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Keep It HipHop—So war der Wiener HipHop-Ball

Kamp war für uns beim ersten Wiener HipHop-Ball.
K
von Kamp

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„Stop! Wo ist die Krawatte?!“ Obwohl wir uns extra in Schale geworfen haben, fällt die Begrüßung durch den Sicherheitsexperten am Eingang des 1. Wiener HipHop Balls eher schroff aus. Eine Krawatte wollte ich mir echt nicht antun, sorry. Sagen wir einfach, das ist meine Interpretation des vom Veranstalter geforderten individuellen „Streetstyles“. Rebellion in Anzug, Hemd und Gillet. Und Sneakern. Der stark transpirierende Administrator mit der Gäste- und Presseliste winkt uns nervös durch: „Die sind von der VICE, das ist schon OK so”. Er meint vermutlich „Die laufen eben so beschissen angezogen rum.“

Eine Fotowand links neben dem Eingang suggeriert, dass hier wichtige Menschen empfangen und abgelichtet werden wollen. Vielleicht kennt ja doch jemand die auftretenden Artists und will ein Foto? Oder es gilt die prominenten Ballgäste wie zum Beispiel Benimm-Guru Elmayer festzuhalten? Wahrscheinlich beides. Das Palais Niederösterreich wird innen und außen mit Projektionen bespielt, in den prunkvollen Sälen machen die Visuals tatsächlich einiges her. Auf einer kleinen Wand neben einer der unzähligen gesponsorten Sektstationen befindet sich der „Kunstraum“: Hier hängen die „Masterpieces“ der Graffiti-Art-Contest-Gewinner, um bestaunt zu werden. Ansonsten ist die Location in die frechen Slogans und Sujets der zahlreichen Werbepartner gehüllt, eine Bank wirbt tatsächlich mit „Hallo HipHop-Beats”. Die Organisation ist äußerst professionell. Und seelenlos.

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Die Presse wird zur PK gebeten. An imposanten Räumlichkeiten mangelt es dem Palais Niederösterreich nicht und so finden wir uns mit einer Handvoll Kollegen im riesigen Landtagssaal ein, in dessen Mitte eine lange Tafel für Organisatoren und Stars des Abends aufgestellt wurde. Glücklicherweise steht da auch eine Bar. Unterdurchschnittlich gekühltes Heineken gibt es da. Fünf Euro kostet das. Seufz.

Die Veranstalterin Sajeh T. ist eine charismatische und mit Sicherheit sehr engagierte Veranstalterin. Äußerst professionell. Aber über die Resonanz der lokalen Szene zu sprechen scheint ihr irgendwie unangenehm zu sein. Als hätte der milde Gegenwind in den sozialen Netzwerken Spuren hinterlassen. Mc F.—einer der Moderatoren des Abends—wird von Sajeh an den Tisch gebeten, um die gespaltene Meinung der hiesigen Szene zum WHHB „zu reflektieren“. Auch er wäre erst skeptisch gewesen, erzählt er. F. gefällt es nicht zu posen—HipHop sei wertvoll für ihn. Nach dem ersten Zusammentreffen mit dem Orga-Team verschwanden allerdings seine anfänglichen Bedenken. Ich frage mich—beinahe laut—WARUM? Hier sei man einfach mit sehr viel Herzblut und Engagement bei der Sache gewesen und er freut sich darüber, dass sich etwas tut. Aha, OK.

Wir flüchten auf den Balkon und beobachten das Eintrudeln der ersten Gäste von unserem privilegierten Platz aus—unter dem einzigen Heizschwammerl.
Unter uns füllt sich der Hof mit NewEra-Caps tragenden Boys und Girls, alle brav mit Sneakern zu Anzug oder Robe, Streetstyle eben. So stelle ich mir eine Jam in Döbling vor.

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Mc F. und sein Kollege T. gesellen sich zu uns. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass sie sich hier nicht 100 prozentig wohl fühlen. Ich frage, ob die beiden die Kommunikation des WHHB im Vorfeld mitbekommen haben. Von den Elementen des HipHop war da die Rede, also Graffiti-Art, Breakdance, MCing, DJing, Beatboxing und Street Fashion. Als die beiden dieser Aufzählung grundsätzlich zustimmen und noch auf das zusätzliche Element „Peace, Love, Unity, Having fun“ verweisen, ziehe ich mich unauffällig zurück.

Drinnen wird es voller. Angeblich 700 Leute waren bereit 75 Euro und mehr für ein Ticket hinzulegen. Das Publikum ist bunt durchgemischt: BWL-Studenten treffen auf Diplomaten-Akademie-Kids und deren Eltern. Nur wirkliche Heads sieht man so gut wie gar nicht mit Ausnahme von Amir, Zuzee und Kapazunda. Allein ihnen ist es zu verdanken, dass der Großraumdisko R'n'B-Rotz zeitweise vom „Musikgenre: HipHop“ (Zitat WHHB auf FB) unterbrochen wird.

In der Stiegenhalle des Palais sind zwischen Sekttischen und edlen Thunfisch-Brötchen ein Haufen Breaker wie Gogo-Tänzerinnen abgestellt.
Neben ihnen jeweils ein roter Buzzer: Wird dieser von einem Ballgast gedrückt, muss getanzt werden. Hihi. Der Eindruck, dass hier funky Künstler zum Vergnügen der zahlenden, juvenilen Hautevolee vorgeführt werden, lässt sich nur schwer abschütteln. Ein 10 Euro-Gin Tonic—die Cocktails hatten voll die witzigen Namen wie „2Pac“ und Biggi und so—besänftigt da auch nicht mehr.

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Unausweichlich stellt sich die Frage, ob es in unserer derzeitigen Lage wirklich schlau ist, eine zumindest theoretisch unbequeme und progressive Kultur in ein Ballkleid zu zwängen? Wäre nicht genau jetzt der Zeitpunkt gekommen alles zu machen AUSSER einen HipHop-Ball? Irgendwas?

Wahrscheinlich sollten wir uns alten Real-Keeper einfach entspannen. Zeiten ändern sich. Keep it HipHop! Was einmal nur einer kleinen Gruppe von „Eingeweihten“ zugänglich war, ist unbestritten in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Ob die Kultur, um deren Vermittlung es hier gehen soll, wie die Veranstalter nicht müde werden zu betonen, dank dieses Balls weniger belächelt werden wird, darf bezweifelt werden. Zu keinem Zeitpunkt wurde auf Authentizität gesetzt. Stattdessen wurde diese bunte Straßenbewegung zur Belustigung eines zahlungskräftigen Publikums vorgeführt.
Dass wir verklemmten Szene-Wappler darin einen Affront sehen und wie erwartet den WHHB als rein kommerzielle und nicht im Ansatz kulturelle Veranstaltung empfinden, war dem Orga-Team höchstwahrscheinlich bewusst. Und egal. Und das ist auch vollkommen OK so.

Es ist 22:00 Uhr und wir haben genug gesehen. Diverse Programm Highlights, wie die Verleihung der Chain of Glory für „herausragende Szene-Persönlichkeiten” müssen leider ohne uns stattfinden. Ein letztes Mal hau ich auf den Buzzer und vollführe ein paar ungelenke Bewegungen zum Abschied—dann schleiche ich über den roten Teppich Richtung Ausgang. So fühlt man sich vermutlich nach einem Puff-Besuch: Ich schäme mich, hier gewesen zu sein.

Auf die Frage wie der WHHB in die Geschichte des Wiener Hip Hop einzuordnen sei, meint die Veranstalterin im themessage-Interview „pionierhaft“. Unnötig trifft es besser.

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