Der Erfolg hat die Schöpfer des Films und seine Stars nach Hollywood katapultiert, doch die überzeugende Marketing-Kampagne hat außerdem dazu geführt, dass viele davon überzeugt waren, dass die Schauspieler tatsächlich gestorben seien. Anlässlich des Nachfolgers Blair Witch, der ab dem 6. Oktober in deutschen Kinos läuft, hat sich Broadly mit den Drehbuchautoren, Regisseuren und Schauspielern des ersten Blair Witch Project-Films getroffen, um zu erfahren, wie der Film ihre Leben für immer geprägt hat—und warum der Erfolg des Ganzen gewissermaßen auch zum Fluch wurde.Am AnfangDie Drehbuchautoren und Regisseure Eduardo Sanchez und Dan Myrick haben sich Anfang der 1990er Jahre als Filmstudenten an der University of Central Florida kennen gelernt. Die Freunde haben zuvor schon einige andere Filme zusammen gedreht, bevor sie sich entschieden, gemeinsam einen Horrorfilm zu drehen.Eduardo Sanchez, Autor/Regisseur: Wir hingen an einem Wochenende gerade zusammen ab und fingen an, uns über Horrorfilme zu unterhalten. Wir gingen also zur Videothek und liehen uns all die Horrorfilme aus, die uns als Kinder richtig Angst gemacht hatten, aber auch Filme und Sendungen im pseudodokumentarischen Stil wie In Search of…, Erinnerungen an die Zukunft [und] Legend of Boggy Creek. Diese Art von Horrorfilmen fanden wir viel schrecklicher, weil sie als Wahrheit dargestellt wurden. Wir fragten uns beide: „Wäre das mit einem heutigen Publikum wohl auch noch möglich?"Mehr lesen: Der erste Snapchat-Horrorfilm zeigt, dass die junge Generation am Arsch ist
Die BesetzungMithilfe des Produzenten Greg Hale begannen Myrick und Sanchez damit, einen achtminütigen Teaser zusammenzustellen, um potenzielle Geldgeber anzulocken. Das Video wurde schließlich an die Fernsehserie Split Screen verkauft und der Verkaufserlös deckte—zusammen mit finanzieller Unterstützung von Freunden, Familie und Videos, die Myrick für Planet Hollywood bearbeitete—die Produktionskosten des Films. Dann haben die Regisseure nach einer passenden Besetzung für den Film gesucht, nach Schauspielern mit Erfahrung im Improvisieren, die den Found-Footage-Stil des Films gut umsetzen würden.Sanchez: Wir wussten, dass wir das Publikum verlieren würden, wenn es sich auch nur für den Bruchteil einer Sekunde so anfühlen würde, als würden die Leute schauspielern—oder sich überhaupt wie ein Film anfühlen würde. Es lag uns also sehr viel daran, dass die Schauspieler gute Improvisations-Skills hätten und authentisch rüberkommen würden.Heather Donahue, Schauspielerin: Ich war die Gründerin des Improvisationsunternehmens Red Shag und gehörte zu der feministischen Randbewegung einer Theatergruppe namens Collision Theory, wo wir öfters dokumentarische Theaterstücke aufführten. Ich habe viel improvisiert, aber in eine ganz andere Richtung, ich war also total aufgeregt, als ich von The Blair Witch [Project] hörte.Wir wussten, dass wir das Publikum verlieren würden, wenn es sich auch nur für den Bruchteil einer Sekunde so anfühlen würde, als würden die Leute schauspielern.
Zelten in MarylandHeather Donahue, Joshua Leonard und Michael C. Williams konnten die Hauptrollen für sich gewinnen und ihre Charaktere wurden nach ihren echten Namen benannt. Zusammen mit dem Filmteam reisten die Schauspieler nach Maryland, wo sie innerhalb von acht Tagen den Film abdrehen sollten. Zuerst fuhren sie in die echte Stadt Burkittsville und dann in unterschiedliche Naturparks, in denen die Szenen gedreht wurden, die an eine ziemlich unheimliche Schnitzeljagd erinnern. Die Schauspieler schliefen jede Nacht in echten Zelten und nahmen ihr eigenes Material selbst auf, das Team folgte ihnen einfach nur. Die Schauspieler haben einen Großteil des Films komplett improvisiert, und das Team war dafür verantwortlich, für Unruhen zu sorgen, die die erwünschten Reaktionen auslösen sollten.Ich war wahrscheinlich auch einfach viel zu bekifft, um wirklich Angst zu haben.
Die Mythen um den FilmWie die Legende des Blair Witch Project selbst hat auch die Produktion des Films viele Geschichten hervorgebracht. Es kamen Gerüchte über die Schauspieler in Umlauf, die angeblich während bestimmter Szenen geweint und geschrien haben, weil sie glaubten, die Legende sei wahr. Doch tatsächlich waren die Aufnahmen viel unspektakulärer und ein hartes Stück Arbeit für die drei Hauptdarsteller.Leonard: Es gab keine Geisterkinder im Wald. Der Teil war also schon mal frei erfunden, so weit ich weiß.Donahue: Ein Haufen Steine ist an sich nichts unheimliches. Wir mussten aber an die fiktiven Umstände glauben, wie auch bei jedem anderen Schauspieljob.Myrick: Wir haben sie sicher ab und zu überrascht, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass einer von ihnen zu irgendeinem Zeitpunkt ernsthaft Angst hatte. Zum Beispiel bei der Schlussszene in dem Haus, da sieht es aus, als wäre es alles in einem Take gedreht worden. Heather schreit im Haus, und es sieht so aus, als würde sie ihren Verstand verlieren, doch tatsächlich haben wir diese Szene in mehreren Takes über einen Zeitraum von zwei Tagen aufgenommen—das war einer der wenigen Abschnitte im Film, der auf traditionellere Weise gefilmt wurde. Wir mussten wirklich alles gut vorbereiten und uns vorsichtig durchs Haus bewegen, damit niemand sich verletzen würde. Es war alles gestellt. Niemand hatte Angst. Sie waren einfach müde! Die Angst in ihren Gesichtern ist ihrer unglaublich guten schauspielerischen Leistung zuzuschreiben.Wir haben sie auf keinen Fall hungern lassen, aber wir wollten, dass sie zum Schluss etwas mürrisch werden.
UngeplantesEinige der unheimlichsten und besten Momente im Film kamen für das Team total überraschend. Andere geplante Reaktionen wurden hingegen nicht richtig aufgenommen, wodurch sich der gesamte Verlauf des Films und die Blair Witch-Mythologie veränderten. Dazu zählt beispielsweise der berühmte Monolog von Donahue, in dem sie in die Kamera weint. Die Nahaufnahme von ihrem Gesicht wurde später zum Motiv für das ikonische Filmposter.Myrick: Wir hatten diesen Plan und wollten die Silhouette einer weißen Figur zeigen—dieser unheimliche Moment, in dem man, wenn man genau hinschaut, die hellen Konturen eines Menschen irgendwo im Hintergrund erkennt. Ein Freund von uns hatte sich lange weiße Unterhosen angezogen und wartete irgendwo im Wald zwischen den Bäumen auf uns. Wir hatten gehofft, dass man ihn später im Film für einen kurzen Augenblick sehen würde. Das war es auch, worauf Heather reagierte [als sie durch den Wald rannte] und fragte „Was zum Teufel war das?", aber der Typ war in den Aufnahmen nicht zu sehen. Er tat mir leid, an dem Abend war es nämlich ziemlich kalt und außerdem ist er auch noch ins Wasser gefallen. So viel Aufwand für nichts weiter als ein „Was zum Teufel war das?"Sanchez: Wir wussten nicht, dass [Donahues Monolog] zu einem so unglaublich ikonischen Moment in unserem Film werden würde. Wir hatten [Heather und Williams] dieselben Anweisungen gegeben. Wir sagten zu Heather: „Du willst Mike keine Angst machen, nimm also deine Kamera und such dir einen Platz in der Nähe vom Zelt, an dem du dich von allen, die dir wichtig sind, verabschieden kannst. Du wirst sterben." Wir machten ihnen Vorschläge, wie sie reagieren könnten. Zu diesem Zeitpunkt wusste Heather schon, dass sie sterben würde und lieferte plötzlich diese unglaubliche, großartige Vorstellung ab. Das war einer dieser besonderen Momente. Wir als Filmemacher hatten das nicht kommen sehen, wir hatten sie ja komplett sich selbst überlassen. Aber als wir das später sahen, ahnten wir, dass es etwas Großes sein könnte.Mehr lesen: Hinter den Kulissen von Britney Spears' erstem Kinofilm
Wenn alle glauben, du seist totNachdem die Aufnahmen beendet waren, verbrachten Myrick und Sanchez Monate damit, das Material zu bearbeiten und in einen 81-minütigen Film zu komprimieren. Der Film wurde beim Sundance Film Festival gezeigt und das jetzt nicht mehr existierende Artisan Entertainment sicherte sich die Vertriebsrechte. Sanchez erstellte eine Website für den Film, auf der Hintergrundinformationen zum Mythos um den Film zu finden waren—und das Ganze als echte Geschichte verkaufte. Außerdem versteckte Artisan während der Premiere zunächst die drei Hauptdarsteller und veränderte ihre Einträge auf der IMDB-Seite. Alles sah danach aus, als seien sie tatsächlich gestorben. Dieser Schwindel kam so überzeugend rüber, dass Donahues Mutter Beileidskarten zugeschickt bekam.Meine Mutter erhielt Beileidskarten und die Leute sprachen mich auf der Straße an und sagten, sie wünschten, ich wäre tot.
Der RückschlagDer Film spielte weltweit umgerechnet rund 276 Millionen Euro ein und auch die Kritik viel—zumindest anfangs—überaus positiv aus. Myrick und Sanchez gewannen sogar einen Independent Spirit John Cassavetes Award. Die große Beliebtheit brachte auch einen ebenso großen Rückschlag mit sich, der sowohl das Filmteam als auch die Schauspieler hart treffen sollte.Sanchez: Nur kurze Zeit nach der Veröffentlichung gab es diese enorme Gegenreaktion. Die Leute hatten etwas andere erwartet. Als sie merkten, dass Blair Witch kein gewöhnlicher Horrorfilm war, taten sie so, als hätten wir versucht, sie für dumm zu verkaufen. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Film schon reichlich Geld eingebracht und war sehr erfolgreich—man hätte es also als unwichtig abtun können, aber uns als Regisseure hat das natürlich schon getroffen.Myrick: Ich glaube, [so eine Gegenreaktion] ist ganz normal. Die besten Kritiken für unseren Film haben wir ganz zu Anfang bekommen, als die Leute noch offen für etwas Neues waren und keine Erwartungen an ihn hatten. Es gibt aber mit der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit diesen Kreislauf, in dem man irgendwann zu viel darüber gehört hat und es cool ist, so etwas dann bewusst nicht cool zu finden.Leonard: Mir haben Leute oft gesagt, dass sie den Film schrecklich fanden und ihr Geld zurückwollen. Ich habe darauf immer nur geantwortet: „Ich weiß nicht, was du jetzt von mir erwartest." Der Film war nie für die Massen gedacht.Mehr lesen: Der deutsche Film, der weibliche Sexualität neu definiert
Die fortlaufende LegendeObwohl der Film vor über 15 Jahren gedreht wurde, lebt die Legende der Hexe von Blair weiter. Viele Fans glauben immer noch an die Legende, wenn auch nicht an die Existenz einer Hexe von Blair selbst.Sanchez: Aus einer Umfrage von Artisan ging mal hervor, dass unglaubliche 50 Prozent der Leute glaubten, die Legende über die Hexe von Blair sei wahr.Anscheinend mussten sich viele Leute wegen meiner unsicheren Kameraführung übergeben. Das tat mir echt leid.
Alte Fehler und neue ZieleNach dem Erfolg des Films schlugen das Team und die Schauspieler unterschiedliche Wege in Hollywood ein: Sanchez und Myrick haben zusammen weitere Horrorfilme gedreht. Leonard hat regelmäßig in Filmen mitgespielt. Donahue hat in ein paar Filmen mitgespielt und sich dann vom Showbusiness verabschiedet, um medizinisches Marihuana anzupflanzen. Sie sagt, ihr größter Fehler sei gewesen, im Film ihren echten Nachnamen genannt zu haben, womit sie zum festen Bestandteil des Franchises geworden ist. Im neuen Film spielt der Bruder ihres Charakters die Hauptrolle und trägt als James Donahue ebenfalls ihren Nachnamen.Donahue: Ich muss mit [dem Erfolg von The Blair Witch] leben. Er wird immer ein Teil von mir sein. Es hatte sich schon alles ein wenig beruhigt, aber durch den neuen Film geht es wieder los. Es ist für meine Familie und mich eine Herausforderung. Meine Mutter wird wieder nach mir gefragt und auch meine Schwester muss auf ihrer Arbeit Fragen wie „Spielt deine Schwester in dem neuen Teil auch mit?", „Hast du wirklich einen Bruder namens James?" beantworten. Nein, wir haben keinen Bruder namens James, aber unser Vater heißt so, das kann jeder auf meiner Wikipedia-Seite nachlesen.Myrick: Als Künstler ist es normal, bei den Zuschauern einen Eindruck zu hinterlassen und sie zu bewegen und Blair Witch hat das eindeutig geschafft. Ich bin sehr dankbar, Teil dieses Films gewesen zu sein, Teil von etwas Außergewöhnlichem, für das sich die Leute an meinen Namen erinnern werden. Das können nicht viele Regisseure von sich behaupten.Donahue: Alle Found-Footage-Filme entstehen heutzutage in großen Kooperationen. Es sind große Filme mit einem echten Budget, sie können also nicht das gleiche Gefühl eines Indie-Films wie Blair Witch vermitteln. Blair Witch hätte auch nicht mit Schauspielern aus der SAG-Gewerkschaft gedreht werden können—wir hatten nämlich keine geregelten Arbeitszeiten und auch keine festen Pausen. Wir haben nonstop gedreht und niemand hat uns wirklich Anweisungen gegeben. Es war eine sehr wilde Filmproduktion, die nicht möglich gewesen wäre, wenn um einen herum so wie heutzutage überall die Sicherheitsvorschriften exakt eingehalten werden und jeder Schauspieler einen eigenen Betreuer hat, der sich um sein Wohlergehen kümmert. Das ist bei vielen aktuellen Found-Footage-Filmen die große Herausforderung. Man ist heute einfach nicht mehr imstande, diese Wildheit darzustellen oder zu vermitteln, was das Internet damals bedeutet hat.Es war eine sehr wilde Filmproduktion, die nicht möglich gewesen wäre, wenn um einen herum so wie heutzutage überall die Sicherheitsvorschriften exakt eingehalten werden.