FYI.

This story is over 5 years old.

Musik

Totgeglaubte müffeln länger—ein Interview mit Carcass

Die Bandgeschichte von Carcass ist eines der besten Beispiele dafür, dass das Konzept der Band-Reunion in einer rückwärtsgerichteten und nostalgisch verwurzelten Gesellschaft voll aufgeht. Im Rahmen des anstehenden Konzerts im Gasometer haben wir...

Copyright Adrian Erlandsson

Bei heutigen Kulturproduktionen wie The Human Centipede oder Videospielen à la Postal ist das zwar unvorstellbar, aber Mitte der 80er hatten Splatter-Themen in Musiktexten wirklich noch Schockpotential. Songs, die von stinkenden Innereien oder postmortalen Fötus-Dissektionen handeln, waren eine gesunde Abwechslung zum Riddle of Steel Pathos und prägten auch die Anfangsjahre der britischen Deathgrind-Metaller Carcass. Vom Debütalbum „Reek Of Putrefaction“(1988) bis in die frühen 90er zelebrierte Carcass somit das Genre des Grindcore, mit der Veröffentlichung des wesentlich melodischeren und aufgeräumten Albums „Heartwork“ (1993) haben sie sich fest in der Kerngruppe der Death Metal Enthusiasten etabliert. Noch vor Veröffentlichung des fünften Albums „Swansong“(1996) erklärten sich Carcass dann selbst für Geschichte. Heutzutage sind Wiedervereinigungen im Metalbereich ja derart beliebt, dass sie schon bei der Bandgründung eingeplant werden. Aber als Carcass nach einer Pause von über zehn Jahren wieder auf Tour gingen—das kam dann schon recht unerwartet. Seit September 2013 gibt es mit „Surgical Steel“ sogar ein Reunion-Album und wider aller Erwartungen muss man sich tatsächlich eingestehen, dass es richtig gut geworden ist. Die Bandgeschichte von Carcass ist eines der besten Beispiele dafür, dass das Konzept der Band-Reunion in einer rückwärtsgerichteten und nostalgisch verwurzelten Gesellschaft voll aufgeht. Im Rahmen des anstehenden Konzerts im Gasometer haben wir Bassist und Sänger Jeff Walker ein paar Fragen gestellt.

Anzeige

Carcass 1985 (Copyright: Carcass)

VICE: Jeff, wie geht's dir heute? Was hattest du zum Frühstück?
Jeff Walker: Ich trinke gerade meine dritte Tasse Tee.

Nerven dich Leute, die sich nur für das interessieren, was du gegessen hast, weil du beschlossen hast, kein Fleisch mehr zu essen?
Wer interessiert sich dafür? Es ist heutzutage eher ungewöhnlich, wenn Hipster wie du IMMERNOCH Fleisch essen. Komm mal im 21. Jahrhundert an!

Meinst du das gleiche Jahrhundert, in dem niemand mehr das Wort "Hipster" verwendet? Wie würdest du jemandem den aktuellen Sound von Carcass erklären, der euch nur aus eurer ranzigen Goregrind-Phase kennt?
Na ja, wir klingen im Vergleich zum modernen “extremen” Metal eher schwächlich. Am ehesten würde ich unsere Musik als AODM bezeichnen. Das bedeutet Adult Orientated Death Metal, zu deiner Information.

Was wäre denn ein guter Grund, jemanden umzubringen?
Das Stellen von dummen Fragen.

Du wirst mit Amon Amarth durch Europa touren. Hast du dir ihre Musik mal angehört?
Ich kenne einen Song in und auswendig, dabei habe ich ihn nur einmal gehört. Ich werde ihn dir phonetisch vorsingen, er geht so: „der, der der der, der (dum de dumlum, dum de dumlum), der, der der der, der".

Hast du gerade einen Ohrwurm?
Die ganze letzte Nacht hatte ich Wedding Present & Teenage Fanclub im Kopf … vielleicht sollte ich ihre alten Alben mal wieder entstauben?

Ihr habt gerade eure Tour durch Nord Amerika beendet.
Na ja, das war eigentlich keine wirkliche Tour … wir hatten fünf Auftritte und ein paar Zwischenhopser in bester Led Zeppelin-Manier.
Schade, dass uns—noch—nicht die Royal Dutch Airlines oder Delta gehören.

Anzeige

Denkst du langsam, dass du zu alt für den Scheiß wirst?
Nur mein Körper arbeitet gegen mich … mein Kopf ist der eines 17-Jährigen. Setz' alles daran, nicht zu heiraten und keine Kinder zu bekommen!

Wiedervereinigungen, -veröffentlichungen oder Neuaufnahmen sind ja derzeit ein weit verbreitetes Phänomen, vor allem in der Metal-Szene. Glaubst du, dass die Hörer einfach zu faul sind, neue Dinge zu entdecken und deshalb alles Altbekannte mit offenen Armen empfangen?
Die Leute erleben so ihre Jugend noch einmal. Nostalgie ist der neue Rock’n’Roll. Die Menschen wollen Bands sehen, die sie verpasst haben, als sie jung waren. Die Festival Promotoren bieten den Bands attraktive Zuckerl an, um mit ihnen mehr Leute zu ködern—und Rereleases halten unser altes Plattenlabel am Leben und ich kann meine Versace Anzüge behalten.

Was ist mit dir? Interessiert dich die derzeitige Musikszene? Verfolgst du die neuesten Dinge?
Ja, ich versuche schon, da mitzuhalten. Wobei mich nicht die Musik per se interessiert, sondern ich sie nur als Brennstoff für meine „Kunst“ nutze.

Was denkst du über Miley?
Ich bevorzuge ihren Vater, Billy Ray Cyrus.

Das neue Album Surgical Steel (Copyright: Nuclear Blast)

Eure ersten beiden Alben „Reek Of Putrefaction“ und „Symphonies of Sickness“ sind ziemlich dürftig produziert und instrumentiert—genau das ist es, was ihren Charme ausmacht. Mittlerweile haben unzählige altgediente Metalbands ihre bekanntesten Alben neu vertont und die meisten davon—um nicht zu sagen alle—waren grottenschlecht. Wie sieht’s aus, werdet ihr ROP und SOS noch einmal aufnehmen?
Diese Alben waren das Resultat von mangelndem Talent und Geld, zu wenig Erfahrung und außerdem ein Produkt ihrer Zeitdu kannst das weder neu erstellen, noch kannst du in der Zeit zurückgehen … außer du bist Schwede.

Anzeige

Gibt es da denn keinen Druck seitens der Fans oder eures Labels?
Überhaupt nicht. Was wir nicht mit ROP und SOS abgedeckt haben, haben die Bands, die wir inspiriert haben, tausendfach überstrapaziert …

Hat dich Wacken beeindruckt?
Nein, aber wir haben ein schönes Loch in ihre Geldbörsen gerissen.

Früher hast du berühmte Cover für Napalm Death und Axegrinder designt. Erfreust du dich immer noch an anderen Formen des künstlerischen Ausdrucks, abgesehen von Musik?
Naja, ich bin für den Großteil des Artworks zu "Surgical Steel" verantwortlich. Ich schätze, ich bin wie die meisten zeitgenössischen KünstlerDamien Hirst, Geoff Coombs und so weiter: Ich habe eine gute Ideedie von anderen geklaut ist, delegiere die an Leute, die sie handwerklich umsetzen und ernte dann die Lorbeeren dafür.

Du hast dich offensichtlich intensiv mit deiner Vergangenheit auseinandergesetzt, als du an „Surgical Steel“ gearbeitet hast. Hast du einige Dämonen gefunden?
Die einzigen Dämonen sind die in unseren Köpfen … und Bier ist ein majestätischer Gastgeber für Engel.

Am 25. November spielen Carcass im Wiener Gasometer.