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Thump

Wir haben mit dem nüchternen Raver gesprochen, der zehn Stunden ohne Bier oder Pillen durchmacht

„Die Leute sehen mich und gehen in der Regel davon aus, dass ich auf Drogen bin.“

Alle Bilder via Screenshot.

Nein, ich könnte nüchtern nicht in einen Club gehen. Wirklich nicht. Stell dir das doch mal vor. Stell dir vor, du stehst mitten im Club und schaust den enthemmten Horden dabei zu, wie sie monoton zum Takt der Musik vor sich hinzucken: Füße stampfen, Fäuste pumpen. Oder wie du nüchtern und viel zu aufnahmefähig im Raucherbereich stehst und das sinnentleerte Gerede aufgedrehter Volltrottel aushalten musst, die wirklich absolut alles mit „JA, JA, VOLL! TOTAL!" kommentieren müssen, als würden sie unter einer Zwangsstörung leiden. Das alles erleben zu müssen, ohne wenigstens ein klein wenig weggedröhnt zu sein, wenn nicht gar total weggeschossen? Mir schaudert es bei der Vorstellung. Ernsthaft!

Ein Mensch, der nüchternes Raven allerdings total gut findet, ist ein 20 Jahre alter Bursche namens Bradley Gunn. Bradley arbeitet tagsüber im IT-Support und geht nachts auf Partys. Bradley liebt es, früh in Clubs aufzuschlagen und spät wieder zu gehen. Bradley hört nicht auf zu tanzen. Bradley bereitet mir ein wenig Sorgen.

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Ich bin das erste Mal auf ihn aufmerksam geworden, als mir jemand einen Link zu der Minidokumentation über ihn, Bradley Gunn Raver, zugeschickt hatte. Ich war ein wenig übermüdet zu der Zeit und dachte, die „Raver Gun“ in dem Titel wäre eine Anspielung auf eine dieser Glitzerkanonen, die in solchen Clubs wie dem Pacha zum Einsatz kommen und dort alle Beteiligten wie die Stars eines besonders farbenfrohen Bukkakestreifen aussehen lassen. In meinem Kopf war eine Bradley Gunn irgendwie so was in der Art. Aber weit gefehlt: Bradley Gunn ist ein Mann und obendrein ein Raver. Bradley Gunn Raver. Einige Filme sind nun mal mit Titeln gesegnet, die einen schon in ihren Bann schlagen, bevor man überhaupt den Playknopf gedrückt hat: Days Of Being Wild, Im Dutzend billiger 2 und jetzt eben Bradley Gunn Raver.

Während ich mir den Film so anschaute, dämmerte mir langsam, dass ich in meinem ganzen Leben mit noch niemandem gesprochen habe, der derartig überzeugt enthaltsam lebt. Ich habe mich im Laufe meiner Reise in das trübe Herzen des Erwachsenwerdens schon eher mit Menschen umgeben, die gerne mal einen heben. Das sind jetzt zwar nicht unbedingt die Lemmys dieser Welt, aber lass mich dir sagen, dass es bei uns an einem Samstagabend schon mal ganz schön wild werden kann! Was sagst du, Kollege? Du willst noch ein Bier und ich soll noch eine Packung Erdnüsse aufmachen? Chill mal ein bisschen, es ist doch schon fast 22 Uhr!

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Und klar, wir sind auch keine Hunter S. Thompsons oder irgendwas—Teenager lesen den noch, oder? Du hast die Referenz schon verstanden, oder? Oder warst du zu beschäftigt damit, etwas M-Cat von einer Snapchat-Sext zu ziehen? Aber so ein kleines Viertel einer Pille—vielleicht zwei Mal im Jahr—kommt schon mal vor! Und wenn das vorkommt, dann bin ich nicht aufzuhalten: So richtig „all night disco dancing" halt. Bis 3 Uhr morgens, wenn die Clubs hier schließen (ja, ich lebe in Großbritannien) und ich sicher vom Nachtbus nach Hause gefahren werde, wo dann eine schöne Tasse Gemüsebrühe und ein leckeres Stück Gala Pie vor einer Folge Inspektor Morse im Bett auf mich wartet. Ja, so lässt es sich leben, meine Freunde. So lässt es sich leben!

Wie ein Louis Theroux für Arme war ich neugierig darauf, wie es wohl ist, nüchtern auszugehen—also regelmäßig. Anstatt aber einen auf echten Louis zu machen und durch die wilden und kaputten Gegenden von Amerika zu fahren, die sich gut vor der Kamera machen, rief ich Bradley einfach an, während er gerade in der Mittagspause war. Falls jemand von der BBC oder Spiegel Online das hier lesen sollte, tut euch keinen Zwang an und schickt eure Angebote für eine sechsteilige Serie gerne an meine Mail-Adresse. Danke!

Bradley, nüchtern im Club mit Zebramaske.

Noisey: Hey Bradley, vielen Dank, dass du dir die Zeit für uns nimmst. Herzlichen Glückwunsch zu dieser ‚Sober Clubbing'-Geschichte. Kannst du uns sagen, wie es zu dem Film gekommen ist?
Bradley Gunn: Nun, ich war tagsüber auf einem Rave in Bristol und machte einfach mein Ding—also tanzen—und ein Typ kam zu mir, um sich mit mir zu unterhalten. Wie sich herausstellte, arbeitete er im Filmgeschäft. Er fragte mich, wie es mir geht, und ich sagte ihm, dass zu dem Zeitpunkt schon zehn Stunden gefeiert hätte. Er fragte dann, ob er eine Dokumentation über mich drehen könnte. Ich hätte nie gedacht, dass es mal zu so was kommen würde, aber wir waren wohl einfach zur gleichen Zeit am gleichen Ort.

Hast du dir darüber Sorgen gemacht, wie du wohl in dem Film rüberkommen würdest? Gab es irgendeine Zusammenarbeit an dem fertigen Produkt oder war das einfach so eine Geschichte, bei der man sich filmen lässt und dann auf das Beste hofft?
Nun, die kamen zu mir, filmten mich bei einem Rave und das war's. Denn Schnitt haben die dann gemacht. Ich muss zugeben, dass ich mir vor der Veröffentlichung nicht ganz sicher war, wie der Film wohl wahrgenommen wird, aber es scheint ganz gut zu laufen. Er hat andere Menschen dazu inspiriert, selber nüchtern in Clubs zu gehen und ich bin sogar mit ein paar Leuten, die mich kontaktiert haben, zusammen ausgegangen.

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Oh, cool! Wie hat das denn alles angefangen? Hast du dich ständig total weggeschossen und dir dann irgendwann gedacht: „Nein, so kann das nicht weiter gehen, ich muss was ändern"? Wie sah deine erste Cluberfahrung aus?
Mein erster Clubbesuch war an meinem 18. Geburtstag und damals wusste ich noch nichts über Dance-Musik. Es war ein sehr kommerzieller Club und ich war mit meinen Kumpels da. Ich merkte irgendwann, dass ich die Musik interessanter finde, als mich zu betrinken, also wollte ich einen Ort finden, wo die Musik mehr im Mittelpunkt steht. So bin ich dann in der Rave Szene gelandet. Ein Freund hat uns zum Motion in Bristol gefahren…

Bradley, nüchtern bei der Arbeit ohne Zebramaske.

Warst du dort dann auf Pillen oder doch nur Orangensaft?
Ich habe mir einen Drink gegönnt, aber mein Kumpel blieb nüchtern, weil er ja fahren musste. Ich habe mir nicht von Anfang an bewusst vorgenommen, nüchtern auf Partys zu gehen. Es ist einfach irgendwie passiert. Ich hatte einen Kumpel, der auch mein Ravepartner wurde, und wir haben uns zwischendurch immer einen Drink geholt, aber merkten dann irgendwann, dass wir mit Alkohol nicht so lange durchhalten können. Gegen 3 Uhr waren wir dann meistens ziemlich müde.

Du weißt schon, dass es Drogen gibt, die dich wahrscheinlich ein kleines bisschen länger wachhalten …
Darum geht es mir nicht. Klar, ich trinke ab und zu mal was, aber das ist dann zuhause oder so. Wenn ich bei einem Rave bin, ist es mir egal, was irgendjemand über mich denkt oder von mir hält. Ich rave so, wie ich will.

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Das ist schön für dich. In dem Film erzählst du, dass ein Security-Typ dachte, dass du Drogen bei dir hast—wahrscheinlich weil du wie jemand tanzt, der sich eine Wagenladung Keta eingefahren hat. Passiert das oft?
Ja, das tut es. Die Leute sehen mich und gehen in der Regel davon aus, dass ich auf Drogen bin. Die fragen mich dann, ob ich welche verkaufe oder wo sie welche bekommen können. Ich habe echt keine Ahnung! Viele Menschen sind dann wirklich schockiert, wenn ich ihnen sage, dass ich nüchtern bin. Die glauben, dass ich lüge. Das tue ich aber nicht. Ich bin tatsächlich der nüchterne Raver. Und ich habe eine Menge Freunde dazu bekommen, das auch zu werden.

Das ist schön für dich, Bradley Gunn.

Folgt Josh bei Twitter: @bain3z

Dieser Artikel ist zuerst auf THUMP erschienen.

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