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Wien und seine Plattenläden: Substance Records

In unserer Serie stellen wir euch die besten Läden der Stadt mitsamt der Menschen dahinter vor. Heute: Substance in der Westbahnstraße.

Es braucht in Wahrheit keinen Anlass, um immer wieder einmal über Wiens Plattenläden zu schreiben. Keinen Welttag der Schallplatte (12. August), keinen Record Store Day (18. April), kein großartiges Jubiläum. Platten kann man jeden Tag feiern, Musik sowieso. Deshalb stellen wir euch die besten Läden der Stadt mitsamt den Menschen dahinter vor. Bisher in der Reihe: Rave Up Records. Dieses Mal: Substance in der Westbahnstraße 16.

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Etwa 60.000 Platten stehen im Substance Recordstore in Wien Neubau. Vielleicht auch mehr. Thomas Gebhart muss lange überlegen, ist sich am Ende aber trotzdem nicht sicher. Es sind jedenfalls verdammt viele. Als er mir später das Lager mit den bis zur Decke vollgestellten Regalen zeigt, erscheint die Zahl zumindest ein wenig greifbarer. „Das war früher unser Büro, aber es wurde irgendwann zu eng. Die Regale haben wir von einem Tischler anfertigen lassen“, erzählt er. Ich überlege kurz, wie viele Expedit-Regale das wohl wären. Keine Ahnung, egal.

Thomas ist einer der Eigentümer des Substance. Sein Partner Konstantin Drobil und der mittlerweile aus dem Geschäft ausgestiegene Alfi Glück haben den Laden im Jahr 2001 eröffnet. Schlau war das damals natürlich nicht. Aber einen Plattenladen zu eröffnen, war ohnehin nur in den 80er Jahren wirklich schlau. Froh sind wir trotzdem darum. Auch Thomas ist nach wie vor überzeugt von dem Konzept, sagt aber auch ganz klar, dass das Vinyl-Revival, welches vor ein paar Jahren losbrach und natürlich die Verkäufe im Laden dementsprechend in die Höhe trieb, auch genauso wieder abebben wird. „Mittlerweile stürzen sich ja auch die Majors darauf und bringen Reissues raus“, sagt er. „Die werden den Hype auch wieder kaputtmachen.“ Er denkt aber doch auch pragmatisch: „Außerdem merkt man irgendwann, dass das alles so viel Platz braucht.“

Angefangen hat die Substance-Geschichte schon Anfang der 90er Jahre mit dem Label TROST Records, einem der ersten österreichischen Independent-Labels. Gegründet wurde es von Alexander de Goederen und Andreas Höllering. TROST Records sollte als Plattform für kleine lokale Bands abseits der damaligen Mainstream-Austropop-Szene dienen. Konstantin, der damals Konzerte im Flex veranstaltete, entschloss sich kurz nach der Gründung, mitzumachen. Ein paar Jahre später kam der Musikvertrieb dazu. Von einem Label allein lässt es sich nämlich nur sehr schwer leben. Also, eigentlich überhaupt nicht. Jedenfalls verwandelte sich so Konstantins Wohnung dreimal in der Woche in eine Art Shop, in den Freunde, Bekannte und Fremde kamen, um rumzuhängen, Musik zu hören und in den meisten Fällen dann auch zu kaufen. Das war zwar bestimmt super und lustig, aber es ist nachvollziehbar, dass Konstantin irgendwann genug von all den Menschen in seinen vier Wänden hatte. Man zog also in die Westbahnstraße 16.

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Heute gehört noch eine Wohnung zum Laden, die Thomas und die anderen als Büro und Besprechungsraum nutzen. Auch hier stehen überall Kisten mit Platten. Langsam machen die 60.000 Stück Sinn. Hier stehen sogar tatsächlich ein paar Expedit-Regale. Das Büro ist sympathisch chaotisch, Thomas entschuldigt sich dafür. Als würde mich das stören. Die Ordnung hat er ohnehin im Kopf. Ein eigener Plattenladen ist nämlich nicht nur voll cool, sondern auch ganz schön viel Arbeit. „Oft sitzen wir sieben Tage in der Woche hier. Aber wir sind halt Trotteln“, lacht er. Auf die Frage, ob sie schon einmal daran gedacht hätten, alles einfach hinzuschmeißen, sagt Thomas nein und wenn, dann wäre das nie wirklich ernst gemeint gewesen. Das nimmt man ihm auch vollkommen ab.

„Ein gut sortierter Laden zu sein, bedeutet alle Genres zu haben und sich auch damit auszukennen“, erklärt Thomas. Wie er entscheidet, was er ordert, ist unterschiedlich. Der wichtigste Faktor dabei ist aber seine Erfahrung, das Gefühl, das er hat, wenn er Releases aussucht. Wonach er dabei genau geht, kann er demensprechend nicht beschreiben. „Bei manchen Labels kauft man natürlich jeden Release, wie zum Beispiel bei Domino oder Warp. Zwischendrin haben wir dann aber so Sachen wie Feuergesänge aus der Türkei oder indische Volksmusik. Da bestelle ich fünf Exemplare, eine behalte ich, eine der Konstantin, zwei verkaufen wir und eine bleibt da“, erzählt er. Er zeigt sie mir später.

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Tatsächlicher Spezialist ist die Substance-Crew aber vor allem bei Avantgarde und Free Jazz. Ich frage nach besonderen Schätzen. Thomas erzählt mir von Mats Gustafsson, einem schwedischen Jazz-Saxophon-Superstar, der mittlerweile im Burgenland wohnt und mit den Jahren ein guter Freund geworden ist. Gustafssons Platten haben in der Szene einen extrem hohen Wert. Er hat Fans, die sich seinen Namen über den Bauch tätowieren lassen. Und diese sind bereit, viel Geld für seine Releases auszugeben. Wirklich viel. So stellte Thomas einmal eine seiner limitierten 7 Inches (auf Gustafssons Wunsch) um 590 Euro auf Discogs. „Ich dachte mir, das wird doch nie jemand kaufen“, lacht er. Wenig später kam ein Kaufangebot aus Japan. Während Thomas noch an einen Fake-Kauf glaubte, trudelte schon das Geld via Paypal ein. Das war die teuerste Platte. Und sonst? Ein alten Wiener Punk-Sampler aus den 70er Jahren, der 150 Euro wert war.

Doch nicht alle Kunden sind solche großen Individualisten, Liebhaber und Hardcore-Fans. Viele kaufen auch den größten Scheiß, wie Thomas selbst sagt: „Manche entschuldigen sich dann sogar beim Kauf. Stammkunden sagen dann, wenn sie plötzlich Tocotronic kaufen, das ist eh für meine Schwester.“ Neben den großen internationalen Namen Caribou oder FKA Twigs gingen 2014 aber auch österreichische Releases sehr gut. Allen voran Dorian Concepts „Joined Ends“. Aber auch Radians US-Country-Kollaboration „Radian Verses Howe Gelb“, Fennesz „Bécs“, bulbuls „Hirn fein hacken“ und Kreiskys „Blick auf die Alpen“. Es war ein ziemlich gutes Jahr für österreichische Musik. Und für den Substance Recordstore.

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