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Stadionverbot

Warum man trotz Stadionverbot auswärts fährt

Bosca ist Frankfurter Rapper und Ultra. Gerade ist sein 3,5 Jahre währendes Stadionverbot abgelaufen, in 10 von 17 Bundesliga-Standorten hatte er sogar Stadtverbot. Wir haben ihn gefragt, warum er trotzdem auswärts fährt.
Foto: Pressebild

Stadionverbote kennt man als Fußballfan mittlerweile. Was viele nicht wissen, in einigen Fällen geht die Polizei noch einen Schritt weiter und erteilt Aufenthaltsverbote für das gesamte Stadtgebiet. Bosca ist Frankfurter Ultra und Rapper. Gerade hat er ein dreieinhalbjähriges Stadionverbot hinter sich und kennt diese Stadtverbote schon länger. Trotz Stadtverbot hat er sich am letzten Spieltag der Saison auf den Weg nach Bremen gemacht und das Spiel in einer Kneipe außerhalb der Stadt geschaut. Wir haben mit ihm über Stadionverbote, Stadtverbote und den Ultra-Lifestyle gesprochen.

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VICE Sports: Wieso hattest du so lange Stadionverbot?
Bosca: Bei der Ursache will ich nicht zu sehr ins Detail gehen, aber es sind Sachen passiert, die in der Subkultur der Ultras und im Umfeld des Fußballs passieren können. Wenn man objektiv drauf schaut, kann man schon sagen, dass es in Ordnung geht. Obwohl die Vorfälle meist relativ weit weg vom Stadion waren, komplett willkürlich war es bei mir nicht. Da gab es andere Fälle, in denen einfach komplette Busse mit SVs belegt wurden.

Wie kommt man vom Stadion- zum Stadtverbot?
Wenn man Stadionverbot hat, bekommt man einfach einen Brief, in dem einem zusätzlich der Aufenthalt in einer bestimmten Stadt untersagt wird. Wer davon betroffen ist, unterscheidet sich von Stadt zu Stadt, wahrscheinlich hängt es von den jeweiligen Dateien der Polizei ab. In den Briefen wird dir angedroht, dass du in Gewahrsam kommst und 500 Euro bezahlen musst, wenn du im Stadtgebiet angetroffen wirst. Das riskiert man einfach nicht, denn es gibt genug Zivilpolizisten, die einen erkennen.

Und wie werden Stadionverbote kontrolliert, wenn man in die Stadt darf?
Die SKBs (Szenekundigen Beamten; Anm. d. Red.) wissen, wer Stadionverbot hat und kontrollieren an den Stadioneingängen. Bei Auswärtsspielen stehen die schon vor der Abfahrt am Bahnhof und gucken, wer alles mitfährt. Bei den Massen an Fans können die natürlich nicht alles überblicken, deswegen kann man eventuell probieren, ins Stadion zu gehen. Wenn man erwischt wird, verlängert sich das Verbot allerdings. Manchmal hat man zusätzlich Meldeauflagen.

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Wie sehen die aus?
Man muss sich vor und nach dem Spiel auf dem örtlichen Polizeirevier melden. Davon bin ich glücklicherweise meistens verschont geblieben bis auf ein Mal in Karlsruhe. Da war die erste Meldepflicht jedoch erst 20 Minuten vor Spielbeginn. Wir sind dann morgens mit unseren Jungs nach Karlsruhe gefahren, haben Fotos gemacht und sind mit dem ICE zurückgefahren. Pünktlich um 15:10 waren wir in Frankfurt im Revier. In Karlsruhe hatten die Zivis schon dumm geguckt, die wussten schließlich, dass wir Meldeauflagen hatten. Es war auch, um zu zeigen, dass wir uns von Stadionverboten nicht unterkriegen lassen.

Bosca und die anderen Stadionverbotler am Karlsruher Hauptbahnhof. In der Hand halten sie ihren Meldebescheid; Foto: Privat

Was verändert sich durch ein Stadionverbot?
Bei den Meisten ändert sich nicht viel. Ich bin auch ganz normal weiter zu den Spielen gefahren, dann halt nur draußen geblieben. Man kennt andere Leute, die nicht ins Stadion dürfen und verbringt die Zeit mit denen. Zu meiner Anfangszeit wäre ein Stadionverbot weitaus schlimmer gewesen, mittlerweile ist es nichts Außergewöhnliches mehr und man nimmt es hin. Nur hält sich die Motivation irgendwann in Grenzen, wenn man zum sechsten Mal nach München fährt und draußen irgendwo in einem Scheiß-Laden rumhängt.

Wie oft warst du diese Saison beim Fußball?
Im letzten Jahr war leider echt viel zu tun wegen dem Album und der Tour. Auswärts bin ich genau zweimal gefahren. Einmal Leverkusen, wo ich nicht mal angekommen bin und dann Bremen. Bei Heimspielen war ich natürlich häufiger da. Das ist für mich wie Wohnzimmer. Man kennt die Leute, hat seine Kneipe zum Fußball gucken und hängt vor und nach dem Spiel mit seinen Jungs ab. Auswärts war es auch enorm mit Stadtverboten. Ich glaube von 17 Auswärtsspielen hatte ich bei zehn Stadtverbote.

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Gewalttaten sind oft der Auslöser von Stadionverboten, in welchem Verhältnis steht Fußball und Gewalt?
Wenn man sich für den Ultra-Weg entschieden hat, dann lebt man autonomer und macht sich von den normalen Regeln frei. Es gibt sicher Gruppen, die sich von Gewalt distanzieren, aber es ist auf jeden Fall Bestandteil von diesem Lebensstil.

Wie hat sich das Verhältnis mit der Polizei entwickelt?
Es ist natürlich jetzt eine hypothetische Frage. Wurde es gewalttätiger, weil mehr Polizei da ist oder ist mehr Polizei da, weil es häufiger Auseinandersetzungen gibt? In meinen Augen war es früher definitiv gelassener und es ist weniger passiert. Das Schlimme ist, dass heute viele unnötige Sachen passieren und die Bullen auch teilweise auf Stress aus sind. Erst vor zwei Wochen wurde unser Zug nach Leverkusen aufgehalten und jeder kontrolliert. Im Endeffekt kamen wir wegen ein paar Kippen im Zug nicht zum Spiel. Das steht in keinem Verhältnis. Beim Fußball hat man allgemein einen höheren Polizeikontakt als im normalen Alltag und die Wahrscheinlichkeit, dass man irgendwelche Anzeigen kriegt, obwohl man wirklich nichts getan hat, ist schon da.

Wenn man die Funktionen von Strafe betrachtet, ist eine Aufgabe die Verhinderung von zukünftigen Straftaten. Wie siehst du das bei Stadionverboten?
Da muss man unterscheiden zwischen Szeneleuten und „normalen" Fans. Bei Fans, die gar nicht mit der Ultrakultur zusammenhängen, kann es gut sein. Wenn jemand x-beliebiges am Spieltag Scheiße gebaut hat, ist der meistens oberabgefuckt und bleibt daheim, solange er Stadionverbot hat. Danach werden die schon aufpassen, dass es nicht wieder vorkommt. Bei den Ultras ist es anders, weil sie auch hinter ihren Aktionen stehen. Da macht es wenig Sinn und die werden vielleicht eher in Situationen getrieben, wo etwas passiert.

Ultras Frankfurt gratulieren Bosca mit einem Spruchband zum Charterfolg; Foto: Privat

Du sagst, bei Ultras macht es weniger Sinn—wie definiert sich denn die Lebensweise der Ultras?
Das ist schwer zu erklären für Außenstehende. Es geht viel um den Zusammenhalt in der Gruppe und bedingungslos zu dem zu stehen was man macht—in allen Lebensbereichen. Ultra ist auch den Moment zu leben und nicht immer an die Zukunft zu denken. Guck dir doch die Menschen an. Die gehen in die Schule um eine gute Ausbildung zu haben, damit versuchen sie einen gut bezahlten Job zu bekommen, um sich ein tolles Auto und Haus zu kaufen. Als Ultra versucht man die Momente zu genießen; mit seinen Freunden zusammen zu sein; zu den Spielen zu fahren—einfach das Leben auf andere Art zu genießen.

Kennst du eine Alternativlösung zum Stadionverbot?
Eine Alternativlösung ist nicht einfach, Sozialstunden wären vielleicht ein Ansatz. Stadionverbot funktioniert bei manchen Spielen. Man kommt an, dann wird man in eine Kneipe begleitet, wo man das Spiel verfolgen kann und gut ist. Irgendwann hat aber das mit den Stadtverboten angefangen, was in Sachen Recht- und Verhältnismäßigkeit definitiv an Grenzen stößt. Ein Stadionverbot ist im Prinzip nichts anderes als ein Hausverbot. Wenn man es vergleicht, dann wäre das so, wie wenn man sich in Frankfurt in einer Disco daneben benommen hat und nächstes Wochenende einen Brief bekommt, dass man in der ganzen Stadt unerwünscht ist. Hinzu kommt: Die meisten Straftaten, die ursprünglich zu den Stadionverboten führen, haben überhaupt nicht im Stadion stattgefunden. Bestimmt 80% haben SV wegen einem Vorfall außerhalb des Stadions. Das Ganze ist schon ziemlich absurd.

Das Interview führte Mirko Lorenz, folgt ihm bei Twitter: @mirkchief