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Rudis Brille

Rudis Brille: Tanz nach Vorschrift—Wiens „Frühjahrsputz“

Eigentlich wäre der Frühling die Zeit, in der alles aufblüht. In Wiens Clublandschaft zieht allerdings Unruhe auf.

Alle Fotos: Isabella Khom

Kaum zieht der Frühling ins Land—eigentlich eine Zeit des Erwachens und Aufblühens—kehrt Unruhe ein in Wiens Clublandschaft. Das mag daran liegen, dass die werte Beamtenschaft der diversen Magistratsämter seit ein paar Jahren penibelst darauf achtet, die aufkeimenden (halblegalen) Open Air-Festchen abzudrehen oder sie so einzudämmen, dass man Hörgeräte braucht, um den Sound vom Summen der Wiesenflugkörper zu unterscheiden. Oder aber auch daran, dass der Staat Österreich sich ein wenig vom Image des „Schauma amal“ oder „Werma scho mochn“-Image verabschieden will—wenngleich das nun etwas krampfhaft streberhaft daherkommt.

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Schon die Steuerreform verhieß nichts Gutes: Man werde feuchte Grauzonen austrocknen, hieß es und es hatte ein wenig den Beigeschmack des Erbarmungslosen. Wenn man die Ereignisse der letzten Wochen als Maßstab hernimmt, so werden diese Befürchtungen allerdings übertroffen. Wiens nächtliche Entertainmentlandschaft kannibalisiert sich seit einiger Zeit ohnehin selbst: „Mehr, teurer, größer“ könnte ein Motto lauten. Da werden Budgets an einem Abend verbraten, mit denen man früher ein Jahr lang veranstalten hätte können. Jeder will der Beste sein, 10.000 Euro für einen DJ auszugeben ist da schon lange keine Sensation mehr—ohne Champagner und Suite selbstverständlich. Dazu müssen natürlich die Läden voll sein. Aber wie voll dürfen sie sein? Ich stelle die gewagte These auf, dass—wenn alle Clubs streng nach Vorschrift nur die Zahl an Menschen reinlassen würde, die in ihrem Betriebsanlagenbescheid steht—dann alle zusperren könnten, außer man verfügt über nie versiegende Geldquellen. Ein Sven Väth beispielsweise für 500 Gäste mag zwar mega exklusiv wirken, ist aber ein Desaster für jeden Veranstalter, vor allem wenn man weiß, dass viele hundert Tanzwütige draussen vertrocknen mussten.

Offensichtlich ist genau dies aber der Plan einer neuen, sehr (oder zu?) dynamischen Beamtenschaft des Magistrats, welche seit einiger Zeit penibelst darauf achtet, dass genauestens und toleranzbefreit alle Beschränkungen eingehalten werden. Nun, man könnte nun behaupten, es sei ja äußerst angenehm für die Gäste, wenn man Platz zum Tanzen habe. Wenn man nicht so eingequetscht sei und wenn man lauter entspannte Gesichter sähe. Ist man selbst davon betroffen und „Opfer“, dann würde man freilich nicht so gelassen reagieren. Fakt ist: Wiens Clubs sind viel zu groß, doch würden sie lediglich nach Vorschrift gefüllt werden, dann wären sie leer, die Stimmung wäre im Keller und keiner, niemand, wäre entspannt. Es gab in der Vergangenheit eine gewisse Gelassenheit, was dieses Thema anging. Zustände wie in anderen Ländern sind schon aufgrund der Sicherheitsbestimmungen nicht möglich und die Clubs regulierten sich durchaus selbst—wenn es wirklich einmal zu voll werden sollte. (Klar gab es immer einige Ausnahmen…) Nun dürfte es aber irgendwo in diversen Büros neue, karriereorientierte Leute geben, die in den letzten Wochen sehr vielen Clubs das Leben sehr schwer machen. Ich will hier bewusst keine Namen nennen, es herrscht—wie man sich vielleicht vorstellen kann—Angst und Furcht: Es könnte ja noch schlimmer werden. Aber was zum Teufel soll das? Will man einen gutgehenden Einnahmezweig für Stadt und Land abdrehen?

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Und was sollen diese Zimmerlautstärken, auf die eigentlich alle im worst case scenario beschränkt werden? Wohin soll das führen? Sollen alle zu Hause bleiben? Selbst im puritanischen Amerika blüht die Clubszene seit Jahren auf. Wien wirbt damit, eine junge, dynamische Stadt zu sein. Nun geht die blanke Angst um vor Dr. K. (nennen wir ihn mal so) und seiner schnellen Eingreiftruppe, die offensichtlich von Club zu Club eilt, beinhart die Party am umsatzstärksten Tag killt und das noch unter dem Deckmantel der Gesetzmäßigkeit. Es würde schlichtweg uninteressant sein bei 76 Dezibel auszugehen und am Dancefloor den Tanznachbarn über Buchhaltung reden zu hören. Eintritte verlören ihre Legitimität und für den gesättigten internationalen Star-DJ würde Wien als Pflaster uninteressant, umgekehrt er/sie für uns unleistbar—selbst für die oberen 10.000. Denn, was nutzt es denen, wenn die unteren fernbleiben. Doch der arbeitende Ausgehmensch will sich seinen Frust am Wochenende wegtanzen. Kann er das nicht mehr, so bleibt er daheim in seiner Datscha und dreht seine eigenen Subwoofer auf.

Wir haben heuer Wahlen. Einerseits rühmen sich die stadtregierenden Parteien damit, was sie nicht aus Wien gemacht haben in den letzten 10-15 Jahren, andererseits torpedieren sie das, was Wien unter anderem jung und lebenswert macht. Das sind nicht Gratisfestivals im Museumsqaurtier, die ohnehin ab 20 Uhr so leise gedreht werden, dass man nichts mehr hört, das sind nicht nur das Donauinselfest bei dem es wirklich laut sein darf, so wie beim Lifeball. Das sind genau auch jene Clubs und Venues, die Musik und Clubkultur auch unterm Jahr erschaffen und ermöglichen, die ihre Steuern zahlen—auch die Vergnügungssteuer (über die ich nicht schon wieder schreiben will, doch eine einheitliche Lösung und Erleichterung ist mehr als überfällig) und die versuchen ein attraktives Programm zu buchen, egal aus welchem musikalischen Blickwinkel man das sehen mag. Die meisten Clubs befinden sich mittlerweile seit langer Zeit in Gebieten ohne Nachbarn in unmittelbarer Hörumgebung: Die Forelle, das FLEX, die Kantine neben der Autobahn, die Pratersauna, aber auch Volksgarten, Passage und Praterdome. Man stört dort niemanden, wenn man lauter spielt als im eigenen Wohnzimmer und genau das scheint es nun aber zu tun—aus gesundheitlichen Gründen oder weil Vorschrift eben Vorschrift ist. Kommerziellere Läden werden dies vielleicht leichter wegstecken, einem Praterdome etwa, der pro Abend einen Bruchteil dessen für DJs ausgibt, was etwa die Forelle brennt, kann es egal sein, für andere ist es existenzbedrohend.

Man darf gespannt sein, wie es nun weitergeht, welche Strategie dahintersteckt, am Vorabend der Wahl. Wien hätte andere Probleme in diesem Segment: Die Donauinsel versandelt und hat den Charme des Schwarzmeerstrandes von 1974 nur ohne Schwarzmeer. Am Donaukanal passiert zu viel, alles ist zu laut und ein urbanes internationales Festival wird es wohl nie geben, aber Geld für weitere Gratispartys scheint da zu sein. Die Vergnügungssteuer wird für Bälle wie für Kleinstparties im selben Rahmen angewandt und auch die Nichtraucherregelung (die ich per se begrüße, nur nicht die typisch österreichische Handhabung jetzt) wurde wieder auf die lange Bank geschoben. Und für Outdoorpartys ist weit und breit kein Platz. Es sei denn, es ist der 1. Mai—da immerhin gibt’s Maispace. Ansonsten ist es mehr als nur schwierig, wenn es denn legal sein soll.

Die Clubszene sollte nicht weiter von allen Seiten regelmentiert werden, sonst haben wir bald wieder die erbärmlichen Zustände der 70er und 80er Jahre. Denn was passiert sonst? Wir haben nur mehr ein paar Sommervenues, bei denen wir uns zu Hintergrundgezirpe unsere Partner suchen können. Im Winter müssen wir mangels Alternativen und Attraktivität zu Hause bleiben, zeugen Kinder, Österreichs Bevölkerung wächst rasant an und 2030 werden wir gefragt. „Papa warum wart Ihr damals nicht raven?“

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