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Thump

Es gibt tatsächlich Menschen, die Techno per se für sexistisch und undemokratisch halten

Mitten in Berlin bin ich letzte Woche in ein Loch zurück in die tiefsten Neunziger gestolpert.

Zu viel Testosteron durch Techno? Foto: Imago

Als Techno in den 90er Jahren in Europa populär wurde, gab es im gesellschaftlichen Diskurs zwei Arten von Reaktionen. Die einen sahen in der neuen Musik, den Clubs und Raves eine riesige Bedrohung. Man mahnte und warnte vor diesem neuen Trend. Das Gegenstück dazu war die völlige Affirmation dieses neuen Phänomens: Raven ohne Ende, Hedonismus als subversiver Gegenentwurf zur Leistungsgesellschaft. Über 20 Jahre später ist Techno überall. Doch die Sprache zur Musik, das Sprechen über Techno, scheint sich in all der Zeit nicht weiterentwickelt zu haben.

Diesem Eindruck musste ich zumindest gewinnen, als ich am Donnerstag in der Universität der Künst (UdK) in Berlin einer Diskussion mit dem Titel: "Techno—Zukunft oder Untergang der Musik?" beiwohnte. Starker Titel, ergo: steile Thesen?

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Die Debatte wurde aufgrund des bevorstehenden Referendums in Großbritannien wie eine Diskussion im britischen Parlament aufgebaut. Gegenüber standen sich Matthias Pasdzierny und Claus-Steffen Mahnkopf. Pasdzierny ist Musikwissenschaftler an der UdK. Er hat sich unter anderem mit deutscher Nachkriegsmusikgeschichte und daher auch mit Techno beschäftigt. Claus-Steffen Mahnkopf ist Komponist und Professor für Komposition an der Hochschule für Musik und Theater Leipzig. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, die sich zum Beispiel an der Musik-Theorie von Theofor W. Adorno orientieren.

Beim Betreten des Hörsaals erwartete mich dieser wirklich ewig lange Track von Ricardo Villalobos. Das Publikum war überwiegend jung. Moderatorin Christiane Tewinkel erklärte die Idee für den Vortrag aus der simplen Tatsache heraus, dass Berlin die Techno-Haupstadt der Welt sei und man mal darüber reden müsste. Über Techno und so. Was dann auch versucht wurde.

Mahnkopf wurde während des gesamten Abends seinem Namen gerecht. Entwicklungspsychologisch gesehen, sei Techno schädlich für ganz junge Menschen, deren "Gehirne falsche Hörstrukturen" entwickelten, wenn sie von diesem "Boom-Boom" (eine seiner Definitionen von Techno) beschallt werden. Daher müssten die Heranwachsenden vor Techno ebenso geschützt werden, wie vor Alkohol, Tabak und Pornographie. Und das meine er "gar nicht moralisch, sondern medizinisch."

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Eine weitere These von Mahnkopf: Techno ist "pseudo-demokratisch", denn in den Clubs würde es in Wahrheit eine "Gleichschaltung der Körper" geben.

So langsam fragte ich mich, warum ich überhaupt hier hin gegangen war: All diese Argumente hätte ich mir eins-zu-eins auch zu Hause bei YouTube anschauen können, nämlich in der TV-Diskussion "Einspruch!". 1994 hatte SAT1 Westbam, eine junge Raverin und Frontpage-Macher Jürgen Laarmann im Studio mit Spießern wie Rock'n'Roll-Opa Tod Herold und einem Junge Unionler diskutieren lassen. Hatte sich das Reden über die Musik seit damals wirklich kein bisschen verändert?

Mahnkopf fuhr jedenfalls fort. Auffallend oft machte der 53-Jährige Ausflüge in die Sexualtheorie. Techno sei eine männliche Musik, die Testeron erzeugt, weil der Aufbau des Taktes "nichts Anderes [sei] als das Stoßen des Phallus in die Frau oder was auch immer."

Eigene Widersprüche einzugestehen, fiel dem Herrn Professor schwer. Er lobte IDM, die Intelligent Dance Music, die er als Komponist interessant fände und durchaus auch mal verwenden würde. Den Publikumseinwand, dass seine anderen Thesen dadurch zunichte gemacht würde, verstand er allerdings nicht.

Mitunter verstrickte er sich auch in offenkundig falsche Behauptungen: Techno verbreite sich überall auf der Welt, selbst im Iran habe das dortige Regime nichts dagegen, weil die Musik so sinnlos sei. Als eigentlich belesener Mann hätte Mahnkopf durchaus mitbekommen können, wie im Iran mit elektronischer Musik umgegangen wird. Nämlich nicht gerade aufgeschlossen.

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Prof. Mahnkopf spitzte seine Ausführungen soweit zu, dass er von einem Musikimperialismus des Westens schadronierte, der auf allen Orten der Welt die indigene Musik kaputtmache und verdränge. Als wäre der Weltgeist also nicht mehr Napoleon auf seinem Pferd, wie es Hegel mal sagte, sondern Ben Klock in einem Flugzeug.

Für die anwesenden Zuhörer gab es dann auch noch die Weltpremiere des ersten Techno-Stückes von Claus-Steffen Mahnkopf. Es klang wie eine Mischung aus Baulärm, Konzertflügel, Großorchester und einem wütenden Nachbarn, der wegen zu lauter Musik an die Wohnungstür klopft.

Seine Gegenpart, Matthias Pasdzierny nahm in dieser dualistischen Debatte dann die Rolle der Gegenidendtifikation ein. Techno sei viel komplexer, als Mahnkopf behaupte, zudem sei er funktional konzipiert, muss also tanzbar sein. Es gäbe aber zahlreiche Clubs, in die die Menschen vor allem wegen der Musik gingen.

Diese Aussage ist mindestens idealistisch und darf angezweifelt werden, wenn man die Erfahrung von etlichen Nächten in diversen Clubs gemacht hat. Das Ausgehen als eine notwendige Form der Flucht vom Alltag zu sehen, zog jedenfalls niemand an diesem Abend auch nur in Erwägung.

Später hatte der Musikwissenschaftler auch kritische Worte für den gegenwärtigen Techno-Betrieb übrig. Das allseits gefeierte Holzmarkt-Projekt müsse unter dem Gesichtspunkt einer neuen Form von neoliberaler Verwertung betrachtet werden, die sich nicht mehr klassisch bürgerlich, sondern betont offen gegenüber Techno und Clubkultur gibt. Hier trete die Bedeutung der Musik in der Tat in den Hintergrund. Pasdzierny gab ein anderer Stelle auch selbst den, Pardon, Mahnkopf, indem er darauf hinwies, dass zunehmend versucht wird, Deutschland als den Erfinder von Techno zu präsentieren Dadurch wird die Musik national vereinnahmt und die internationale Komponente, die Teil der lokalen Entstehungsgeschichte ist, unterschlagen

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Das zentrale Problem des ganzen Abends war aber die Unschärfe des Techno-Begriffes. Er wurde derartig weit und diffus gefasst, dass alles damit gemeint sein konnte. Einige Aspekte aus Mahnkopfs Ausführungen würden in einem anderen Kontext dennoch eine genauere Beachtung verdienen. Zum Beispiel, dass elektronische Musiker zu einem ganz überwiegenden Teil, nicht mehr versuchen, die Grenzen des Genres auszulooten und sich im immergleichen Sound eingerichtet haben.

Ebenso scheint es notwendig, mit beliebten Phrasen aufzuräumen, die bei dieser Veranstaltung auch aus dem Publikum kamen. Zum Beispiel, dass jeder bei Techno mitmachen könne und er deswegen gar antikapitalistisch sei. Allein die Ausgaben, die man bei einem durchschnittlichen Clubabend schon durch den Eintritt hat, schließen diverse Menschen vom Mitmachen aus. Techno ist längst selbst zu einer Akkumulationsmaschine geworden, die hohe Renditen erzielt während viele der Beteiligten ihre dabei dennoch stattfindende, mitunter selbstgewählte Prekarisierung gutheißen. Über den gegenwärtigen Stand von Techno zu reden, ist offenkundig schwieriger als bisher vermutet.

Dieser Artikel ist zuerst bei THUMP erschienen.

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