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Wenn Wien mit seiner Clubkultur werben will, muss es mehr dafür tun

Im Oktober sind Wahlen. Es ist höchste Zeit für die Parteien, sich Gedanken zu machen, wie sie mit der Wiener Clubkultur umgehen wollen.

Foto: Flickr | Matthias Ripp | CC-BY 2.0

Schreibe ich diesen Text hier ohne Anlass? Ja und nein. Wien war in letzter Zeit gar nicht mal so richtig offensiv böse zu seiner Clubkultur. Den großen Knall gab es nicht. Weder musste die Pratersauna aufgrund behördlicher Auflagen schließen, noch wurden illegale Raves mit großem Polizeiaufgebot ausgehoben. Aber es gab doch einige Beobachtungen, die ein Bild ergeben, das es sich genauer anzuschauen lohnt. Hier ein paar kleinere Notizen aus den letzten Wochen:

1. Vor einiger Zeit wurden mir nachts auf WhatsApp von verschiedenen Leuten Bilder aus einem größeren Wiener Club zugeschickt. Die Musik war heruntergedreht und das Personal in einem Nebenraum zusammengetrieben worden. Nach ein paar Nachfragen war klar: Die Clubbetreiber hatten sich nichts Spezielles zu Schulden kommen lassen, es war einfach eine der unregelmäßigen Großkontrollen, bei der mehrere MA-Abteilungen auftauchen und alles auseinandernehmen. Selbst wenn sie nichts finden, ist die Nacht für den Gastronomen natürlich im Arsch.

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2. Ebenfalls ist von mehreren Seiten zu hören, dass der Umweg über die Anmeldung einer politischen Kundgebung—der uns in den letzten Monaten so viele geliebte und bereits gehasste Open Airs beschert hat—aktuell immer schwieriger wird. Die Stadt habe sich das jetzt drei Monate (beziehungsweise auch schon die letzten Jahre, wo das aber viel spärlicher genutzt wurde) angeschaut, jetzt gehe man dagegen vor. Die Landespolizeidirektion sei viel unkooperativer, und auch namhafte Open Air-Veranstaltungen, hinter denen erfahrene Menschen stehen, bekamen in der letzten Zeit verstärkt Besuch von den Behörden und mussten abdrehen. (Gestern Abend fand deswegen übrigens eine Demo der Neos statt.)

3. Auf der anderen Seite wird mir seit Wochen die Werbung für das Vienna Summerbreak-Festival in einer ziemlichen Penetranz in den Facebook-Feed gespült. Ich werde später noch ausführen, wo darin mein Problem liegt. Und worin nicht.

Wiens Clubkultur geht es aktuell auf den ersten Blick nicht so schlecht. Man kämpft—anders als zum Beispiel Großbritannien, wo es darum gerade eine große Diskussion gibt—nicht mit dem Clubsterben. Letzteres war eher so rund um 2012 ein Thema. Die Probleme, die damals zum Beispiel dem Morisson den Kopf gekostet haben, haben sich zwar nicht grundsätzlich geändert, aber niemanden mehr medienwirksam über die Klippe springen lassen. Stattdessen geht der Diskurs gerade eher in die andere Richtung: Es gäbe in Wien ein Überangebot. Zu wenig Publikum für zu viele Veranstaltungen.

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Man muss nicht alles glauben, vor allem nicht in dieser Intensität. Das Jammern ist des Kaufmanns Gruß, und das gilt ebenso für den Gastronomen. Aber ein paar Dinge sind evident, die den Wiener Clubbetreibern das Leben schwer machen. Nicht nur jetzt, aber jetzt gerade wieder. Zum einen wird immer wieder das Kuriosum Vergnügungssteuer genannt, durch die Veranstalter noch einmal zusätzlich 15 Prozent ihrer Einnahmen an die Stadt abführen müssen. Wie gesagt: Zusätzlich. Das ist nicht nur ein Problem, weil es den ohnehin oft spärlichen Gewinn schmälert (nein, Clubs sind keine Gelddruckmaschinen. Mehr Infos dazu gibt es zum Beispiel hier oder hier), sondern auch, weil sie so verdammt undurchschaubar ist. Die Vergnügungssteuer gilt nämlich für Tanzveranstaltungen, für Konzerte aber bespielsweise nicht. Dass das zu seltsamen Grauzonen führt, ist klar. „Wenn vorne auf der Bühne eine Band steht, sich die Leute mit dem Gesicht zur Bühne drehen und dabei tanzen, dann bewerten wir das nicht als Publikumstanz, sondern als Konzert", erklärte der Leiter der zuständigen MA 6 letztens dem Kurier. „Wir informieren uns über die sozialen Medien. Wenn es dort heißt: ,Da gehen wir hin, weil wir abtanzen wollen‘, dann werden wir eher zur Überzeugung gelangen, dass es sich dabei um einen Publikumstanz und nicht um ein Konzert handelt.“ Naja.

Ein weiteres Problem sind die oben angesprochenen Kontrollen und der mittlerweile sprichwörtliche „Frühjahrsputz“, den die Wiener Behörden gerne mal veranstalten. Ja, natürlich müssen Clubs ihre Mitarbeiter ordentlich anmelden. Machen die meisten zum Glück auch. Und ja, natürlich sind Kontrollen notwendig. Aber es drängt sich schon gelegentlich der Eindruck auf, dass diese „Aktionen scharf“ (die einen ganzen Betrieb lahmlegen) auf besonders besucherstarke Abende gelegt werden. Das mag in der Logik der Behörden Sinn ergeben, ist aber leider fatal. Clubs mit einem eher heterogenen Publikum finanzieren sich im Jahr 2015 über ein paar gut laufende Abende im Jahr, die den Rest—der oft defizitär läuft—querfinanzieren. Wenn davon einer wegfällt, weil um 2 Uhr MA 6, MA 36 und MA irgendwas vor der Tür stehen, tut das richtig, richtig weh.

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Darüber hinaus gibt es in Wien noch ein paar Vorschriften, die oft typisch wienerisch behandelt werden—eben solche Dinge wie maximale Lautstärke, Kapazität von Venues, Sperrstunde oder Umwege wie die oben beschriebene Anmeldung als Kundgebung oder die Gründung eines Vereins. Zum einen muss man mal sagen, dass die Veranstalter sich diese Wege ja oft nicht suchen, weil sie Arschlöcher sind. Sondern weil es in Wien—anders als in Berlin oder Halle/Saale, dessen Gesetz zur Nutzung des öffentlichen Raums unter Aktivisten als vorbildhaft gilt—oftmals keine Möglichkeiten gibt, sowas clean, legal und mit einem halbwegs überschaubaren Risiko durchzuziehen. Diese Wurschtigkeit, mit der diese Regeln oft auch von Behörden-Seite behandelt werden, gehört zu einem gewissen Maße zu Wien dazu und ist natürlich erst einmal sympathisch, hat aber ein großes Problem: Mangelnde Rechtssicherheit, die Willkür Tür und Tor öffnet. Geht halt so lange gut, bis sich einer zu oft beschwert und man an den falschen Beamten gerät. Klare Regelungen helfen letztlich.

Screenshot wien.info

Das wäre alles ja grundsätzlich nicht so tragisch. Keine Stadt hat die Pflicht, es ihrem Nachtleben einfach zu machen. Nun schmückt sich Wien allerdings auf der anderen Seite mit seinem „lebendigen Nachtleben“. Auf der Seite von Wien Tourismus—übrigens keine private Einrichtung, sondern eine öffentlich-rechtliche Körperschaft—überschlägt man sich mit den Formulierungen bezüglich der jungen, wilden Szene. OK, das ist der Job von Wien Tourismus. Aber es zeigt ein Grundproblem auf. Städte und ihre Marketingabteilungen brüsten sich unglaublich gerne mit dem, was in ihren vermeintlichen Subkulturen passiert. Man will nicht unbedingt arm sein, sexy aber auf jeden Fall. Berlin hat daraus über die Jahre fast sowas wie seinen USP gemacht, obwohl selbst da langsam die Probleme anziehen. Leider hat diese Subkultur einen gewaltigen Haken: Auch wenn in ihr verhältnismäßig wenig Geld umgesetzt wird, gibt es sie trotzdem nicht umsonst. Man muss sie nämlich machen lassen. Sie braucht dringend Luft zum Atmen, sonst kann sie sich nicht entwickeln. Vieles, was irgendwann bei der Stadt und bei Wien Tourismus ankommt, hat ja vorher schon einige Zeit unter der Wahrnehmungsschwelle herumgekrebst. Wenn man diese zarte Blüte bekämpft oder es den Institutionen schwer macht, die das Bindeglied zwischen der Subkultur und den Hochglanz-Leporellos der Stadt darstellen, dann wird es irgendwann nichts mehr geben, womit man in diesen Leporellos werben kann.

Was hat das Ganze jetzt mit dem Vienna Summerbreak Festival zu tun? Grundsätzlich mal nicht viel. Es soll hier auch überhaupt nicht darum gehen, dem Festival, das vom 28. bis 30. August in Wien stattfindet, von der Seite reinzugrätschen. Man darf aber trotzdem die Frage stellen, welche finanzielle und sonstige Unterstützung dieses kommerzielle Groß-Event von der Stadt und anderen öffentlichen Institutionen wie den Wiener Linien bekommt. Die veranstaltende Event-Agentur Sicom reagiert leider trotz wiederholtem Nachfragen nicht auf Anfragen diesbezüglich. Auch hier gilt: Es ist nicht illegal, es ist nicht unmoralisch. Die Stadt darf Großevents unterstützen. Die Diskussion, die im Konzertbereich schon lange geführt wird—machen große Gratis-Events mit Unterstützung der Stadt die Szene kaputt?—darf natürlich auch hier geführt werden. Aber beim Vienna Summerbreak halte ich die Gefahr für wirklich überschaubar. Im besten Fall bringt das Ding genug Jugendliche aus Niederösterreich für ein Wochenende nach Wien, alle haben Spaß und verdienen Geld. Auch die Jungs vom Electroboot oder der Pratersauna.

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Foto: Vienna Summerbreak

Dass ein Löwen-Anteil von öffentlicher Unterstützung in Richtung der medienwirksamen Stellen fließt, ist ein Faktum. Da braucht man nur mal Richtung Staatsoper schielen. Das ist jetzt auch noch nicht das wahre Problem. Das Problem ist, dass es nicht diese Stellen sind, die eine Stadt auf die Dauer lebendig halten. Großfestivals wie das Vienna Summerbreak funktionieren losgelöst von der lokalen Szene. Das ist OK, sie sollten aber auch so behandelt werden. Wenn Wien eine lebenswerte und lebendige Clubkultur will, muss es diese unterstützen—und nicht mit Kontrollen blockieren, während es auf der anderen Seite Massenevents unterstützt.

Also, Wien: Wenn du dich mit deinem Nachtleben schmücken willst, überleg dir, was du tun kannst. Es geht letzlich immer irgendwie um's Geld—aber eben nicht nur. Vor allem direkte Subventionen sind nicht das Thema. Es geht eher um Freiräume, um sich sein Geld selber verdienen zu können. Wer mit einer lebendigen Szene werben will, der muss zulassen, dass diese auch leben kann. Im Oktober sind Wahlen. Zeit für alle Parteien, sich ein paar Gedanken zu machen. Wir bleiben dran.

Jonas ist auf Twitter: @L4ndvogt. Mann kann ihm Feedback

Mehr über Wiener Clubkultur aus unserem Archiv? Gerne doch. Hier ein Ausschnitt:

Die Forelle baut sich um

Ein Interview mit der Pratersauna

Ein Interview mit dem Booker der Grellen Forelle

Ein Interview mit der Kantine

Die vollständige Geschichte des Flex der letzten 20 Jahre

Wiens schwule Partyszene

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