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GAMES

'Device 6' beweist, dass Text-Adventures nicht tot sind.

Sie riechen nur komisch.

Es gab mal eine Zeit, als Computer noch keine Grafik konnten und die Welt deshalb selbst für den technikfeindlichsten Gesellschaftsspieler genauso aussah, wie für die Programmierer hinter der Matrix. In dieser Zeit herrschte große Betrübtheit und allgemeine ASCII-Tristesse.

Es war ein Leben vor fotorealistischen Pornos, vor HD, On Demand oder Torrents; vor Siri, Spracherkennung und überhaupt vor jeder Art von Benutzerfreundlichkeit—also eigentlich gar kein Leben, sondern ein digitales Dahinsiechen in MS DOS, versklavt von den fünf Tastatur-Reitern der Apokalyse: C : \ > und dem ewig blinkenden _

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In dieser Zeit hatte der graue Schreibtisch-Kasten sogar so wenig zu bieten, dass manche Leute ernsthaft überlegten, ihn während ihrer Freizeit abzuschalten. Um ein Haar wäre eine ganze Generation von gelangweilten Geeks nach draußen in die Natur gegangen, als zum Glück der Informatiker William Crowther im Jahr 1975 den Einfall hatte, seine eigene Scheidung zum Anlass für die Erfindung des Text-Adventures zu nehmen.

Das Ergebnis war eine ganze Armada an Abenteuern, die—wie alles, was im Kopf passiert—selbst mit dem kränksten japanischen Aalporno-Zeug oder dem absurdesten Kanye-Video von heute problemlos mithalten konnte (wie zum Beispiel diese fünf Spiele).

Wenn wir von hier knapp 40 Jahre vorspulen, könnte man denken, das Text-Adventure wäre als Unterhaltungs-Format genau wie der Stummfilm längst ausgestorben und seinen cooleren, bunteren, lauteren Geschwistern gewichen.

Bild: via Kotaku

Aber die Nerds unter uns wissen es natürlich besser. Genau wie der Stummfilm nicht wirklich ausgestorben, sondern nur aus dem Mainstream verschwunden ist, um in der Form von kleinen Kunstprojekten oder einem Oscar-Film wie The Artist gelegentlich wieder aufzutauchen, hat auch das Text-Adventure nur ein bisschen Geruch angelegt und kommt alle paar Jahre mit einer kleinen (Underground-)Sensation zurück.

Die letzte derartige Überraschung war wahrscheinlich Weird Tape in the Mail (zumindest, wenn man David Lynch und stinkende Komposthaufen im Zimmereck mag). Auch die Reddit-Sensation Dwarf Fortress gehört hier zumindest so halb dazu (mehr dazu in einem der kommenden Games-Artikel).

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Jetzt gibt es ein neues iOS-Text-Adventure, das direkt bei seinem inhaltlichen Urvater—nämlich der Literatur—andockt und damit seit kurzem sogar 100.000 Stück im App Store verkauft hat.

Das Spiel heißt Device 6, wie ihr schon aus der Überschrift wisst, und sein Erfolg klingt eigentlich nur solange verrückt, wie man Device 6 in eine Linie mit reinen DOS-Spielen des Disco-und-Body-Nazi-Jahrzehnts stellt. Tatsächlich hat es zwar dieselben Vorgänger, ist aber ansonsten mehr ein interaktives und multimediales E-Book, das so wirkt, wie E-Books vermutlich irgendwann einmal sein werden, wenn in der nächsten Generation auch Schriftsteller endlich Obamas Ratschlag folgen und wie der Rest der Menschheit Programmieren lernen.

Device 6 ist ein Text-Adventure, das nicht nach Grafik-Mangel oder fehlendem Budget aussieht, sondern dessen User-Interface wie ein Blick in die Zukunft von Amazons Kindle wirkt (die uns hoffentlich auch irgendwann via Drohne zugestellt werden).

Wie bei Text-Adventures üblich, wacht man ohne Erinnerung in einem fremden Raum auf und versucht, sich einen Reim auf die Situation, die letzte Nacht und die Welt überhaupt zu machen. Was beginnt, wie ein herkömmlicher Sonntagmorgen, wird aber schnell zu einem diffusen und beängstigenden Szenario (also eher wie ein Sonntagnachmittag).

Erstens bist du nicht du, sondern eine fremde Frau, zweitens sitzt du irgendwo in der Nähe eines Leuchtturms fest und drittens ist das riesige Anwesen voll mit altmodischen Geräten und menschenähnlichen Puppen, die gespenstisch um eine Tafel arrangiert sind und vom Tonband mit Cocktailgesprächen untermalt werden (also wie ein Samstagabend mit der Familie).

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Sehr viel mehr kann man zum Inhalt nicht sagen, ohne zu spoilern. Zur Form zwar eigentlich auch nicht, aber hier soll zumindest noch kurz darauf hingewiesen werden, dass Device 6 wie viele frühere Text-Adventures auch nicht nur aus reinem Text besteht, sondern viele kleine Animationen, wie Überwachung-Monitore, Morsecode-Schlosse, geheimnisvolle Tonbänder, im Weiß des virtuellen Papiers versteckte Gucklöcher in den nächsten Raum und so weiter bereithält.

Aber die echte Innovativation sind weder die Cutscenes oder Minigames, noch die kleinen Rätsel und Geschichten der einzelnen Kapitel, sondern das Zusammenspiel von Ambient-Elementen (wie Geräuschen), grafischen Textbausteinen (Absätze, ums Eck geschriebene Passagen) und dem Story-Verlauf (anhand unseres Swipens und Blätterns).

Konkret heißt das: Während du davon liest, dass du Treppen hinuntergehst, signalisiert auch der geschriebene Text mit Zeilenumbrüchen, dass es abwärts geht und gleichzeitig hörst du beim Swipen und Scrollen Treppensteig-Geräusche.

Für Literaturpuristen, die aus irgendeinem Grund meinen, absolute Stille und totaler Reizentzug wären die natürlichste Art, Spaß zu haben, ist das sicher zu fancy. Für alle anderen könnte das ein Schlüssellochblick in die literarische Zukunft sein. Und, wenn sich der heutige Trend zu immer mehr Textproduktion und Textrezeption fortsetzt, vielleicht auch in die Zukunft des Gamings.

Markus auf Twitter: @wurstzombie

Hier geht's zum Spiel.

Fotos: Screencaps