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Wie du deiner Familie die Musikvideos des Jahres erklärst

Du zappst so durch die Musiksender und plötzlich hat deine Mutter eine Menge Fragen zu „Anaconda“.
Emma Garland
London, GB

Neben dem endlosen Fressgelage ist das Beste am Elternbesuch, dass du beliebig viel Zeit auf der Wohnzimmercouch abhängen und in die Glotze starren kannst, ohne dass dich alle zwei Minuten irgendwelche Gedanken an anstehende Deadlines oder abzugebende Hausarbeiten hochschrecken.

Wenn du dir diese Wohnzimmercouch aber mit noch mindestens zwei weiteren Generationen teilen musst, hält das Fernsehprogramm nur noch wenig bereit, was alle Familienangehörigen zufriedenstellen kann—es sei denn, dass man sich für diese halbgare Komödie entscheidet, mit der dann alle Parteien zumindest gleichermaßen unglücklich sind. Nicht selten führt die Ratlosigkeit in der Programmwahl dazu, dass ihr gemeinsam einen Musiksender schaut.

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Schnell wirst du merken, dass hier und jetzt dein großer Moment gekommen ist. Bei der familiären Trivial-Pursuit-Runde am Vorabend hat es vielleicht nur für einen demütigenden letzten Platz gereicht, weil du in deinem Hirn Platz für noch mehr Verschwörungstheorien zum Fahrstuhlvorfall mit Solange und Jay-Z machen musstest—das im Geschichtsunterricht angeeignete Wissen musste eben darunter leiden—, aber Yeezus sei Dank wird dir das jetzt ungemeine Vorteile verschaffen. Du, als aufmerksamer Noisey-Leser, wirst nämlich aller Wahrscheinlichkeit nach die Person mit dem größten Popkulturwissen im Raum sein. Das hier ist das kleine, jährliche Zeitfenster, in dem du ungestraft vor einer Gruppe Menschen über das Jahr in der Welt der Musik klugscheißen kannst—also nutze es!

Du solltest deinen lieben Verwandten allerdings auch nicht mit deinem gesammelten Wissen aus allen Artikeln behelligen, die du in den letzten Monaten gelesen hast, immer wenn eine #Kontroverse aufgetaucht ist. Weihnachten ist schließlich die Zeit der Freude und Besinnlichkeit und dementsprechend auch die Zeit des leicht verdaulich portionierten Wissens. Wir führen hier mal exemplarisch vor, wie du einige der wichtigsten Ereignisse von 2014 in einer Sprache zusammenfasst, die deine Familie versteht und mag. Sie sollen sich nicht wünschen, zur Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten umzuschalten.

Taylor Swift „Shake it Off“

Moment, das versteh ich nicht. Warum tanzt sie, wenn sie nicht tanzen kann?
Sie versucht, nicht zu tanzen.

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Oh, also kann sie eigentlich tanzen?
Nein, definitiv nicht.

Sollte sie dann überhaupt ein Popstar sein?
Gute Frage, aber sie ist eigentlich sehr gut im Popstarsein, weil sie in gewisser Weise die Erwartungen untergräbt, die Menschen an Stars haben—dass sie immer perfekt und grazil auszusehen haben. Die Leute mögen sie, weil sie so unbeholfen und tollpatschig rüberkommt.

OK, ich verstehe. Sie tut also so, als wäre sie schlampig?
Nein, auf keinen Fall. Selbst wenn sie aus dem Fitnessstudio kommt, sieht sie aus wie ein Modell aus den 50ern. Du weißt doch, wie sich Mick Jagger immer als Rocker gibt, aber früher an der London School of Economics studiert hat, um Politiker zu werden? Mit Taylor Swift ist das ganz ähnlich, nur ohne harte Drogen. Sie möchte dir den Eindruck vermitteln, dass du ihr gar nicht so unähnlich bist—auch wenn ihr komplett verschieden seid.

Du hast dir da offensichtlich eine Menge Gedanken drüber gemacht.
Ja, es war ein komisches Jahr.

Nicki Manaj „Anaconda“

Nicki Minaj - "Anaconda" from > on Vimeo.

Mein lieber Himmel, was ist das denn bitte? Mach das aus!
Beruhig dich doch, das ist bestimmt nicht schlimmer als Elvis mit seinem Hüftschwung oder Mick Jagger, wenn er seinen Schritt nach vorne drückt.

Das ist es wohl, meine Liebe. Die haben nicht ihren nackten Popo in die Kamera gehalten.
Es ist schon anders, aber auch nicht total anders. Frauen tanzen schon seit Jahrzehnten anzüglich in Videos. Der einzige Unterschied ist jetzt, dass sie selber Star des Videos sind und sich nicht einfach nur im Hintergrund räkeln, während ein männlicher Künstler über Sex singt.

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Du siehst das also als Fortschritt?
Nun ja.

Auf so was stehen die Jungs also heute?
Vielleicht, aber es hat eigentlich mehr damit zu tun, sich seine Kultur, seinen Körper und seine eigene Sexualität zurückzuholen und wertzuschätzen. Mädchen finden das auch ganz gut.

Wer ist der Typ, der am Ende auf dem Stuhl sitzt. Er sieht nicht wirklich glücklich aus.
Das ist Drake, der traurigste Kanadier, den es gibt.

Und was macht dieser Drake sonst so?
Wenn man nach den Entscheidungen geht, die Drake 2014 getroffen hat, dann bin ich mir noch nicht mal sicher, ob Drake überhaupt weiß, was Drake gerade macht. Er ist aber einer der memetauglichste Musiker 2014, obwohl er ziemlich untätig war.

Memetauglich?
Pardon, ich meinte, „er hat den höchsten Nachrichtenwert“.

Warum ist denn jemand, der nichts macht, trotzdem die ganze Zeit in den Nachrichten?
Na gut, er hat jetzt nicht wirklich nichts gemacht. In diesem Video hat er zum Beispiel eine Erektion bekommen. Außerdem war er bei einer Menge Basketballspiele und saß immer direkt am Feld. So haben ihn dann alle dabei beobachten können, wie er Wutanfälle bekommen hat, seine Hose mit der Fusselrolle gereinigt und sich wie George Costanza angezogen hat.

Und das ist heutzutage beliebt?
Scheint so.

Katy Perry „Dark Horse“

Diese Farben sind ganz schön angriffslustig.
Das ist nicht das einzige, was daran angriffslustig ist.

Was meinst du damit?
Na ja, sie ist gekleidet wie eine Nu-Rave Cleopatra und hat gerade ein Symbol des Islam zerstört.

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Oh, sie ist also ein Bisschen wie Pegida?
Ich glaube ernsthaft, dass sie keine Ahnung hatte, was sie da eigentlich gemacht hat.

Man sollte aber davon ausgehen, dass ein Star in ihrer Größenordnung ein Team von Menschen hat, das auf solche Dinge achtet.
Ja, aber Ästhetik scheint in manchen Fällen über Kontext zu stehen. Anderen Menschen ist das allerdings aufgefallen.

Wem denn?
Die Menschen im Internet waren ziemlich sauer. Andere reagierten darauf mit „jetzt dreht die politische Korrektheit komplett durch!“. Dann hat sogar die English Defence League, eine rechte Organisation in Großbritannien, ihr per Facebook ihre Unterstützung bekundet.

Oha.
Ja. Generell wurde dieses Jahr viel darüber diskutiert, inwiefern man sich bei andere Kulturen aus „Spaß", als Parodie oder einfach nur, weil alle anderen es auch machen, bedienen kann.

Und das ist was Schlechtes?
Na ja, es ist in etwa das gleiche, wie allen anderen die Kartoffeln vom Teller zu klauen und mit der anderen Hand jedem, der das bei dir versucht, zu drohen, die Gabel in die Hand zu hacken, oder nicht?

Hmmm, war sie nicht mal mit Russel Brand verheiratet?
Ja, war sie.

Sam Smith „Stay With Me“

Oooh, den mag ich. Wie heißt der noch mal?
Sam Smith. Er ist furchtbar.

Aber er hat doch eine so schöne Stimme.
OK, meinetwegen, Objektiv gesehen hat er eine gute Stimme, aber als Popstar ist er scheiße.

Was kann einen denn bitte an dem stören?
Nichts, das ist es ja. Er ist die Personifizierung jedes einzelnen Richard Curtis Film, gekleidet in einem schicken Anzug. Er ist Downtown Abbey, das Musical. Wahrscheinlich hat er einen Selfie mit irgendeinem anderen Promi als Handy-Hintergrund. Er ist die fleischgewordene Verschwörung gegen Weihnachten, einzig und allein gemacht, um gewalttätige Familienauseinandersetzungen anzustacheln—wie diejenige, die gleich beginnt, sobald ich den Satz beendet habe.

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Fändest du ihn weniger langweilig, wenn er mit seinem Hintern vor der Kamera rumwackeln würde?
Auf jeden Fall, aber ich glaube nicht, dass das irgendjemand sehen möchte. Du etwa?

Future Islands

Wer ist das und über wen macht er sich da lustig?
Das ist Samuel T. Herring von der beliebten Indierock-Formation Future Islands.

Was um Himmelswillen treibt er da?
Spaß haben?

Er sieht aus wie ein sturzbesoffener Stephen Graham in einer Karaoke Bar.
Ziemlich gut, oder?

Er sieht aus wie eine kotzende Katze.
Können bitte endlich mal alle aufhören, sich über Samuel T. Herring lustig zu machen. Er ist ein ernstzunehmender Musiker.

One Direction

Oh, die kenne ich.
Schön für dich.

Deine Schwester hört die.
Ne, tut sie nicht. Das war vor zwei Jahren. Jetzt hört sie Against Me!

Mist. Ich muss zurück zu Saturn, ihr Geschenk umtauschen.
Saturn?

Oh, du meinst wohl, alles besser zu wissen. Da kauft man CDs.
Ach, wie iTunes?

Genau, aber du betrittst einen richtigen Laden und bezahlst 15,99 Euro für eine echte CD, die du auch anfassen kannst.
WIE VIEL?

15,99 Euro. Recht vernünftig, oder nicht?
Ich zeige euch mal Bittorrent. Ihr werdet aus dem Staunen nicht rauskommen.

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