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Diplos Mad Decent Block Party und der Point of No Return

Mad Decent hat es mit Hilfe des Internets ganz nach Oben geschafft und auf dem Weg dorthin verbrannte Erde hinterlassen.

Foto von Leigh Barton

Am vergangengen Samstag schleppte ich mich nach Coney Island, um mir die Mad Decent Block Party anzuschauen, die im Baseballstadion der Brooklyn Cyclones stattfand. Mittlerweile ist die MDBP für Dance-Musik in etwa das, was die Vans Warped Tour für Hardcore und Punk darstellt: Eine vagabundierendier Festivaltross, der einem eine oberflächliche Imitation der eigentlichen Sachen bietet—für die Kids eben. Das soll keineswegs eine Kritik an MDBP sein—alle Leute dort haben ihren Spaß und es eignet sich super als Einstieg für alle jungen Menschen, die in das komplexe Universum elektronischer Musik eintauchen möchte.

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Eine Sache, die mir bei der Block Party allerdings besonders ins Auge sprang, war die Spannung zwischen Festivalbesuchern und der Security. Immer, wenn eine größere Gruppe von Menschen zusammenkommt, um zu feiern, gibt es Problemchen—mit Drogen, mit Rabauken, die sich nur in ihrem zugeteilten Bereich aufhalten sollen, und mit besoffenen Menschen, die dumme Sachen machen. Die Tatsache, dass die Veranstaltung als „Rave“ angekündigt war, führte nur dazu, dass das Festivalpersonal um so gestresster war. Die Schlange vor dem Einlass ging einmal um das Stadion bis runter an den Coney Island Boardwalk und bestand größtenteils aus enthusiastischen Jugendlichen, die sich komplett in 2014er Rave-Ausstattung eingedeckt hatten: Ironische T-Shirts, Snapbacks, Stirnbänder und Sneaker. Es machte das Gerücht die Runde, dass die Securities am Eingang die Leute ihre Schuhe ausziehen lies, um versteckte Schmuggelware zu finden. Das hatte den Effekt, dass viele der jungen Besucher sich viel zu viele Drogen in viel zu kurzer Zeit einfuhren.

Wenn man dann einmal drinnen war, schienen die beiden Parteien noch weniger miteinander klarzukommen. Nachdem der Vorverkauf des Festivals gelaufen war, wurden die Kartenbesitzer recht willkürlich in zwei verschiedene Gruppen geteilt: Die eine, die Zugang zu dem Floor in der Nähe der Bühne hatte, und die andere, die sich mit Plätzen auf den Stadionrängen begnügen musste. Ein paar Tage vor dem Festival warf ich einen Blick auf die Veranstaltungsseite bei Facebook und konnte diverse erzürnte Posts lesen, die vorhersagten, dass der eiserne Vorhang zwischen Floor und Rängen schnell durch den unbändigen Willen der Raver niedergerissen werden wird. Und tatsächlich konnte man etwa jede halbe Stunde beobachten, wie eine Welle von Jugendlichen versuchte, die Main-Area der Block Party zu überrennen. Die Securitykräfte hatten dem wenig entgegenzusetzen, bis auf ein paar verirrte Läufer rabiat einzufangen und griesgrämig auf den nächsten Ansturm durchgeknallter Teenager zu warten, die dem Bass einfach näher sein wollten. Irgendwann beobachtete ich, wie ein Security einen in Handschellen gelegten Raver fragte, warum er auf das Feld gerannt war. Seine Antwort? „Molly is a hell of a drug.“ Das ist nicht nur lustig, sondern beweist auch, dass Teenager auf so ziemlich alles sarkastisch antworten, auch wenn sie dafür vielleicht im Knast landen.

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Es verwundert einen jetzt nicht wirklich, warum Jugendliche so sehr auf die Mad Decent Block Party abfahren. In den letzten Jahren—zwischen Harlem Shake-Meme, der Nähe zu DJ Snakes „Turn Down for What“, RiFF RAFF und Diplos Entwicklung zum Producer der Wahl für Rapstars, die ihren Sound etwas ungewöhnlicher machen wollen—hat Mad Decent HipHop das angetan, was man dem Label früher in Bezug auf Baile Funk vorgeworfen hat: Die Musikrichtung jedem Kontext zu entledigen und dann als etwas Exotisches und Neues denjenigen zu präsentieren, die es einfach noch nicht besser wissen.

Diese Art wahlloser Begeisterung für Teile der HipHopkultur hat Mad Decent in den letzten Jahren als Dienstleister, Plattenlabel und als Crew definiert—obwohl sie ihr Publikum unablässig mit scheinbar beliebigen HipHop-Anleihen bedienen, bleiben sie ein Dance-Label durch und durch und kombinieren eben diese HipHop-Anleihen mit EDM. Ihre Ästhetik lässt sich am besten in einem Wort beschreiben: turnt. Wenn du Twitter nach „mad decent turnt“ suchst, wirst du unzählige Ergebnisse bekommen. Es ist ein Begriff, der ähnlich wie das Wort „trap“, so gut wie jede inhaltliche Bedeutung verloren hat. Du kannst in einem Flugzeug „turnt“ sein, auf einem Boot, auf einem Hausdach, auf einer Party—eigentlich an jedem Ort, an dem Menschen atmen können. Was braucht es, um „turnt“ zu sein? Wie es scheint, funktioniert fast alles. Wenn du MDMA einwirfst, kannst du „turnt“ werden; wenn du twerkst, kannst du „turnt“ werden; wenn du durch die Gegend hüpfst, kannst du „turnt“ werden. Die Hauptkomponente, die es braucht, um „turnt“ zu sein, ist offensichtlich die Nähe zu basslastiger Tanzmusik—bevorzugt solche, die über Mad Decent veröffentlicht wird.

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Bild via Instagram-User @devdevinnn

Der mit Abstand „turnteste“ Auftritt, den ich sah, war der von Dillon Francis. Dieser lieferte auf der Bühne die totale Turnterei ab, indem er Bilder von Emojis, Pizzen, Katzen, Pizzen die eigentlich Katzen waren, das Wort „fuck“ und sein eigenes Gesicht hinter sich aufblitzen lies, während er sich durch ein Set mit generisch ballernden Dancetracks arbeitete. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob Francis Bühnendarbietung auch ohne diese, beinahe schon zynische, internetlastige Ästhetik funktionieren würde. Die Bilderflut traf jedenfalls den gleichen Nerv zynischer Jugendkultur wie der „TURN DOWN FOR LUNCH“-Tweet der Restaurantkette Denny’s Diner. Vor vier Jahren standen Katzen und Pizza noch für die grasgeschwängerte Dösigkeit des Indierocks. Irgendwann eigneten sich Odd Future diese Bildsprache an und inzwischen steht sie für … ja, für was eigentlich? Das Internet? Dillon Francis selber? Denk am besten nicht zu viel darüber nach. Nachdenken ist nicht sehr „turnt“.

Während Francis' Set gesellte sich irgendwann der Mad Decent Labelboss Diplo zu ihm auf die Bühne, dessen Ruf als talentierter Producer/Hipster-Don Juan mir durch eine schier unendliche Flut an freischwebender Ironie schon einiges Futter für meine blöden Twitterwitze geliefert hatte. Da ich nun mal ein Troll bin, habe ich ein fiktives Szenario kreiert, in dem Diplo und ich uns prügeln, weil ich ihn im Internet verarscht habe. Hier kannst du sehen, was ich bei Twitter gepostet habe:

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omg i see diplo

— lord drewsick (@drewmillard) August 9, 2014

oh fuck diplo recognizes me from twitter

— lord drewsick (@drewmillard) August 9, 2014

he just left the side of the stage and he's coming down towards me

— lord drewsick (@drewmillard) August 9, 2014

diplo just came up to me and confronted me about me talking shit about him on the internet

— lord drewsick (@drewmillard) August 9, 2014

i'm being all "yo cool it diplo" but he's all "what the fuck man what's your deal"

— lord drewsick (@drewmillard) August 9, 2014

just got punched by diplo

— lord drewsick (@drewmillard) August 9, 2014

just punched diplo back

— lord drewsick (@drewmillard) August 9, 2014

diplo and i just got separated by security

— lord drewsick (@drewmillard) August 9, 2014

diplo's having me kicked out of mad decent block party my first rave was so fun y'all

— lord drewsick (@drewmillard) August 9, 2014

Ja, es ist eine ziemlich bescheuerte Idee, seine eigene Schlägerei mit einem der größten Namen des EDMs per Livetweet zu verbreiten, aber fünf Minuten, nachdem ich meine Posts rausgeschickt hatte, twitterten schon einige meiner Trollkollegen, dass sie gesehen hätten, wie Diplo und ich uns gekloppt haben. Das wiederum führte zu weiteren Tweets, in denen über den nichtexistenten Beef zwischen Noisey und Mad Decent spekuliert wurde, den ich soeben versehentlich in die Welt gesetzt hatte. Schon bald bekam ich besorgte SMS von Freunden—darunter auch ein Redaktionskollege von Noisey—in denen die Leute fragten, ob alles OK sei. Im Internet erzeugt Rezeption eben oft die Realität.

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Das trifft ganz besonders zu, wenn man sich mit Mad Decent auseinandersetzt. In den letzten Jahren hat sich das Label zu einem der ganz großen Tiere in der nordamerikanischen Elektroszene gemausert—und das in erster Linie durch geschicktes Internetmarketing und wenig mehr. Mit Baauers „Harlem Shake“ landeten sie einen ordentlichen Nummer Eins-Hit, der zum Teil auch dadurch entstand, dass das Label die Memeifikation des Songs weiter anfeuerten. Sie spornten die Fans an, 30 Sekunden lange Videos bei YouTube hochzuladen, in denen sie ihre Reaktionen auf den damals noch unwiderstehlichen Drop des Songs festhalten sollten. Die 30 Sekunden Marke war dabei essenziell. Das ist nämlich die Dauer, die ein Clip bei YouTube gespielt werden muss, um auch als „gespielt“ zu gelten, was es wiederum ermöglicht, damit Einnahmen zu erzielen. Die Zahl der Plays schoss nach oben, aber nicht nur aus purer Begeisterung für den Track. Das geschickte Ausnutzen der YouTube-Regeln durch die Plattenfirma führte dazu, dass Billboard seine Methode änderte, mit der sie bis dahin die Charts ermittelt hatten, wodurch „Harlem Shake“ direkt an die Spitze der Top 100 katapultiert wurde. Das wiederum wurde indirekt zu einer Blaupause für Tracks, die als virale Dancehypes bei Vine starten, sich dann transformieren und legitime Hits werden. Dazu gehören „Stoner“ von Young Thug, „Gas Pedal“ von Sage the Gemini und erst kürzlich „Tip Tow Wing In My Jawwdinz“ von RiFF RAFF. Auf welchem Label ist RiFF noch mal? Mad Decent.

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Interneterfolge wie die von Mad Decent haben außerdem offenkundig falsche Maßstäbe kreiert, an denen Erfolg gemessen wird: Den der sozialen Reichweite. Nimm zum Beispiel DJ Snake, der auch bei der MDBP auftrat und dessen Video für seine Lil Jon-Kollabo „Turn Down for What“ sich momentan bei um die 100 Millionen Views bei YouTube eingefunden hat. Man kann davon ausgehen, dass viele von Snakes 188.000 Twitter-Followern, 720.000 Facebook-Fans und den 220.000 SoundCloud-Followern ein direktes Resultat seines Durchbruchs mit „Turn Down for What“ sind. Durch diesen einen Hit allein hat er sich so etwas wie seine eigene „eingebaute Hörerschaft“ geschaffen: Er kann einen Song über seinen SoundCloud-Account hochladen, ihn über seine Twitter- und Facebook-Konten verbreiten und dann automatisch von einer ungebrochen hohen Interaktion mit seiner Arbeit ausgehen. Vielleicht werden seine Fans eines Tages nicht mehr aktiv nach seiner Musik suchen, aber auch wenn seine Popularität abflaut, ist es unwahrscheinlich, dass sich das an der Zahl seiner Follower abzeichnen wird. Auf dem Papier wird DJ Snake nie wieder weniger populär sein, als er es jetzt ist. Das Internet macht aus Ruhm ein Perpetuum Mobile. Künstler zu sein, war schon immer ein bisschen so, als würdest du ein kleines Geschäft führen, und die sozialen Netzwerke erlauben es den Musikern nun, die Mittelmänner auszuschließen.

Mad Decent Block Party ist, wenn du die Ideen von Symbolisierung, von Aneignung und davon, eine Fanbase in einem Vakuum zu kultivieren—Ideen, die einzig und allein im Internet existieren—nimmst und diese dann hinaus ins echte Leben entlässt. Das Ergebnis ist ein postapokalyptisches Katastrophenszenario, das entfernt an ein Elektrofestival erinnert, voll mit durchgeknallten Jugendlichen ist, die keine Ahnung haben, was sie da gerade eigentlich tun. Das sind Kinder, die Konzepte wie „turnt“, „trap“, „rave“, das obligatorische Airhorn-Sample und sogar den Pizza- und Katzen-Auswurf des Internets wie ein und dieselbe Sache behandeln. In den Händen von Mad Decent wird diesen Symbolen jeglicher Kontext genommen und diese dann zu einem Technicolor Shitstorm memescher Selbstreferenz zusammengebaut, in dem jedes einzelne Symbol beliebig ausgetauscht werden kann, ohne dass es irgendwas an der eigentlichen Message ändern würde. Mad Decent definiert für eine Horde junger Rave-Fans ein ganzes Vokabular neu, auch wenn sie sich selber nicht bewusst sind, was sie da eigentlich tun. Wenn du jemandem, der keine Ahnung von dem Kontext der besagten Sache hat, etwas präsentierst, dann lädst du diese Sache automatisch mit Bedeutung auf—auch wenn du selber aktiv keine vorgibst. Das ist nichts besonders Neues oder Böses, es ist nur etwas, dessen man sich bewusst sein sollte und manchmal schadet es auch nicht, das Ganze etwas runterzufahren.

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Drew Millard ist der Features Editor von Noisey und der größte Thot überhaupt (ein Thot ist ein Diplo Superfan). Er ist bei Twitter—@drewmillard

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