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Selbstgemachtes Vinyl: Die Geschichte der Vanity Vinyl

Heutzutage kann im Internet jeder Musik veröffentlichen. Früher musste man sich noch eigene Platten pressen—sogenannte Vanity Vinyls.

Wir leben in einer Zeit, in der jeder Primat seine „Musik“ veröffentlichen kann. Musik-Produktion und -Distribution sind so günstig, dass sogar dein Papa zwölf verschiedene Versionen davon aufnehmen kann, wie er die Tatort-Melodie rülpst, um das dann auf eine CD zu brennen, ein Cover auszudrucken, das er mit Photobooth erstellt hat, und übers Internet zu vertreiben. Auf YouTube ist es noch schlimmer. Dort bezeichnen sich Millionen, die lediglich mit einer Webcam, einer Gitarre und lyrischen Klischees bewaffnet sind, selbst als Musiker.

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Es war aber nicht immer so—1960 v.C. (Vor Computern) war es fast unmöglich, deine eigene Musik zu verbreiten. Ohne irgendeine Art von Plattendeal gab es nur die Option, deine Songs live zu performen oder Zeit, Mühe und viel Geld zu investieren, um deine eigenen Vinyls zu pressen.

Und zwar in kleinen Pressen, die etwa 500 Stück aushusten. Heute gibt es etwa 500 von diesen Vanity-Pressen (Vanity heißt auf Englisch so viel wie Eitelkeit, sie wurden so genannt, weil sie von den Künstlern selbst gezahlt wurden), aber sie sind sehr schwer zu finden, weil sie nicht katalogisiert wurden. Ein neues Buch, Enjoy The Experience, von Johan Kugelberg versucht es trotzdem—und es gelingt ihm verdammt gut. Das Buch beinhaltet die größte Kollektion von amerikanischen, privaten Vinylpressen mit über eintausend Cover-Reproduktionen von 1958 bis 1992. Kugelberg hat sein Leben Artefakten aus kleinen Musikszenen gewidmet, inklusive Büchern: Vintage Rock T-Shirts, True Norwegian Black Metal, The Velvet Underground: New York Art, Beauty is in the Street and Punk: An Aesthetic. Wir haben mit ihm darüber gequatscht, wie man seine eigenen Platten macht.

YNTHT: Hi Johan. Warum haben sich so viele Künstler dafür entschieden, privat Vinyls zu pressen?
Johan Kugelberg: Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir in dem Buch nur die Spitze des Eisbergs gesehen haben, und dass zehntausende von diesen privat gepressten Platten existiert haben, aber das ist nur eine kleine Prozentzahl an Leuten, die Musik gemacht haben. Diese Platten basieren auf dem gleichen Antrieb wie es auf Youtube der Fall ist, nämlich sich selbst darzustellen. Weil es sehr anstrengend ist, eigene Vinyl-Platten zu machen, haben nur die hingebungsvollsten und/oder monomansten Künstler dieses Vorhaben in die Tat umgesetzt. Deswegen sind diese Platten oftmals interessant, merkwürdig und eigenwillig.

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Wie viel hat es gekostet, eigene Platten zu pressen? Sagen wir: 500 12-Zoll-Platten in den 60er Jahren.
Ich würde sagen ungefähr zwischen 1.500 und 2.000 Dollar, bei einer Auflage von 500 oder 1.000 Kopien. Nimm das mal zehn und du hast ungefähr eine Vorstellung davon, was das in 2013er Geld bedeutet. Es war ein riesiger Aufwand und eine riesige Verpflichtung deinem Handwerk oder deiner Kunst gegenüber. Und sobald die Kisten voller Platten in deinem Haus ankommen, fängt die Arbeit erst an: Wie willst du sie distribuieren, wie findest du ein Publikum, das sie kaufen will. Ein Grund dafür, dass diese Platten so schwer aufzufinden sind, ist, dass die meisten wahrscheinlich in irgendwelchen Kisten auf den Dachböden oder in den Garagen von den Leuten verrotten.

Offensichtlich sind privat gepresste Vinyls echte Raritäten. Wie hast du so viele für dein Buch gefunden?
Manche sind sehr selten—in der Regel diejenigen, die sehr gefeiert und begehrt von Plattensammlern waren. Normalerweise von Leuten, die sehr an psychedelischer Musik interessiert sind, und einige von denen—Peter Grudzien, Kenneth Higney, The Shaggs—sind echte Meisterwerke. Diese waren aber nicht so schwer zu finden. Es war viel schwieriger bei denen, die nicht unbedingt viel wert waren, weil sie nicht die Reputation haben, dass die Menschen sie sammeln wollten. Wir hatten Glück, dass wir uns mit legendären Sammlern wie Paul Major, Geoffrey Weiss, Jack Streitman und Gregg Turkington angefreundet haben und diese uns Zugang zu ihren Platten gaben.

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Von all den Platten, die du für dieses Buch gefunden hast, kannst du uns ein paar nennen, die herausstechen?
Klar.

The Lu-Wows - "Dream Bubbles"

Dieses Paar hat überall in Süd-Illinois gespielt und hat diese einzige LP veröffentlicht, die sie 1967 oder so auf Konzerten verkauften. Ich glaube nicht, dass die Absicht der beiden war, psychedelische Musik zu machen, aber das Resultat ist wahrscheinlich das Psychedelischste, das ich jemals gehört habe.

OL Jaggers - "That's Life"

Michael Daleys detaillierte Darstellung vom Leben und den Gebräuchen dieses genialen Predigers/Blödsinnerzählers liest sich wie ein bizarrer Great Gatsby. Sein einziges Album, von dem wir wissen, beinhaltet eine lähmend großartige Version vom Sinatra-Klassiker mit dem umgeschriebenen Text: „That's Life, that's what Jesus said, preach the word, heal the sick, raise up the dead!"

Eugene De Luca - "Twilight Zone"

Das ist einer der Tracks, den mir Paul Major vor 20+ Jahren vorgestellt hat: Die nervös kuschelige, hausgemachte Lounge Music steht im starken Kontrast zu dem rätselhaften und unheimlichen Text. Eugene triffst sich selbst als Jungen wieder und die Beiden führen ein Gespräch außerhalb von Raum und Zeit und Vernunft.

J Ann C Trio - "Voodoo Doll"

Noch einer von Paul Majors Favoriten, und er ist ohne Zweifel der Mul Pacha der privat gepressten Musik, ich vertraue seiner musikalischen Weisheit sehr. Dieses Lounge-Trio hat im Tan-Tar-A Resort in Missouri gespielt, und der verrückt/gruselige Krämpfe-artige Vibe dieses Songs in Kombination mit der außerirdischen Püppigheit der Sängerin resultierte darin, dass die LP nicht nur von Connaisseuren des Seltsamen geschätzt wird, sondern auch von so ziemlich jedem, dem ich diesen Song vorgespielt habe.

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Harlem Nocturne - "Fire & Rain"

Es gibt Tage, wo es diesen musikalischen Juckreiz gibt, den nichts befriedigen kann außer der einsame privatgepresste Vanity-Sound: Das hier ist wirklich einer der ätherischsten und jenseitigsten. Dieses James Taylor-Cover überschreitet den Middle-of-the-road Feel Good-/Feel Deep-Fraß des Originals und führt den Zuhörer geradewegs in Eraserhead.

Enjoy The Experience könnt ihr hier bestellen.

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