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Rudis Brille: Warum in Wien Clubs schließen werden

Im Wiener Clubgebälk knirscht es gewaltig. Unser Kolumnist hat ein paar Thesen, warum das so ist.

Foto: Flickr | Matthias Ripp | CC-BY 2.0

Heute, im Jahr 2015, nennt man das nächtliche Entertainmentgehäuse „Club“. Früher hieß es „Disco“, es gab viel Geplüsche und sonstiges Polstergedöns, die Musik klang stumpf aus halbgeilen Anlagen. Und eigentlich ging es nur darum, sich mit Gabi, Jaqueline oder Denise in finsteren Ecken, heute „Lounges“ genannt, zu befummeln und die spätere Paarungstätigkeit vorzubereiten. Der DJ sprach ab und an sogar noch etwas durch das Mikrophon, auch im selig entschlummerten P1 war das in den 80ern noch so. Er war damals noch nicht der Mittelpunkt des Universums, manchmal musste er sogar noch das Lichtpult mitbedienen und auf den Nebelknopf drücken. Facebook gab es noch nicht, man musste noch verbal anbraten, nicht via Messenger „Ficken?“ schreiben, und die Flyer waren noch so einfach und hässlich, dass sie uns heute vorkommen wie Überbleibsel aus einer längst vergangenen Epoche.

Heute ist alles anders. Der DJ ist „Künstler“, der Lichtjockey heißt Visualist, der einst verpönte „Göringschnaps“ Jägermeister ist wieder hip und die versiffte Disco ist dem „Club“ gewichen, der ein „Clubkonzept“ trägt, gepaart mit dem „Visualkonzept“, dem „Graphic Design“ und der „Door Policy“. All das begann in den Neunzigern. London und Berlin zeigten vor, wie es ging. Bei uns dauerte es naturgmäß einige Jahre länger, bis es auch eine Clubszene gab. Ein paar echte „Discos“ wie das U4 oder der Volksgarten begannen sich neu zu erfinden, mit unterschiedlichem Erfolg—unvergesslich auf ewig bleibt die „Soul Seduction“ im Volksgarten, in der wohl der für die Neunziger so typische Wiener Melangesound mitkreiert wurde. Daneben entstanden neue Läden, die dem Besucher das Gefühl gaben, nicht bloß an einer langen Bar zu stehen und Cola-Rot zu bestellen, sondern ein wärmeres, ein heimeligeres Gefühl verbreiteten, besser Drinks, freundlicheres Personal, coolere Musik, bessere DJs.

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Die Urmutter des Wiener Clubs war für mich die Camera, die in den Siebzigern und Achtzigern erstmals sowas wie DJ Culture versprühte, wenn auch mit dem leichten Touch des Verruchten. Als stark verbesserte Form des Clubs etablierte sich aus meiner Sicht das Roxy in der Faulmanngasse, geführt vom heutigen Skopik und Lohn-Besitzers Horst Scheuer: Viel Rot, warmes Licht, keine Werbung, die strengste Tür der Stadt und in den Frühneunzigern wohl die beste Stimmung in Wien—vor allem für jene, denen das U4 zu langweilig geworden war. Es folgte alsbald das FLEX, das in den Neunzigern Wiens Clubkultur revolutionierte und vor allem erstmals internationale DJs holte. Und die Meierei mit ihrem Mehrfloorkonzept, dort wo heute die Ärmsten der Armen im Steirereck ihr Geld an den Mann bringen.

Dazu gesellte sich der endgültige Siegeszug der elektronischen Musik auf den Dancefloors über die angestaubten Analogvarianten Disco, Soul und Funk. Die DJs entwickelten sich zur tragenden Säule des Wochenendvergnügens, und in den Nullerjahren und den folgenden Zehnerjahren setzte sowas wie eine Goldgräberstimmung in der Stadt ein. Es eröffneten Clubs am laufenden Band. Fluc, Sass, Pratersauna, Grelle Forelle, Chaya Fuera, Kantine und viele andere schossen auf den Markt. Der Volksgarten stellte erfolgreich auf Clubbetrieb um, schaffte es das schnöselige „keine Turnschuhe“-Image loszuwerden und Crews und DJs vermehrten sich so schnell, dass man kaum nachkam, sich die Namen zu merken.

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Doch was ist nun 2014/15 passiert? Das Flex strauchelte, die Saunabetreiber wollen (vielleicht?) nicht mehr und spielen mit der Presse Katz und Maus, die Forelle will, verkleinert sich aber, die Kantine schließt wieder, andere haben Probleme mit den Nachbarn und die Besucherzahlen bei den Techno- und Hous-Events stagnieren—um es freundlich zu sagen.

Was sind die Gründe dafür? Hier zwölf Erklärungsversuche.

1. Das Überangebot

Früher gab es einige wenige Clubs, nun gibt es zuviel. Es gibt auch viel mehr Reichtum in der Clubkultur, „Investoren“ heißt das heute. Was für den Besucher paradiesisch wirken mag, ist für die Betreiber ein Albtraum. Die Mieten sind nicht ohne, zumal nur mehr das Wochenende Geld in die Kassen spült, es beginnt das Feilschen und Wettbieten um die heißesten Acts, was uns zum nächsten Punkt führt.

2. Der Gagenwahnsinn

In den Neunzigern konnte man die DJs noch persönlich buchen, heute gibt es Bookingagenturen und Management, die so ziemlich alles entscheiden, was ein Booking betrifft: das Hotel, das Essen, die Drinks, das Design, das Auto, die Technik. Die Gagen stiegen innerhalb der letzten zehn Jahre ins Unermessliche, wohl auch deshalb, weil EDM die Hitparaden eroberte und deren Protagonisten mit Jesushaltung Gagen in sechsstelliger Höhe verlangen und auch bekommen. Warum sich da hintenanstellen? Festivals haben sowieso immer Geld—denkt man zumindest—und die Clubs haben die Bar. Also gehört alles dem DJ und seiner Company. Ob der Break Even erreicht wird ist scheißegal. Am Ende sind dann auch die Promoter Schuld, wenn wenig los war.

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3. Die Vergnügungssteuer

Was früher noch ein bisschen lästiges Beiwerk war, ist nun beinharter Überlebenskampf geworden. Jeder Veranstalter muss 15% Vergnügungssteuer auf seine Einnahmen zahlen, zusätzlich zu all den anderen Belastungen, die es sowieso gibt. Am Ende des Abends bleibt fast nichts mehr übrig. Selbst wenn man 10.000 Brutto einnimmt, kann man am Ende mit leeren Händen da stehen. Um Schummler auffliegen zu lassen, schickt das Magistrat gerne die humorbefreitesten Kontrolleure aus, die keine Gnade kennen, lustigerweise am Ende aber gar nicht wissen, was dem Veranstalter eine Party eigentlich kostet. So antwortete mir jüngst einer, als ich ihm die Kosten aufzählte. „Wos buchst so teire DJs, brauch ma dafür Deitsche?“ Die Vergnügungssteuer soll abgeschafft werden, hieß es vor der Wahl. Ein leeres Versprechen? Sie ist in jedem Fall ein Schlag ins Gesicht für alle, die Veranstaltungen als Geschäft sehen wollen, das ist es schon lange nicht mehr.

4. Die musikalische Zerspargelung

Was früher noch einfach war, ist nun unmöglich. In der Meierei selig konnte man fünf bis sechs Musikstile an einem Abend spielen, die Leute fanden es cool. Nun käme das einem Sakrileg gleich. Gerne wird der Begriff „Anspruch“ strapaziert, „Qualität“ wird auch gerne durch den Staub gezerrt. Diese sieht aber mittlerweile so aus, dass man denselben Sound die ganze Nacht über aufgebrummt bekommt, die DJ-Teams danach formiert, jeder muss quasi angepasst und ähnlich spielen, ausscheren geht gar nicht, da könnten ja fünf Leute den Club verlassen deswegen. Es gibt mittlerweile zig Spielarten von House und Techno und jede hat gefühlte 50 Hardcore-Anhänger, jeder sieht genau das als „die“ beste Musik, der Rest ist „Kommerz“ oder einfach nur oasch, was uns wiederum zum nächsten Punkt führt.

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5. Die Unzufriedenheit

Was wird über das Booking gemotzt. Schon wieder XY, heißt es oft. Jeder will der innovativste, beste Booker sein. Wenn mir das Kompliment „Wow, gutes Booking“ entgegenhallt, steigt mir das Geimpfte auf. Denn was mach ich schon? Mails schreiben, verhandeln. Ich buche den Act, mit dem ich glaube einen Laden voll zu bekommen und der in mein relativ breites Mussikspektrum passt. Ich habe keine Leistung damit erbracht, einen DJ zu buchen. Auch all die andren Booker nicht. Denn die Musikfanzines zu lesen und nach den RA-Charts die hottesten Acts zu buchen kann jeder. Vorausgesetzt er hat das nötige Kleingeld. Aber den Wienern kann man es nicht Recht machen. Oder regt sich in Berlin jemand auf, wenn Len Faki jedes Monat im Berghain spielt? Oder Dubfire oft in Barcelona? Oder wenn Karotte oft im Harry Klein spielt? Nein, nur bei uns heißt es: Der war ja letztes Jahr schon da. Na und? Spielt er dasselbe Set? Man kann das Rad nicht jedesmal neu erfinden.

Foto: Flickr | sergelen1 | CC-BY 2.0

6. Everyone is a DJ

Kaum eine „kreative“ Tätigkeit boomte in den letzten Jahren so wie jene des DJs. Denn, dank USB Technologie muss man keine Platten mehr schleppen, man muss auch keine CDs mehr brennen, man muss nur mehr kaufen und spielen. Ob man es kann oder nicht. Wenn man 100 Freunde hat und die ihre Freunde auch noch motivieren füllt man einen Club und zack, schon ist einen neue Crew geboren. Daneben gibt’s aber natürlich dann auch noch die Fundis unter den DJs, die lieber noch Platten schleppen und drehen und sich gepflegt vermixen. Sich von der Masse abzuheben, fällt immer schwerer, auch gagentechnisch, denn die 200-Euro-Schallmauer als Resident-DJ in Wien zu durchbrechen gelingt nur mehr wenigen.

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7. Die neue „Armut“

Wer einen teuren DJ einfliegt, muss auch versuchen, seine Kosten einzuspielen. Wenn man weiß, was etwas kostet, dann wird man auch manche Eintritte verstehen. Doch die Leute in Wien wollen die hohen Eintritte nicht mehr mittragen. Alles, was über 20 Euro kostet ist vielen einfach zu viel. Wenn aber die reichen Bubis darüber motzen, warum die armen Studis die 20 Euro nicht berappen können, sollten sie lieber froh sein, dass sie der Storch über Döbling und Hietzing abgeworfen hat. Die Lebenskosten sind gestiegen, Ausgehen ist sauteuer. Die einzigen, die etwas verdienen, sind die DJs. Darum boomen auch günstige Partys, wie etwa im Celeste.

8. Der neue Leistungsdruck

Früher konnte man noch am Montag in den Dub Club, am Dienstag ins Crazy, am Mittwoch zum Zimmermann und am Donnerstag ins Happy oder zum Heaven gehen. Heute sind Partys unter der Woche passé. Ich muss arbeiten, ich muss auf die Uni, heißt es dauernd. Bummelstudenten sind out, durch das Bachelorstudium steht man unter stärkerem Leistungdsdruck, die neue Generation ist auf den Job fixiert. Ausgehen konzentriert sich auf das Wochenende oder gar nicht mehr. Was bleibt ist ein nervtötendes Überangebot am Wochenende und gähnenden Leere unter der Woche (außer Konzerte). Wo sind die Sandlerstudis, wo die Owezahrer? Ausgestorben…

9. House und Techno sind out…

House und Techno huldigt nur mehr seinen Ikonen, die Superstars fliegen im Privatjet durch die Welt, doch zum Produzieren finden nur mehr die wenigsten Zeit. Es genügen zwei Hits in der Youtube-Zeit und man wird Star, dann macht man dasselbe wie Sven und Richie. Es kommt nichts mehr Bahnbrechendes nach. Im 4/4 Segment hat man aufgegeben, nach Neuem zu suchen. Darum zieht es viele wieder zurück zum HipHop, Drum'n'Bass ist nach wie vor die Musik der Jugend hierzulande. Bass- und Grime-Events dominieren die Kunststudenten-Partys. „Basslos in der zrissnen Hos“ könnte das Motto lauten. Doch die selbstherrliche, Ibiza-geschwängerte Technoszene hat sich das selbst zuzuschreiben. Wann platzt endlich die Bookingblase? Wann fallen die „Stars“ auf den Boden der Realität? Oder geht das Spiel „höher, weiter, größer“ noch eine Zeit so weiter?

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10. Die Bars

Wien war ewig lang keine Barstadt. Jetzt ist sie eine und wie bei so vielen Dingen, ist sie es dann voll und ganz. Mittlerweile gehen viele potentielle Ausgeher lieber in Bars, die naturgemäß auch oft von 70 Euro-DJs beschallt werden, als in Clubs, wo einem ohnehin alles nicht passt, weil eh jeder zu jung oder die Drinks zu teuer sind. Also im Winter nach Mini-Friedrichshain in den 6. und 7. Bezirk, im Sommer mit Bierdosen an den Kanal, in den Club maximal nach 4 Uhr, wenn es nichts mehr kostet.

11. Warum nicht gleich in die Großraumdisco?

Durch den Siegeszug der Elektronik haben auch die modernen Tanztempel auf „Techhouse“ oder „Elektro“ (für ganz Arme) umgestellt. Dort hat man dann alles, was man braucht. Vielleicht keinen nervenden Selbstunterhalter-DJ sondern betrunkene hübsche Menschen, die man eventuell tindern kann. Und zugegeben, der Hauptgrund des Weggehens ist der Sex, die 1% Musiknerds sind eine Fussnote. Oder gehen alle ins VIEiPEE, weil sie plötzlich HipHop-Fans geworden sind?„Und im Bollwerk“, erklärte mir jüngst jemand, „spielens jetzt auch Deep House“. Dann lieber doch deep throat zu Hause.

12. Eh klar, die Amis sind Schuld

Es begann vor einigen Jahren, und erreicht gerade ihren pervertierten Höhepunkt: In den USA spielt Geld offenbar keine Rolle, dort werden Gagen bezahlt, die man sich hier gar nicht vorstellen kann. Carl Cox spielt im Casino in Las Vegas, Marco Carola für Millionäre in NYC, es gibt in den Staaten offenbar mehr wirklich reiche Menschen als überall anders auf diesem Planeten. Der Markt hat längst die Gagen der DJs bestimmt, Österreich spielt da keine Rolle und leider gibt es hierzulande auch nicht DEN bahnbrechenden Club oder das bahnbrechende Festival wie etwa in Deutschland oder Holland, wo diese Leute unbedingt hinwollen. Was bleibt ist die Devise. Friss oder stirb. Oder lass es sein.

Genau das passiert nun. Die Szene schrumpft sich (gesund?). Für die Clubs, die am Markt bleiben, wird 2016 wohl ein gutes Jahr, Österreich sollte vielleicht wieder einmal bei Null beginnen. Ist ja nichts Neues, vielleicht gibt es dann wieder eine „echte“ Szene an Musikern und Produzenten wie damals in den Neunzigern. Man muss wieder die Perlen suchen, die Trüffel unter den Newcomern ausgraben. Aber die große Masse ist auf große Namen fixiert, die man hierzulande nicht zu sehen bekommt, das wird das Problem sein. „Neustart 2016“ könnte das Motto lauten. Wie viele Player Ende nächsten Jahres am Markt sein werden, wird spannend. Weniger ist mehr—das ist meine Hoffnung.

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