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Noisey Blog

Ich bin DJ und hasse Clubs

„Ganz im Ernst, warum gehen Leute eigentlich aus? Zum Vögeln, zum Saufen und um Freunde zu treffen.“

Foto: Isabella Khom

Vielleicht bin ich irgendwann zum Musiksnob geworden. Vielleicht war ich es aber auch schon immer. Auf alle Fälle hat sich jeder schon mal schuldig gemacht, etwas nur so lange cool zu finden, bis es plötzlich der ganze Freundeskreis oder die Szene hört oder mag. Danach kommen solche Phrasen wie: „Früher waren die besser“, oder „Ich fand die eigentlich nie wirklich gut.“ Nun, mir geht es so mit Clubs und so genannter Clubkultur.

Die Geburtstunde und die Adoleszenz dieser im Mainstream angekommenen (Jugend-)Bewegung habe ich ganz ehrlich nicht mitbekommen. Ende der 80er schmiss ich eher Globuli als Ecstasy, in den späten Neunzigern kaufte ich überhaupt erst Compact Discs (und außerdem lebte ich zu sehr in Österreich, als dass ich davon etwas aufgeschnappt hätte). Mitte der 00er schon eher, nämlich wegen der Unendlichkeit des Internets und als ich selbst anfing elektronische Musik aufzulegen und mich dafür zu interessieren. Alben wie Holden’s The Idiots Are Winning oder Alex Smoke’s Paradolia und ein paar frühe Innervisions-Releases weckten mein Interesse an elektronischer Musik und auch zehn Jahre später spiele ich das Zeug gern noch.

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Österreich wird immer vom elektronischen Sound der „großen Schwester“ Deutschland geprägt sein, scherzten vor ein paar Jahren noch dass der Sound der jetzt grad in Wien aktuell ist, vor zwei Jahren in Berlin angesagt war. Es hat sich vieles verändert, auch weil Trends kurzlebiger geworden sind, die Szene gewachsen ist, die technischen Neuerungen von Smartphone bis DJ-Mixer bis Musiksoftware viel mehr erlauben, Internet und vor allem, weil es Prestige bringt. Wenig Geld, aber Prestige. In einer Großstadt will man doch der Szene angehören, am besten, die Szene sein.

Die Eintrittspreise der Wiener Clubs bewegen sich je nach Act zwischen 10 und 20 Euro. Ganz im Ernst, warum gehen Leute eigentlich aus? Zum Vögeln, zum Saufen und um Freunde zu treffen. Die wenigsten interessiert doch die Musik oder der eingeflogene Act. Es wird meistens vom generellen Sound gesprochen der „dort immer passt“, während Kevin seinen vierten Gin Tonic trinkt und sich an der Kellnerin aufgeilt.

Sein Hauptziel ist es, vor seinen Homies möglichst cool auszusehen und heute Nacht, pardon Früh, im kompletten Öl, eh keinen Ständer mehr kriegend, jemanden abzuschleppen und am Weg nach Hause aus dem Taxi zu kotzen—schon mal Samstag oder Sonntag morgens um 6 zum Bäcker gegangen ein Kipferl holen? Anyone?

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Hut ab vor denen, die wirklich wegen einem Act oder DJ in den Club gehen und dafür Eintritt zahlen. Ernsthaft. Die Musikliebhaber und Fans dürfen sich dann je nach Timetable bis zwei oder drei Uhr durch (oft) schreckliche Warm-Up-DJs kämpfen, die irgendwas missverstanden haben, indem sie gleich mal mit den aktuellen Beatport Deep-House Top 10 beginnen. Klar ist es ein undankbarer Job Warm-Up-DJ zu sein. Außerdem ist der Druck vom Publikum ja auch da—„schneller“, „bissl härter“, “mehr Bass“ oder mein Favourite: „Kannst was elektronischeres mit mehr Beat spielen?“.

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Jetzt ist die Frage: Gehst du darauf ein oder nicht? Im Endeffekt muss man einfach ein Gespür dafür entwickeln und sich nicht aus Ruhe bringen lassen—auch wenn es mal nicht so gut funktioniert. Wichtig ist die Dramaturgie eines Abends und ich hätte mir schon oft von Clubbetreibern sowas wie klare Koordination gewünscht. Vorab kurz mal einen Bogen gespannt und erklären worum es geht und wo es hingehen soll. Ist für jeden gleich viel entspannter. Ein Tipp noch für den Warm-Up-DJ, weil ich es selbst so liebe: Auch wenn es nicht klappt, such’ dir diese eine Person raus, der deine Musik gefällt und spiele einfach für sie weiter. Sowas ist ansteckend und hilft schon mal durch das Set, auch wenn es nicht so gut läuft.

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Viele DJs verwenden einen Gehörschutz. Doch auch als Gast sollte man sowas eigentlich besitzen, denn unterhalten kann man sich im Club so gut wie gar nicht, nicht nur das, man brüllt sich auch noch gegenseitig zusätzlich zum WUMMSBUMMSRUMMS ins Ohr und spielt eigentlich den ganzen Abend nur stille Post. Gestikulieren hilft da oft mehr, zum Beispiel, dass man sich draußen auf eine Zigarette trifft oder um kurz frische Luft zu schnappen. Wenn der Club voll ist, viel Spass beim Rauskommen—am besten noch vor dem Hauptact kurz vor der Peaktime wo eh draußen nochmal eine ewig lange Schlange ansteht. Denn vor Mitternacht besuchen ja sowieso nur Sparefroh’s die Clubs, um sich fünf Euro zu sparen die sie dann eh erst recht wieder dort ausgeben. Gute Überlegung. Vereinzelt sind auch ein paar Freunde des ersten Warm-Up-DJs da, um moralischen Support zu leisten oder auch, um auf dieser K-Promi-Prestigewelle mitzureiten.

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Wer weiß, vielleicht schmeißt dein Freund, der DJ, auch eine Runde Getränkebons. Dir, lieber Luftschnapper, jedenfalls viel Spaß ohne Mantel (weil der in der Garderobe ist) im Winter dann wieder rein zu gehen. Über die Schlange. Als Letzter. Besser ist es da schon mit Backstage-Privilegien. Wer sind eigentlich diese Leute, die da immer rund um einen DJ stehen? Ob das am kleinen oder im großen Floor ist, das Schauspiel ist immer das Gleiche. Es ist nichts anderes als ein Spiegel, egal auf welcher Seite man steht: Wenn das Publikum abgeht, gehen auch die Leute hinter dem DJ ab und lassen sich mitfeiern. Wenn es grad gemütlich dahingeht, dann nuckeln sie an Getränken, wippen ein bisschen mit und sehen absolut ausdruckslos aus, sofern sie nicht im Gespräch mit ihrem Nachbar sind.

Ich möchte an dieser Stelle mal festhalten, dass ich Clubs nicht negativ gesinnt bin, ganz im Gegenteil, ich liebe es sogar hinter dem Pult zu stehen und Musik zu spielen, aber ich habe es für mich einfach nicht nötig zu Club-Musik zu tanzen. Ich mag es mehr, meinen Geist und mein Herz Dehnübungen machen zu lassen und die Musik, den Klang und die Energie im Raum aufzunehmen, anstatt teilzunehmen. Leider wird das jedoch rarer und rarer, da, obwohl es so viel Clubs wie noch nie gibt, leider jeder ungefähr den selben Sound spielt und für mich sehr wenig Abwechslung schafft. Ich mag es, wohin zu gehen und überrascht zu werden. Selbst wenn ich den Sound per se nicht gut finde, aber was anderes zu hören als den 08/15 Schmafu der in den ganzen Clubs läuft. Und da zählen nunmal auch die eingeflogenen, internationalen Acts genau so dazu wie auch dein Nachbar mit seinem MacBook Pro und seiner Traktor-Software.

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Achja, das führt mich eigentlich zum Punkt, der mich am meisten aufregt: VINYL ONLY. Liebe Leute, ja, Vinyl ist super. Schwarzes Gold quasi, aber einen guten DJ macht nicht die Wahl des Tonträgermediums aus, sondern immer noch die Selektion. Ich gehe sogar so weit zu sagen, dass der Mix scheißegal sein sollte. Wie toll der DJ jetzt beatmatchen kann oder nicht interessiert mich nicht, wohl aber, ob er mir mit seinem Set oder ein paar Tracks neue Eindrücke vermittelt. Mal ehrlich, der Großteil von dem Material, das sich DJ Schiessmichtot auf Vinyl kauft ist sowieso am Rechner entstanden. Versteht mich bitte nicht falsch, der Unterschied zwischen analog und digital ist immens und doch so marginal, dass ihn Kevin nach inzwischen sechs bis sieben Gin Tonics nicht mehr hört. Bis auf ein paar Ausnahmen läuft die Musik aber ohnehin meist über halbgute Anlagen, das macht die alte Nadel am „pickerten“ 1210er auch nicht mehr wett.

Nachdem Kevin nun also etliche dieser Drinks runtergestellt hat, muss er natürlich auch mal aufs Klo. Männerschlangen wie vorm Damenklo gibt es, sind aber eh nicht die Regel, also schnell mal in die Urinsteinoase Wasser lassen und beim Gehen noch die Klofrau anmaulen, die bloß ihren Job macht und sicher öfters darüber nachdachte, jemanden ins Pissoir zu tauchen. Ich sympathisiere mit ihr. Ich sympathisiere nicht nur mit ihr, ich verstehe mich mit der Klofrau in jedem Club immer blendend. Dann da gibt es auch noch den obligaten Dealer, Frank, bei dem du alles bekommst. Dem haben wir den Facebook-User „Tu Es“ zu verdanken, der vollkommen zugekokst aggressiv wird und nach ein paar Minuten Fehlverhalten von den Securitys entfernt wird. Steck einen Haufen Menschen in einen Schuhkarton, nimm ihnen die Möglichkeit sich auszureden (Drogen, Alkohol, Lautstärke) und du hast eine geballte Ladung Aggressionspotenzial. Das ist nicht die Regel, aber ein paar tanzen immer aus der Reihe. Da-dusch! Auch so ein Grund warum ich Clubs lieber von hinter den Kulissen erlebe, als von vorne.

Clubs sind sehr oberflächlich. Ich glaube noch nie eine Konversation gehabt zu haben, die wirklich fruchtbar oder beeindruckend war. Gut, das ist vielleicht auch nicht der Zweck eines Clubs, der soll ja viel mehr sinnfreie Zone zum kontrollierten Abreagieren sein. Organisiertes Sodom und Gomorrha mit Richtlinien oder frei sein nach Vorgabe. Aber genau das ist der Grund, warum ich nicht Woche für Woche in diesen Schuppen stehen kann. Spielen, ja, absolut kein Problem—die Distanz ist mir aber auch wichtig—sich jederzeit diesem absurden Schauspiel entziehen zu können.

Es ist nunmal zweischneidig. Ich mag es zwar in Clubs zu stehen und zu spielen, hasse es aber in der anderen Rolle, der des Besuchers, zu sein. Nicht, weil mir die Privilegien des DJs fehlen, sondern ganz einfach, weil das, was für die Besucher ausgehen und eine gute Zeit haben ist, für mich hinterm Plattenteller stehen heißt und Musik und Raum zu kontrollieren. Ich bin ein Musiksnob, ja, stecke mein Smartphone bei deiner Party aber nicht an der Anlage an, keine Sorge.

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