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Kilians pudern sich mit dem Wollpulli den Arsch

Kilians scheißen ab jetzt auf einen Majordeal, genau wie sie auf Facebook-Likes und Stylisten scheißen.

Backstage beim Highfield-Festival. Das Thermometer pendelt irgendwo zwischen 36 und 40 Grad. Von der Green-Stage wehen Punkrockklänge ins Zelt. Ich treffe Simon den Hartog und Gordian Scholz, Sänger und Bassist der Kilians, kurz vor ihrem Auftritt. Kurz sind auch ihre Hosen, den Temperaturen angemessen. Simon trägt Rot. Mit eben diesen Shorts soll er später auch in den angrenzenden See hüpfen, doch vorher trägt er sie, ganz Rockstar, noch auf der Bühne. Hat sich was mit Chucks, engen Jeans und abgewetzter Lederkutte. Das zum Thema „stylische Band“.

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Noisey: Nach der ersten großen Aufregung um die Kilians habt ihr euch in den vergangenen drei Jahren rar gemacht. Was ist passiert?
Simon: Wir hatten einen langen Kampf mit der Plattenfirma, Universal. Es hat relativ lange gedauert, bis man sich auf die neue Richtung geeinigt hat, und die neue Ausrichtung bedeutete dann, dass man nicht mehr zusammenarbeitet. Das hat gut anderthalb Jahre gefressen, in denen wir relativ untätig sein mussten, keine Möglichkeit hatten, ins Studio zu gehen. Aber man kann ja nicht ewig im Proberaum sitzen. Irgendwann muss man anfangen, zu arbeiten, um seine Miete zu zahlen. Das hat mit der Musik auch teilweise funktioniert, geht dann aber natürlich nur, wenn man konstant am Ball bleibt.

Das heißt, es gab eine Neuausrichtung von eurer Seite, musikalisch und wie man das Leben als Band künftig angehen will?
Simon: Es gab erstmal eine grundsätzliche Neuausrichtung im eigentlichen Leben. Wir hatten die Band drei Jahre lang ziemlich weit oben positioniert. Sie war wirklich der Job, den wir hatten. Wir waren jeden zweiten Tag irgendwie mit der Band beschäftigt—auf Tour, im Proberaum, im Studio, sonstwo bei Terminen. Und das war schlagartig vorbei. Weil wir ja auch gesagt haben: Nach drei Jahren ist jetzt mal Zeit für ein Break, wir wollen mal eine Tourpause haben. Und das war dann eigentlich der Anfang vom Ende. Hätte man 2009 gesagt, wir ziehen das jetzt durch und gehen direkt wieder ins Studio, hätten wir womöglich schneller eine Platte gemacht. Aber so hatten wir auch Zeit fürs Studium, um zu arbeiten, nebenbei Familien zu gründen et cetera. Musikalisch neu ausgerichtet sind wir eigentlich nicht. Wir haben einfach versucht, das, was wir erlebt haben, zu verarbeiten.
Gordian: Für uns war die Band ja immer noch am Start. Es war jetzt nicht so: Für drei Jahre gibt’s die Kilians nicht mehr, und nach drei Jahren treffen wir uns wieder. Wir haben uns schon gesehen in der Zeit, das ein oder andere Lied kam nach und nach dazu, wir haben ja auch ein paar Konzerte gespielt, waren aber einfach nicht so präsent.

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Es ging bei der Diskussion mit der Universal also nicht darum, was für Musik ihr machen sollt oder wollt?
Simon: Es ging tatsächlich um wirtschaftliche Faktoren und natürlich auch um eine musikalische Grundrichtung. Das heißt, es stand die Frage im Raum: Welche ist denn die Musik, die sich verkauft? Und wie kommen wir dahin, dass wir eure Musik besser verkaufen? Da haben wir einfach keine Lösung gefunden.

Und irgendwann war der Punkt erreicht, wo die Plattenfirma gesagt hat, macht so wie wir wollen oder macht woanders.
Simon: Nee, so eine klare Ansage kam da nie. Es hieß dann einfach, dass es keinen Sinn mehr macht, Geld die Spree runterzuschmeißen. Für uns ist aber ganz klar, dass wenn wir Musik machen, wir wirklich die Musik machen, die wir eben machen wollen. Und sei es auf einmal Zwölftonmusik oder Weltmusik. Wir sind Künstler, ohne uns gibt es die Sachen nicht. Und wir haben uns da nie unterbuttern lassen. Den Standpunkt habe ich auch heute noch. Das mag naiv sein oder sonstwas, aber das ist der einzige Standpunkt, den ich für mich selber durchgehen lassen kann.
Gordian: Das war Universal aber auch klar, dass an der Band nicht großartig rumgeformt wird.

Thees Uhlmann hat die Kilians vor einigen Jahren als Support für Tomte angeheuert. Hat er euch jetzt auch dazu bewegt, zum Grand Hotel van Cleef zu wechseln?
Simon: Wir sind seit der gemeinsamen Tour damals eng verbandelt, auch über das GHvC-Booking und den Musikverlag. Und eigentlich sollte ja schon unsere erste Platte auf Grand Hotel van Cleef erscheinen, wurde dann aber von Universal übernommen. Einfach weil die Möglichkeiten andere sind bei einem Major, was wir natürlich gerne ausschöpfen wollten. Aber der Kontakt zum Grand Hotel war da. Am Ende war es dann also das naheliegendste, und vielleicht ist man es sich gegenseitig auch schuldig: Dass man den Weg jetzt gemeinsam geht, den man eigentlich schon vor sechs Jahren zusammen gehen wollte.

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Kilians mit Bassist Gordian (zweiter von links) und Sänger Simon (Mitte).

Mittlerweile starten immer mehr Künstler ihre Karrieren per Video auf Youtube oder schieben sie via Facebook an. Ihr tourt euch seit Jahren den Arsch ab, unter anderem im Vorprogramm von Bands wie Coldplay, den Babyshambles oder Tomte. Warum habt ihr euch für diesen klassischen Rock’n’Roll-Weg entschieden und es euch nicht einfacher gemacht?
Gordian: Als es mit Kilians losging, fing das alles gerade erst an, groß zu werden mit Youtube und so. Unabhängig davon war es für uns aber eh immer wichtig, und so haben wir uns ja auch zusammengefunden, gemeinsam Musik zu machen, möglichst viel zu spielen, Konzerte zu geben. Und alles, was drumherum lief, war nicht so wichtig. Klar musste man das auch ein bisschen anfeuern, aber Facebook ging ja auch die letzten zwei Jahre noch mal so richtig steil; das war natürlich gerade die Zeit, in der wir die Pause hatten.
Simon: Wir haben angefangen, da waren wir 17, 18. Ich sag mal von Styling, von Handwerk und was überhaupt Videotechnik angeht, hatten wir absolut keine Ahnung. Das heißt, man wurde damals mit Leuten zusammengesetzt: So, ihr macht jetzt ein Video. Was ist die Idee? Keine Ahnung. Okay, lass uns einfach mal das machen. Drauf geschissen. Du ziehst diesen hässlichen Wollpulli an und sonstwas. Man hat gar nicht darüber nachgedacht. Man ging noch bei H&M einkaufen, hat sich einfach null damit befasst. Sondern man hat einfach nur die Zeit mitgenommen, vorm Konzert, nach dem Konzert, während des Konzerts, aber nicht darüber nachgedacht, wie sehe ich eigentlich aus. Das kommt irgendwann später. Soll heißen, wir haben diesen Zeitpunkt total verschlafen, dass wir jemals eine stylische Band hätten werden können. Dieses Ding haben wir uns selber von Anfang an verbaut.

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Ärgert euch das?
Simon: Nein, gar nicht. Das funktioniert mit 'ner jungen deutschen Band aber ohnehin eher schlecht. Da sitzen selten Leute und sagen „Wow, was ’ne coole Band!“. Ich finde es ja reizvoll, dass wir mehr Platten verkauft haben, als wir Facebook-Fans haben. Es gibt viele Bands, die werden totgeklickt. Ob das Substanz hat, kann man in Frage stellen. Wir wollen eigentlich weiter da sein, wo’s passiert. Das heißt wir sind lieber live existent, bei Konzerten und Festivals. Natürlich stellen wir Videos online. Doch es liegt nicht in unserem Naturell, Blogs zu gestalten. Es ist alles aber auch nicht spannend genug, um jedes Ding aufzudröseln. Wir werden oft gefragt: Warum auf der Seite nichts passiert? Na ja, weil nichts passiert. Man kann natürlich Casper beim Tennisspielen zu gucken, aber der Mann hat halt tatsächlich auch Fans, die das sehen wollen. Wir haben eher so Zuhörer.
Gordian: Wenn man die Leute über solche Geschichten wie Facebook oder die eigene Homepage dazu bringt, sich die Musik anzuhören, und die Leute zu den Konzerten kommen, dann ist das nett. Natürlich kann man noch mal ein schönes Foto posten: Hey Leute, so sah es heute auf dem Highfield aus. Aber wenn das Ganze zu so einem Selbstzweck wird, der erschließt sich mir ganz einfach nicht.
Simon: Was bei uns halt ist und mir tatsächlich öfter auffällt, ist, dass wir eine gewisse Nachhaltigkeit und eine Konstanz im Publikum haben. Das heißt, da sind oftmals wirklich Leute, bei denen man merkt, dass es ihnen etwas bedeutet, da geht es um Inhalte und Gefühle, nicht um Personen oder Optik. Okay, wir sind miteinander befreundet und mittlerweile sagt dir der eine auch schon mal, vielleicht ziehste das heute Abend lieber nicht an. Aber es gibt keinen Stylisten und keinen, der da jemals drüber gewacht hat. Das passiert aber mit anderen Bands, die dann eben dieses heiße Video haben. Das kommt ja meistens von außen. Ich meine, meine Frau ist in dem Bereich tätig und hat schon mit vielen Bands gearbeitet. Und sie sagt: Du kannst im Grunde keiner Band zumuten, sich selbst anzuziehen. Lass es sein. Außer es wird irgendwie künstlerisch. Wie bei Bonaparte oder so, die sich verkleiden und das Ganze mit ihren Kostümen ins Wahnsinnige drehen. Aber wenn es nur um das gute Aussehen geht… guck Dir Thom Yorke Mitte der 90er an, und guck ihn Dir heute an. Der Stylist tut auch ihm gut. Heute stimmt alles bei ihm. Aber das war bei uns nie ein Thema. Wir sind eine Band aus dem Ruhrgebiet, und man muss doch auch irgendwie verwurzelt bleiben.

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Seht ihr euch als ruhrpotteske Malocherband?
Simon: Wir scheuen das nicht. Wir kennen das Malochen, jeder für sich. Aber als Band… mal ehrlich, wir sind hier in Deutschland. Da wird einem komplett der Arsch gepudert. Also als Band geht es einem hier richtig gut. Man kann mit den Ami-Bands keinen Zentimeter mithalten, die sich über Jahre wirklich in den ranzigsten Bars konstant den Arsch abspielen. Hier bei uns ist das alles sehr kultiviert. Überall bekommt man sein geschmiertes Brötchen, sein gekühltes Getränk und sein Handtuch noch rangereicht.

Was war denn das Ranzigste, wo ihr gespielt habt?
Simon: Also wir haben natürlich am Anfang ganz viele kleine Kneipen mitgenommen, mit nachher beim Veranstalter im Wohnzimmer auf dem Boden pennen und so. Das haben wir alles mitgemacht. Aber ranzig sind ja auch manche große Sachen. Nur sagen wir ja nicht, das ist ranzig, sondern durchgerockt.

Es ist ja etwas komplett anderes, ob ihr vor 500 Leuten in einem Club spielt, die euretwegen gekommen sind oder im Vorprogramm von Coldplay, wo 40.000 Leute sind, aber eigentlich wegen der Band, die nach euch auf der Bühne steht. Und dieses Publikum sollt ihr erst einmal bespaßen.
Simon: Am Besten ist so ein Support mit einem Festivalauftritt zu vergleichen. Das heißt, du bist da, um die Leute zu animieren, um sie aufzuwärmen. Und man muss tatsächlich versuchen, dass der Funke überspringt. Wie weitreichend das am Ende ist, darüber denkt man gar nicht nach. Aber es ist schon der Anspruch und die Idee dahinter: Da stehen tausende Leute, wir können sie anschreien, wir können mit ihnen machen, was wir wollen, das ist unsere Bühne jetzt gerade. Und wir sagen immer nur Danke und freuen uns über jeden, der zuhört. Denn das ist ja das, was man eben immer aus Erzählungen so mitbekommt: „Ey der Support für die und die damals, das war die Hölle, weil keiner hat zugehört.“ Das haben wir noch nie erlebt. Es gibt immer die Leute vor der Bühne, die sich freuen und die mitmachen, weil wir aber eben auch energetisch so geladen sind. Und weil wir uns unserer Position bewusst sind. Es gibt tausende Bands, die an dieser Stelle spielen wollen. Und wir haben die Chance, also wollen wir die immer nutzen. Allerdings muss man nicht alles machen.

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Was meinst Du?
Simon: Wir hätten auch schon mal was für Bon Jovi machen können. Nur, das muss nicht sein. Es muss schon passen mit den Bands, darauf haben wir immer geachtet. Aber Leute abgreifen im mainstreamigen Sinne, das ist nicht die Idee dahinter. Und der letzte Support-Slot ist ja auch schon eine Weile her.

Habt ihr euch beim neuen Album, Lines You Should Not Cross, stilistisch davon beeinflussen oder inspirieren lassen, mit wem ihr getourt seid?
Simon: Ja, durchaus. Ich denke schon, dass man sich gerade da, wo die Gitarren viel Delay und viel Hall haben, an die große Stadionband geschmiegt hat. Wir haben immer viel gegengehört, versucht zu vergleichen. Das Interessante war, im Studio zu erkennen, dass am Ende wirklich nur man selbst seine eigene Referenz ist. Immer da wo es abgehen sollte, haben wir versucht, uns in Richtung Arctic Monkeys oder Strokes zu orientieren. Mussten dann aber feststellen, dass der Sound, den die auf ihren Platten machen, grundlegend anders ist, als der, den wir machen wollen. Wir sind eigentlich ziemlich gerade, ziemlich clean, sehr akustisch. Und man darf ja gar nicht darüber sprechen, was die Platte gekostet hat.

Wie viel denn?
Simon: Nicht viel. Sie ist in einem ganz kleinen Studio, einer kleinen Butze in Berlin entstanden mit wenig Gerätschaften aber mit einem wahnsinnig musikalischen Produzenten, der einfach auch verstanden hat, was die Idee an dieser Platte ist. Nämlich, dass jeder Song für sich kompakt dasteht. Es also da, wo es groß sein soll, groß ist, wo es poppig klingen soll, poppig klingt, rockig, wo es rockig sein soll. Ohne, dass man Angst hat, das Ding zu überspitzen. Und obwohl es viel sauberer klingt, oder gerade weil, ergibt sich auf einmal irgendwo dieser Garagensound. Viel deutlicher als auf den Platten davor, auf denen wir ganz bewusst steuern wollten, dass es dreckig klingt; was am Ende aber viel matschiger wurde. Uns hat selbst sehr beeindruckt, wie das diesmal funktioniert hat. Alles ist tatsächlich in sich schlüssig. Klar, wir haben im Studio noch viel an den Songs gedreht. Aber wir sind eben eine Studioband, das haben wir auch immer gesagt. Wir arbeiten im Vorfeld so viel wie nötig, weil wir erst im Studio die Zeit und den Kopf dafür haben, Song für Song durchzugehen.

Gordian: Aber ohne ewig lange an den Knöpfen zu drehen, bis es so oder so oder wie die oder die Band klingt, sondern bis es sich für uns einfach gut anhört. Es war schnell klar: Wir brauchen unseren Sound. Also mach die Gitarre so, bis sie halt geil klingt.
Simon: Spannend ist ja auch die Dynamik, die sich daraus ergibt, dass man quasi euphorisiert sein muss von seiner Sache. Wenn alle so dasitzen, der Part gerade gut war und eingespielt wurde, aber keiner aufsteht und sagt „Boah, das is’ es!“, dann dauert es eben bis zu genau diesem Moment.

Es hat sich also einiges geändert durch den Wechsel zum Grand Hotel van Cleef?
Simon: Ja, wir haben tatsächlich eine Platte aufgenommen und sechs Wochen daran gearbeitet, ohne dass sich ein Mensch von der Plattenfirma jemals dazu gemeldet hat. Es war keiner da oder kam mal vorbei. Ich glaube, das war denen aber auch ganz wichtig uns zu vermitteln: Dass es geht.

Das nennt man dann wohl Vertrauen.
Simon: Genau. Dass man uns vertraut. Weil wir eben selber auch das Vertrauen in die Sache hatten. Das war super, eine totale Befreiung.

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Kilians Lines You Should Never Cross ist bei Grand Hotel van Cleef (Indigo) erschienen.