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Rudis Brille

Rudis Brille: Was wäre, wenn ich in Wien das Sagen hätte?

Wien könnte so schön sein.

Foto via Flickr | Duroy.George | CC BY 2.0

Am letzten Wochenende fand am Wiener Heldenplatz (sic!) ein ominöses Open-Air statt. Via sozialer Medien verbreitete sich die Kunde davon wie ein Lauffeuer und es fanden sich zahlreiche Tanzwütige ein, um bei „Flucht nach vorn“ politische Statements mit elektronischer Musik zu verbinden. Dass das Ganze ursprünglich als Demonstration angemeldet wurde, ist für diejenigen, die kamen nur Nebensache. Hauptsache es passiert etwas in der Stadt, die gerne immer schläft oder sich ansonsten gerne darüber unterhält, ob „Techno“ im Namen einer Veranstaltung stehen darf, obgleich aus den Boxen langsamere Beats dröhnen.

Wien rühmt sich ja eine Stadt zu sein, die etwas tut für ihre Bürger. Eine Stadt, die stolz ist auf ihre Kultur und ihre Kunstschätze, auf den Lebensstandard und auch auch darauf, dass etwas „los“ ist. Doch was darunter genau zu verstehen ist, bleibt oft im Dunkeln. Der Heurige allein kann es wohl nicht sein, obwohl das natürlich auch Teil unserer Kultur ist, aber müssen denn die Zenitvorgaben für kulturelle Leitfiguren hierzulande bei Andreas Gabalier oder Marko Arnautovic enden? Ich habe mich oft gefragt, was ich tun würde, wäre ich der „König von Wien“, quasi eine Abwandlung des 80er Jahre NDW-Klassikers von Rio Reiser.

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Das Ganze ist natürlich mit einem Augenzwinkern zu betrachten, denn eine Stadt lebt nicht nur von Party und Spaß, dafür haben wir ja unter anderem Berlin, doch gibt es ja mittlerweile die Initiative „Club ist Kultur“, die in diversen Gremien der führenden Landespartei ausgefeilt wird. Das ist in jedem Fall zu unterstützen.

Auf der anderen Seite gibt es aber mächtige Organisationen wie den „Wien Tourismus“, deren Meinung es doch tatsächlich zu sein scheint, die „Anerkennung von Jugendlichen und Clubkultur als touristische Zielgruppe“-Initiative abzulehnen (oder es ist nur die Meinung des Geschäftsführers). Wie bitte? Kann das denn ernst gemeint sein? Wien will nur älteres Publikum als touristische Kernschicht? Während weltweit versucht wird, Städtetourismus jugendlicher zu gestalten, will Wien das nicht? Wenn man weiß, dass dies mehr die persönlichen Befindlichkeiten gewisser Personen zu sein scheinen, könnte man diese ja einmal fragen, ob sie denn nicht in Würde altern können. Muss dies denn mit einer solchen Spießigkeit passieren? Kann man hier denn nicht Anleihen an anderen großen Metropolen nehmen—an echten „Weltstädten“. Muss denn Wiens Schönheit auf die Prachtbauten vergangener Dynastien reduziert werden? Oder interessiert die hohen Herren in dieser mächtigen Organisation einfach nicht wenn junge Menschen in unsere Stadt kommen und in den vielen „Youth Hostels“ oder den auf jung gestylten Günstighotels nächtigen, in den vielen neuen Hipsterhütten der Stadt ihr Geld ausgeben und danach in die Clubs gehen (oder auch zu Konzerten abseits der Klassik). Ich würde die Abwürger dieser Initiative gerne fragen, ob sie sich ihre Borniertheit nicht dezent wohin schieben könnten, aber ich werde sie vermutlich nie fragen können, denn sie haben keine offenen Ohren.

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Foto via Flickr | Stephanie Kraus | CC BY 2.0

Des weiteren gilt es endlich einmal das Problem „Freiräume in der Stadt“ zu lösen. Wien hat sie, nur werden die nicht frei gemacht. Es gibt ja Inititiativen, die dafür kämpfen oder ein wenig tricksen—hatten wir an dieser Stelle schon einmal—doch das ist alles ein wenig nach dem Motto „Unter der Hand“ und „Mundpropaganda“, die Wortkombination „nicht ganz legal“ möchte ich hier erst gar nicht aussprechen, ganz nach Jan Böhmermann quasi: Was nicht gesagt werden soll… Doch warum kann man auf der Donauinsel beispielsweise nicht öfter Feste feiern? Vielleicht auch kleinere. Klar, die Insel ist ein Naherholungsgebiet, aber haben den rasende Rennradler bei allem den Vorrang? Es ist ja gut, wenn es das Donauinselfest gibt, das Wolfgang Ambros und Kamo & Krooked zusammenbringt. Doch wenn es stimmt, was die einstigen Partycrasher, die nun an den Hebeln der Inselverwaltung sitzen, denken, dann existiert in Österreich keine elektronische Clubkultur beziehungsweise ist Techno auf Sven Väth und seine Ibizadekadenz reduzierbar. Ist es das? Naja, wenn manche Herren so denken, obwohl sie seit 20 Jahren in keinen Club mehr gegangen sind, dann sollte man sie vielleicht auch dezent in andere Ämter befördern. Vielleicht kann man ja einen Job unter der Wahrnehmungsgrenze erfinden: Gassigang-Beauftragter oder Tulpen-Anlaufstelle vielleicht?

Es bestünden gerade dort Möglichkeiten en masse, doch wurden schon viele Versuche in der Vergangenheit OpenAir-Veranstaltungen abzuhalten im Keim oder nach einiger Zeit erstickt—siehe Porto Pollo, wo es nach zwei jährigem Hick Hack nun doch wieder Partys geben darf, allerdings mit stark limitiertem Sound. Wenn man denn etwas Großes aufziehen will, braucht man also unendlich viel Geld—siehe Holi und Co. Dadurch schließen sich kleinere Projekte sofort selbst aus. Das würde ich in jedem Fall verändern, es kann und muss auf der langen Insel noch Möglichkeiten geben, etwas machen zu dürfen, was vielleicht ein bisschen den Touch von Underground hat, ohne gleich eine Pensionistendemonstration am Ring auszulösen. Es müssen ja nicht andauernd ausufernde Raves stattfinden, doch warum klappen Open Airs in Berlin und nicht hierzulande?

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Es ist ja auch einer der größten Kellerlacher, wenn in dieser Stadt der einzig mögliche große Freiraum außerhalb der von der Politik geförderten Feste, das Areal in St. Marx ist, wo zuletzt das nicht gerade überlaufende „Marx Project“ versucht hat, Leute an diesen mega uncharmanten Ort zu bringen, mit—höflich formuliert—durchwachsenem Erfolg. Wenn dort tatsächlich noch einige Festivals stattfinden sollen, dann Gute Nacht.

Andere Freiräume etwa wie das Museumsquartier habe ich auch schon öfter an dieser Stelle angesprochen, da geht ein bisschen was, aber eben nur, wenn Papa Stadt finanziert, siehe Electric Spring. Das Electric Spring ist ein Gratisfestival, das ein bisschen so den Anschein erwecken soll, dass das Museumsquartier nicht nur von den Museen, den Lungerbänken und Cafe Latte lebt. Ja, es gibt das Leopold als Club und es gibt ein paar kleinere Auflegereien mit 22 Dezibel aber es gibt auch eine Leitung, die sofort unbequemes aussiedelt (PlayFm und Co) und Widerstände abdreht, es sei denn, er kommt von den alten Mietern. Könnte man diese Mieter nicht mit tollen Ersatzwohnungen in einem der vielen neuen Stadtentwicklungsgebiete zu einem Wohnugswechsel bewegen? Ich würde das forcieren, denn der Platz wäre optimal für Veranstaltungen und erinnert mich stets ein wenig an Barcelona und die Sonar. Und wenn es einmal im Jahr ein echtes grosses internationales Festival gäbe, wären vielleicht sogar die Herren vom Wientourismus davon zu überzeugen, dass auch Jugendlichen als touristische Zielgruppe die Anerkennung nicht mehr verweigert werden darf.

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Foto via Flickr | Martin Roell | CC BY 2.0

Ähnliches gilt übrigens auch für den Karlsplatz, wo abseits des Popfestes und des Christkindlmarktes schnarchende Langeweile herrscht. Der überwältigende Erfolg des Popfestes zeigt, was passieren kann, wenn die Stadt ihre Freiräume öffnet. Früher hat Tanz durch den Tag vorgezeigt wie es funktionieren kann, egal ob bei der Längenfeldgasse oder am Döblinger Sporn. Als 20 Millionen Menschen hinwollten brach die Panik aus, die Helikopter kreisten und die Polizei musste Straßen sperren und auch gleich weitere Veranstaltungen verbieten wegen zu viel Interesse. Ja warum kamen denn so viele? Weil sie Hunger hatten nach solchen unbeschwerten Dingen, sie wollten einfach mal nur im Gras sitzen und Bierdosen trinken und nicht ständig auf Werbetafeln glotzen. Dazu kamen erste politische Themen, ja dürfens denn des?

In den Weinbergen gab es auch zarte Versuche Heurigen und elektronische Musik zu verbinden, siehe „Mayer am Nussberg“. Was passierte, als es gut lief: Es gab „Beschwerden“ wegen Lärm, der nächste Nachbar wohnte aber 4km weit weg, war es nicht vielleicht der Neid des leeren Konkurrenten? Es wurde abgedreht und fand nie wieder statt, Wein und bumm bumm? Geht gar nicht! Wenns nach mir ginge dann schon!

Am Donaukanal dasselbe Lied, hier gibt es das „Donaukanaltreiben“, da darf man ein bissi laut sein, wenn das nicht ist, reduziert sich das Ganze zur Sehen- und Gesehenwerden-Laufstegmeile mit viel oder wenig Sonne, je nachdem wo man sitzt. Egal ob Tel Aviv Beach, Adria, Strandbar Hermann, Motto oder Flex draußen: Spätestens jetzt ist alles dermaßen limitiert, dass selbst die Radfahrer lauter sind. Das kann nicht sein, ich würde nicht allen sich Beschwerenden alles glauben, nicht alle Anreiner werden auch tatsächlich gestört, mache machen dies auch aus purer Bosheit und Ablehnung gegen alles was jung und stylisch ist (siehe denjenigen Vorzeigeanrainer, der im ersten Bezirk am Lugeck alles quält)und eben gerne „andere“ Musik hört. In meiner Jugend in Kärnten hieß das noch böse „Urwaldmusik“. Wenn die wüssten, wie schön so ein Urwald klingen kann.

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Kann man denn böse Anrainer nicht einem Lügendetektortest unterziehen? Hört der wirklich etwas, oder hört der nur das Gras wachsen, weil ihm so verdammt fad ist? Und resultieren seine psychische Angeschlagenheiten nicht aufgrund seiner krankhaften Ablehnung jeder Glücksgefühle? Der erste Bezirk als Ganzes ist ein Paradebeispiel für Reprovinzialisierung: Die Uschi (Stenzel) und ihr Anwalt haben so ziemlich alles dafür getan, dass einstige belebte dynamische Viertel mit Bars und Lokalen heute so aussehen, als wären sie am Land.

Foto via Flickr | Philipp Oberhaidinger | CC BY 2.0

Alles für die Mieter im einwohnerärmsten Bezirk. Klar, ja es soll nicht zu laut sein, es war teilweise zu viel und es gab auch echte Ärgernisse, aber jetzt ist gar nix mehr los im Bermudadreieck. Hat es sich selbst ins Meer des Nichts gezogen? Und so etwas wollte Bundespräsident werden. Bei mir wäre sie nicht einmal Bezirksvorsteherin gewesen. Warum werden bei den vielen neuen Stadtentwicklungsgebieten nicht auch gleich Plätze mitgeplant, die auch für die Jugend verwertbar wären, ohne dass deswegen gleich die einstigen Berufsrebellen Sturm laufen?

Die Boboviertel haben es ja so an sich, dass sie von einer gebildeten, nicht gerade armen Elite bewohnt werden, doch wehe es fährt mal ein Auto durch oder Studenten feiern zu laut. COBRA, WEGA, Bundesheer, alles soll ausrücken bitte, denn sie wollen ihre Ruhe. Die, die einst Häuser besetzten und Punks waren entpuppen sich nicht zuletzt als die grössten Spiesser, zumeist können sie sich gut ausdrücken oder sind gar selbst Anwälte. Was, wenn etwa im Wasserturm am Nordbahnviertel oder in den noch unbebauten Fluren Dinge stattfinden, die nicht jeder sofort berechnen kann? Was, wenn es einmal ein „anderes“ Seefest in der Seestadt gäbe, was wenn der Prater einmal seine Wiesen nicht nur fürs sinnfreie Oktoberfest (legal) vergeben würde? Würde dann die Welt untergehen? Würden dann einige japanische Autobusse nicht mehr nach Wien kommen? Fragen über Fragen, ich ließe es zu, das auf die Probe zu stellen.

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Und dann ist da noch diese Steuer: Lustbarkeitssteuer heißt sie auch noch und sie besteuert Tanz und Vergnügen. Sie stammt noch aus einer Zeit, als Alkohol noch eine echte Volksdroge war und es zuviel Walzerseligkeit gab. Heute muss (fast) jeder zahlen und das nicht wenig. Viel wurde über den Sinn der Vergnügungsteuer schon nachgedacht, abschaffen kann man sie offenbar nicht, denn der Stadt würden dadurch Einnahmen entgehen—also muss man sie „umschichten“. Bereits vor der Wahl hieß es, dass die Vergnügungssteuer einer Modifikation bedürfe, da große Bälle oder Kirtage genau so besteuert werden wie Partys in einem Club mit einem teuren internationalen DJ. Wenn es wahr ist, dann wird es in dieser Causa bald eine Lösung geben. Ob diese dann zufriedenstellend ist oder nur ein verwaschener Kompromiss—man wird sehen. Ginge es nach mir, muss diese Erleichterung kommen—in Zeiten von Registrierkassen und utopischen Gagen dank manglender Musikverkäufe. Ansonsten wird bald die Tupperparty das Lauteste sein, was Wien zu bieten hat.

Das Alles, und noch viel mehr, würd ich machen, wenn König von Wien wäre…bin ich aber nicht und das Einzige, was ich tun kann, ist hier ein wenig darüber zu sinnieren, was Wien wohl wäre ohne die ganzen Spießer an den Rudern—und damit meine ich ausnahmsweise nicht zwingend die Politik. Ich glaube sogar, dass die Stadtparteien einiges möglich gemacht haben und noch möglich machen können, siehe auch „Vienna Summer Break“. Warum es aber für alles „lange Nächte“ gibt nur keine „lange Nacht der Parks“ oder „lange Nacht des öffentlichen Raums“ erkläre ich dahingehend, dass viele Gremien am Ende nicht „anecken“ wollen mit so mächtigen Organisationen wie dem Wien Tourismus, der ja glaubt alles richtig zu machen.

Es gibt ja gerade in den letzten Jahren auch das Spekulationsproblem in der Stadt, das uns ab und an interessante PopUp-Projekte auf Zeit beschert, siehe Kantine, aber eben nur auf Zeit. Auch hier sollten die Herren Investoren, meist selbst nicht wirklich alte Yuppies, ein wenig auf die Wichtigkeit hingewiesen werden, was den Warehouse Flair ausmacht, denn zumeist stehen umgewidmete Gebäude eie Zeit lang leer, bis sie zum nächsten Luxuswohnungspalast werden. Das könnte man ändern. Dass am Heldenplatz straffrei und doch einige Stunden getanzt werden konnte ist aber einmal ein Anfang, unter der Uschi hätte es das wahrscheinlich nicht gegeben, unter mir schon. Und dann wachte ich auf und alles war nass.

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