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Rudis Brille

Rudis Brille—Die Situation der elektronischen Festivals in Österreich

Wie geht des den elektronischen Festivals in Österreich, und woran kranken sie? Rudi Wrany aka Crazy Sonic hat sich die Situation angesehen.

Rudi Wrany ist seit mehr als 20 Jahren in Wien und Restösterreich als DJ, Veranstalter und Beobachter unterwegs. Für Noisey hinterlässt er hier regelmäßig seine Beobachtungen.

Kurz vorweg: Man möge mir verzeihen, wenn ich die—in letzter Zeit inflationär verwendete—Bezeichnung „elektronisches Festival" nicht für alles gelten lasse. Fünf Bierbänke, ein Gartenzelt, ein DJ, der schon mal Berliner Luft geschnuppert hat und fünf Freunde sind noch kein Festival.

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Ein Festival sollte seinem Namen schon gerecht werden. Das kann heißen: Mehrere Tage, viel Auswahl an Acts und DJs—wenn es geht, sollten schon die Besten der Welt dabei sein, aber zumindest Deichkind—,Entertainmentmöglichkeiten, Tagespartys und am besten alles bei schönem Wetter im Freien, ein See, dazu Zelte, leicht bekleidete Frauen, Bierdosenberge, Soundsysteme nach dem Motto: „Wer hat den Längeren?" und Hygiene wie bei unseren Vorfahren. Nach dem Motto: „Is eh schon Wurscht." Das kann aber auch heißen: Coole Städte, tolle Venues, Kulturprogramm, ein Weltstaraufgebot, ein niemals enden wollendes Meet and Greet, Strand, Sonne, Meer: Miami, Barcelona, Amsterdam, Namen, die uns schmelzen lassen.

Und was soll hier Österreich ausrichten?

Österreich ist ein Land, das einige natürliche Nachteile mitbringt. Es ist ein Winzling mit (leider) überschaubarem Mehrwert: Spielen bekannte DJs in den USA, etwa die mittlerweile ganz schön überzahlten Italiener, so werden die unzähligen Festivals dort oft von Italoamerikanern gemanagt, das Following ist weltweit gigantisch, die Sets verbreiten sich wie ein Lauffeuer, der Marktwert steigt. Hierzulande sind solche „Mehrwerte" überschaubar. In Österreich ist das Wetter während Festivalsaison unbeständig bis beschissen, jeder 2. Versuch, outdoor etwas zu unternehmen, schwimmt im Regen in die Insolvenz. Dazu fehlt der Mut oder auch das Geld, etwas wirklich aufzubauen. Gepaart mit der Frage, was die herzlose EDM Räude eigentlich für die Jugend so attraktiv machte.

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Hier ein kleiner Versuch einer Bestandsaufnahme. Kleine Anmerkung: Das Donaufestival in Krems fehlt hier ganz bewusst, da es für mich schon mehr einen Konzertreihencharakter besitzt, der den „Ravekontext" nahezu ausklammert. Was nicht heißt, dass es nicht hierher passt. Nein, es steht vielleicht schon eine Stufe darüber.

1. Das Urban Art Forms (UAF)

Seit 2005 findet das Urban Art Forms statt, damals wie heute in Wiesen, dazwischen machte es hingegen einige Ausflüge, einen (2011) nach Wiener Neustadt in die grauenhafte Betonwüste der Arena Nova, die letzten drei Jahre an den Schwarzlsee bei Graz, der zwar ein optisch besseres Bild bot, doch aufgrund der Auflagen auch nicht das ersehnte Paradies war. Anfangs hatte das von Christian Lakatos mitbegründete und nun im Skalar-Konzern eingebettete Festival den Fokus einerseits im House/Techno-Bereich, andererseits im—in Österreich stets populären—Drum'n'Bass-Segment. Die Breakjünger folgten dem Festival auch bedingungslos, wohin es auch ging. Die übrige Elektronikfraktion wechselte sich doch eher selbst aus, als die ED- Einflüsse größer wurden. Warum und wieso, darüber ist schon viel gemutmaßt worden, es hieß stets, dass sich „der Markt wie die Hörgewohnheiten geändert hätten"—eine Meinung, die wohl viele aus dem Wiener Raum davon abhielt, über den Wechsel zu cruisen und dem „Urban" Art Forms Festival einen eher rustikalen Touch verlieh.

Foto: VICE Media

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Heuer ist nun alles anders, das Heimweh nach Wiesen (oder vielleicht auch das Ende der Größenjagd) brachte das UAF (19. und 20. Juni) an seinen Ursprungsplatz zurück, ins gute alte Mittelburgenland. Dort erwartet uns ein Line Up, das zwischen Die Antwoord und Deadmouse—der ist ja angeblich (erzählt man sich an den Lagerfeuern) der „gute" EDM, also GDM (hab ich grad erfunden)—pendelt und uns einige altbekannte Acts serviert. Das vollständige Line Up wird nächste Woche präsentiert. Auf jeden Fall die einzige Konstante im Land, die nun wieder einen auf „back to the roots" macht und hoffentlich auch in den nächsten Jahren nicht wieder den „geänderten" Hörgewohnheiten nachtrauert.

Nun beginnt leider das Trauerspiel.

2. Das Spring Festival in Graz

Jahrelang galt das SPRING Festival als urbanes, gemütliches Pendant zum schreinenden Großrave. Vier Tage lang wurde die schicke Grazer Innenstadt bevölkert von musikaffinen Menschen, die—anders als auf einem großen Festival-Gelände—auch ein wenig suchen und erkunden mussten. Es gab Workshops, Lounges, kleine und große Locations, Raves, Listeningsessions, Konzerte und vor allem ein sehr breites Spektrum an elektronischen Acts. Zum Frühstück traf man sich im Hotel Daniel und am Ende jedes Abends in der Postgarage zur Afterhour, unvergessliche Abende habe auch ich dort erlebt. Radio FM4 richtete ein eigenes Studio ein und holte fast alle Acts in die diversen Sendungen. Der Begründer des Festivals, Stefan Auer und sein Zeiger Team verstanden es ein Festival aufzubauen, zu dem man gerne gefahren ist, wo man perfekt socializen konnte und wo auch die lokale DJ und Produzentenszene (diesseits und jenseits des Semmerings) ihre Plattformen bekamen.
Das ging bis 2013 gut, die Stadt half in gebührendem Umfang mit und das Festival boomte—für Aussenstehende. Doch dann—so würde es wohl in einem Wolf Haas Krimi heißen—ist wohl „etwas passiert". 2014 gab es die Förderungen von Stadt und Land nicht mehr, und Auer und seinem Verein ging das Geld aus. Auch seine einstigen Partner liefen ihm davon. Zwar gab es 2014 auch noch ein „Spring14", allerdings war dieses nur noch eine Karikatur der vorigen. Stattdessen brachen alte Rivalitäten auf, ein Streit um Fördergelder, eine ominöse Investorengruppe, deren Vertreter sogar bis nach Wien fuhr, um Allianzpartner zu suchen. Am Ende blieb ein Scherbenhaufen, viele offene Gagen und viele offene Fragen.

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Foto: VICE Media

2015 versucht nun eine neue Gruppierung den Neustart—auch hier erfolgt nächste Woche die grosse Präsentation. Fix ist, dass die Postgarage—eine der wichtigsten Locations in Graz—am neuen Festival, welches wohl den alten Namen „Spring" übernehmen wird, nicht teilhaben will. Der Betreiber begründete dies mir gegenüber mit zuviel Unbehagen gegenüber den neuen Organisatoren. Line Up gibt es derweil noch keines, das veröffentlicht werden kann/darf. Es wurde aber seitens eines der neuen Betreiber versichert, dass es ein neues Festival u.a. im Dom im Berg, dem Parkhaus und all den anderen bekannten Locations der Stadt Graz (ausser eben der PoGa) von 3.6. bis 7.6. 2015 geben wird und dass auf Schmutzwäsche jeglicher Art verzichtet werden soll. Dass es in Graz in dieser Form nur mit Förderungen geht, ist klar, Stefan Auer dürfte seine Gunst bei den Fördergebern verspielt haben.Vielleicht fehlte ihm ein wenig die Empathie, ein Mutmassung durch mein Brille.

Noch Fragen? Es scheint alles sehr kompliziert, was bleibt, ist ein bisschen Wehmut und die Hoffnung, dass Graz zumindest ab 2016 wieder dort anknüpfen kann, wo man 2013 aufgehört hat.

3. Das Tomorrow Festival

Was haben das AKW Zwentendorf und das Tomorrow Festival 2015 gemeinsam? Beide sind nicht in Betrieb. Gerade erst diese Woche wurde in der „NÖN" der Konkurs des TOMORROW Festivals bekannt gegeben, das nur drei mal (2012-2014) stattgefunden hat. Liest man sich den „NÖN"-Artikel durch, so riecht das Ganze ein wenig nach Provinzposse, die örtliche Politik wollte diese Art der Kultur wohl nicht, am Ende hieß es: Ka Göd, ka Musi. Wer die Feuerwehr nicht zahlt, muss bluten. Man wollte, gestützt unter anderem von Global 2000, in die Nische zwischen UAF und Beatpatrol stoßen. Es spielten Klingande hier und Jennifer Rostock da, Len Faki hüben, Cro drüben, ein bisschen fehlte das Konzept—oder die „Nachhaltigkeit"—und dazu hatte man auch abartiges Wetterpech. Vielleicht—meine mutige Annahme—ist der Norden Niederösterreichs auch keine Topgegend, etwas exponiert und zu ländlich, was auch die panische Angst vor den Drogen erklärt, wohingegen Jägermeister-Komasaufen zum Volkssport gehört.

4. Das Beatpatrol

Das BEATPATROL fungiert seit als 2009 riesiger Gegenpart zum UAF: Insider wissen auch warum, denn der Gründer, Norbert Bauer, war einst auch Teil es UAF. Doch es kam in den Anfangsjahren zu Rechtsstreitigkeiten und man ging getrennte Wege. Seither wird am VAZ Gelände St. Pölten (es hat den Charme des Badener Tanzpalastes, eine Art Internierungslager für EDM-Geschädigte) im Sommer stets beatpatrouilliert. Mit wechselndem Erfolg und wohl auch reichlich Unterstützung der Stadt wurde Sommer für Sommer versucht, schönes Wetter herbeizuraven, meist ohne Erfolg. Petrus muss wohl kein EDM-Anhänger sein, denn das Line Up der vergangenen Jahre driftete mehr und mehr in kommerzielle Unterhaltungsmusik ab, nachdem man am Anfang noch versucht hatte, das Gegenüber zu toppen. Da nützten Steve Aoiki, Hardwell und Steve Angelo nichts: Das Beatpatrol blieb zumeist etwas unter den Erwartungen. Heuer präsentiert sich das Ding als Ein-Tages-Geschichte am 25.10., wieder am VAZ , das Line up fehlt noch. Wird es heuer (positive) Überraschungen geben? Wetten werden angenommen.

5. Electronic Lake in Graz & Electric Love in Salzburg

Zwei riesige EDM-Großveranstaltungen—die eine am Schwarzlsee (Mitte August), die andere in Salzburg (9.& 10.7)—runden das Bild der „Großfestivals" ab. Diese letzten beiden dürften laut den Informationen, die ich habe, keinerlei wirtschaftliche Probleme haben. Das Line Up ist für die Noisey-Leserschaft aber wohl nebensächlich, ich will die drei Buchstaben nicht schon wieder zu Papier bringen. Auf beiden gibt es dann so gnadenhalber meist noch einen „Techno"-Floor, der Rest ist Club-Klotür.: Aoki das Tortenmonster, Axwell und wie sie alle heissen, im Triplepack.

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Foto: Snowbombing Festival

6. Rave On Snow (Mitte Dez) und Snowbombing (April)

Wie es gehen kann, zeigen uns wieder mal die Deutschen und die Engländer. Ganze Skiregionen werden hier angemietet, und im Dezember und April geht dort die Post ab, und das vom Feinsten. Line Up-technisch wird so viel angekarrt, dass einem der Mund offen bleibt. Bloß wir dürfen normalerweis maximal zusehen, Im Zillertal beim Snowbombing gibt's nur wenige Tickets für Einheimische. In Saalbach beim Rave on Snow ist die Situation besser. Beides sind Winterfestivals und zeigen, wie es gehen kann, wenn alle an einem Strang ziehen. Klar, man gewöhnt sich als distinguierter Wiener schwer an die bayerischen Gröhlhorden, aber die Stimmung bei den Partys ist einfach grossartig und vor allem, nicht EIN EINZIGER EDM-Act.

7. Die Situation in Wien

Diesmal kommt sie mit dem Schlußresümmee, die Situation in Wien—die nämlich keine ist. Nicht, dass es noch nichts gäbe. Doch ein großes, von allen getragenes, urbanes Stadtfestival fehlt seit Jahren. Wer kann sich noch an das SEQUENCE 1998 bis 2000 erinnern? Der ganze Volksgarten an einem Dienstag offen—selbst die dem Mammon nie abgeneigte Techno Cafe-Veranstalterin machte damals mit—und Richie Hawtin rockte die Disco. Am nächsten tag zog man weiter ins Palmenhaus, dann in die Meierei, ins WUK, das FLEX usw usf. Vergilbte Erinnerung, Sunshine Enterprises hatte bald genug davon, wer konnte es ihnen verübeln.

Seither ist leider nicht mehr so viel passiert, es gibt aber natürlich kleinere Festivals, die ihren Namen auch verdienen: Sound:Frame etwa, vom 9.4 bis 17.4, versucht seit Jahren die Optik in den Mittelpunkt zu rücken und die Musik damit verschmelzen zu lassen. Konsequentes, gutes Booking, aber eben auch nicht unendlich viel Geld ließen das Ganze aber auch wieder etwas erschlanken. Die Ottakringer Brauerei ist letztendlich schwer zu füllen und nebstbei noch unerschwinglich, was schon das verblichene SUBURBIA Festival (2013) und ich selbst schmerzlich erkennen mussten. Eva Fischer, die Veranstalterin, wollte irgendwann auch weg vom „Headlinerbooking", das MAK und die Forelle sind 2015 die Locations, das eine für die Kunst, die andere für die Clubnächte.

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Das PRATER UNSER-Festival gibt es natürlich auch noch. Auch dieses entstand einst als glorreiche Idee, alle im Prater befindlichen Venues zu vereinigen und ein großes Musikfestival unter dem Riesenrad zu begründen. Im ersten Jahr 2010 vereinigten sich dafür FLUC, Planetarium und PRATERSAUNA, von der die Initiative ausging. Der Plan ging auf und schien auch Zukunft zu haben. Doch dann gab es „Differenzen" (eh die üblichen unüberbrückbaren) mit dem FLUC und das Planetarium schloß clubtechnisch seine Pforten. Was blieb, waren drei fette Abende in der Sauna, einige Tagespartys und bespielte Gondeln im Riesenrad. Doch wie mir Stefan Hiess von der Sauna versicherte, soll sich dieser Zustand 2016 anlässlich „250 Jahre Wiener Prater" verändern.

Foto: VICE Media

Auch bei der Grellen Forelle wird sich etwas tun, Infos folgen hier in Bälde. Ansonsten gibt es noch Erinnerungen: Etwa an den verunglückten Versuch, 2005 die Time Warp nach Wien zu bringen oder an das Sky and Sand 2013, das zwar ein fettes Line Up zu bieten hatte, aber dabei vergaß, dass die Pyramide Vösendorf einfach durch zu viele schlechte Großraves verbrannte Erde war.

Ich meine, es gäbe in unserer Stadt sowohl den Platz als auch die Kapazitäten, etwas auf die Beine zu stellen. Ohne Förderungen wird es nicht gehen, aber wie einige Projekte zeigen, muss der Spagat zwischen Kunst und Kultur und gehobener elektronischer Abendunterhaltung nicht zu weit sein. Warum müssen die Kosten so exorbitant hoch sein (Ottakringer Brauerei), warum ist es so immens schwierig, ein Museumsquartier auch für etwas anderes festivaltechnsich zu nützen als für eine Gratisveranstaltung ELECTRIC SPRING? Dass die Stadt will, zeigt sie ja jährlich beim Popfest oder beim Donauinselfest.

Vielleicht finden sich wieder einmal die geeigneten Köpfe, die ein passendes Konzept präsentieren, das über den NIGHTRIDE hinaus geht. Was allgemein in Österreich auffällt: Mangelnde Kooperation. Kaum versucht ein neues Projekt sich zu etablieren, werden ihm Steine in den Weg gelegt. So frage ich mich bis heute, warum 2012 das SPRING, das TOMORROW und das BEATPATROL am selben Tag stattfinden mussten. Eigentlich dürfen wir uns da nicht wundern, wenn sich die ausländischen Agenturen einerseits die Hände reiben und sich andererseits fragen, ob wir noch ganz dicht sind. Sind wir nämlich offensichtlich nicht. Und wer sagt, dass es bei uns nicht auch einmal so etwas wie die ADE geben kann? Holland ist viel kleiner als Österreich, hat aber in dem Segment unendlich viel mehr zu bieten. Wien kann mit Amsterdam locker mithalten, und im Oktober ist es doch auch nicht kuschelig warm.

Man darf ja immer hoffen, dass sich vielleicht etwas zum Guten ändert. Somit füttere ich hiermit zum Abschluß das Phrasenschwein und hoffe darauf, dass sie nicht stirbt—die Hoffnung.

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