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Wie die Texte von Justin Brannan einem Afghanistan-Veteran am Leben hielten

Justin Brannan schrieb diese Zeilen mit 16 Jahren, nun tauchen sie auf einem preisgekrönten Kriegsfoto auf. Wie fühlt sich das an?

US Army Infanteriesoldat Kyle Hockenberry, Photo by Laura Rauch.

Tattoos waren schon immer untrennbar mit gewalttätigen Auseinandersetzungen verbunden. Im 18. Jahrhundert etwa kehrte der britische Entdecker und Kartograf mit einer Segelbesatzung zurück nach London, die von südamerikanischen Ureinwohner von oben bis unten mit Tinte vollgepumpt worden waren. Heutzutage markieren Soldaten im gesamten Mittleren Osten ihre Körper mit Tattoos, um an ihre gefallenen Kameraden zu erinnern, die Zugehörigkeit zu bestimmten Divisionen und Einheiten zu signalisieren oder an ihre Daheimgebliebenen zu erinnern.

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Auf diesem Bild sieht man den 19-jährigen US Army Infanteriesoldaten Kyle Hockenberry bei der Behandlung, nachdem ihm bei einer Explosion beide Beine und ein Arm abgerissen wurden. Das Bild wurde ursprünglich für eine Militärzeitung aufgenommen und wurde berühmt, nachdem die Fotografin Laura Rauch dafür einen Society of Professional Journalists Award gewonnen hat. Über Hockenberry Rippen ist der Schriftzug „For those I love I will sacrifice“ (Für diejenigen, die ich liebe, werde ich mich opfern) tätowiert. Dies ist ein Auszug aus „Hallowed Be Thy Name“, einem Song von Indecisions 1998er Album To Live And Die In New York City.

Indecision war eine der produktivsten und direktesten Hardcore-Bands in New Yorks Geschichte. Die Band sprach sich nicht nur für Vegetanismus, soziale Gerechtigkeit und Tierrechte aus, sondern tourte auch über fünf Kontinente und war die erste amerikanische Band, die nach dem Balkankrieg 1995 in Kroatien spielte. Gegründet hat die Band Justin Lee Brannan, der seitdem eine Menge anderer Dinge getrieben hat, inklusive kurzer Arbeits-Perioden bei Bear-Stearns, dem Amerikanischen Bund der TV- und Radiokünstler und bei der Bank of New York. Momentan fungiert er als Präsident der Bay Ridge Democrats in Brooklyn.

Brannan hat diese Zeilen geschrieben als er 16 Jahre als war und war völlig baff als er sie auf dem Bild wiedersah, nachdem das Time Magazine es gedruckt hatte. Gestern, am 66. Jahrestag des D-Days, hab ich Brannan angerufen, um zu verstehen, wie es sich anfühlt, seine Wort in so einem völlig anderen Kontext wiederzuentdecken.

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Wo hast du das Bild das erste Mal gesehen?
Justin Lee Brannan: Das war auf einem internen US-Militärblog, ein Freund schickte mir den Link. Das hat mich völlig umgehauen. Er hat sich dieses Tattoo zwei Wochen bevor er eingezogen wurde, stechen lassen. Ein 19-jähriger Junge! Diese Sache ist, dass eine Menge Kids sich diese Zeile tätowiert haben und ich nie weiß, was ich sagen soll, wenn Leute zu mir kommen und mir dieses Tattoo zeigen. Aber als ich es auf diesem Bild sah, war ich das erste Mal in meinem Leben wirklich sprachlos.

Ich hab sofort eine Verbindung zu Kyle gespürt. Das erste, was ich herausfinden wollte, war, ob er lebt und wie ich Kontakt zu ihm aufnehmen konnte.

Hast du in der Zwischenzeit versucht mit ihm und seiner Familie zu sprechen?
Sobald ich meinen ersten Schock überwunden hatte, hatte ich das Gefühl irgendetwas für diesen Typen tun zu müssen. Ich habe also versucht ein paar seiner Verwandten zu erreichen, schrieb seinen Cousins, ein paar Leuten auf Facebook. Aktuell wird eine Doku über Indecision produziert und wir hätten Kyle sehr gern darin, damit er ein paar Sätze sagt und seine Geschichte erzählt, wenn er Bock drauf hat. Ich möchte ihn einfach nur kennenlernen und ich möchte seine Geschichte weitererzählen und die Geschichte seines Mutes.

Justin, ganz links, auf der Bühne mit Indecision. Photo by The Joint.

Wie fühlt es sich an, seine eigenen Worte auf dem Körper eines echten Kriegsopfers tätowiert zu sehen?
Zuerst möchte ich nicht voraussetzen, dass Kyle wirklich meine Band und meine Musik kennt. Aber das ist mir in diesem Moment auch gar nicht wichtig. Diese Sache ist auf Anhieb viel größer geworden als ich und meine Worte. Das ist alles so demütigend, dass ich irgendwie das Gefühl habe, ihm irgendwie danken zu müssen oder ihm zu zeigen, dass ich das, war er für mich und unser Land getan hat, anerkenne. Ich würde ihm gerne die Hand, ihm danken und einfach ein bisschen mit ihm quatschen.

Kyle hat etwas so Selbstloses, Mutiges getan. Das ist ein so immens hohes Niveau an Selbstaufopferung. Ich habe diesen Text vielleicht mit 16 Jahren geschrieben, aber stolz bin ich viel eher darauf, dass Menschen wie Kyle und all die andere diesen Zeilen so ein Bedeutung gegeben haben.

@b_shap