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Thump

Was ich beim ersten Tomorrowland Deutschland erlebt habe

Ein ausverkauftes Fußballstadion, ein EDM-Public Viewing, eine Frage: Können sich echte DJs für "nur" 30.000 Besucher überhaupt motivieren?

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"Wahrscheinlich ist es für die DJ auch ein bisschen langweilig, hier für 'nur' 30.000 zu spielen—und nicht 200.000." Alle Fotos vom Autor.

Als ich am Samstagnachmittag in Dortmund in den Zug steige, dachte ich mir: Scheiße. Bis eben, genauer: direkt nach der kalten Dusche, hatte ich noch gehofft, dass die drei Beutel Aspirin Complex den Kater von gestern besiegt hätten. Jetzt wird mir klar, dass ich letzte Nacht ungefähr drölf Vodka Gimlets zu viel in mich rein gekippt habe. Eigentlich bin ich also reif fürs Bett. Oder ein kaltes Bad. Oder etwas anderes Entspanntes mit niedrigem Geräuschpegel und ohne Bewegung. Stattdessen sitze ich im Zug zum deutschen Tomorrowland und habe Angst, dass sich mein Magen beim kleinsten Ruckeln auf der Strecke bis nach Gelsenkirchen einfach umdreht und das Katerfrühstück wieder hochkommt.

Ich hatte der Redaktion vor ein paar Wochen angeboten, über den neusten Tomorrowland-Ableger in der Schalke-Arena zu berichten. Von elektronischer Tanzmusik hab ich zwar nicht mehr Ahnung als der Durchschnitt meiner Generation—aber mit skurrilen Veranstaltungen kenn ich mich aus. Wenngleich die Skurrilitäten, über die ich sonst berichte, meistens eher politischer Natur und häufig wenig erfreulich sind.

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Das Konzept für Tomorrowland Unite klang jedenfalls irgendwie abgefahren: Es gibt einen Helikopter-Shuttle für die DJs, damit die sowohl in Belgien, beim zeitgleich stattfindenden, weltbekannten Mutterfestival, als auch in Gelsenkirchen auflegen können. Außerdem sollen die Headliner des Festivals am Abend zugeschaltet werden—per Livestream von der belgischen Mainstage. Ein EDM Public Viewing an einem Ort, an dem die Leute normalerweise live Fußball schauen. Verrückt.

Ich schaffe es dann doch ohne Magenprobleme bis nach Gelsenkirchen. Am Bahnhof stehen schon lauter Leute, die genauso spät zum Festival fahren, wie ich. Ein paar Minuten später sitzen wir alle in der überfüllten Straßenbahn Richtung Stadion. Die Getränke der Wahl sind hier Mischbier, Cola mit irgendwas und billiger Energydrink mit Vodka. Es riecht nach ungefähr 15 verschiedenen Sorten Deo und Schweiß. Als die Bahn Station für Station in Richtung Schalke fährt, grölen ein paar Typen vor mir laut ihre Fußball-"Lieder". Es geht vor allem darum, dass jeder Dortmunder ein Hurensohn ist. Und dass man auswärts asozial sei. Anscheinend auch daheim.

Kurz darauf bin ich endlich im Stadion. Die große Party war schon kurz nach Beginn des Ticketverkaufs ausverkauft. Um mich herum tanzen jetzt etwa 30.000 Leute, seit einer halben Stunde läuft das Set von Robin Schulz. Die Stimmung ist super. Die Musik ist Ansichtssache und das Publikum gemischt—irgendwo zwischen eingefleischten EDM-Fans, Ruhrpott-Prolls und Mehrgenerationen-Sauf-Ausflug.

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Ein Teil der Tribünen ist mit schwarzem Stoff verhängt. Darunter stehen tausende Menschen auf den Rängen und tanzen. Der Großteil feiert aber dort, wo sonst ein Haufen überbezahlter Athleten einem Kunststoffball hinterherjagt—allerdings auf grauem Beton statt grünem Rasen. Die Stage ist ordentlich dekoriert: Das Bühnenbild erinnert an die gigantomanischen Aufbauten beim "echten" Tomorrowland drüben in Belgien. Nur halt einige Nummern kleiner.

Kurz bevor das Set von Robin Schulz vorbei ist, zeigen die Leinwände über der Bühne den leicht bewölkten Himmel außerhalb des Stadions—und einen Helikopter, der neben der Arena landet. Darin sitzt Laidback Luke. Der stand kurz zuvor noch auf der Mainstage in Belgien und wurde nach seinem Auftritt direkt rübergeflogen. So muss sich das Leben eines Stars anfühlen. Wahrscheinlich sind alleine die Spritkosten für das Shuttle höher als mein Monatseinkommen, daran wird auch dieser Artikel nichts ändern. Während Lukes Helikopter den Boden berührt, schießen die Kanonen im Bühnengraben hunderte Rollen weißes Lametta in die Menge.

Als sich der Lamettaregen gelegt hat und Robin Schulz fertig ist, geht dann alles ganz schnell: Robin ist auf einmal weg, ganz kurz läuft ein Tomorrowland Unite-Trailer auf der Leinwand. Dann steht auch schon Laidback Luke auf der Bühne und der Helikopter hebt mit dem deutschen Kollegen an Bord wieder ab. Der hat seinen Auftritt beim Hauptfestival nämlich noch vor sich.

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Ich nutze den Wechsel und schaue mich mal um. In einem kleinen eingezäunten Außenbereich hinter dem Stadion gibt es Dixie-Klos, Bier und Pommes. Im Tunnel dorthin wummern die Bässe noch immer so arg, dass der ganze Körper massiert wird—inklusive dem Magen. Ein Glück, dass mein Kater so langsam ein bisschen abklingt.

Draußen unterhalte ich mich mit Daniel und Feli. Die beiden sind aus Kassel und Nordhorn zum Tanzen in den Ruhrpott gekommen. Daniel war vor zwei Jahren auch schon auf dem echten Tomorrowland. "Das war schon ein bisschen arger", sagt er. Ihm gefällt es aber auch auf Schalke. "Ich würde mir nur ein bisschen mehr Action wünschen. Dass die DJs mehr abgehen und die Bühnenshow größer ist." Also ein bisschen mehr Belgien hier im Pott. Apropos DJs: Die beiden glauben nicht daran, dass die Musik hier "live" aufgelegt wird. "Wahrscheinlich ist das für die auch ein bisschen langweilig, hier zu spielen, wo 'nur' 30.000 da sind—und nicht 200.000", vermutet Daniel. Ihm ist es aber eigentlich egal, ob die Sets pre-recorded sind oder nicht. "Hauptsache die Show stimmt." Seine Begleiterin Feli findet das aber eher nicht OK: "Wir haben hier ja auch Eintritt gezahlt!"

Nach Laidback Luke spielen im Stadion noch Don Diablo und Le Shuuk. Als Le Shuuks Zeit abläuft, spielt er noch einen Crowdpleaser für die inneren Kinder der tanzenden Menge: den Titeltrack der Gummibärenbande. Wie alle DJs vor ihm betont er, wie toll und magisch das alles sei.

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Als auch er von der Bühne verschwindet, grinst auf einmal ein Typ mit Mikro in der Hand von der Leinwand ins Stadion. Er steht in Boom, Belgien; stellt sich als Host für den Livestream-Teil des Abends vor. Das Public Viewing beginnt. Nach kurzem Gerede läuft ein Countdown runter. Dann geht es los.

Nicky Romero! Live! Also live aus Belgien.

Nach ein paar Minuten ist aber klar: Ein Stimmungskiller ist die Abwesenheit eines DJs auf der Bühne nicht. Nur mit den Ansagen ans Publikum ist das jetzt etwas schwerer. "Clap your hands!" und "Jump!" funktionieren noch. Zumindest einige machen mit. Die Aufforderung, die mitgebrachten Flaggen in die Luft zu strecken, weil ein Helikopter gleich ein Luftbild schießt, ergibt in der überdachten Arena mehr als 200 Kilometer entfernt natürlich nicht so viel Sinn.

Als eine Stunde später das Set von Afrojack beginnt, ist die Stimmung trotzdem auf ihrem Höhepunkt. Die Musik ist gut, die Laser-, Lametta- und Feuershow sehr ansehnlich, die Leute besoffen und in bester Partylaune. Auch die Bühne ist dabei nicht ganz leer. Die Niederländerin MC Boogshe steht da, wo vorher die DJs aufgelegt haben und feuert die tanzwütige Meute an.

Ich bin es zwar nicht wirklich gewohnt, beim Tanzen andauernd gesagt zu bekommen, was ich mit meinen Armen machen soll, aber die Masche funktioniert. So langsam traue ich mich sogar, ein Konterbier zu trinken—na gut, es war nur ein Radler—und schwinge hin und her. Eigentlich ein ganz guter Tag. Vielleicht komme ich nächstes Jahr sogar wieder. Mal sehen.

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Dieser Artikel ist zuerst bei THUMP erschienen.

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