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Rudis Brille

Rudis Brille: Was bringt 2016 für die Wiener Clubkultur?

Zeige mir, wer zum Opening kommt und ich sage dir, wie dein Publikum in Zukunft aussieht, darum bete ich zum Gott des Undergrounds, dass Heinz Christian Strache zu Hause bleibt.

Foto via Flickr | Marcus Rahm | CC BY 2.0

Es ist also so weit: Diese Woche schließt die Pratersauna unter der Führung von Hennes Weiss und Stefan Hiess ihre Pforten und übergibt an Martin Ho. Dieses Wochenende stehen die ultimativen zwei letzten Partys ins Haus und gefühlte 100.000 Menschen werden von Freitag bis Sonntag wohl durchfeiern. Faktum ist, hier auch schon oft besprochen, dass dann für mindestens zwei Monate umgebaut wird, dass es den legendären Bunker danach nicht mehr geben wird und dass die Pratersauna ansonsten aber weiter bestehen bleibt. In diversen Interviews wurde nun der alte und der neue Spirit beschworen, über Professionalität in der Gastronomie gefachsimpelt und versprochen, dass die Pratersauna als halbwegs kommerzbefreite Undergroundlocation weiter bestehen soll.

Mittlerweile ist der junge und umtriebige DJ Max Wanderer als Koordinations-und Schnittstelle installiert worden, der Mittwochsbrand soll weiter bestehen und auch der 5 Uhr Tee soll im neuen behübschten und vergrößerten Garten im Sommer weiter geführt werden. Des weiteren sollen einige starke Fremdveranstalter mit ihren Brands gehalten werden. Ob und wie das legendäre Image der Sauna, wie wir sie kennen, bestehen bleibt ist offen. Martin Ho verspricht Preissenkungen und Verbesserungen, manchmal ist aber „zu gut“ auch glatt, „zu professionell“ auch uncool. Vor allem ist der größte Wunsch vieler, dass der Club nun nicht von föhnbewellten Hemdträgern aus neoliberalem Umfeld überrannt wird, die dürfen gern weiter Löcher in den Boden von Passage und Chaya stehen.

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Aber ich sage auch, geben wir dem Ganzen eine Chance. Für viele Neueröffnungen gilt ja das Motto: Zeige mir, wer zum Opening kommt und ich sage dir, wie dein Publikum in Zukunft aussieht, darum bete ich zum Gott des Undergrounds, dass Heinz Christian Strache zu Hause bleibt. Die Kantine schloss bereits am 16. Jänner, und das für immer. Einige tausend Menschen suchten das alte Zollamt heim, das brachte auch einige Unkenrufe wegen ermatteteter Orga mit sich, aber ja, was wäre ein Abriss ohne Anschiss? Bei der Masse an Menschen, die da hinkam, erkannte man, dass auch dieser Club einen hohen Beliebtheitsstatus innerhalb kürzester Zeit erlangte und dieser Schwung sollte nun in die neue Location mitgenommen werden. Ich hätte ja zu gerne verkündet, wo diese ist, doch fehlen laut Betreiber noch einige Details und Feinabstimmungen und somit reduziert sich diese „Breaking News“ darauf, dass es sich um ein leer stehendes Gebäude am Ring handelt, dass es wohl noch bis März dauern soll, bis der Betrieb wieder aufgenommen wird. Dass die neue Location auf zwei Floors größer sein wird, als die Kantine (so wird sie ja auch nicht mehr heißen) und dass es nur mehr einen reinen „Undergroundtag“ geben wird (Samstag).

Foto: Gersin Liva

Wer die Location schon einmal gesehen hat, überschlägt sich fast vor Euphorie, doch es gibt wie überall ein aber: Der erste Bezirk ist nun zwar endlich Uschi-frei, Spießer-frei ist er deswegen noch lange nicht. Dort sitzen die Reichen und Mächtigen und die können einem das Leben schwer machen. Es wird sich also die Frage stellen, ob man dort so laut sein kann wie in der Schnirchgasse. Auch hier heißt es abwarten und wo anders Bier trinken. Aber wo kann man das bis März/April 2016 tun? Ich wage einen kurzen Ausblick:

Was tun die Arrivierten—Abwarten, oder weiter aus Plastik trinken?

Das Closing zweier so extrem starker Läden macht nun gewaltige Massen an Publikum frei, wohin wird dieses gehen? Es ist die Chance für die arrivierten Läden, diesem wieder eine Heimat zu geben. Die Forelle, die ja ohnehin schon über ein starkes Stammklientel verfügt, hat für die nächsten Monate jedenfalls ein sehr starkes Lineup angekündigt. Ricardoooo ist ja schon im Anflug, der Rest wird folgen. Es wäre ja eigentlich auch eine große Chance für das Flex, hier ebenfalls wieder am Kuchen mitzunaschen, doch bräuchte es dringend einmal einen kleinen Relaunch.

Zur Zeit hat man fast das Gefühl, das ganze Flex besteht nur mehr aus Drum'n'Bass-Partys, gemischt mit ein paar Konzerten. Wo sind die mutigen Veranstalter, die sich hier wieder hintrauen? Die Voraussetzungen wären gegeben, die Anlage ist immer noch top, klar, alles ist in die Jahre gekommen, aber betrinken und raven kann man dort noch immer gut, auch wenn ich den Ansatz nicht verstehen kann, dass man so eisern am Plastikbecher festhält, wo die anderen wieder auf Glas (oder ähnliches) umsteigen.

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Auch die Auslage hat ihre kleinen (finanziellen) Probleme überwunden und sollte wieder in ruhigeren Gewässern fahren. Was aber natürlich vielen fehlt, ist das nötige Kapital, um wirklich starke, große Bookings über eine längere Periode zu machen, stattdessen wird (außer bei der Forelle) sehr stark auf Fremdveranstalter gesetzt, die sich wiederum nach ihrer Decke strecken müssen und damit oftmals auch „Qualitätsschwankungen“ ausgesetzt sind.

Das Fluc, das ohnehin beständig sein Ding durchzieht, könnte die herrenlosen Massen, die nun durch den Prater ziehen, ebenfalls auffangen. Auch einige herrenlose Partyformate, wenn man das will. Und samstags, das ist meine Prognose, wird nun auch wieder der Volksgarten aus allen Nähten platzen.

Foto via Flickr | Kino unter Sternen | CC BY-ND 2.0

Die Kleinen werden gewinnen

Kollege Marco Weise kam in seinem Kurier Artikel zu dem Schluss, die „kleinen“ Clubs würden die großen Sieger sein—diesen Schluss mag ich durchaus teilen. Sass, Werk, Celeste, Roxy, Brut, Gönner, Donau—sie alle haben schon in den letzten Monaten gut funktioniert. Das wird sich nun noch weiter fortsetzen. Dort können die heimischen DJs profilieren, dort kann Clubkultur entstehen, dort ist alles etwas günstiger und chilliger. Aber ich würde mir so sehr wünschen, auch die Anlagen wären teilweise besser. Warum muss gute Musik immer so elendig räudig klingen? Klein muss nicht immer auch klein in der Soundqualität heißen. Oder bin ich da zu anspruchsvoll?

Alles wird kommerzieller

Eine sehr bedenkliche Entwicklung zeichnet sich jetzt schon ab. Viele Clubs setzen—auch um Geld zu verdienen—wieder mehr auf kommerzielle Fomate á la „Be Loved“ im Volksgarten. Die „Pratersauna neu“ will freitags ein ähnliches Format aufziehen und auch die Nachfolgelocation der Kantine am Ring wird einen Tag für „offenere“ Formate freigeben.

Das Chaya Fuera setzt ja mit Happiness und Technoheurigen schon länger auf Clubmusik im WU-Format verpackt und der neue Hades am Karlsplatz wird zum Teil einen ähnlichen Weg gehen. Allgemein wird die Szene wieder mehr durchmischt, und die Sausages, denen es ohnehin nie um die Musik geht, werden wohl die Qual der Wahl haben—denn die Passage gibt es ja auch noch.

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Neues kommt: Der Sprung ins Haifischbecken

Anfang Februar bekommt Wien aber auch Zuwachs: Der Hades eröffnet am Karlsplatz, direkt neben dem Brut. Davor hieß das Ding Bergstation Tirol und irgendwie ist die Assoziationskette lustig. Denn Hades, der Totengott, mag Tirol offensichtlich nicht. Wohl mag er den Produzenten Philipp van het Veld, der nun die bookingtechnisch die Geschicke des neuen Ladens lenken soll. Freitag kommt eine neue Gaynacht, ein bisschen in der Tradition des alten Heaven, Samstag sollen diverse Formate ausprobiert werden. Klingt nicht uninteressant, ich hoffe, Hades liebt de Unterwelt noch lange.

Daneben gibt es seit Januar das temporäre Marxproject, das mich ein wenig an modernes Geldverbrennen erinnert, denn bei einigen Veranstaltungen fanden sich gefühlte 200 Menschen in der riesigen Halle ein. Bei Drum'n'Bass-Partys lief es besser, überhaupt, wenn gar nichts mehr geht, mach Drum'n'Bass-Events. Die Crew ist zäh und folgt dir sogar auf den Mond, wenn es denn sein muss. Im April soll damit Schluss sein, wenn nicht schon vorher der Saft ausgeht.

Die Rückkehr der großen Feste

Sicher, diese Prognose ist gewagt, doch dürfte es 2016 mehr größere Events geben, als noch 2015. Neben Popfest und Electric Spring, der Profilierungsinstitution der österreichischen Musikjournalisten, die sich die Kuratorenjobs gegenseitig zuschanzen, sollte es heuer auch einige größere Events in der Arena geben. Zeit wird es, dass die etwas in die Jahre gekommene Ex-Punk-Bürokratie entstaubt wird, sonst wird auch noch 2050 zum Iceberg getanzt. Kaum eine Location böte sich besser an, kleinere Festivals auszurichten.

Die Ottakringer Brauerei wird, trotz der irrwitzigen Mietpreise, wohl auch weiterhin ihre Opfer fordern, als geschützte Werkstätte für Technik- und Securityfirmen und als Entsorgungsstelle für übermütige Veranstalter. Daneben soll es aber auch einige klassische Raves alter Schule gebe, früher habe ich das Wort „Orktreffen“ gerne verwendet, mittlerweile bin ich ruhiger, hier ist bereits einiges in Planung. Das wirklich tolle Festival, stadt- und szeneprägend, das fehlt allerdings weiterhin. Wien krempelt seine Clublandschaft also um, freiwillig und unfreiwillig. Ähnlich der Prostitution und dem Friseur wird es den „Industrie“-zweig Ausgehen immer geben, vom Stadl zur Forelle ist es aber oft nicht weit—auch geografisch nicht, darum hoffe ich, dass nicht immer nur die pekuniären Interessen obsiegen. Denn keine Sünd gibt’s wirklich nur auf der Alm und die ist gottlob weit weg.