Es gab eine Zeit, in der Felix Baumgartner nichts lieber tat, als über Flüchtlinge zu reden. Er jammerte in wutbürgerlichem Ton über "Hunderttausende", die "unser Land unterwandern". Er schlug den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán für den Friedensnobelpreis vor. Und er nannte den Chef der rechtsradikalen "Identitären" einen "intelligenten Gesprächspartner, der durch Eloquenz, Höflichkeit und gute Argumente besticht."
Bei seinem Besuch in Südtirol aber steht der Stratosphären-Springer an einem Podium und sagt: "Sie brauchen sich nicht vor mir zu fürchten. Ich bin sicherlich nicht gekommen, um über Politik oder Flüchtlinge zu sprechen." Das stimmt: Felix Baumgartner ist hier, um eine Gedenkrede zu halten. Fünf Minuten maximal, ein kleines Geschenk an seine Fans in Meran. Die Rede wird der 11 Meter hohen Bronze-Statue gelten, die hinter ihm thront – und dem Typen, den sie darstellt: Andreas Hofer, "Freiheitskämpfer" und Anführer des Tiroler Bauernaufstands, am 20. Februar 1810 von einem französischen Kommando in Mantua erschossen.
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Am Sonntag, dem 18. Februar 2018 – und damit fast auf den Tag genau 208 Jahre nach dessen Tod – soll Felix Baumgartner dem Nationalhelden im Auftrag des Südtiroler Schützenbundes die Ehre erweisen und erklären, warum es noch immer lohnt, sich an Andreas Hofer zu erinnern. Er hat es angekündigt und er hat "Handschlagqualität", wie sein Vorredner ausdrücklich bestätigt. Felix steht also stramm, blickt mit stahlblauen Augen ernst in die Runde – und beginnt zu sprechen.Drei Stunden vorher, eine kleine Bar in der Meraner Innenstadt. Nach dem Mittagessen gönnt sich die Schützenkompanie Roncone erst mal ein großes Bier. Mit ihren um den Bauch geschnallten Säbeln versperren die Kameraden anderen Gästen den Ausgang. Trotzdem machen sie keine Anstalten, sich zu bewegen.Heute, am Tag der "Andreas-Hofer-Landesfeier" gehört die Stadt ihnen. Ganz Meran hört auf den Schützenbund. Noch ist es gut eine halbe Stunde, bis der große Aufmarsch beginnt, noch tragen Männer aus allen Himmelsrichtungen Gewehre in die Freiheitsstraße. Ein junger Schütze hat Probleme mit seiner Weste: "Dann ziach halt mal dein Bauch ein", sagt seine Mutter. "Jetzt geht’s bald los."Bald wird hier marschiert, wird Felix Baumgartner mit Gewehrsalven und einem Stamperle Schnaps empfangen. Am Straßenrand steht eine Frau mit Kopftuch, während gegenüber historische Waffen in Stellung gebracht werden. Sie weiß nicht so recht, wie sie das deuten soll: "Hofer, wer ist das? Ein Held?", flüstert sie. "Ein Kämpfer gegen die Franzosen", raunt ihr eine italienische Touristin zu. "Aber für sie ist es ein Kämpfer für die Freiheit."
"Hofer, wer ist das? Ein Held?"
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"Ich kenne Andreas Hofer nicht persönlich"
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Jetzt geht es los, Ordnung ist angesagt. Wie ein Feldherr schreitet der Stargast seine Kompanien ab, sagt solange "Griaß eich, griaß eich, griaß eich", bis sein Kopfnicken den Rhythmus der Musikkapelle aufnimmt. "Habt acht!", brüllen die Hauptmänner und Felix blinzelt. Er ist ein Feldherr ohne Schlacht. Da berührt ihn schon wieder ein Schütze auf die Schulter, drückt ihm einen Schnapsbecher in die Hand, erinnert ihn ans Protokoll. "Prost", ruft der Schützenbund und die Luft füllt sich mit Alkohol.Auch wenn es auf den ersten Blick so ausschauen mag: Der Südtiroler Schützenbund hat wenig mit den bierseligen, unpolitischen Brüdervereinen im deutschsprachigen Ausland zu tun. Hier wird noch gearbeitet: Mit seinen über 5.000 Mitgliedern macht der Schützenbund in der norditalienischen Provinz rechtskonservative Politik. Er fordert etwa den österreichischen Pass für Südtiroler, pflegt enge Beziehungen zur FPÖ, will einen Wiederanschluss ans Vaterland und betreibt mit UnserTirol24 sogar ein eigenes rechtes Nachrichtenportal.Auch Obmann und Generalsekretär der Südtiroler Freiheitlichen sind oder waren hier hohe Funktionäre, von der regierenden Volkspartei haben sich die Schützen immer mehr entfremdet. "Wir sind nach wie vor überparteilich", sagt Elmar Thaler, dessen schelmisches Lächeln immer so aussieht, als führe er etwas im Schilde. Aber die mächtige Meraner SVP hat die Andreas-Hofer-Feier fast geschlossen boykottiert – wegen der Einladung Felix Baumgartners.
Österreichischer Pass für Südtiroler, Wiederanschluss ans Vaterland
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Bevor das Red-Bull-Testimonial aber endlich seine Predigt halten darf, trifft sich der Schützenbund zum Gottesdienst. Kompanien aus dem ganzen Land haben das Hofer-Denkmal mit lauten Trommelschlägen eingekreist. Es ist ein imposantes Bild, nichts erinnert hier an den "Hundekackplatz", als den ihn selbst patriotische Parteien manchmal sehen.