Im Mai 2015 dann—fast genau ein Jahr nach seiner Freilassung—tauchte in meinem Facebook-Feed ein Video von Alig auf. Wie es aussah, war Aligs neustes Projekt eine selbstgemachte YouTube-Serie mit dem Namen The Pee-Ew Show (jetzt einfach nur Peeew!), die er im September 2014 mit Ernie Garcia zusammen ins Leben gerufen hatte—einem ehemaligen Freund aus Partytagen, auch bekannt als Ernie Glam. In der "Stinky, Sit-Down Comedy Talk Show Satire", wie sie sich auf YouTube selber nennt, konnte man in den täglich erscheinenden Sendungen dem Duo dabei zuschauen, wie es einen Mischmasch aus verschiedensten angesagten Themen kommentierte—von neuen Hot Chip Songs bis hin zu russischen Masturbationsvideos—und dabei ihre eigenen Geschichten einstreuten. Freunde aus den alten Clubkreisen wie James St. James und Dj Keoki traten manchmal als Gäste auf.In dieser bestimmten Episode witzeln die beiden darüber, wie Glam einmal bei einer Red Bull Music Academy Veranstaltung namens Storm Rave ein kleines rotes Tütchen vom Boden aufgelesen hatte, nur um zu realisieren, dass es sich dabei um eine Einladung für ein Bootparty von Rinsed handelte. Alig machte sich in der Folge über Glam lustig, weil er auf den Trick reingefallen war. "Das ist die Clubversion der hundert Dollar Note an einem Faden, die man auf den Bürgersteig legt, um zu schauen, wer sich danach bückt", grinste Alig frech wie immer in die Kamera. Mit einem gewissen Schaudern merkte ich, dass sich Aligs Welt der meinen immer weiter näherte. Ich war bei genau der gleichen Red Bull Veranstaltung gewesen. Die Crew von Rinsed waren meine Freunde. Tatsächlich befand sich sogar in dem Moment, in dem ich mir das Video anschaute, genau so ein Tütchen in meiner Hosentasche.An meinem ersten Tag zuhause, hatte ich einen existenziellen Moment. Ein Teil von mir wollte sich in einer Hütte verstecken, der andere Teil sagte mir, dass ich einfach tun soll, was ich immer schon tun wollte.
Nach dem Verbrechen veranstalte Alig weiter Partys, während er seinen Freunden nebenbei erzählte, dass er und Freeze Melendez getötet hatten. Dem Guardian zufolge tauchte er sogar einmal im Limelight mit dem Wort "Guilty" [schuldig] auf die Stirn geschrieben auf. Die meisten Leute nahmen einfach an, dass er nur Spaß machen würde oder mal wieder Aufmerksamkeit einheimsen wollte. Laut Alig sei Gatien aber total ausgerastet, nachdem er ihm Wochen nach dem Mord von den Geschehnissen erzählte. Er sagte: "Du hast gerade die Jobs von tausend Menschen aufs Spiel gesetzt. Die werden uns die Clubs dichtmachen." Im April händigte ihm Gatiens Frau eine Abfindungszahlung aus. "Die dachten, dass ich in das Verbrechen involviert sei, und wollten nicht mit mir in Verbindung gebracht werden", so Alig.Als Michael Musto in seiner Kolumne für die Village Voice über Aligs und Gatiens Zerwürfnis schrieb, wies er auch daraufhin, dass Melendez' Verschwinden langsam für einige offene Fragen in der Clubszene sorgte. Angels Bruder hatte verzweifelt die Clubs der ganzen Stadt nach ihm abgesucht und eine Belohnung für jeglichen Hinweis auf seinen Verbleib ausgelegt an. Im Juni zierte das Rätsel dann unter der Überschrift "Mord in Clubland?" die Titelseite der Voice.Ich verfügte über alle Symptome eines Soziopathen, aber die Symptome, die man mit einem Soziopathen assoziiert, sind fast identisch mit denen eines Drogensüchtigen.
Nachdem wir unser Eis gegessen hatten, trennten sich unsere Wege wieder. Als wir kurz vor unserer Verabschiedung noch im Menschengewimmel an den Toren zur Subway lehnten, fragte ich ihn, ob er irgendwelchen Gegenwind wegen seiner Pläne, wieder im Nachtleben einzusteigen, gespürt habe oder ob er seine Entscheidung überdenken würde, wenn er wüsste, dass es die Melendez Familie stören würde. Alig meinte, dass er wegen der Abmachung vor Gericht mit keinen Angehörigen von Melendez gesprochen hätte, aber dass es, wenn er wüsste, dass sie sie sich daran stören würden, "meine Entscheidungen beeinflussen würde."Ich kann nicht aufhören, Kunst zu machen oder über diese verrückten Projekte nachzudenken.
Als Alig dann endlich sein Telefonat beendet hatte, setzte er sich gegenüber von mir an den Küchentisch und erklärte, dass er Patrick überreden konnte, ihn hier umsonst wohnen zu lassen—und obendrein noch in seine bald erscheinende Modelinie zu investieren. "Seit ich nach New York gezogen bin, habe ich immer Menschen gefunden, die sich um mich kümmern. Und das mussten immer so Vaterfiguren sein. Rudolf [Piper, der Danceteria-Inhaber] war der erste, dann Frank Roccio vom World, dann Maurice Brahms vom Red Zone und dem [Ice] Palace, dann Peter Gatien und jetzt Patrick." Seine Stimme verwandelt sich fast in ein Flüstern, als er mir einen Freudschen Versprecher gesteht: "Ich nenne Patrick manchmal Peter."Als hätte er gemerkt, dass ich mich innerlich fragte, was Patrick eigentlich von der ganzen Geschichte hat, fuhr Alig fort: "Es ist keine manipulative Beziehung. Ihm gefällt es, durch mich zu leben, und ich halte das Haus sehr sauber. Jeden Morgen knie ich hier und schrubbe den Boden." Er pausiert und ergänzt: "Es kostet ihn nichts, mich hier wohnen zu lassen. Er bekommt ja quasi eine Modelinie dafür, dass er mich mit Nahrung versorgt. Das ist ein guter Deal!"Man kann sich für so etwas nicht entschuldigen. Es würde sich wie eine Beleidigung anhören. Das ist nichts, was ich in Worten fassen könnte.
Als ich das Blatt dann auseinanderfaltete, überflog ich die Kategorienliste—"Best Party", "Best DJ", "Platinum Ho Award (Biggest Slut)"—und entdeckte Nominierte, die später Teil der Club-Elite werden sollten: DJ Junior Vasquez, Szene-Queen Suzanne Bartsch und Fotograf Patrick McMullan. Als ich später Recherchen zu den Glammys anstellte, fand ich mehrere Artikel, die lediglich Cherry Jubilee als Gründerin der neueren Version der Award-Show erwähnten, und weder in ihren Interview-Antworten, noch auf der Glammy-Webseite gibt es eine Erwähnung von Aligs Version. Die schlimmste Demütigung bestand aber vielleicht darin, dass sie ihn dieses Jahr noch nicht mal eingeladen hatten.
In Einzelhaft durch den Entzug zu gehen, war unvorstellbar. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich totale Hoffnungslosigkeit erfuhr—und es gab mir noch mehr Gründe, Drogen zu nehmen.