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Welche Musik hören Bahnhofpunks eigentlich heute?

Wir haben Bahnhofpunks gefragt, was sie eigentlich für Musik hören.

Lang sind sie die Zeiten her, als wir noch Dosenbier trinkend am Bahnhof herumlungerten. Neben uns lagen die Rucksäcke, auf denen Anarchie-As und Nazis-raus-Ns prangten. Manchmal haben wir uns beim Draufnähen so schlecht angestellt, dass Fetzen raus hingen, manchmal haben wir mit Gewalt Stoffstücke rausgerissen.

Und natürlich durfte auch ein Disc-Man samt Boxen nicht fehlen, von dem selbstgebrannte CDs dröhnten. Unsere DIY-Sampler von damals mischten Rasta Knast, Die Ärzte und Dritte Wahl ohne Shufflemodus wild durcheinander.

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Foto von Lukas_Litz; Flickr; CC BY-ND 2.0

Aber auch wenn wir Möchtegerns unsere DocMartens an den Nagel gehängt haben und Wizo (fast) nur noch heimlich hören: Es gibt auch heute noch Bahnhofspunks.

(Obwohl das mit den Labels natürlich schwierig ist: „Siehst du dich als Punk?“—„Icke bin icke.“) Zumindest ein, zwei Jahre nehmen sich Bahnhofpunks zur Gesellschaftsverweigerung. Und noch immer beschallen sie—wenn auch mit leistungsfähigeren Boxen—Zürich, Olten, Basel und viele kleine Kaffs, die wir nie alle abgrasen können. Welcher Sound ihnen die Energie zum Rumhängen auf dem Perron gibt, haben wir für dich rausgefunden:

Deutschpunk forever: Schleimkeim

Quelle: Youtube

Um ehrlich zu sein, hätten wir nicht erwartet, dass Deutschpunk die Nullerjahre überlebt. (Abgesehen von zwei, drei Hymnen wie „Viva Punk“ von Betontod oder alles was „Diskursmusik“ geworden ist wie Die Goldenen Zitronen (Goldies!).) Die meisten Bands haben mittlerweile das Zeitliche gesegnet (zum Teil auch wortwörtlich), aber gehört werden sie trotzdem noch.

Zum Beispiel von zwei Zwillingspunks—der eine mit Dreads, der andere mit einem runterhängenden Iro—und die hören: Schleimkeim! 1-2-3-4-Rotz aus zwei, drei Riffs mit Pro-Saufen- und Pro-Kiffen- und Anti-Staat- und Anti-Spiesser-Texten. Was der Ossi-Jugend in der DDR und Nachwende genügte, genügt scheinbar auch dem CH-Punk von heute.

Oi-Punk forever? Loikaemie

Quelle: Youtube

Auch Oi ist irgendwie von gestern und trotzdem unkaputtbar. Loikaemie gehören zu den Helden der Skindhead-Szene und als wir uns ein paar Songs auf Youtube anhören, macht uns das irgendwie traurig. „Ich hab daran Spass, weil mir sonst im Leben nichts bleibt, ausser der Freude an meiner Trinkfestigkeit!“ grölt Frontmann Eddie ins Mikro und wir fragen uns, ob der Song heute als Abgesang für die ganze Oi-Szene zu verstehen ist.

This is Boston: Blood for Blood

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Quelle: Youtube

Es gibt Bahnhofpunks und Bahnhofpunks. Neben den Gymnasiasten mit Originalitätsbedürfnis gibt es semiprofessionelle Schnorrer, die mit ihrem Bahnhofpunk-Dasein ihr Auskommen verdienen. An der Limmatbrücke in Zürich hiess es erst: „Wännd Musig suechsch, dänn probier doch mal Youtube.“

Nach drei verschenkten Zigis empfahl mir der Lang-Iro: „Naja, Blood for Blood bliiibed halt eifach guet.“ Wahrscheinlich braucht man die universale Wut von Blood for Blood, um auch noch im November draussen zu überleben: „You call me anti-social? You're fucking right. Because I hate this fucking world and every motherfucker inside.“

Und Ansagen wie in „White Trash Anthem“ („I never had enough money and enough privilege to be white.“) können an der Limmatbrücke helfen, Niederdorf-Touris zu verschrecken.

Afterparty mit DarkPsy: Mr. Hades

Quelle: Youtube

Diversität gibt's auch am Bahnhof und zwar auch beim Sound und nicht nur bei der Wahl der Rauschmittel. Wenn am Samstagmorgen eine Gruppe gemütlich beisammen sitzt und sich von elektronischer Tanz-Trip-Musik beschallen lässt, dürfen wir wohl davon ausgehen, dass die Jungs nicht erst gerade aufgestanden sind.

DarkPsy oder Psycore nenne man das, lassen wir uns erklären. Für uns klingt's nach Goa und wir erinnern uns an Nächte, in denen wir uns zu solchen Partys in Waldhütten oder Sandsteinhöhlen haben schleppen lassen und nur deshalb im Morgengrauen tanzten, weil wir sonst noch mehr gefroren hätten. (Obwohl man zu solchem Sound ja immerhin pogen kann.)

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Das Kiffer-Flashback: Afroman

Quelle: Youtube

Als wir dann schon wieder gehen wollen, schwenkt das Genre wieder sanft Richtung Rock. Der Song kommt uns bekannt vor, doch wir müssen lange in unseren Gehirnwindungen grübeln, bevor wir ein verschwommenes Bild von einem fröhlich verschliffenen Schwarzen mit Afro vor uns sehen.

Eine Ewigkeit ist es her, seit wir die Kiffer-Hymne der Millenials „Because I got high“ von Afroman das letzte Mal gehört haben

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Equilibrium, seriously?

Quelle: Youtube

Ein Dreadlock-Punk und sein Kumpel am Bahnhof Basel schwören bei der ersten Frage, dass sie alle Musik lieben. Dass Musik ihr absoluter Lebenssinn ist. Dass ihre spirituelle Existenz begonnen hat, als Led Zeppelin das erste Mal „Stairway to Heaven“ gespielt haben. So viel Beliebigkeit können wir aber nicht akzeptieren und so fragen und fragen wir bis wir eine Antwort bekommen … Und die Antwort ist … Equilibrium. Ernsthaft?

Wir wollen ja niemanden beleidigen, aber diese sauberen Power Metal-Riffs hört ihr euch an, wenn ihr Tage und Nächte auf Bahnhofsbänken verlebt? Wir selbst würden nach nur einer Stunde Equilibrium wie ganz automatisch eine Stelle als Sachbearbeiter bei der SUVA antreten.