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Du kannst Macklemore viel vorwerfen, aber „White Privilege II“ war verdammt notwendig

Macklemore ist vielleicht nicht der perfekte Rapper, um sich über weiße Musiker zu beschweren, die sich der schwarzen Kultur bedienen, aber immerhin beschwert er sich.

Über Nacht haben Macklemore und Ryan Lewis in aller Stille die dritte Kostprobe des bald erscheinenden This Unruly Mess I’ve Made veröffentlicht—den Nachfolger des platingekrönten The Heist von 2012. Der „White Privilege II“ betitelte Song ist eine neunminütige Auseinandersetzung mit Macklemores Aufstieg zum Ruhm als weißer Künstler in einer prädominant schwarzen Kunstform und der kulturellen Bedeutung dessen im Angesicht der aktuellen Protestbewegung gegen Polizeibrutalität an überwiegend schwarzen Amerikanern. In dem Track beschreibt Macklemore ein Gefühl der Entfremdung als weißer Mann bei einem „Black Lives Matter“-Protest und seine Fassungslosigkeit, als er für seine Message von Eltern weißer Fans auf Kosten seiner afro-amerikanischen Künstlerkollegen gelobt wird. Der Song endet mit einer Herausforderung an den Künstler und seine Hörer, sich an den unangenehmen Diskussionen über Ethnie und Privileg zu beteiligen. Obwohl es sich dabei um eine Fortsetzung seines eigenen Tracks von 2005 handelt—in dem es darum geht, wie weiße Künstler den HipHop gentrifizieren, ohne selbst irgendetwas von dem sozialen Stigma mittragen zu müssen—erinnert er in seinem überdrüssigen Blick darauf, wie es ist, für Scharen von weißen Teenagern die einzige zarte Verbindung zu einer Musik Art zu sein, die in den schwarzen und hispanischen Kulturen amerikanischer Innenstädte geboren wurde, vor allem an unangenehm-introspektive Eminem Tracks wie „White America“.

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„White Privilege II“ stieß umgehend einen durchaus gehaltvollen Dialog zwischen Aktivisten, Musikkritikern und Rapfans darüber an, inwiefern die „Black Lives Matter“-Bewegung von dem Song profitieren würde, versus dem, was für Macklemore dabei rausspringt, wenn er sich derartig erfreulich selbstkritisch darstellt. Viele betrachteten dabei Macklemores neusten Schachzug mit einer gehörigen Portion Argwohn: Der gleiche Rapper erntete ja schließlich 2013 auch eimerweise Cash und Auszeichnungen für seine zahnlose Anti-Bling-Lappalie „Thrift Shop“—genau wie für „Same Love“, einen Song, der das Homophobieproblem des HipHop hinterfragte. Vor allem Letzterer wurde aus allen möglichen Ecken dafür kritisiert, belehrend und anbiedernd zu sein. So nahm sich nun auch die renommierte schwarze Feministin Mikki Kendall den Rapper zur Brust und merkte an, dass „White Privilege II“ ein sicherer, selbstgerechter Schachzug sei, der keinerlei Lösungen für die Probleme schwarzer Amerikaner bereitstelle. „Ich bin schwarz“, scherzte die Autorin und Medienfigur JasFly. „Ich kann den Part, in dem der weiße Typ Weißes Privileg erklärt also einfach aussetzen.“ „Black Lives Matter“-Aktivist DeRay McKesson fragte wiederum: „Geht er weit genug? Wahrscheinlich nicht, aber ich werde niemals akzeptieren, dass Meinungen zu ändern, nicht störend ist.“

Andere reagierten mit Humor. Neben David Turner von MTV News meldete sich auch Ira Madison III, der Editor von Vulture, zu Wort: „Dieser neue Macklemore Song klingt, als hätte man Matt McGorry Tweets in einen off-Broadway Hamilton-Abklatsch verwandelt.“ Mitchell Sunderland von VICE: „Nichts veranschaulicht weißes Privileg so gut, wie die Veröffentlichung eines neunminütigen Songs über Black Lives Matter von Macklemore.“ Autor und Podcaster Jensen Karp wiederum: „Macklemores Review des Films Crash ist ziemlich krass.“ Es spricht für den schlechten Nachgeschmack, den Macklemores mammutartiger, poppiger Chartstümer und Preismagnet, so wie seine herablassende, öffentliche SMS an Kendrick Lamar hinterlassen hatte, in der er sich dafür entschuldigte, dass er good kid, m.A.A.d city bei den Grammys abgehangen hatte, dass die Menschen „White Privilege II“ reflexhaft ablehnten—oder zumindest eine gehörige Portion unaufrichtiger Selbstdarstellung darin vermuteten. (Es spricht auch Bände über die aktuelle Tendenz in der Musikblogwelt, dass die Message des Tracks von vielen auf irgendwelche Beef-Headlines reduziert wird, weil der Rapper sich selbst, Iggy Azalea und Miley Cyrus dafür tadelt, sich an der schwarzen Kultur zu bedienen, ohne genug zurückzugeben.) Wir haben durchaus das Recht, Macklemores Intentionen zu hinterfragen und über die extreme Nabelschau zu schimpfen, die sich hier abspielt, aber jeder, der seine Entwicklung im letzten Jahr nur halbwegs mitverfolgt hat, kann sehen, wie er versucht, eine inhaltliche Kehrtwende hinzulegen und sein kolossales Podium für etwas Gutes zu einzusetzen.

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Ende 2014 gab es den ersten Hinweis darauf, dass Macklemore begonnen hatte, seinen Ruhm und die damit verbundenen Pflichten in einem anderen Licht zu sehen. Nach einer längeren Auszeit hatte er sich in der Sendung Ebro in the Morning des New Yorker Rap-Radio-Senders Hot 97 mit einem ausgedehnten Interview wieder zu Wort gemeldet, um explizit über weißen Erfolg und schwarze Marginalisierung im HipHop zu sprechen. „Downtown“, die große Comeback-Single von Macklemore und Ryan Lewis aus dem letzten Herbst, sicherte sich gegen derartige Kritik ab, indem dort Oldschool-HipHop Veteranen wie Kool Moe Dee, Melle Mel und Grandmaster Caz gewürdigt wurden. Der Nachfolger, „Kevin“, holte dann den texanischen Soulsänger Leon Bridges mit ins Boot, um Medikamentenabhängigkeit und psychische Krankheiten abzuhandeln. Man bekommt den Eindruck, dass Macklemore sein Radio-Pop-taugliches Image mit seiner Weigerung, einen weiteren Hitgarant in der Art von „Thrift Shop“ oder „Can’t Hold Us“ abzuliefern, absichtlich beschädigt; dass er seine Bekanntheit als störendes Element einsetzt und Hörer, die in seiner Musik vielleicht eigentlich nach harmloser Zerstreuung suchen, mit komplexen soziopolitischen Tiraden zwangsfüttert. Nach einem Jahr, indem wir T.I. dabei zusehen durften, wie er in einer Spoken Word Performance Internetaktivismus als sinnlos bezeichnete und RZA verlauten lies, dass „All Lives Matter“, sollte das doch geradezu erfrischend sein.

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Die logistischen Hürden, die „White Privilege II“ von einer einfachen Rezeption abhalten—dass es eher für seine Message als für seine Musikalität gelobt wird, dass es automatisch ernster genommen wird, weil es von einem Weißen und nicht einem Schwarzen kommt und dass es reich an Ideologie, aber arm an umsetzbaren Lösungsvorschlägen ist—verdienen eine genauere Betrachtung. Mit neun Minuten handelt es sich um ein durchaus sperriges Konstrukt. Der langgezogene Zwischenteil, in dem Macklemore eine Unterhaltung mit einer weißen Mutter nachspielt, die ihn für ein Autogramm aufhält, bevor sie dann über die HipHop-Kultur im Allgemeinen herzieht und ihn als einen der Guten lobt, während im Hintergrund eine Variation von „Chopsticks“ auf dem Klavier zu hören ist, macht den Song zu einem recht anstrengenden Hörerlebnis. Vielleicht würde „White Privilege II“ besser als Dokumentation als als Song funktionieren: Es ist schon etwas verwunderlich, warum ein Track, der derartig vollgestopft mit Tonaufnahmen von Black Lives Matter Protesten und Statements von Weißen aus der Arbeiterschicht ist, nicht mit den passenden Visuals präsentiert wird, die das ganze Paket zusammengeschnürt hätten. Die Ausführung an sich ist zwar emotional, aber musikalisch gleicht der Song einer Bergwanderung.

Der recht tiefgreifende Vorbehalt, dass „WPII“ weißes Selbstfindungsgefasel über schmerzgetriebene schwarze Kunst setzt, ist eine ernstzunehmende Anschuldigung—aber irgendwie auch eine sonderbare. Es ist schon irgendwie komisch, nach einem derartig wundervollen Jahr voller herausfordernder schwarzer Kunst, die dazu auch noch im Lob badete, eine ideologische Debatte anregte und sich im Fall von Kendrick Lamars To Pimp a Butterfly dazu auch noch respektabel verkaufte und mehrere Auszeichnungen als Album des Jahres einfahren konnte, zu befürchten, dass Macklemore am Ende die ganzen Lorbeeren dafür einheimsen wird, den schwarzen soziopolitischen Interessen den entscheidenden Anschub gegeben zu haben. 2016 ist es nicht Macklemore, der die Rassismusdiskussion anführt. Er versucht lediglich den Dialog in Territorien zu transportieren, die von To Pimp a Buttterfly nie erreicht werden können. Wir wollen, dass weiße Gleichgesinnte diese Unterhaltung auch in unserer Abwesenheit führen. Wir brauchen einen Mac Miller, der das Engagement weißer Fans für Black Lives Matter in Frage stellt. Wir brauchen aufgeweckte Menschen verschiedenster Herkunft, die ihre Tanten und Cousins dazu bringen, ihre Privilegien zu hinterfragen.

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Die Bedenken von DeRay und anderen über Macklemores tatsächliche Absichten in seinen Bemühungen um weiße Verbündete, die sich gegen gesellschaftliche Ungleichheiten aussprechen, beleuchten das größte Hindernis, das „WPII“ als elektrisierenden Anstoß zum Wandel vermeintlich disqualifiziert. Der Track scheint es dabei zu belassen, einfach Menschen über diese Probleme reden zu lassen—was auf den ersten Blick nicht wirklich wie eine Lösung für ein fünfhundert Jahre altes amerikanisches Übel anmutet. Es ist aber auch selten Aufgabe eines Protestsongs gewesen, spezifische durchführbare Handlungsanweisungen zu geben. „Ohio“ von CSNY hat einem nicht gesagt, wie man auf das Kent-State-Massaker reagieren solle, wegen dem es überhaupt erst entstanden war. In „The Blacker The Berry“ rattert Kendrick dir nicht die Telefonnummern von Lokalpolitikern runter. Gute Protestmusik bereitet den Nährboden zum Handeln, sie muntert den müde gewordenen Protestler wieder auf, sie elektrifiziert einen Moment in der Geschichte. Auch wenn der Song selber nicht mit besonders viel Lösungen aufwartet, versorgt einen die Webseite, auf der „WPII“ gehostet wird, mit Kontaktinformationen für vier Organisationen unter schwarzer Führung, die Grundlagenarbeit für einen Wandel auf lokaler Ebene machen. Darüber hinaus gibt es auch eine Liste mit Kollaborateuren, die bei diesem Song mitgewirkt haben. Das ist doch was!

VICE: Rise Up October—Demonstrationen gegen Polizeigewalt in New York

Macklemore eckt bei Menschen aus gutem Grund an. Seine aktiven Bemühungen, ein guter Verbündeter zu sein, jedoch dazu zu benutzen, um alte Rechnungen über „Thrift Shop“ wieder auszugraben, ist verschwendete Mühe. Seine Hörerschaft befindet sich am äußersten Ende unserer ideologischen Reichweite. Unabhängig davon, wie sich „White Privilege II“ musikalisch bewährt, was Macklemores persönliche Intentionen hinter der Veröffentlichung tatsächlich sind oder selbst wie viel Geld und Awards ihn diese Aktion bescheren wird, es ist einfach wichtig, dass seine Hörerschaft diese Message erreicht. Wandel ist eine holprige Angelegenheit und ein friedliches Zusammenleben erfordert Verständnis und Geduld. „White Privilege II“ ist ein ganz schöner Batzen, der erst mal verdaut werden muss—auf der anderen Seite aber auch noch nicht mal ansatzweise Batzen genug. Die Alternativen allerdings—Rapper wie Iggy Azalea, die keinen großen Hehl aus ihrer totalen Ahnungslosigkeit zu machen scheinen, was die ethnisch gelenkten Machenschaften der Welt um sie herum angeht—die weiterhin schwarze Kunstformen in schwarzen Räumen unterwandern, ohne jedoch schwarzen Schmerz oder schwarze Tode zu adressieren, sind schlichtweg unhaltbar. Lieber „White Privilege II“ als „Thrift Shop II“. Kann man machen!

Craig Jenkins ist bei Twitter—@CraigSJ

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