemeinde als Bürgermeister kandidieren.

Eines ist schon jetzt sicher: Die größte Errungenschaft des Ortes bleibt sein Sieg im Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden" vor 43 Jahren. Aber obwohl die Bewohner genau das vermeiden wollten, ist der berühmteste Sohn von Obergeis jetzt der „Müllgott".