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„Wenn schon inszeniert, dann richtig“—Das erste Interview mit The Wedding Party Massacre

Wir haben uns mit Fabian Chiquet von The Bianca Story über sein neues Projekt unterhalten und warum Ziggy Stardust cooler ist als Kim Kardashian.
Foto von The Wedding Party Massacre

Ohne Ankündigung, ohne Erklärung erschien vor einigen Wochen das erste Video von The Wedding Party Massacre. Eine bedrohlich anmutende, maskierte Crew in schwarz-weiss, dazu eine Tänzerin und ein Tänzer und ein epischer Song zwischen Electro, Hip Hop und Pop, so präsentierte sich „Funeral March“. Die Namen der Musiker dahinter und ihre Absichten wurden fürs Erste geheim gehalten. Letzte Woche jedoch habe ich die vermummten Performer in ihrem Hauptquartier im Luzerner Südpol aufgestöbert.

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Vor dem Kulturhaus, das gerade Sommerpause macht, weswegen WPM es als Probelokal nutzen können, treffe ich auf den Kopf der ominösen Crew: Fabian Chiquet, bekannt als Mitglied der Basler Art-Pop-Helden The bianca Story. Bevor wir uns auf die Terrasse setzen, um über sein neues Projekt zu sprechen, stellt er mich allen Beteiligten vor, wozu nicht nur Musiker wie Jonas Wolf und Joël Fonsegrive (ebenfalls The bianca Story) oder Moritz Vontobel (Baba Shrimps) gehören, sondern auch der Videokünstler Gregor Brändli, der Produzent Dr.Mo (Lo & Leduc, Jeans For Jesus) oder der Choreograf Marcel Leemann. Nein, The Wedding Party sind keine gewöhnliche Band. Vielmehr, so stellt sich im Gespräch mit Chiquet heraus, geht es um eine Inszenierung, ein Gesamtkunstwerk aus Sound, Bewegung und Bilder.

Foto von Daniel Kissling

Noisey: Bis jetzt wolltet ihr mit euren Namen nicht rausrücken. Was sollte die Geheimniskrämerei?
Bei diesem Projekt geht es nicht um die Personen dahinter. Es geht mir um die Musik, die Bilder und die Inszenierung. Die Authentizität des Künstlers interessiert mich nicht, sondern das, was am Ende als Gesamtkunstwerk da ist. Deswegen haben wir auch als erstes das anonyme Video released und geben uns erst jetzt zu erkennen. Wir wollten uns nicht von Beginn weg in eine Schublade stecken lassen.

Du meinst die Schublade namens The bianca Story, bei welchen du ansonsten aktiv bist. Ihr habt ja auch schon auf Theaterbühnen gestanden …
Genau! Und gerade das wollten wir mit dieser Anonymisierung vermeiden. Die Leute sollten zuerst unvoreingenommen an die Sache herangehen. Wir leben in einer Gesellschaft, die so starken Wert auf Entmystifizierung und Schubladisierung legt. Man soll immer alles offen legen, alles Private von sich preisgeben. Sei du selbst! Sei glücklich! Zeig dich in deinem Badezimmer! Ich denke gerade in diesen Zeiten wird die Inszenierung, die Maskierung noch viel spannender. Nicht zuletzt, weil auch diese ganze Offenheit eigentlich Inszenierung ist. Heute wird Realität inszeniert. Und ich finde halt: Wenn man sich schon inszeniert, dann gleich richtig. Dann gleich wie Ziggy Stardust.

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Für was steht denn The Wedding Party Massacre?
WPM steht für die Kontraste in unserer Welt. Es geht um das Nebeneinander von Extremen in unserer Gesellschaft. Grossartiges steht neben extrem Schrecklichem. Diese Extreme rücken immer näher. Wir werden kontinuierlich mit Bildern des Elends konfrontiert, leben aber gleichzeitig in einem unglaublichen Luxus-Environment. Auf dem gleichen Bildschirm stehen Kriegsbilder neben den Titten von Kim Kardashian. Diese Gleichzeitigkeit von „Big Yeah!“ und extrem Schlimmem ist für mich fast nicht mehr ertragbar.

Ich kann das psychisch fast nicht mehr handlen und WPM ist eine Art für mich, damit umzugehen. Deswegen arbeiten wir optisch mit diesen harten Schwarz-weiss-Kontrasten und auch in der Musik kombinieren wir Hip Hop mit Heavy Metal-Gitarren. Es gibt kein Dazwischen, keine Abstufungen, keine Transitions. Der Clue der Geschichte ist ein sehr hippiesker. Am Schluss werden wir „All is full of Love!“ in die Welt hinaus schreien, einfach mit einer sehr militanten Sprache.

Intellektualisierst, elitarisierst du Pop Musik mit solchen Projekten?
Man muss die Sache von zwei Seiten anschauen: Wenn man es von der Theater-Seite anschaut, sind wir der absolute Intellektuellen-Schreck. Wir diskutieren nicht. Das interessiert mich nicht. Ich will eine Stimmung, ein Gefühl vermitteln und dabei Freiräume lassen. Du als Besucher hast die Deutungshoheit. Es wird auf der emotionalen Ebene abgehandelt, was mich viel mehr interessiert. Dort kommt die Pop Musik ins Spiel, die für mich emotionaler funktioniert und vielleicht auch flächendeckender berührt.

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Foto von The Wedding Party Massacre

Trotzdem werdet ihr die Show von WPM nicht in den üblichen Konzertclubs, sondern in Theatern aufführen. Erwartest du dann, dass die Leute still zuhören oder feiern?
Für mich ist Bühne gleich Bühne. Ich mache da keine Unterschiede. Ich habe einen Raum zur Verfügung und eine gewisse Zeit, in welcher mir die Leute zuhören. Wo das ist, ist mir eigentlich egal. Gerade deswegen ist es für mich aber ein Anliegen, einmal einen Theatersaal zum Tanzen zu bringen. Natürlich ist die Show nicht darauf ausgelegt, dass nach jedem Song geklatscht wird, es gibt viele Übergänge. Vom Feeling her sollen die Leute aber tanzen, sollen auch ein Bierchen trinken und hin und wieder vielleicht auch miteinander quatschen.

Du hast eingangs Ziggy Stardust erwähnt. Gibt es noch weitere solche Vorbilder für die Inszenierung?
So klare Figuren will ich nicht schaffen, kein Held oder Bösewicht. Die Leute sollen nach der Show nicht über die Geschichte nachdenken, die von A nach B führt, sondern lieber über die Musik und die Bilder, über die militante Inszenierung und wie sie im Kontrast steht zu unseren Hippie-Vocals. Ziggy Stardust ist einfach ein gutes Beispiel dafür, wie Inszenierung früher oft gemacht wurde. Heute sind ja viele Popikonen auch erfundene Figuren, tun aber so, als wäre es die Realität. Kim Kardashian oder Nicki Minaj sind auch erfundene Figuren, aber die Leute wollen dann so sein. Mir ist die offene Inszenierung von Bowie oder Bands wie Kiss näher.

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Foto von The Wedding Party Massacre

Ein weiteres Vorbild ist laut eurer Presse-Mitteilung der französische Schriftsteller Jean Cocteau.
Cocteau hat 1921 ein Stück aufgeführt, das er eigentlich The Wedding Party Massacre hatte nennen wollen. Dem Theater war das dann aber zu morbid, sodass es am Ende Les mariés de la Tour Eiffel hiess. WPM benutzen Elemente aus dieser Vorlage. Auf jeden Fall kam in Cocteaus Ballet eine Szene vor, in der ein Junge einen General massakriert. Cocteau verarbeitete darin wohl auch seine Kriegserfahrungen aus dem 1. Weltkrieg und übte Kritik am Militarismus. Zumindest ich verstehe WPM auch als eine solche Kritik.

Jetzt hast du am Anfang aber gesagt, es geht dir nicht um den Künstler und sein Kunstwerk, sondern um dieses Gesamtbild und die Crew. Ein Schriftsteller wie Cocteau ist aber gerade der Archetyp dieses Ego-Künstlers.
The Wedding Party Massacre ist meine Vision. Ich gebe vor, in welche Richtung es geht, das ist klar. Spannend wird es für mich aber immer dann, wenn ich herausspüre, was deine Leute in einer gewissen Situation tun würde. So beginnst du mit den Stärken der einzelnen Mitglieder zu arbeiten und holst das Beste raus. Cocteau war auch ein extrem guter Netzwerker. Er hat die Musik ja auch nicht selber geschrieben, sondern Le group des six, ein Komponisten-Kollektiv. Und später im Film gearbeitet, dem Medium, wo wohl am meisten Menschen involviert sind.

Foto von Daniel Kissling

Ihr habt wie bei einem Ballett auch Tänzer dabei. Kommt das von dieser Vorlage her?
Für mich war in erster Linie wichtig, einmal eine Inszenierung ohne gesprochenen Text zu machen. Bei den Konzerttheatern, die wir mit The bianca Story gemacht haben, war immer auch Text dabei. Für mich aber ist Musik und Bewegung eins und so war es naheliegend mit Tanz zu arbeiten. Auch um meine eigene Performance weiterzuentwickeln. Bei gesprochenem Text wird die Musik unterbrochen. Ich will aber ein Gesamtbild schaffen, einen einzigen Flow, auch mit den Videoprojektionen und Lichtinstallationen.

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Wann findest du, das Projekt WPM hat geklappt? Oder andersherum: Wann ist für dich WPM gescheitert? Gibt es Reaktionen, die du nicht willst?
Na klar! Ich will ja nicht das die Leute gelangweilt abhauen. Ich fände es natürlich schon toll, wenn es den Leuten gefallen würde oder sie es zumindest spannend finden. Scheitern definiert sich bei mir aber weniger über die Responses, die ich erhalte, als über meine eigenen Ansprüche. Ich habe eine sehr starke Vision von diesem Gesamtkunstwerk, wie es am Ende aussehen und wirken soll. An dieser Vision kann ich scheitern, wenn am Ende nicht die Power da ist, die ich mir vorstelle.

Ins Gesamtkunstwerk The Wedding Party Massacre eindringen könnt ihr hingegen auf Facebook und ob Fabian Chiquet seinem eigenen Anspruch gerecht wird, könnt ihr an folgenden Daten selber überprüfen:

9./11.9.2015 - Konzert Theater Bern
24.-27.9.2015 - Haus der elektronischen Künste, Basel
2.-3.10.2015 - Gessnerallee Zürich
8./9.10 - Südpol Luzern

Mit Daniel Kissling über Cocteau und Kiss diskutieren geht auf Twitter.

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