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Whatever turns you on—So feiern Burlesque-Fantasy-Nerds auf dem Rhein

Am Rand der Fantasy Basel fand auch eine auf das Publikum ausgerichtete Party mit Burlesque-Show statt. Wir waren dort.
Alle Fotos von Claude Hurni

Am Rand der Fantasy Basel fand auch eine auf das Publikum ausgerichtete Party mit Burlesque-Show statt—und zwar auf dem Rhein! Wir waren dabei, da Spandex-Spiderman + Steampunk + Burlesque + Schiffsbauch (+ Alkohol) eine Formel ist, die nicht daneben gehen kann.

Wir verkleiden uns als Pro-Bowler und Fliegerbaron, hoffen, dass unsere mangelnden Szenekenntnisse nicht mit Verachtung bestraft werden und erwarten einen Abend voll annähernd religiös aufgeladener Selbstironie. Auf dem Hinweg fuchtle ich noch gefährlich mit meinem Gehstock rum, da ich Energie loswerden muss, die in der Tanzmeute gefährlich werden kann. In Hafennähe gibt uns ein Waldläufer Feuer, beim Eingang steht einer vom Racoon City Police Department und jemand, der so aussieht wie der inexistente Gehilfe vom Gehilfen von Jake Gyllenhaal in Nightcrawler. „Seid ihr hier für die Sicherheit verantwortlich?"—„Negativ." Ich will ihm spontan den Arschlochfinger zeigen, so gut ist er.

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Ansonsten ist „Das Schiff" aber noch schockierend leer. Das Menü, das regulär 60 Franken kostet, lockte nur Wenige: Zwei, drei Pärchen und Männer in „ Irish Pub"-T-Shirts sind da, nicht grade die Avantgarde der Cosplay-Kultur. Die meisten Tische bleiben leer. Wir sind ja bekannt für unsere ausgeglichenen Restaurantkritiken, darum ein kleiner Exkurs: Das Essen war ganz gut, aber viel zu wenig. Die lapidare Antwort des Kellners auf unsere Beschwerde über die kleinen Portionen war: „Unser Koch ist sich gewohnt, 5- oder 6-Gang-Menüs zuzubereiten." Aber wir sind auch nicht unvoreingenommen, denn wir hatten uns ein Essen auf der „Fantasy Party" erhofft—fucking Steampunk-Romantik!—nicht einfach „ein Essen auf einem Restaurantschiff (dessen Innendekorateur in 80er-James Bond-Filmen festhängt)" und dementsprechend sind wir enttäuscht.

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Neidisch schauen wir auf die eintrudelnden Gäste. Sie scheinen schon angetrunken ausgelaugt. Eine Gruppe in Lederkostümen tanzt so eng, wie es an anderen Orten zwischen 3:00 Uhr morgens und nie passiert. Und mit dem rhythmischen Schaukeln des Schiffs—das wir später nicht mehr wirklich schätzen können—fühlt sich das an wie eine beduselte Marathonnacht Hochqualitäts-TV-Serien der Marke Xena, die Kriegerprinzessin und Herkules. Klar, sind nicht alle ausgelassen. Es gibt den Typen, der stundenlang nur dasitzt, die Arme auf seinem Bauch aufstützt und für all die Sterblichen um in rum nur Verachtung verspürt. Auch teilen wir nicht die Ausgangsgewohnheiten von allen Anwesenden, denn einige spielen auch um 22:00 Uhr noch Magic. Darauf sind wir nicht neidisch. Magic klaut uns sonst schon den halben Freundeskreis und wenn man zum zweiten Mal versetzt worden ist, weil „Das Draft bis 5:00 Uhr gedauert hat", entwickelt man gewisse Aggressionen gegenüber dem Spiel.

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Als wir dann endlich gezahlt haben und den Restaurant-Teil verlassen dürfen—ausser uns sitzen weiterhin nur ein paar Versprengte, die ihre Kleider wohl vollständig in Dublins Tourishops gekauft haben, da—sind wir trotzdem froh zu den menschlichen und nicht-menschlichen Wesen zu dürfen. Und die haben sich mittlerweile vermehrt: Die Steampunk-Gentlemen, die sich würdevoll auf ihre Gehstöcke stützen, die Schlumpf-Herrscherfamilie, der notorische Spandex-Spiderman. Ein Bat-Girl tanzt ausgelassen mit drei Jungs. Und die Lederfraktion gibt dem ganzen Abend weiterhin einen Beigeschmack „Fetisch-Kreuzfahrt". Mit der fortschreitenden Nacht scheint der Anteil an Männern oben ohne, an Frauen in Strapsen noch zu steigen, eine Fotografin läuft im Slip rum, als wäre das ganz normal. Und das Schöne daran ist: All das ist ganz normal.

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Es ist die zügellos-situationistische Gesellschaft, aus der alle Prolls ausgesperrt wurden. Natürlich ist an einem Ort, an dem alle Menschen so angenehm unkompliziert sind, der BMI-Schnitt einen Punkt höher. Und natürlich sind auch hier die Leute in den freizügigsten und freakigsten Kostümen, die Menschen in Weiss mit bunten LEDs an allen Extremitäten, jetzt nicht unbedingt die Ausgelassensten. Mit zwei Ausnahmen: Joe Black, der Moderator der von „Cabaret Bizarre" organisierten Burlesque-Show singt so lange „I'm a sweet transvestite" bis man sich selbst als Teil einer Ultra-Soft-Variante von Shortbus fühlt. Ultra-ultrasoft. Und die zweite Ausnahme ist der Typ mit den Plastikbrüsten („aus dem Schrank vom Kollegen"), offenem Gilet und mit Glitter umkreister Narbe auf der Stirn. Er macht sich so lange zum Zentrum des Geschehens bis er Zentrum eines sehr eigenen Orbits wird. „Wenn man denkt, das Niveau könne nicht mehr sinken!" jault eine Raucherin—nicht ohne Sympathie. Daneben passiert uns eine Männergruppe und mir bleibt die Catchphrase, die ich nochmal hören werde: „Bestell du mir einen Caipi! Ich bekomme nicht den gleichen Caipi wie du."

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Im zweiten Teil der Burlesque-Show ist Joe Black weiter engagiert verbal und nonverbal dabei: „Sweeping glitter into clearly very happy people, that's my order!" Allerdings habe ich von „Cabaret Bizarre" dann doch etwas mehr erwartet. Im Prinzip ist es einfach eine Stripshow, die ihrer Stripshowhaftigkeit bewusst ist. Ich hätte lieber weiter getanzt, statt wegen Meta-Stripshows auf den Dancefloor zu sitzen. Getanzt habe ich dann auch noch bis um 4:00 Uhr—oder was sich wie 4:00 Uhr angefühlt hat. Da der Fotograf um eins heim ist und mir seine Spiegelreflex dagelassen hat, tanze ich mit der Kamera in der einen und dem Bulldoggen-Gehstock in der anderen Hand, wenigstens kann ich so nicht gefährlich mit dem Stock rumwedeln. Nur die Gänge aufs Klo sind mit diesen Accessoires nicht ganz einfach.

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Als ich dann wirklich müde bin und mich ein Ledermann recht offensichtlich angezwinkert hat, erinnere ich mich an Joe Blacks Worte („Many of you will undergo a walk of shame tomorrow, aren't you?") und gehe von Bord. Am Rheinufer höre ich vom sympathischen Herrn mit den Plastikbrüsten dann noch eine Anekdote mit, die als Parabel für die ganze Veranstaltung verstanden werden könnte: „‚Whatever turns you on', hat mein Grossvater immer gesagt. Und als er dann gestorben ist …"—„Habt ihr rausgefunden, what turned him on?"—„Jaa, als wir dann das Haus geräumt haben, fanden wir zwei Schubladen voll …" „Pornos!"—„Voll ungebrauchten, sauberen Socken. Richtig edle Socken waren meinem Grossvater wichtig."—„Ja, das versteh ich. Nach einer anstrengenden Nacht gibt es nichts besseres als das Gefühl von frischen Socken."

Benj auf Twitter: @biofrontsau

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