Der CDU Wahlkampfsong— Chronologie eines Totalversagens

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Der CDU Wahlkampfsong— Chronologie eines Totalversagens

Wir haben die CDU gefragt, wie der Kontakt zustande kam und wie die Resonanz war.

Die Geschichte der Menstruation ist eine Geschichte voller Missverständnisse. Das wissen wir dank OB. Die Geschichte des Wahlkampfs hingegen ist eine Geschichte voller vorprogrammierter Fehltritte. Das wissen wir dank der CDU. Besonders abstrus wird es, wenn man versucht, sich jung und hip oder gar musikalisch zu geben. Auch sonst hat die Partei mit dem „Knüppel Raus!"-Flair in der Vergangenheit wenig Chancen ausgelassen, sich als Treppenwitz der Politik in Position zu bringen. Immer etwas zu spät, immer etwas hinterher hinkend, dennoch unterhaltsam. Aber der Reihe nach.

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In Berlin gibt es in den Reihen der Christdemokraten eine Tradition von peinlichen Skandalen, verbalen Ausfällen und besonders seelenlosen Bürgermeister-Kandidaten. Besonders seit dem Ende der Ära Diepgen. Wer erinnert sich nicht mit Freude an Friedbert Pflüger, den gebürtigen Hannoveraner mit der Ausstrahlungskraft eines leptosomen Nasenbärs. Oder Frank Steffel, in Fachkreisen und von der Hauptstadtpresse nur „Der Teppichhändler" genannt. Seit einigen Jahren haben die Berliner nun Frank Henkel an der Backe. Alles große Namen der charismatischen Verelendung. Fragt man auf den Fluren des Roten Rathauses oder in Beamtenkreisen nach dem Innensenator und stellvertretendem Bürgermeister, hört man hinter vorgehaltener Hand oftmals Sätze wie „Der ist doch eh nie da und wenn, weiß er nicht, worum es geht". Henkel hat sich nicht gerade den Ruf eines Workaholics erarbeitet. Seine vielen Dienstreisen dürften ihm hingegen die ein oder andere Bonus-Meile eingebracht haben. Was solls, muss ja nicht jeder ein Fleißbienchen sein. Dafür hat der gute Frank andere Dinge vorzuweisen. Etwa eine zwielichtige Taktik bei den Verhandlungen mit den Flüchtlingen auf dem Oranienplatz. Hier wurden unterschriebene Verträge schon mal als „nicht bindend" angesehen. Oder die deutschlandweit bekannt gewordene Teilräumung der Rigaer Straße. Gerade erst wurde die Rechtswidrigkeit der Aktion durch das Landgericht Berlin erneut bestätigt, doch das stört Henkel eher wenig. Auch die großspurig vermeldete Razzia im Großbordell Artemis (ich war ganz zufällig in der unmittelbaren Nähe), bei der Henkel gewohnt hemdsärmlig agierte, ist wenige Wochen später ziemlich fragwürdig. Sämtliche Vorwürfe gegen die Betreiber mussten fallengelassen werden. Von seinem Wirken im Aufsichtsrat des ominösen Hauptstadtflughafens BER ganz zu schweigen. Was also tun, wenn man quasi im Minutentakt von einem Fettnäpfchen ins nächste tritt und im ersten Moment keine andere Strategie hat, als beleidigt im Lokalfernsehen rumzupoltern? Richtig! Ein Song muss her. Irgendwas fetziges, was die coolen Kids an die Wahlurnen treibt. Gesagt, getan.

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Mit Tobias de Borg hat man eine Koryphäe in Sachen Möbelhaus-Eröffnungen an Land gezogen. Wie es so weit kam? Dazu später mehr. Die Reaktionen waren derweil erwartbar: Ein mittelschwerer Shitstorm auf Facebook, hämische Artikel in mehreren Blogs und Online-Magazinen, Belustigung allerorten. Nur nicht im Klunkerkranich. Der Berliner Rooftop-Club musste nämlich feststellen, dass die CDU illegal auf ihrer Dachterrasse gedreht hatte und die Szenen für ihren Wahlkampf nutzte. Was folgte, war eine öffentliche Forderung der Besitzer, die Bilder aus dem Clip zu nehmen, verbunden mit einem Pro-Refugees-Statement und einiger anderer Spitzen gegen die konservative Partei. Die CDU schnitt die entsprechenden Stellen kleinlaut aus ihrem Gute Laune-Video. Erneut ein mittelschwerer Shitstorm. Die Demütigung nahm ihren Lauf. Grund genug, sich ernsthaft mit dem Thema zu beschäftigen und bei der CDU anzufragen, ob irgendjemand bereit sei, zu den Vorgängen rund um den jetzt schon legendären de Borg-Song Stellung zu beziehen. Erstaunlicherweise war man dazu tatsächlich bereit.

Klunkerkranich

Also warf ich alles in die Waagschale, was ich bei Moderator Davud von TV.Strassensound gelernt hatte und stellte die beiden progressivsten Fragen, die es auf diesem Planeten gibt. „Wie kam der Kontakt zustande? Und wie war die Resonanz?" Gestartet als Bettvorleger, gelandet als Tiger, von Journalismus her. Schließlich konnte niemand ahnen, wie erheiternd die Antworten auf Fragen ausfallen würden, die normalerweise Konsorten wie KC Rebell oder Farid Bang beantworten müssen. Auf den Kracher „Wie kam der Kontakt zustande?" antwortete die CDU wie folgt: „Auf einem Sommerfest. Herr de Borg liebt Berlin und ihm gefällt das CDU-Motto „STARKES BERLIN". Da er mit Herrn Henkel bekannt ist, hat er eigenständig das Lied produziert." Übersetzt dürfte das soviel bedeuten wie „Alle waren leicht angetütert bei diesem halbleeren Fest der Freiwilligen Feuerwehr Lichtenrade und weil die Karriere von beiden Protagonisten eher schleppend läuft, man privat verbandelt ist und keiner eine bessere Idee hatte, entschloss man sich, zusammen zu arbeiten". Das ist natürlich reine Spekulation. Aber meine Erfahrungswerte in diesem Bereich geben mir da Recht. Vetternwirtschaft, ick hör dir trapsen. Noch lustiger fiel die Antwort auf die Frage nach der Resonanz aus. Obwohl die ganze Welt im Internet nachlesen konnte, wie kübelweise Spott und Häme über die Christdemokraten hereinbrach, äußerte sich die Pressesprecherin wie folgt: „Frank Henkel findet den Song sehr gut. (sic!) Die Resonanz bei Bürger- oder Gartenfesten ist sehr positiv. Auf Facebook ganz überwiegend genauso." Übersetzt: „Frank Henkel hat einen schlechten Musikgeschmack. Bei Veranstaltungen des Dackelzüchter-Clubs Wilmersdorf kam der Song um 3 Uhr morgens super an, alle schunkelten mit. Unsere Kompetenz in den Sozialen Medien beschränkt sich auf den Faktor Null." Angespornt von soviel brisanten Auskünften wagte ich mich tiefer in die Materie. „Das Ziel des Songs ist es (vermutlich), eine jüngere Zielgruppe anzusprechen. Inwiefern ist dies gelungen?" fragte ich todesmutig nach und wurde erneut nicht enttäuscht. „Der Künstler de Borg steht für eine Musikrichtung, die sehr viele mögen. Uns gefällt der Song, weil er ein positives Berlinbild zeigt und außerdem ein Gute-Laune-Ohrwurm ist." Sprich: „Tausende Scheißhausfliegen können nicht irren. In Deutschland ist Techno-Schlager 'ne ganz große Nummer. Wir sind Teil der Generation Kegelclub und feiern sowas deswegen auch."
Ich hatte mir inzwischen eine Flasche Henkell trocken (anstatt des obligatorischen Popcorns) aus der Küche geholt und wartete vergnügt vor dem Laptop auf den vertrauten „Sie haben Post"-Alarm. (Ja, ich nutze immer noch AOL). Ob „Obwohl wir die Szenen weiter senden dürften, verzichten wir darauf, weil wir selbstverständlich Klunkerkranichs politische Meinung respektieren" (Ja, wir haben Scheiße gebaut, aber können es nicht zugeben) oder „Die Idee hatte der Künstler selbst" (Ein erste, zarte Abgrenzung?)—ein Statement nach dem anderen landete in meinem Postfach und erheiterte mich und meine inzwischen vor dem Laptop versammelten Freunde. Traurig nur, dass Sänger Tobias de Borg sich allen Anfragen verwehrte und bis heute nicht bereit war, etwas zu seinem Smash-Hit zu sagen. Kurz vor der Berlin-Wahl sollte sich jeder noch mal genau überlegen, ob er wirklich Parteien wie DIE PARTEI wählen will, wenn er ein gesteigertes Interesse an Satire, Unvermögen und lässigen Blödeleien hat. Die Berliner CDU steht der Spaßpartei jedenfalls seit Jahren in nichts nach. Da bleibt nur noch eines zu sagen: Danke, Merkel!